Prinzipientreue, Flexibilität (OSP)

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481b - 482c

KALLIKLES: Bei den Göttern, das will ich auch. Sage mir, Sokrates, sollen wir denken du treibest jetzt Ernst oder Scherz? Denn wenn du es ernstlich meinst, und das wahr ist was du sagst, so wäre ja wohl das menschliche Leben unter uns ganz verkehrt, und wir täten in allen Dingen das gerade Gegenteil, wie es scheint, von dem was wir sollten?

SOKRATES: O Kallikles, wenn nicht dem Menschen, Einigen so, Andern so, dasselbige begegnete, sondern einem etwas ganz eigentümliches vor allen andern, so wäre es nicht leicht, einem Andern seinen Zustand zu bezeichnen. Ich sage dies aber, weil ich bemerke, daß wir beide, ich und du, uns jetzt in gleichem Zustande befinden. Wir lieben nämlich beide, jeder zweie, ich den Alkibiades, des Kleinias Sohn und die Philosophie, du das Athenische Volk und den Sohn des Pyrilampes.

Ich bemerke nun allemal an dir, so gewaltig du auch sonst bist, das was immer dein Liebling behaupte, und wie er behaupte, daß sich etwas verhalte, du ihm niemals widersprechen kannst, sondern umwendest bald so bald so. Denn in der Gemeinde, wenn du etwas gesagt hast, und das Volk der Athener meint nicht, daß es sich so verhalte, so wendest du wieder um, und sprichst wie jenes will; und mit dem Sohn des Pyrilampes, dem schönen Jünglinge, geht es dir eben so, nämlich des Lieblings Beschlüssen und Reden vermagst du nicht zuwider zu sein. So daß wenn sich Jemand darüber, was du jedesmal sagst um dieser geliebten Beiden willen, wundern wollte, wie ungereimt es doch ist, du ihm vielleicht, wenn du die Wahrheit sagen wolltest, erwidern würdest, daß wenn nicht jemand machen könnte, daß dein Liebling aufhöre dergleichen zu sagen, du auch nicht aufhören würdest dasselbe zu sagen.

Denke dir also, daß du nun auch dergleichen von mir hören müßtest, und wundere dich nicht, daß ich dir dies sage, sondern mache, daß die Philosophie, mein Liebling, aufhöre es zu sagen.

Denn eben sie, lieber Freund, behauptet immer, was du jetzt von mir hörst, und sie macht mir weit weniger zu schaffen, als jener andere Liebling. Denn dieser Sohn des Kleinias führt freilich bald solche Reden bald solche, die Philosophie aber immer die nämlichen. Und eben sie sagt das, worüber du dich jetzt wunderst; du warest ja auch selbst dabei als es gesagt wurde. Entweder also, widerlege jener das was ich eben behauptete, daß also unrecht tun und nicht dafür bestraft werden nicht das ärgste aller Übel sei; oder wenn du dies unwiderlegt läßt, bei dem Hunde, dem Gott der Ägyptier, so wird Kallikles niemals mit dir stimmen, o Kallikles, sondern dir mißtönen das ganze Leben hindurch. Und ich wenigstens, du Bester, bin der Meinung, daß lieber auch meine Lyra verstimmt sein und mißtönen möge, oder ein Chor den ich anzuführen hätte, und die meisten Menschen nicht mit mir einstimmen, sondern mir widersprechen mögen, als daß ich allein mit mir selbst nicht zusammenstimmen, sondern mir widersprechen müßte.


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