Michael Pauen - Positionen zum Freiheitsbegriff (FiK)

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Exzerpte aus Michael Pauen, Grundprobleme der Philosophie des Geistes, Eine Einführung, III. Subjektivität und Willensfreiheit, Seite 236-297

Eigene Überlegungen und Kommentare sind der größeren Übersicht halber in brauner Schrift hervorgehoben. Ich habe mich allerdings angesichts der großen Stoffmenge und der schon dort recht komprimierten Form mit eigenen expliziten Reflektionen sehr zurückgehalten und vornehmlich Pauen zu Wort kommen lassen, wobei meine eigenen Ansichten selbstverständlich implizit immer in den Text einfließen. Dabei habe ich mich stets um eine ausgewogene Darstellung des Stoffs bemüht.

Rückblick auf traditionelle Vorstellungen von Subjektivität

Begriffliche Vorklärung

Selbst in der einschlägigen wissenschaftlichen Diskussion werden Kernbegriffe oft unterschiedlich gebraucht, daher vorweg eine kurze Vorklärung der mit dem Begriff Subjektivität im Zusammenhang stehender Begriffe. Fürderhin soll der Begriff Subjektivität als Oberbegriff für alle jene Begriffe dienen, welche das Selbst und das Selbstbewusstsein betreffen. Es „umfasst also einzelne Akte des Selbstbewusstseins ebenso wie ein über einen gewissen Zeitraum stabiles Selbst oder Selbstkonzept.“ Ein Akt des Selbstbewusstseins ist zu verstehen als eine Bezugnahme eines Individuums auf seine eigenen geistigen oder körperlichen Vorgänge. Dabei ist das Bewusstsein des Individuums, sich auf sich selbst und nicht etwa auf etwas anderes zu beziehen wesentlich. Eine diffuse Vorstellung von Empfindungen ist also nicht ausreichend; der eigene Zustand muss vielmehr auch als eigener erkannt werden. Beispiele für Akte des Selbstbewusstseins sind die Erinnerung an einen eigenen Schmerz, die Irritation über die eigene Ungeduld oder auch die Selbstvergewisserung bezüglich einer eigenen Überzeugung. Wird bei einer solchen reflexiven Bezugnahme Wissen über sich selbst erworben, so spricht man von Selbsterkenntnis. „Die Gesamtheit von zeitlich stabilen Selbstzuschreibungen, die von solchen momentanen Akten des Selbstbewusstseins oder der Selbsterkenntnis herrühren“ bezeichnet Pauen als Selbst, Selbstkonzept oder empirisches Ich. So kann beispielsweise Nervosität, wenn sie in verschiedenen Situationen immer wieder (und in Abgrenzung zu anderen) erlebt wird, ein Bestandteil des Selbstkonzeptes sein. Beim Selbstkonzept handelt es sich also um einen ganzen Komplex von Merkmalen, den sich die betreffende Person selbst zuschreibt. Soviel zur begrifflichen Konvention – damit ist noch keine Aussage getroffen, ob ein solches Objekt wie das Selbst überhaupt existiert.

Selbstbewusstsein (1) basiert auf dem direkten Zugang eines intelligenten, bewusstseinsfähigen Wesens oder Systems zu seinen eigenen mentalen Zuständen (2) setzt voraus a) die Fähigkeit, die eigenen Zuständen de facto von fremden zu unterscheiden und die eigenen als eigene zu erkennen b) langfristige stabile Selbstzuschreibungen bestimmter Eigenschaften (Selbstkonzept)

Historisch hat die Ansicht vom Ich als einem kohärenten Gebilde im Leben der Menschen eine große Rolle gespielt. Gefördert wurde diese Vorstellung von den meisten Weltreligionen, jedenfalls von der Mehrheit der westlichen. Dabei wurde das Selbst oder die Seele zunächst als etwas Materielles gesehen, das etwa beim Austritt aus dem Körper als „besonders feine Materie“ beobachtet werden könnte. Diese Auffassung wurde später zugunsten einer dualistischen aufgegeben, wobei das Selbst nunmehr als lediglich dem Denken, nicht aber der physischen Welt zugänglich gedacht wurde. In beiden Fällen handelt es sich um eine Vorstellung und zwar um eine Vorstellung, die sich selbst zum Gegenstand hat. Diese Vorstellung kommt erst durch die reflexive Selbstzuschreibung zustande. Das Selbstbewusstsein ist hierbei ein Spezialfall des Bewusstseins von etwas anderem - soweit die Tradition. Moderne Auffassungen sind diesem Standpunkt gegenüber in der Regel sehr skeptisch eingestellt. Kritisiert wurden (und werden) nicht nur einzelne Aspekte der Konzeption, sondern auch und vor allem die Konzeption von einem Ich selbst. Namhafte moderne Wissenschafter und Philosophen weisen darauf hin, dass das Konzept vom Ich eine bloße Fiktion sei und dass es ein Objekt mit den oben umrissenen Eigenschaften in der objektiven Realität nicht geben kann bzw. muss. Im Lichte dieser durchaus berechtigten Kritik an der traditionellen Auffassung kann das Ich entweder ganz verworfen werden oder eine Neukonzeption versucht werden. Die Unterscheidung der verschiedenen Standpunkte ist allerdings nicht so einfach und geht insbesondere weit über die Diskussion von Grundpositionen in der Gehirn-Bewusstseins-Debatte hinaus. „Tatsächlich stellt das Verhältnis von psychischen und physischen Prozessen nur einen Aspekt des Problems der Subjektivität dar. Hinzu kommen noch Fragen nach Status und Voraussetzungen von Selbsterkenntnis und Selbstzuschreibung sowie empirische Erkenntnisse über die Entstehung des Selbstbewusstseins und der ihm zugrunde liegenden Eigenschaften und Fähigkeiten.“ Zunächst einige skeptische Positionen:

Skeptische Positionen

Bedeutende Vertreter: Marvin Lee Minsky (1988/1990), Daniel Dennett (1991) Sie meinen, das Ich sei eine bloße Fiktion, die zwar denkökonomische Vorteile bringt und daher unter pragmatischen Gesichtspunkten berechtigt ist, aber dem strengen Auge des Wissenschafters nicht standzuhalten vermag. Die vermeintliche Einheit des Ich gliedere sich auf in „eine nicht mehr integrierbare Vielfalt unterschiedlicher Motive, Handlungstendenzen und Charakterzüge […]“

Minsky

Marvin Minsky kritisiert wie schon angedeutet die Vorstellung eines einheitlichen (monolithischen) Ichs und spricht stattdessen von einer SOCIETY OF MIND. Damit meint er eine Vielzahl unterschiedlicher und weitgehend unabhängiger Agenten, die auch unterschiedliche Erfahrungen machen können und obwohl sie mehr oder minder gut zusammenarbeiten meist nicht mehr von einander wissen, als „Leute, die Wand an Wand wohnen“. Auch bestreitet Minsky, wir hätten einen direkten Zugang zu unseren eigenen mentalen Zuständen. Dieser Zugang ist vielmehr vermittelt durch eine Reihe vorgeschalteter Prozesse, derer wir uns meist nicht bewusst sind. Wir entwickeln Theorien über uns selbst in ähnlicher Weise wie wir Theorien über die Welt entwickeln und versuchen uns diese sogar durch „Experimente“ zu bestätigen. Das Bewusstsein, welches dem Ich zugänglich ist, bildet nur die Spitze des Eisberges und nach Minsky ist das auch gut so, weil wir nur dadurch unsere Aufmerksamkeit der äußeren Welt zuwenden können ohne uns selbst zu blockieren. Unser subjektives Gefühl von der Einheit des Ichs rührt lediglich von unserer Unkenntnisse der im Verborgenen ablaufenden Prozesse her. Es gibt kein Ich, sondern nur die Vielfalt der unterschiedlichen Agenten, die miteinander im Widerstreit liegen und Koalitionen bilden können. Die Gesamtheit dieser Agenten bildet ein einigermaßen kohärentes Bild, das wir Ich nennen.

