Diskussion:Warum jener mechanische Prozeß richtige Ergebnisse erzeugt (Code)

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Version vom 19. April 2008, 05:30 Uhr von Richardd (Diskussion | Beiträge) (Zur Motivation der Vorlesung "Code")
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Husserl wäre ein Informatiker geworden

Wenn ich das so lese, kann ich mir sehr gut vorstellen, wie Husserl in Überlegungen zum Phänomen 'Code' passt. Ich denke, er wäre fasziniert gewesen und hätte seine Überlegungen bestätigt gefunden in den Errungenschaften und Auseinandersetzungen über Algorithmen, Methoden und formalen Grundlagen in der Informatik.

Rechen-REGELN

Aus aktullem Anlass (ich besuche auch noch eine LV "Formale Grundlagen der Informatik") möchte ich eine formale Grammatik vorstellen, die es mittels Regeln ermöglichen soll, so etwas ähnliches wie eine Multiplikation zu bewerkstelligen. Beispiel: a*aaa=aaaa

In formalen Sprachen unterscheidet man zwischen Terminalsymbolen und Nicht-Terminalsymbolen:

  • Terminalsymbole stellen Symbole dar, die nicht mehr verändert werden können, also: Endresultate sind.
  • Nicht-Terminalsymbole wandelt man vermittels Regeln in Terminal- oder in andere Nicht-Terminalsymbole um.
  • Man beginnt mit einem Startsymbol (z.B.: S) das automatisch ein Nicht-Terminalsymbol ist.
  • Schlussendlich muss das entstandene "Wort" vollkommen aus Terminalsymbolen bestehen.

Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Regeln (=Grammatik) für eine formal beschriebene Sprache zu finden. In meinem Beispiel lautet die Sprache:

L= am * a3n = am+3n | m,n >= 1

Aber das bedeutet im Prinzip nur (hier kommt die Husserlsche Bedeutung von uneigentlichen Symbolen zum Tragen, wenn man ihren Umgang beherrscht) , dass das kleinste Wort der Sprache so aussieht: a*aaa=aaaa und der zweite Term (hier aaa) immer ein Vielfaches von 3 sein muss. Außerdem muss die Anzahl der 'a'-Symbole nach dem = der Summe der Anzahl der 'a'-Symbole vor dem = entsprechen. Kurzschreibweise: a*a³=a^4

Nun hat man sich die Regeln zu überlegen, die alle gültigen Wörter dieser Sprache produzieren kann. Ich präsentiere nun eine mögliche Lösung:

  • Die Menge der Terminalsymbole ist: {a,*,=}
  • Die Menge der Non-Terminalsymbole ist: {A,S,X}

Regeln:

  1. S --> aXa
  2. X --> aXa
  3. X --> *aaaAaaa
  4. A --> aaaAaaa
  5. A --> =

Zeichenmanipluation aufgrund von Regeln

Man startet immer mit dem StartSymbol und gibt danach an welche Regel man anwendet. Dementsprechend wird das Zeichen auf der linken Seite vom Pfeil mit der rechten Seite vom Pfeil ersetzt:

START: S Regel 1: aXa Regel 3: a*aaaAaaaa Regel 5: a*aaa=aaaa

Als Ergebnis haben wir das kleinste Wort der Sprache L: a*a³=a^4 Dieses Regelwerk kann man dem Computer beibringen und er kann zum Beispiel überprüfen, ob jemand richtig gerechnet hat, wenngleich auch die Rechenprozesse beim Menschen nicht nach diesen Regeln ablaufen, würde ich mal behaupten (und gerade das ist ja das Spannende daran).

Ein Statistik-Professor an der Uni Wien hat mal gesagt, dass die mathematische Notation im Prinzip so etwas ist wie Abkürzungen von Denkprozessen (Soweit ich das verstanden habe, entspricht das auch Husserls Vorstellung von der "Ökonomie der geistigen Arbeitsleistung":

Die Symbole sind das große natürliche Hilfsmittel, [...] durch welches diese wesentlichen Unvollkommenheiten unseres Intellekts [...] unschädlich gemacht werden. Auf eigentüm­lichen, höheres Denken ersparenden Umwegen befähigen sie den menschlichen Geist zu Leistungen, die er direkt, in eigentlicher Erkenntnisarbeit, niemals vollbringen könnte. Die Symbole die­nen der Ökonomie der geistigen Arbeitsleistung wie die Werkzeuge und Maschinen der Ökonomie der mechanischen Arbeits­leistung

Jedoch der Forderung, in der Wissenschaft gleich mit dieser Ökonomie zu beginnen, wie es Husserl meinem Verständnis nach vorschlägt, und den direkten unmittelbaren, evt. auch blinden Prozess (der sich anstatt mit den Symbolen mit schwer verarbeitbaren inhaltsreichen Vorstellungen abzumühen hat) wegzulassen, kann ich nicht ganz zustimmen.

