Institutionelle Diskriminierung im deutschen Schulsystem (JsB - Migration)
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Wenn über Institutionelle Diskriminierung von Ausländern in deutschen Schulen gesprochen wird, muss man sich auch über generelle in der Gesellschaft akzeptierte Statements reden, die sich in Meinungsumfragen aber auch Handlungen, wie der Schulflucht widerspiegeln. Solche Statements wie: Ausländerklassen sind Problemklassen, Ausländerviertel sind Brennpunktgebiete, Ausländer hindern den Lernprozess einer Klasse, gehen einher mit einer gewissen Erwartungshaltung von Lehrern. Diese beschreiben Diehm und Radtke sehr eindrücklich an Hand eines Beispieles. Ein befreundeter Lehrer erfährt, dass er im kommenden Schuljahr eine Klasse mit etwa einem Drittel Ausländern zu unterrichten hat. Er bittet um Hilfe bei diesem ,,Problem’’. Es wird klar an diesem Beispiel, dass der Lehrer, obwohl er die Kinder noch gar nicht gesehen hat, schon von seinen vorgefertigten Annahmen darauf schließt, dass ein Problem mit den ausländischen Kindern entstehen wird. Das auch die Schule als Institution sich auf ein solches Problem vorbereitet, wird deutlich durch die schon im Voraus ergriffenen Maßnahme - der Einrichtung von extra Förderstunden. Jedoch wurde später festgestellt, dass bei der Beobachtung in der neuen Klasse in der Hauptschule es zwar einige Kinder gab, die Lernschwierigkeiten aufwiesen und auch Kinder ausländischer Herkunft unter ihnen waren, aber dass die Gruppe der Lernschwachenschüler sich Widererwartens sehr heterogen zusammensetze und nicht aus vorwiegend Ausländern bestand. Die Annahme, dass die Ausländer also das Problem seien stellte sich als unbegründet heraus.
Diese Vermutung, die Radtke hier anspricht, dass die Beurteilung von ausländischen Schülern defizitorientiert ist, wird auch von anderen Studien bestätigt, die aufzeigen, dass gerade der Blick auf türkische Schüler auf ihre Schwächen ausgerichtet ist. ( vgl. ebenda: 268, Bildungung und Mig. S 44). Ein solcher Blickwinkel, geht laut Gomolla und Radtke sogar soweit, dass Kinder mit Migrationshintergrund bei der Beratung der Eltern zur Grundschulempfehlung nach der 4. Klasse von den Lehrern, was ihre Leistungsvermögen betrifft niedriger eingeschätzt werden, als ihre deutschen Mitschüler. Dies würde auch die Überpräsentation der Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den Haupt- und Förderschulen und ihre Unterpräsentation an Gymnasien und Realschulen erkläre.
Zudem bleibt festzuhalten, dass Lehrer zwar durchaus bereit sind sich der Diskussion um Ausländerfeindlichkeit und Benachteiligung der Migranten in der Gesellschaft zu stellen,
aber desinteressiert vermeidened reagieren, wenn es um direkte Auseinandersetzung mit kulturellen Konflikten geht. (Auernheimer u.a. 1998: 601, In: Schelle 2005, S. 44)
Vorschläge zur Überwindungen von Institutioneller Diskriminierung:
Laut Radtke greift man bei jeder zu treffenden Unterscheidung von Schulischer Leistung im Rahmen eines Selektionverfahrens auf gefestigte als selbstverständlich angenommenen Theorien zurück über beispielsweise Sozialisationsmuster und Konzepte wie Kultur, Religion oder Sprache. Diese Theorien basieren jedoch oft auf trüben Quellen und nicht etwa auf wissenschaftlichen und so mit erwiesenen Erkenntnissen. Sie bilden also so zu sagen das Alltagsverständnis einer jeden Person heraus. Das fatale ist jedoch, ,, dass dem Ausübenden so oft das Bewusstsein von seiner Theorie oder seinen Theorien fehlt’’ (Weniger 1952, S. 12) Um dies zu ändern wird vorgeschlagen institutionelle Diskriminierung entgegen zu wirken indem beteiligte Personen lernen die eigene Praxis zu beobachten und die oben genanten meist unterbewussten schleichenden Mechanismen besser Wahrnehmen zu können. Jedoch haben trotz dieser Anerkennung der Interkulturellen Pädagogik und der dafür nötigen interkulturellen Fähigkeiten auf Seiten der Lehrer, Fort und Weiterbildungen im Rahmen der interkulturellen Kompetenz an Wichtigkeit verloren. Und seit 1990 wird interkulturelle Kompetenz nur an wenigen Ausbildungsorten für Lehrer vermittelt und auch. (Sandfuchs, 2004, In: Sandfuchs & Zumhasch 2005)
Neben der Überwindung von Diskriminierung auf der Individuellen Ebene sollten gefestigte Mechanismen der Selbstbeobachtungen in der Schule etablierte werden, um Diskriminierung frühzeitig erkennen zu können und diesem entgegenwirken zu können. Zudem sollte auf der Ebene der Schulentwicklung eine Stimmung etablieren werden, die bei Entscheidungen die Auswirkungen auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen mitbedenkt. (Ebenda: 281f. In: Schelle 2005 )