Dennett

Daniel Dennett greift Minskys Argumentation auf und führt sie weiter. Auch er nimmt an, dass scheinbar direkte Wahrnehmungen auf komplexen internen Verarbeitungsmechanismen und Hypothesenbildungen beruhen, die auch keineswegs fehlerfrei sind. Dabei kann ein und dieselbe Situation mit verschiedenen Interpretationen versehen werden, ohne dass dem Ich dies bewusst würde. Stets wird die jeweils letzte Interpretation an Stelle der vorangegangenen gesetzt und diese vergessen. Damit, folgert Dennett, ist die Richtigkeit unserer Selbstzuschreibungen schwer in Zweifel gezogen und es kann sicherlich nicht mehr von dem in der Tradition postulierten privilegierten Zugang zu unseren eigenen mentalen Zuständen gesprochen werden. In Dennetts Theorie ist für ein Selbst kein Platz mehr. Es handelt sich um eine Fiktion zweiter Ordnung, denn das Selbst ist das fiktive Zentrum jener Interpretationen, die ihrerseits wieder auf der Fiktion der Unmittelbarkeit beruhen. Das Selbst ist nichts anderes als ein Modell jenes Komplexes, der uns ausmacht (Körper, Wahrnehmungen, Selbstzuschreibungen, usw.), ein Modell allerdings, das großen praktischen Wert hat, weil es auf alle anderen Modelle Einfluss ausübt. Nach Dennetts Interpretation von Libets Experimenten kommt dem Ich nicht die letzte Entscheidungsinstanz zu, sondern es schaltet sich erst ein, wenn die Entscheidung durch vorbewusste Prozesse schon längst gefallen ist. In einer späteren Fassung seiner Theorie greift Dennett auf Richard Dawkins’ Theorie der Meme zurück, welche die kulturellen Entsprechungen der Gene sind. Der Großteil unserer Entscheidungen beruht auf kulturell oder sozial vermittelten Werten bzw. Werten, die innerhalb der Kultur, in der das Individuum lebt, weitergegeben werden. Diese Meme unterliegen genau wie die Gene einem ständigen Selektionsprozess und verbreiten sich entsprechend ihrer Nützlichkeit mehr oder weniger schnell oder sterben aus. Das Ich ist somit ein relativ stabiler Komplex von Memen, ganz ähnlich wie in Minskys Konzeption mit den Agenten. Ihren Ursprung haben die Meme, die zusammengenommen unser „Selbst“ bilden in unserer sozialen und intellektuellen Umgebung. Dadurch verliert das Ich seine Eigenständigkeit und ist nur „Durchlaufstation der Meme“.

Blackmore

Dennetts Ansatz wurde wiederum von Susan Blackmore (1999) aufgegriffen. Auch Blackmore hält unser Wissen und unsere Überzeugungen für eine Akkumulation von Memen. Im Gegensatz zu Minsky und Dennett streitet Blackmore allerdings den positiven Nutzen der Vorstellung des Selbst ab. Die Befreiung vom Selbst sei nicht nur wissenschaftlich notwendig, sondern auch für den Alltag positiv (weniger abhängig von den Meinungen anderer, weniger egozentrisch usw.). Diese Ansicht erinnert an manche östliche Religionen, vor allem den Buddhismus, wo die Aufgabe der Begierden erklärtes Ziel ist. Und tatsächlich ortet Blackmore das Selbst als Ort der Begierden und Wünsche. Genauer gesagt ist es jener Ort, wo diese gebündelt werden. Fällt das Selbst weg, sind aber auch längerfristige zielgerichtete Anstrengungen nicht möglich (z.B. Wissenschaftsbetrieb).

Die Theorien von Dennett und Blackmore sind zwar gut fundiert, allerdings ist fraglich, ob wir Menschen tatsächlich so sehr von externen (kulturellen) Entwicklungen abhängen. Dagegen spricht, dass verschiedene in der Regel Menschen auf ganz verschieden auf gleiche intellektuelle oder kulturelle Veränderungen reagieren und auch die relativ große psychische Stabilität, die schwer nachzuvollziehen wäre, wenn das Selbst tatsächlich nichts weiter als der Spielball der Meme wäre.

Metzinger

Thomas Metzinger sieht mentale Modelle als die Basis unserer Repräsentation der Wirklichkeit an. Er knüpft dabei an die Theorien von Craik und Johnson-Laird (1983) an. Besonders bedeutend sind die Wahrnehmungsmodelle. Sie integrieren Informationen der verschiedenen Sinnesorgane zu einem einheitlichen ganzen Bild und schaffen eine mentale Repräsentation im dreidimensionalen Raum. Mentale Modelle dienen unter anderem dazu, Ereignisse vorauszusehen, d.h. die Wirklichkeit zu simulieren. Dabei werden mitunter verschiedene mentale Modelle hierarchisch ineinander eingebettet. Dadurch entstehen kompliziertere Repräsentationen, die neben den Sinnesmodalitäten auch Vorerfahrungen beinhalten. Das umfassendste Modell ist das Realitätsmodell, das so wichtige Modelle wie das Körpermodell umfasst. Besonders wichtig sind aber auch die Metamodelle, das sind Modelle über Modelle, die zu Bewusstsein gelangen können. Ein Spezialfall davon ist das Selbstmodell, das ein Subjekt von sich selbst entwirft. Dieses ist wie alle anderen auch in das Realitätsmodell eingebettet und sorgt für die Ausrichtung des Individuums in der Realität. Eine generelle Eigenschaft der mentalen Modelle ist, dass sie zwar gewisse Inhalte, nicht aber die Mechanismen ihrer eigenen Entstehung beinhalten. Das hat auf das Selbstmodell bezogen die Folge, dass aus der Perspektive der ersten Person nicht ersichtlich ist, dass es sich lediglich um ein Modell handelt und somit wird das Selbstmodell für das Selbst gehalten. Metzinger bezeichnet das Selbst demgemäß als repräsentationale Fiktion.

Metzingers Theorie erscheint recht plausibel. Es liefert überzeugende Einwände gegen die traditionelle Konzeption, die sich in wesentlichen Punkten mit denen von Minsky, Dennett und Blackmore decken. Auch die Beschreibung der Mechanismen, die der Ichvorstellung zugrunde liegen scheinen einleuchtend. Allerdings ist nicht klar, ob das Selbst damit tatsächlich als Fiktion ausgewiesen ist. Immerhin ist es das Produkt einer ganzen Reihe von Modellbildungen und erhält seinen Status also erst durch nachträgliche Reflexion in der Introspektion. Dies scheint mir nicht zwangsläufig in zu krassem Widerspruch zur traditionellen Konzeption zu stehen.