Husserl sagt zwar: "Wir denken natürlich nicht daran, die vorlogische Anwendung von Zeichen ganz zu verwerfen", doch einen Satz weiter heißt es, weil die vorlogische Anwendung von Zeichen nur im Durchschnitt zum Richtigen führt, soll "die Wissenschaft nur die Verwendung lo­gisch berechtigter Zeichen" verwenden. Kommt man nicht gerade dadurch, dass man sich zunächst nicht auf Abkürzungen verlassen kann, auf neue Wege? Ich denke, das lässt sich diskutieren.

Zur Motivation der Vorlesung "Code"

Andreas Kirchner formuliert es einprägsam:

Wir leben in einer Zeit, in der die Informatik einen großen Teil unseres Lebens beherrscht, wir aber nicht imstande sind, die Informatik gemäß unserem Leben einzurichten, sondern es eher an den Möglichkeiten und Einschränkungen, die die Informatik vorgibt, auszurichten. Wir erleben, dass in Pflegeheimen oder Krankenhäusern das Personal Stunden vor dem Computer sitzen muss und Terrabyteweise die Datenbanken füllt, anstatt ihrer eigentlichen Be-rufung nachzugehen: Der Pflege von Alten und Kranken. Dies wäre ein weiterer Fall des Paradoxons, dass durch die Zielsetzung, die Menschen besser zu pflegen, die Menschen SELBST in den Hintergrund gelangen, und nur noch zu einem kontrollier-&steuerbaren Objekt werden. Aber man will natürlich nur die bestmögliche Pflege für alle. Dies werte ich als eine Stützung meiner Überzeugung , dass es ein neues Wissenschaftsmodell benötigt, um die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis wieder zu nivellieren und ein kreatives forschend-handelndes Be-Greifen mit dem, was man eigentlich erreichen will, zu fördern. Man sollte vermeiden, in zu statisch definierte Begrifflichkeiten zu verfallen, die in der Informatik, bedingt durch ihre Struktur, natürlich freudig aufgenommen werden, die aber dann in den konkreten Lebensbereichen oft zur Handlungsunfähigkeit veranlassen, da das System ganz einfach keinen Raum lässt, bestimmte Fälle des Alltags zu berücksichtigen, die also zum Beispiel auch nicht Honoriert werden (vgl.: Der Arzt hat für einen Patienten ca. 8 Minuten zur Verfügung.. die Verrechnung erfolgt über ICD-10, jedoch ist dort nicht vermerkt, dass ein offenes und lockeres Gespräch die Arzt-Patient-Beziehung verbessert und vielleicht erst dadurch eine wahrheitsgetreue Anamnese zulässt). All diesen Problemen muss sich die Informatik stellen, natürlich in der Hoffnung, die Philosophie als Ratgeber zur Seite zu haben.

Die Regel 5 "A --> =" in der Darstellung von andyk macht meiner Meinung nach deutlich, wie die Grenzen zwischen einer grammatikalischen Darstellung und einem inhaltlichen Schluss verwischt werden können. Durch die Ersetzbarkeit des Symboles A durch "=" wird auf rein automatischer Ebene ein inhaltlicher Schluss simuliert.
Ebenso interpretiert z.B. der User eines Computers rein formale Vorgänge eines "Rechners" als menschliche Kommunikation. Das Zusammenspiel von einzelnen Bildpunkten "baut" eine Benutzeroberfläche auf. Fragwürdig wird hierbei natürlich inwieweit nicht sogar alle menschlichen Sinnschlüsse in relative, formale Sprachbestimmungen auflösbar sind, die von uns hinterher (oder irgendwann, oder auch nie) mit einer Sinnlichkeit belegt und "überladen" werden (um einen weiteren tragfähigen Fachbegriff einzuführen). Letztendlich könnte man ja meinen, dass uns die "eigentlichen" Vorstellungen sowieso immer entgehen (man bedenke hier die Mehrdeutigkeit).
Wenn der Umgang des Arztes mit dem Patienten, organisationstechnisch und in "inhumaner" Sicht sogar behandlungstechnisch, auf eine Klassifikationsfrage reduziert wird und die essentielle Bedeutung dieser Reduktion für so gut wie jeden Vorgang in der Gesellschaft bewusst geworden ist (was auch immer das heißen mag), kann die "menschliche" Seite der sinnlichen Überladung dieser Prozesse nurnoch mit Hindernissen eingefordert, bzw. überhaupt erkannt werden. Die ethischen Grundlagen des Handelns stehen nicht bloß vor einer Wertverschiebungsproblematik sondern vor einem Legitimationsdilemma der Ethik überhaupt. --Richardd 05:30, 19. Apr. 2008 (CEST)