Kritik an der Theorie der Institutionellen Diskriminierung:
Paul Walter, Privat Dozent der Humboldt- Universität zu Berlin kritisiert den bisherigen Diskurs über Institutionelle Diskriminierung in der Pädagogik und der Gesellschaft. Einer seiner Hauptkritikpunkte ist, dass ein ,,Generalverdacht des Ethnozentrismus’’ unter den Lehrer und Schulleistungen gestellt werden, nicht hilft ein realistisches Bild der Arbeitsbedingungen in der Schulen darzustellen und praktische Vorschläge für den Schulalltag zu entwerfen. Einstellungen von Lehrern werden seiner Ansicht nach im wissenschaftliche Diskurs vor allem ,, auf einer bipolaren Dimension als ,, diskriminierend oder – nicht –diskriminieren’’, ,, vorurteilsbehaftet – vorurteilsfrei’’ o. Ä. untersucht. Jedoch sind Äußerungen, Haltungen und Handlungen von Lehrern zum Thema der Interkulturellen Bildung und Erziehung auf mehreren Ebenen gleichzeitig motiviert, die bei Forschungen mit einbezogen werden sollten. Gerade die mit Einbeziehung und Berücksichtigung von anderen, von der Interkulturellen Erziehung unabhängigen, pädagogischen Konzepten und Problemen des Unterrichts wird gewünscht.
Nicht zuletzt wird hier auch darauf hingewiesen, dass Empirische Daten zu diesem Thema mit größerer Genauigkeit beurteilt werden sollten und ein präziserer Umgang mit Interpretationen notwendig wäre. Der Autor verdeutlicht diese Forderung unter Anderem am Beispiel der Forschungen von Walter 2001, 2004. Diese befassen sich mit Diskriminierung von türkischen Schülern bei der Beurteilung der Verhaltensauffälligkeit von Seiten der Lehrer. Um dies zu untersuchen, wurden die Beurteilungen von Lehrern über das Verhalten und die Verhaltensauffälligkeit ihrer Schüler an Hand eines konkreten Fragebogens erfasst. Dem gegenüber gestellt wurden die Untersuchungen der Verhaltensauffälligkeit, namentlich der Extrapunktivität, d.h. der nach außen gerichteten Aggression. Diese wurde mit Hilfe eines Picture Frustrationstest erhoben. Die Ergebnisse lassen sich in folgender Tabelle darstellen:
Abbildung 1:
Diese Daten könnten so interpretiert werden, dass eine Diskriminierung der türkischen Schüler bei der Beurteilung ihrer Verhaltensauffälligkeit vorliegt, da die türkischen Schüler im Vergleich zu ihrem Deutschen Mitschüler zwar im PTF weniger extrapunitiv eingestuft wurden jedoch trotzdem von den Lehrern als Verhaltensauffälliger beurteilt wurden. Ein Ansatz diese festzustellende Situation zu erklären, kann nun durch die Vorurteile der Lehrer geschehen. Auf den ersten Blick erscheint diese Untersuchung und die dazu gehörige Interpretation auch nachvollziehbar, in sich schlüssig und präzise. Paul Walter zeigt nun jedoch eine völlig andere Interpretationsweise auf. Er argumentiert, dass der Picture Frustrationstest nicht gleichgesetzt werden dürfte, mit dem im Unterricht angelegten Verhalten der Kinder. ,,Es wird darauf hingewiesen, dass ,,akkulturierte Personen – zwei Reaktionsstile beherrschen, einen quasi spontanen Natürlichen und einen an die zweite Kultur,, angepassten’’ Stil.’’( S. 63 ). So erscheint es, dass bei den türkischen Schülern durchaus aggressionsarme Verhaltensmuster vorhanden sind, sie jedoch dieses Potential nicht immer der Situation entsprechend einsetzen können. Und gerade weil ihre Reaktionen in brenzligen sozialen Situationen nicht leicht zu interpretieren und verstehen sind, können sie bei ihren Interpretationspartnern Verunsicherungen und Irritationen hervorrufen. Neben der Diskrepanz der Reaktionsstile könnte aber auch ein ,,Fehleinschätzung von Handlungsgeflogenheiten und/oder der Lebensumstände der Schüler von Seiten der Lehrer kommen’’. ( S. 64) Zudem fügt der Autor an, dass es der Picture Frustrationstest an sich schon verfälscht sein könnte, da er nicht Hundertprozent kulurfrei ist.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es einen durchaus interessanten Diskurs in der Wissenschaft gibt über das Thema der Institutionellen Diskriminierung, der noch nicht einmal zwingend auf verschiedenen Forschungen beruht sondern vorwiegend auf verschiedenen Interpretationsansätzen der vorhandenen Forschung.
Bibliographie:
Autorin: Nicola Brisch (2007)
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