Neuere Konzeptionen des Selbstbewusstseins

Das Subjekt-Objekt-Modell des Selbstbewusstseins und die Konzeption der Heidelberger Schule

Aus den bereits besprochenen Schwächen des alten Systems folgt indes nicht, dass das Ich damit schon als Fiktion entlarvt worden ist, vielmehr bietet es sich an, anstelle der alten als falsch erkannten Konzeption eine neue stimmige zu setzen. Eine Motivation dafür ist, dass sich das empirische Ich in der (empirischen) Psychologie als ein sehr tragfähiges Konzept erwiesen hat. Ein Versuch einer solchen Neukonzeption wurde von der Heidelberger Schule unternommen. In diesem Zusammenhang sind die Namen Dieter Henrich und Manfred Frank zu nennen. Henrich veröffentlichte seine diesbezüglichen Überlegungen 1970, 1982 bzw. 1989 und Frank baute seinen Ansatz 1991 und 1994 aus. Die Strategie der vorgestellten skeptischen Positionen bestand im Wesentlichen darin, zu zeigen, dass es ein Objekt mit den Eigenschaften, wie sie die traditionelle Auffassung veranschlagt, in der wirklichen Welt nicht geben kann. Es ist jedoch noch eine andere Strategie möglich, die nicht auf der empirischen sondern auf der Begriffsebene ansetzt. Gezeigt werden soll, dass das althergebrachte Modell aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist. Wenn nämlich Selbstbewusstsein als die Erkenntnis von der Identität von Subjekt und Objekt definiert ist, so ergibt sich ein gravierendes Problem: Um zu erkennen, dass es sich bei dem Betrachteten um das Subjekt handelt ist es notwendig, bereits zuvor eine grobe Vorstellung von dem Subjekt zu haben. Dafür bedarf es aber schon eines gewissen Ausmaßes an Selbstbewusstsein. Nach Ansicht von Henrich und Frank beschreitet man hierbei einen Zirkel und daher sei das klassische Subjekt-Objekt-Modell in sich widersprüchlich. Wenn man aber die Vorstellung vom Ich als einem Objekt aufgibt, umschifft man dieses Problem. Damit geht auch die übliche Kritik ins Leere, wonach das Selbst nicht existiere, weil es kein derartiges Objekt in der Wirklichkeit gibt. Nötig für diese Uminterpretation ist allerdings eine Alternativkonzeption von Selbst- und Selbstbewusstsein, die sich mit den neuesten empirischen Daten deckt. Frank zufolge ist der Versuch, Selbstbewusstsein als einen Komplex von Selbstzuschreibungen zu sehen, aus oben genannten Gründen als gescheitert zu betrachten. Daher kann Selbstbewusstsein auch generell nicht als Relation von etwas zu etwas anderem gefasst werden. Ebenso kann Selbstbewusstsein nicht als Wissen von einem Sachverhalt gefasst werden. Egal wie der Sachverhalt lautet – um zu verstehen dass der Sachverhalt auf mich zutrifft muss ich immer schon wissen wer ich bin. Empirisch ist Selbsterkenntnis aber offensichtlich möglich. Der Grund dafür liegt darin, dass vor jeder reflexiven Selbsterkenntnis immer schon eine präreflexive Selbsterkenntnis angesiedelt ist. Dieses ursprüngliche Selbstbewusstsein zeichnet sich Frank zufolge durch drei Besonderheiten aus. Es stellt erstens eine Form des Wissens dar und basiert zweitens nicht auf der Anwendung von Kriterien, die Maßstab dafür sind, wie sich das Subjekt mit dem vorgestellten Objekt identifiziert. Vielmehr ist das ursprüngliche Selbstbewusstsein unmittelbar und basiert also nicht auf der Beziehung des Objektes zu etwas anderem.

Präreflexives Bewusstsein (1) besteht in der ursprünglichen und unmittelbaren Vertrautheit eines Ich mit sich selbst (2) a) ist nicht durch Wissen vermittelt b) basiert nicht auf Kriterien c) beruht nicht auf einer Beziehung von etwas zu etwas anderem


Tugendhat

Tugendhat entwickelt seine Theorie in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Heidelberger Schule, insbesondere mit Henrich. Er versucht zu zeigen, dass die vom Ansatz der Heidelberger Schule scheinbar gelösten Probleme, erst durch sie selbst geschaffen worden sind. Tugendhat geht von der Frage aus, was im Alltag gemeint ist, wenn man von sich selbst oder seinen mentalen und körperlichen Zuständen spricht. Dabei wird ihm klar, dass hier nicht von einem „Ich“ oder einem „Selbst“, also nicht von einem Substantiv die Rede ist, sondern von einem Personalpronomen. So kommt es etwa häufig vor, dass jemand jammert: „Ich habe Schmerzen!“. Damit ist normalerweise nicht gemeint, dass das Ich oder das Selbst Schmerzen hat, sondern es geht zunächst einmal lediglich um eine Zustandsbeschreibung. Es handelt sich um expressive und nicht um kognitive Sätze. Tugendhat folgt dabei Wittgenstein, im Gegensatz zu diesem aber hält er diese Aussagen nicht für bloße Beschreibungen eines Sachverhaltes und damit für einen Bestandteil desselben. Er merkt vielmehr an, dass es sich bei der Aussage: „Ich habe Schmerzen!“ um das Ausdrücken eines Wissens handelt, das wahr oder falsch sein kann. Darüber hinaus kann ich auch über einen anderen Menschen sagen, er habe Schmerzen, ob das nun stimmen mag oder nicht, was bei dem Ausruf „Au!“ nicht möglich ist. Anders als bei Aussagen über andere stellen allerdings Selbstzuschreibungen eine eigenständige Form des Wissens dar. Sie basieren auf anderen Erkenntnissen, nämlich solchen die mitunter nur mir selbst zur Verfügung stehen. Fremdbeobachtungen hingegen beruhen auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die weniger direkt und damit auch weniger sicher sind. Tugendhat nennt dies eine „epistemische Asymetrie“ zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen. In ähnlicher Weise kann man von einer „veritativen Symmetrie“ sprechen, insofern als Selbstzuschreibungen genau dann wahr sind, wenn auch die entsprechenden Fremdzuschreibungen wahr sind. Wichtig ist, dass diese Merkmale nicht aus empirischen Untersuchungen gewonnen worden sind, sondern direkte Implikationen der verwendeten Begriffe darstellen. Ebenso wichtig, ist dass es sich in der Lebenspraxis, wann immer Ausdrücke wie „ich“, „hier“ oder „du“ verwendet werden, um Konzepte handelt, die von der jeweiligen Sprechsituation abhängen. Es macht einen Unterschied ob ich „ich“ sage, oder mein Freund Peter. Es handelt sich dabei um „indexikalische“ Ausdrücke, wie Tugendhat sie nennt.

