Diskussion:Friedrich Kittler: Code oder wie sich etwas anders schreiben lässt
Weltoffenheit als Warten auf den Propheten
Es gibt eine, wenn auch von einigen Seiten bezweifelte, medienwissenschaftliche Theorie, die den Übergang des vorherrschenden Schreibmediums von der antiken Buchrolle zum buchförmigen Kodex im Mittelalter mit dem Starkwerden des Christentums verbindet. Der mittelalterliche Kodex, der, bis auf die etwas andere Größenordnung, durchaus mit unserer heutigen Buchform gleichzusetzen ist, deute demnach einen Übergang von der heidnischen Weltoffenheit zur christlichen Innerlichkeit und Abgeschlossenheit. Die zwischen den beiden Holzdeckeln befindliche "höchste Schrift" nähme in ihrer Gesamtheit Anspruch auf Abgeschlossenheit und auf das Privileg der Vollendung, oder, wollte man in diesem Sinne geschichtlich etwas schräg vorgreifen, beträfe als einziger Kodex die Welt "als Ganzes".
Dieser Theorie der Ganzheit widerspräche jedoch das, wenn auch spärliche, Auffinden von Teilen des neuen Testaments in "offener" Rollenform. Ließe sich sonst die Rollenform auf ein paradoxes oder mindestens skeptisches Denken projizieren?
Aus jüdischer Sicht ließe sich zumindest von einer Welt und Anschauungsschreibung, bzw. Ausschreibung des "Codes" in Form des Talmud sprechen. Im christlichen Bereich bestand für die Deutung "des Codes" nicht genug Zwischenraum, um Kommentare bindend zu machen. Möglicherweise hat der Gottessohn die Dinge schon allzufest mit dem Wort verbunden.
Recht als Handlungscode
Der Abstand zwischen dem rechtlichen Kodex und dem "technischen" Code ist nicht ganz so weit wie Kittler ihn deutet. Zumindest zu dem Zeitpunkt wo das Recht seine Positivität eingestehen muss oder seine eigene Bezweifelbarkeit andeutet (Widerstandsrecht) bekommt der Komplex der Rechte den Wert eines Instrumentariums, innerhalb dessen die ganze Breite des möglichen Handlungsspielraums codiert werden kann. Man sieht also, dass das "naive" Verständnis eines Rechts als unhintergehbare Grenzziehung einem anderen abgeschlosseneren Denken entspricht. Das Recht ist so nicht mehr Grenze des Möglichen sondern vielmehr Ausweg aus dem Begrenzten. Recht als sanktioniertes Unrecht.
Code und Gewohnheitsrecht
Bezogen auf das Recht könnte man auch noch eine andere Linie in Richtung Code ziehen. Das festgehaltene Gewohnheitsrecht entspricht im konstruktivistischen Sinn der Gerinnung eines Codes. Das wiederholte Auftreten möglicherweise ähnlicher Gegebenheiten (in jederlei Hinsicht) wird auf eine Wort- bzw. Sinnebene kondensiert. Aus systemtheoretischer Position vertritt dieses Kondensat die zur Sprache nötige Verbindung aus Einheit und Vielfalt. Einerseits ist klar erkennbar, dass eine Sache unter einem gewissen Gesichtspunkt identifizierbar und codifizierbar ist, andererseits lässt das vereinheitlichende Kondensat Raum für individuelle Gegebenheiten.
So gesehen muss natürlich ein Urcode existieren, in dem die restlichen Sinneinheiten aufgelöst sind. Die Differenz 0/1, bzw. innen/außen als Code lässt sich möglicherweise auf ein anthropologisches Grundweltverständnis zurückführen, das jede andere "Logik" und Sinnhaftigkeit trägt. Vollkommen klar ist hierbei allerdings, dass einem solchen Modell folgend, viel weniger der einzelne Wert z.B. 0 oder 1 als diese Werte strukturell zueinanderstehend Sinn ergeben. --> Code als notwendig formbegrenzte Menge. Die Semantik kann nicht mehr von einer Form getrennt werden. --21:43, 23. Mär. 2008 (CET)
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