Dabei ist allerdings der Spracherwerb und der kindliche Erkenntnisgewinn zu beachten. Es geht hier nicht nur um neutrale Sprachsituationen, sondern auch um sozial-evolutionäre Autoritäten und Abhängigkeiten, die die Analyse erschweren, jedoch nicht unmöglich machen. Daher ist das Argument um eine Erklärung der Notwendigkeit des sozialen Spracherwerbs zu ergänzen. Gefährlich scheint mir jedoch der Verweis auf die "Nicht-Empirie". Tugendhat nimmt hier ein korrektes! erlernen der jeweiligen Sprachspiele als selbstverständlich an, dies ist allerdings ein empirischer Befund und könnte von nicht wohlmeinenden Lesern, als naturalistischer Fehlschluss enttarnt werden. Ein einfaches Beispiel: Würde man einem Kind, dass gerade Sprechen lernt, den Ausruf "Au" mit "es geht dir gut" übersetzen und dies verstärken, würde es unter Schmerzen weinend sagen "es geht mir gut". Andererseits wird man jemand der lacht und sagt "ich habe Schmerzen" auch nicht ernst nehmen. Das Argument selbst, ergänzt um eine Erklärung der sozialen und (evolutionären?)Abhängigkeiten und Autoritäten, ist jedoch gültig.--Koe 15:49, 3. Mai 2007 (CEST)

Es stellt sich die Frage, wie wir dazu kommen, uns auf uns selbst zu beziehen. Geht es um einen externen Sachverhalt wie „singt falsch“, so ist die Notwendigkeit einer Zuordnung sofort klar. Man muss klären, wer falsch singt. Aus der Perspektive der eigenen Person ist die Erfahrung dieser Zustände aber überhaupt nicht zu unterscheiden von dem Bewusstsein, dass es sich um die eigene Person handelt, die die Erfahrung macht. Das knifflige Problem des Selbstbezugs, dass die Heidelberger Schule mit der Einführung eines präreflexiven Selbstbewusstseins zu meistern versucht, scheint bei Tugendhat gar nicht aufzutreten und das deshalb, weil Tugendhat den Begriff des Ichs als eigenständiges Subjekt von vornherein vermeidet. Überdies kommt Tugendhat nicht in die Verlegenheit, die Entstehung des Ichs erklären zu müssen. Er meint, die Heidelberger Schule hätte sich mit dem Ich ein Problem ohne Not eingehandelt. Damit umgeht Tugendhat zwar elegant die skizzierten Probleme, es ist damit aber nicht gezeigt, dass es kein Ich gibt.

Eine Alternativkonzeption

Unabhängig von Tugendhats Auseinandersetzung mit Frank und Henrich ergibt sich noch ein weiteres Problem, welches auch dann entsteht, wenn man akzeptiert, dass sich bei der Erfahrung mentaler Zustände aus der Perspektive der ersten Person normalerweise keine Zweifel bezüglich des Subjekts dieser Erfahrung einstellen. Dabei ist die Annahme essentiell, dass ein Sachverhalt nur dann als ein bestimmter Sachverhalt erkannt wird, wenn er von anderen Sachverhalten unterschieden wird. Auf den Begriff „schön“ bezogen hieße dies etwa, dass jemand ein Objekt erst dann als schön bezeichnen kann, wenn er die Differenz von anderen nicht schönen Objekten anzugeben vermag. Wenn die Person hingegen alle Dinge als schön bezeichnet oder auch keinen Unterschied zwischen schönen und hässlichen Objekten zu machen weiß, scheint es angebracht, der Person die Fähigkeit des ästhetischen Urteils abzusprechen. Bedeutsam ist dabei weiters, dass die bloße Abwesenheit des Zweifels, ob ein Objekt hässlich sei, keineswegs den Schluss rechtfertigt, es sei schön.

Bezogen auf die Frage nach der Möglichkeit von Selbstzuschreibungen mentaler Zustände bedeutet das, dass eine Person einen bestimmten Zustand nur dann als ihren Zustand erkennen kann, wenn sie fähig ist, ihn von Zuständen anderer Individuen zu unterscheiden. Dazu ist es notwendig, ein Bewusstsein dafür zu haben, dass auch andere Personen über die jeweiligen Zustände verfügen können bzw. selbst die Befähigung zu besitzen, dritten Personen Zustände zuzuschreiben. Dies alles wird klarer anhand folgenden Beispiels: Niemand wird bestreiten, dass Tiere die Schmerzen, die sie leiden, als ihre eigenen empfinden. Dennoch ist es absurd anzunehmen, dass sie diese ihre Schmerzen ausdrücklich als ihre eigenen begreifen, denn dazu fehlt ihnen offenbar das entsprechende Bezugssystem, das sie befähigt, zwischen eigenen und fremden Schmerzen zu unterscheiden.

Das skizzierte Problem entspringt also nicht dem Zweifel des Empfindenden, ob er tatsächlich selbst Subjekt des jeweiligen Zustandes ist. Der Hinweis Tugendhats, dass dieser Zweifel für das Individuum nicht besteht, greift also zu kurz und es ist überdies keineswegs klar, ob nicht im Falle psychisch kranker Individuen doch in gewissen Fällen diesbezüglich Zweifel bestehen können, auch wenn solche für das gesunde Individuum nur schwer vorstellbar sind. Tatsächlich gibt es einen Typus neurologischer Störungen, die sog. Anosognosie, die Selbstzuschreibungen verhindert, welche wir unter normalen Bedingungen ganz selbstverständlich vollziehen. Die betroffenen Patienten leiden unter schweren Störungen, die sie jedoch ignorieren. So berichtet schon Seneca von einer Patienten, die ihre Blindheit damit zu erklären versucht, dass „es bei ihr zu Hause so dunkel sei“. Werden die Patienten direkt auf ihre Behinderung angesprochen wird meist ausweichend reagiert und alsbald wieder vergessen. Ähnlich verhält es sich bei der Zuschreibung von Gliedern des eigenen Körpers. Zuständig für die Zuschreibung scheint ein eng umgrenztes Areal im rechten Scheitellappen, das z. B. durch einen Schlaganfall beeinträchtigt werden kann. Es bewirkt eine „automatische“ vorbewusste Selbstzuschreibung, was auch der Grund dafür ist, dass wir uns so schwer vorstellen können, unsere Glieder nicht intuitiv als die eigenen zu erkennen. Dies erklärt ebenso, warum die von der Anosognosie Betroffenen ihr Handicap nicht bewusst kompensieren können. Diese Erkenntnisse sind nicht zuletzt deshalb aufschlussreich, weil sie noch einmal die Komplexität der für die Entstehung des Selbstbewusstseins maßgeblichen Prozesse demonstrieren und damit ein weiteres Argument gegen die traditionelle Auffassung eines monolithischen Ich liefern.

Aus den oben erörterten Zusammenhängen erwächst in natürlicher Weise die Frage, auf welche Weise wir Menschen lernen, Fremdzuschreibungen zu machen und welche Bedeutung diese effektiv für die Entstehung von Selbstbewusstsein haben. Im Folgenden werden drei aufeinander aufbauende Bedingungen erörtert, für die die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen wichtig ist und die die Grundlage für ein empirisch orientiertes und daher attraktives Modell zur Entstehung des Selbstbewusstseins bilden. Daneben liefert dieses Modell konkrete empirisch überprüfbare Prognosen.

Die erste Bedingung ist die Fähigkeit zur Unterscheidung von Lebewesen, denen in sinnvoller Weise mentale Zustände zugeschrieben werden können und jenen wo dies nicht möglich ist. Menschliche Lebewesen müssten demnach schon sehr früh Lebewesen von leblosen Objekten und bald danach Menschen von Tieren unterscheiden können.

Zentral ist zweitens die Fähigkeit zur perspektivischen Unterscheidung. Unter Perspektive sind die für eine Person spezifischen bewussten Zustände zu verstehen. Eine Unterscheidung zwischen eigener und fremder Perspektive besteht dann, wenn erkannt wird, dass andere Personen Dinge wahrnehmen können, die uns verborgen sind und umgekehrt. Dies bezieht sich auf Empfindungen, Erfahrungen, Erkenntnisse uvm. Dazu bedarf es implizit immer eine Theorie über die mentalen Zustände anderer Personen, also einer regelrechten THEORY OF MIND. Der Erwerb dieser Fähigkeit setzt einen komplizierten Lernprozess voraus. Dieser Lernprozess setzt ganz automatisch ein, da wir im Alltag einer Fülle von Situationen begegnen, in denen wir ohne die Möglichkeit zum Perspektivenwechsel gar nicht adäquat reagieren könnten. Beispielsweise muss sich jemand der einer Person helfen will, die Schmerzen leidet, in diese hineinversetzen können, um nachzuvollziehen, wie es dieser Person geht, was man von ihr in diesem Zustand erwarten kann, wie man sich ihr gegenüber zu verhalten hat, usw. Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel ist in so großem Maß integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens, dass es uns verwundert, wenn kleine Kinder mitunter ihre eigene Wahrnehmung mit den für alle geltenden objektiven Gegebenheiten verwechseln. Wenn sich also ein Kind die Augen zuhält, um sich zu verstecken, dann geschieht das, weil es eben noch nicht gelernt hat, zwischen eigener Wahrnehmungsperspektive und der anderer zu unterscheiden. Durch die Reaktion der Eltern und Spielkameraden bemerkt es aber bald die Unzulänglichkeit dieser Vorstellung.

Zum Selbstbewusstsein im oben dargestellten engeren Sinn gehört ferner das Bestehen eines längerfristigen stabilen Selbstkonzeptes, das die Selbstzuschreibung dauerhaft wirksamer Dispositionen und Eigenschaften einschließt. Für die Entstehung eines derartigen Selbstbewusstseins ist wiederum die Unterscheidung von Selbst- und Fremdperspektive höchst bedeutsam. Erst durch den Vergleich mit anderen erkennt man ja bestimmte Eigenschaften als für einen selbst charakteristisch. Erlebt man sich etwa ständig als ungeduldiger als die Personen seiner Umwelt, so liegt es nahe, die Ungeduld als ein charakteristisches Merkmal der eigenen Person aufzufassen und somit in sein Selbstkonzept aufzunehmen. Demnach korreliert die Vielfalt der Beziehungssysteme mit der Differenziertheit des Selbstkonzeptes, denn so kann nach vielen Dimensionen hin Selbst- und Fremdperspektive verglichen werden. Das passt sehr gut zu dem Bild vom Kleinkind, das als unterscheidendes Merkmal von anderen Personen nur Geschlecht und Alter anzugeben weiß. Es verfügt erst über ein rudimentär ausgebildetes Selbstkonzept. Wie differenziert das Selbstkonzept tatsächlich ist hängt neben der Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen aber sicherlich noch von einer Vielzahl anderer Faktoren ab.

Das eben vorgestellte Modell wird von Pauen nur grob skizziert, hat aber gewiss einige Vorzüge. Der Ansatz Tugendhats wird vertieft, indem die Rolle der Fremdperspektive gebührend berücksichtigt wird. In diesem Modell ist weiters das von der Heidelberger Schule postulierte präreflexive Selbst keine unabdingbare Voraussetzung, da die Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstperspektive ohne weiteres auch ohne eine Bezugnahme auf ein solches möglich ist, wenngleich damit nicht gesagt ist, dass es nicht so eine Art „präreflexives Selbst“ gibt. Darüber hinaus beruht das Modell auf einer Reihe relativ einfacher, aufeinander aufbauender Fähigkeiten. Diese Einfachheit der Bestandteile macht eine empirische Kontrolle der vom Modell gemachten Prognosen möglich. Der obigen Argumentation folgend postuliert die Theorie also:

Menschliche Individuen müssen zunächst lernen, zwischen Lebewesen und unbelebten Objekten zu unterscheiden. Danach müssen sie ihre Fähigkeit zur Übernahme der Perspektive anderer ausbilden. Erst wenn dies vollzogen ist dürfen Indizien dafür vorhanden sein, dass sie über Selbstbewusstsein verfügen. Vergleichen wir diese Voraussagen also mit den tatsächlichen Gegebenheiten.

Empirische Erkenntnisse

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Daten, die diese Erwartungen bestätigen. So lernen Kinder bereits im Alter von zwei bis drei Monaten Lebewesen und insbesondere Menschen von leblosen Objekten zu unterscheiden. Damit erfüllen sie die erste Bedingung. Schon im Alter von etwa fünf Monaten erweitert sich diese Fähigkeiten und der Säugling entwickelt eine Reihe von Fähigkeiten, die für die Übernahme der Fremdperspektive bedeutsam sind. So erwarten Kinder dieses Alters etwa, dass sich Personen im Gegensatz zu Maschinen auf Bewegungen einstellen. Ignoriert eine Person wiederholt die Bewegung, so reagiert das Kind mit Verwunderung, welche nicht auftritt, wenn es sich beispielsweise um einen mechanischen Greifarm handelt. Die Differenzierungsfähigkeit nimmt gegen Ende des ersten Lebensjahres rapide zu. Zwischen sieben und neun Monaten können Kinder normalerweise zwischen Menschen und Säugetieren unterscheiden und verfügen damit trivialerweise über eine wichtige Voraussetzung, anderen Menschen eine eigene Perspektive zuzuschreiben. Was sagt uns die Empirie bezüglich der zweiten Bedingung? Auch hier bestätigen die Untersuchungen die Annahmen des Modells. Ungefähr zwischen sechs Wochen und vier Monaten beginnen Babys, einen fröhlichen von einem neutralen oder ärgerlichen Geschichtsausdruck zu unterscheiden. Sie achten bevorzugt auf fröhliche Gesichter, differenzieren aber vorerst nicht weiter. Vom vierten Monat an erkennen sie Zusammenhänge zwischen Stimme und Gesichtsausdruck hinsichtlich der emotionalen Färbung und reagieren dementsprechend (EMOTIONALE RESONANZ). Mit neun Monaten berücksichtigen sie den Gesichtsausdruck eines Erwachsenen im Urteil, ob eine Situation gefährlich ist oder nicht (SOCIAL REFERENCING). In genau diesem Alter, also mit neun Monaten, beginnen Kinder nach Tomasello andere Personen als intentionale Wesen mit eigenen Gefühlen und Gedanken zu erkennen. Auf diese Weise entwickeln sie ein grundlegendes Verständnis für den Unterschied zwischen eigener Perspektive und der Perspektive anderer. Mit zwölf Monaten beginnen Kinder dann, sich selbst als aktiv Handelnde von anderen zu unterscheiden und begreifen damit, dass sie selbst nach gewissen Grenzen Bewegungen im Raum bewirken können. Damit ist auch die zweite Bedingung erfüllt. Für eine empirische Bekräftigung der Theorie ist es nötig, dass Kinder zu diesem Zeitpunkt noch über kein entwickeltes Selbstbewusstsein verfügen und wirklich sind Indizien dafür erst im Alter von etwa 15 Monaten erkennbar, so zum Beispiel beim ROUGE-TEST, den Kinder i.A. erst mit diesem Alter bestehen. Dabei wird den Kindern ein auffälliger roter Punkt auf die Nase gemalt und sie werden vor einen Spiegel gesetzt. Greift das Kind auf die eigene Nase anstatt auf den roten Punkt im Spiegel so wird das als Hinweis darauf gesehen, dass das Kind das „andere“ Kind im Spiegel als sich selbst erkennt und somit über ein Selbstkonzept verfügt. Im Alter von 18 bis 20 Monaten lernen Kinder dann den Gebrauch des Ausdrucks "Ich".

Im Alter von zwei Jahren häufen sich schließlich die Hinweise, dass Kinder ein längerfristig stabiles Selbstkonzept auszubilden beginnen und damit die dritte Bedingung erfüllen. Sie können sich ein Geschlecht zuordnen, auch wenn die Zuordnung vorerst nur auf äußere Merkmale wie Kleidung beschränkt bleibt. Mit drei Jahren können sie sich dann in der Regel mit weiteren Eigenschaften wie Größe, Alter, Haarfarbe, Augenfarbe, usw. charakterisieren und können ihre Gefühle korrekt mitteilen. Außerdem können sie sich auf zukünftige oder vergangene Gefühlszustände beziehen. Sie kennen Ursache und Wirkung solcher Gefühlszustände und reagieren explizit auf die emotionalen Zustände anderer. Die starke Erweiterung, die die THEORY OF MIND der Kinder in diesem Alter bereits erreicht hat, zeigt sich auch daran, dass sie ihre Stimme verändern, wenn sie mit Babys sprechen oder auch beim Lügen, wobei das Kind versucht, offensichtliche Überlegungen der angelogenen Person vorwegzunehmen, um rechtzeitig darauf gefasst zu sein. Das kritische Alter für diese Art von Leistungen ist drei Jahre. Davor haben Kinder noch massive Probleme mit der Unterscheidung von Fremd- und Selbstzuschreibungen, insbesondere mit der Zuschreibung von Überzeugungen und Glaubenszuständen (vgl. WIMMER, PERNER und GOPNIK). Sie haben offenbar noch keine klare Konzeption des Unterschieds zwischen eigenen Überzeugungen und den Meinungen Dritter bzw. der objektiven Realität. Ist die Fähigkeit dazu aber einmal vorhanden, so gewinnen die Kinder Zugang zu einem weiteren wichtigen Aspekt des Selbstbewusstseins, nämlich der Fähigkeit, sich selbst und anderen Meinungen zuzuschreiben. Es zeigt sich, dass sich die Merkmale der eigenen Person umso klarer herauskristallisieren, je genauer die Kenntnis über die Besonderheiten anderer sind. Dies alles entspricht aufs Glücklichste mit der Kernthese obigen Modells: Selbstbewusstsein und Selbstkonzept entstehen über verschiedene Stufen hinweg in der Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt. Besondere Bedeutung besitzt dabei die Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Perspektiven, Intentionen und Charaktermerkmalen. Dazu passt, dass Kleinkinder mit einem weit entwickelten Sozialverhalten nicht nur ein besseres Verständnis über die Rolle Dritter zeigen, sondern auch ein weiter entwickeltes Selbstkonzept. Festzuhalten bleibt: Die Befürchtung, die Erforschung der neuronalen Grundlagen des Bewusstseins MÜSSE früher oder später zu der Erkenntnis führen, dass Selbstbewusstsein eine bloße Illusion ist, ist zumindest nach diesem Modell unbegründet. Selbstverständlich kann sich das Modell als inadäquat herausstellen, oder es erweist sich, dass menschliche Subjekte ein zu instabiles Selbstkonzept haben, um in sinnvoller Weise von Subjektivität zu sprechen. Die empirischen Erkenntnisse sprechen aber gegen derartige Befürchtungen.

Willensfreiheit

Noch schwieriger als das Problem der Subjektivität scheint das Problem der Willensfreiheit zu sein. „Die Schwierigkeiten ergeben sich aus einem scheinbar klar zutage liegenden Konflikt zwischen monistischen Auffassungen über das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein auf der einen Seite und unseren Intuitionen bezüglich der Willensfreiheit auf der anderen.“ Für den Monisten sind seine Handlungen und Gedanken an sein Gehirn und damit an Naturgesetze geknüpft. Diese determinieren dann sein Verhalten vollständig, bzw. wenn man wie die moderne Physik annimmt, dass die Naturgesetze nur innerhalb gewisser Wahrscheinlichkeiten gelten, so bleibt ein Spielraum für Zufälle. Jedenfalls kann es unter diesen Umständen keine freien intentionalen Handlungen geben, denn das würde bedeuten, dass man selbst auch anders hätte handeln können und nicht bloß, dass die Ereignisse zufällig auch anders hätten ausfallen können.

Begriffliches

Was ist überhaupt gemeint, wenn man von Freiheit spricht? Eine ganz einheitliche Antwort gibt es nicht, daher sollen zunächst einmal einige wichtige Begriffe festgelegt werden.

Nach genauerer Überlegung stellt sich heraus, dass für den Freiheitsbegriff vor Allem zwei Grundsätze bedeutsam sind. Dies sind das Autonomieprinzip und das Urheberprinzip. Unter dem Autonomieprinzip versteht man grob (wird an späterer Stelle noch genauer diskutiert) die Autonomie des handelnden Individuums, also dass die Handlung nicht von externen Determinanten bestimmt ist. Das Urheberprinzip besagt, dass es möglich sein muss, die Handlung auf ein handelndes Subjekt zurückzuführen. Das Autonomieprinzip grenzt Freiheit gegen äußeren Zwang ab, während das Urheberprinzip sie gegen bloßen Zufall abgrenzt. Beiden Prinzipien gerecht wird die Konzeption von Freiheit als SELBSTBESTIMMUNG DES HANDELNDEN INDIVIDUUMS.

Handlungsfreiheit und Willensfreiheit

Weiters wird zwischen Handlungs- und Willensfreiheit unterschieden, wobei die Willensfreiheit weiterreichend ist. Die Handlungsfreiheit ist (vgl. Philosophen wie Locke, Hume, Hobbes) dann gegeben, wenn es der Person möglich ist, so zu handeln, wie es ihrem Willen entspricht. Dabei ist der Urheber das wollende Subjekt und die Autonomie ist durch die Unabhängigkeit von äußeren Determinanten gewährleistet. Eine bereits ausgeführte Handlung war dann frei, wenn sie auch hätte unterlassen werden können, wenn ein anderer Wille bestanden hätte.

Ein typisches Beispiel für eine eingeschränkte Handlungsfreiheit wäre der Gefangene, der seinen Willen die Zelle zu verlassen auf Grund von physischen Zwängen (den Gitterstäben) nicht realisieren kann. Für die Handlungsfreiheit ist nicht essentiell, ob überhaupt ein entsprechender Willensakt stattgefunden hat. Der Gefangene ist auch dann in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt, wenn er gar nicht den Wunsch hat, das Gefängnis zu verlassen, weil er es eben nicht könnte, selbst wenn er wollte. Unerheblich für das Konzept der Handlungsfreiheit ist, ob die Willensentscheidung selbst frei war, denn die Übereinstimmung von Wille und Handlung liefert ja gerade erst das Kriterium für (Handlungs-)Freiheit. Die Frage, ob der Willensentscheid frei war ist daher innerhalb dieses Paradigmas sinnlos bis unerheblich.

Außerhalb der engen Grenzen dieses Paradigmas kann die Frage nach der Willensfreiheit aber durchaus Sinn machen. Dann ist die Autonomie des Handelnden eben nicht nur durch äußere Determinanten gefährdet, sondern auch durch innere psychische Zwänge. Es geht also nicht primär um die Übereinstimmung von Wille und Handlung wie bei der Handlungsfreiheit. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die verschiedenen Formen von neurotischen Zwangshandlungen als ein extremes Beispiel dafür, wie das Individuum durch innerpsychische Zwänge in seiner Handlungsautonomie eingeschränkt sein kann. Willensfreiheit ist dann gegeben, wenn die Person autonom über die eigenen Willensakte entscheiden kann. Eine bereits vollzogene Handlung ist mit der Willensfreiheit vereinbar, wenn der Willensakt auch unterlassen werden konnte.

Die inneren Zwänge können rein zufällig entstehen oder durch beabsichtigte Manipulation von außen herbeigeführt sein. Ersichtlich ist das Konzept der Willensfreiheit ein strengeres als das der Handlungsfreiheit. Damit ist gemeint, dass das Autonomiepostulat strenger gefasst ist, weil nicht nur äußere Determinanten berücksichtigt werden. Die Idee dahinter ist, dass die Verantwortung für ein Ereignis nicht am Ende sondern am Anfang der Kausalkette steht. Verantwortlich für den Mord ist etwa nicht die Kugel, sondern die bewusste Entscheidung des Mörders abzudrücken. Für seine Strafmündigkeit entscheidend ist dabei klarerweise, ob er auch anders hätte handeln können, was uns direkt zum Prinzip der alternativen Möglichkeiten führt.

Das Prinzip der alternativen Möglichkeiten

Das Konzept stammt von Harry Frankfurt aus dem Jahre 1969. Frei ist eine Handlung dann, wenn unter sonst identischen inneren und äußeren Umständen auch eine alternative Wahl getroffen werden konnte. Diese Möglichkeit muss zumindest an einer Stelle des Entscheidungsprozesses bestanden haben. Behindert kann die Fähigkeit zu einer solchen alternativen Möglichkeit nicht nur durch innere psychische Zwänge, sondern auch durch erlernte Verhaltensweisen, Überzeugungen und Charaktermerkmale werden. Diese Umstände sind für sich genommen möglicherweise nicht stark genug, um keine andere Alternative zuzulassen, zusammengenommen können sie das aber sehr wohl sein. Treibt man diesen Gedanken auf die Spitze, wie etwa Schopenhauer es getan hat, dann sieht es für die Freiheit in der Tat schlecht aus. Die Handlung darf dann keiner Regel gemäß aus den Bedingungen hervorgegangen sein und die Wahl zwischen zwei diametral entgegengesetzten Optionen muss gleich möglich sein.

Determinismus

Unter Determinismus versteht man die Vorstellung, dass alle Ereignisse auf Komplexe von Ursachen zurückführbar sind, aus denen nach den Naturgesetzen notwendig das jeweilige Ereignis folgt. Es handelt sich also gerade um den Laplaceschen Dämon: Aus der Kenntnis aller Zustände im Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt und der vollständigen Kenntnis der Naturgesetze lassen sich alle Zustände zu allen Zeiten extrapolieren – zumindest theoretisch. Sollte das zutreffen, so ist es sehr fraglich ob dann noch Platz für Willensfreiheit ist. Bevor ich zu den verschiedenen Meinungen hierzu komme, möchte ich allerdings anmerken, dass mir diese Fassung des Determinismus angesichts neuerer physikalischer Erkenntnisse als zu streng erscheint Quantenphysik und Indeterminismus)

Kompatibilismus und Inkompatibilismus

Verfechter des Inkompatibilismus behaupten genau das, nämlich dass in einer deterministischen Welt kein Platz für Willensfreiheit sei. Ihrer Ansicht nach sind Determinismus und Willensfreiheit inkompatibel während sie für die Verfechter des Kompatibilismus durchaus vereinbar (kompatibel) sind. Für Kompatibilisten sind also freie Handlungen auch in einer durchgängig bestimmten Welt denkbar. Schauen wir uns dazu einige kompatibilistische Positionen an:

Kompatibilistische Ansätze

Konditionalanalyse: G. E. Moore

George Edward Moore weist auf die Mehrdeutigkeit des Wortes „können“ hin. Diese Mehrdeutigkeit kommt etwa zum Ausdruck, wenn man die beiden Sätze „Ich hätte heute zwei Kilometer in einer halben Stunde gehen können.“ und „Ich hätte heute zwei Kilometer in drei Minuten laufen können.“ Der erste Satz drückt eine Alternative zu dem aus, was tatsächlich an diesem Tag getan worden ist. Wenn man gewollt hätte, hätte man das tun können. Beim zweiten Satz verhält es sich anders. Dieses „können“ übersteigt die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers und ist daher auf Grund der Unmöglichkeit der Aussage keine wirkliche Alternative. Moore übersetzt das „Ich hätte anders handeln können“ aus dem Prinzip der alternativen Möglichkeiten mit „Ich hätte anders handeln können, wenn ich mich anders entschieden hätte“. Das ist genau die Struktur die auch im ersten Satz auftritt. Moore glaubt damit, die tiefe Kluft zwischen Determinismus und Willensfreiheit überwunden zu haben. Zwar hätte ich nicht anders handeln können, es war durch vorangegangenen Ereignisse bestimmt, aber ich HÄTTE anders handeln können, HÄTTE ich mich anders entschieden. Dies klingt zunächst einmal recht vernünftig und es scheint, als wäre Moore das Kunststück gelungen, den Determinismus in einer zudem sehr strengen Variante mit der Willensfreiheit zu versöhnen. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch Probleme. Die Möglichkeit, die das „Ich hätte anders handeln können“ zu bringen scheint, wird durch die darauf folgende Einschränkung „wenn ich mich anders entschieden hätte sofort wieder relativiert. Schließlich ist keineswegs klar, ob man sich anders hätte entscheiden können. Vielmehr spricht manches dafür, dass zumindest bei bestimmten psychischen Erkrankungen eine solche alternative Entscheidung eben nicht möglich ist. Moore versucht dieses Problem zu lösen, indem er seine Idee nicht nur auf die Handlungsebene, sondern auch auf die Willensebene anwendet und gerät so zu Entscheidungen zweiter Ordnung: „Ich hätte mich anders entschieden, wenn ich den Entschluss gefasst hätte mich anders zu entscheiden.“ Das löst aber das Problem nicht, denn erstens ist nicht ersichtlich warum diese Entscheidungen zweiter Stufe nicht wiederum von äußeren Gegebenheiten abhängig sein sollten und zweitens besteht die Gefahr eines Regresses ad infinitum, wenn man von den Entscheidungen zweiter Ordnung zu Entscheidungen dritter Ordnung weiterschreitet, usw. Die Theorie hat einige interessante Ansätze, vermag aber das Problem nicht zufriedenstellend zu lösen.

Siehe auch: G.E._Moore_-_Freier_Wille(FiK)

Volitionen zweiter Ordnung: Harry Frankfurt

Dieser Ansatz von Harry Frankfurt aus dem Jahr 1993 ist wohl der wichtigste dieser Art für die neuere Diskussion. Frankfurt versteht unter Willensakten bewusste, handlungswirksame Wünsche. Mein Wunsch etwa, heute dieses Exzerpt fertig zu schreiben, ist dann ein Willensakt, wenn er dazu beiträgt, dass ich die Handlung auch wirklich vollbringe. Unbewusste Wünsche sind für Frankfurt keine Willensakte. Willensakte dienen der Realisierung allgemeiner Sachverhalte. Diese Sachverhalte können sich auf äußere Dinge beziehen oder es tritt der Spezialfall ein, dass sich Willensakte auf andere Willensakte beziehen. In diesem Fall spricht Frankfurt von Volitionen zweiter Ordnung. Eine Volition zweiter Ordnung ist etwa der Wunsch, kein weiteres Glas Wein zu wünschen, weil man seinen Alkoholkonsum verringern will. Volitionen erster Ordnung sind eher situationsspezifisch und beziehen sich mehr auf die primären Bedürfnisse. Dagegen spielen bei Volitionen zweiter Ordnung Überzeugungen und Dispositionen eine wichtige Rolle. Die Fähigkeit zu Volitonen zweiter Ordnung ist daher den Menschen vorbehalten. Frankfurt hat nun folgenden Gedanken: ist die Handlungsfreiheit definiert als die Freiheit so zu handeln, wie man es möchte (also eine Stufe höher), so liegt es nahe, Willensfreiheit zu definieren als die Fähigkeit das zu wollen, was man auf höherer Ebene für gut befindet. Diese höhere Ebene bilden natürlich die Volitionen zweiter Ordnung. Dabei ergibt sich allerdings ein ganz ähnliches Problem wie bei Moores Ansatz. Schließlich ist nicht gesagt, dass die Volitionen zweiter Ordnung nicht von äußeren Umständen herrühren und so ist es nicht ausgeschlossen, dass man wiederum auf Volitionen dritter Stufe zurückgreifen muss. Frankfurt gesteht ein, dass der Willensbildungsprozess nicht mit Volitionen der zweiten Stufe beendet sein muss, ist aber der Meinung, dass sich Personen ihrer Volitionen zweiter Ordnung vollkommen bewusst sein können. Durch die Zulassung von Volitionen höherer Ordnung ist streng genommen kein eindeutiges Kriterium mehr für die Freiheit gegeben, aber es ist auch nicht angängig auf die höheren Volitionen zu verzichten, denn dann käme wieder obiges Argument zu tragen, dass die Volitionen zweiter Ordnung von außen induziert sein könnten. Auf das Beispiel mit dem Glas Wein bezogen hieße das, dass mein Wunsch keinen Wein mehr zu wollen leicht ein Ergebnis meiner rigiden Erziehung sein kann. Nichtsdestoweniger war und ist diese Theorie höchst einflussreich, insbesondere bei den Autoren, die an den Kompatibilismus glauben.

Inkompatibilistische Ansätze

Den Glauben an den Kompatitibilismus kann etwa Peter van Inwagen nicht teilen. Für ihn ist in einer deterministischen Welt im oben skizzierten Sinn kein Platz für Freiheit. Ihm zufolge stehen unsere Handlungen bereits vor unserer Geburt fest, was seiner Ansicht nach klar das Prinzip der alternativen Möglichkeiten verletzt.

Dieser Auffassung gemäß kann in einer deterministischen Welt kein Platz für Willensfreiheit sein. Anders sieht es hingegen aus, wenn der Determinismus Lücken hat. Dann wäre es denkbar, dass diese Lücken dem subjektiven Willen ermöglichen, in den physischen Geschehensablauf einzugreifen. Diese Vorstellung liegt den ansonsten sehr verschiedenen Auffassungen von Karl Popper und John C. Eccles (1989), Roderick Chisholm (1982), Ulrich Pothast (1987), Eduard Dreher (1987) oder Gottfried Seebaß (1993) zugrunde. Diese alle stimmen Inwagen zu und halten die Kompatibilität von Determinismus und Willensfreiheit für gescheitert, glauben jedoch wie Popper sagt, an die „Offenheit der physischen Welt“.

Akteurskausalität

Exemplarisch für diese Auffassung nehmen wir den Ansatz von Roderick Chisholm heraus. Soll von Freiheit die Rede sein, so muss das Subjekt der Ausgangspunkt von Kausalketten sein, ohne selbst von solchen abzuhängen. Die Position als erstes autonomes Glied einer Kette solcher kausaler Zusammenhänge vergleicht Chisholm mit der Rolle Gottes: der Mensch tritt auf als unbewegter Beweger. Hier tritt das Autonomiepostulat in besonders strenger Weise auf. Zusätzlich zu den bereits weiter oben beschriebenen Bedrohungen der Autonomie sind hier auch die eigenen Wünsche, Überzeugungen und Bedürfnisse eine potentielle Gefahr für die Autonomie. Zusammengefasst versteht man unter Akteurskausalität, die Fähigkeit eines Urhebers (Akteurs), aus sich selbst heraus eine völlig neue Kausalkette zu beginnen. Dabei ist der Akteur autonom gegenüber sämtlichen Einflussfaktoren, einschließlich seiner eigenen Wünsche und Überzeugungen. Eine bereits vollzogene Handlung ist frei gemäß der Akteurskausalität, wenn der Handelnde sie unter identischen inneren und äußeren Bedingungen hätte unterlassen können.

Nagel und Strawson

Chisholm scheint davon auszugehen, dass freie Handlungen im Sinne der Akteurskausalität, wenn vielleicht auch nicht in unserer Welt mit den entsprechenden Naturgesetzen, doch zumindest prinzipiell möglich sind. Thomas Nagel und Galen Strawson gehen nicht auf die empirische Seite des Problems ein, sondern fragen sich vielmehr, ob eine so streng gefasste Freiheit nicht schon in theoretischer Hinsicht unmöglich ist. Sie orten eine prinzipielle Unverträglichkeit zwischen dem strengen Autonomieprinzip und dem Urheberschaftsprinzip. Das Autonomiepostulat, wie es von den Vertretern der Akteurskausalität gefasst wird, besagt wie oben ausgeführt, dass die Handlung weder von äußeren noch inneren Zwängen determiniert sein darf. Dagegen besagt das Urheberprinzip, dass sich die Handlung auf einen Urheber zurückführen lassen muss. Das bedeutet aber, dass Einstellungen und Charaktereigenschaften des Handelnden in die Entscheidung eingehen müssen, wenn es sich nicht um bloßen Zufall handeln soll. Einerseits muss die Entscheidung also vollkommen autonom sein, also auch unabhängig von den eigenen Einstellungen, Charaktermerkmalen, etc., andererseits darf sie es eben nicht sein, weil sonst das Urheberprinzip verletzt ist. In den Augen von Nagel und Strawson schließen sich diese beiden Forderungen aus. Der Sachverhalt sei an einem Beispiel verdeutlicht. Es geht um Ladendiebstahl. Nehmen wir an, für Herrn X gehöre die Verwerflichkeit des Ladendiebstahls zu seinen festen Überzeugungen. Herr X geht also brav zur Kasse und bezahlt. Diese Handlung ist mit dem Urheberprinzip verträglich, weil sich die Handlung auf ein für ihn zentrales Persönlichkeitsmerkmal zurückführen lässt. Anders verhält es sich mit dem Autonomiepostulat. Dieses ist gerade darum verletzt, weil Herr X aufgrund seiner festen Überzeugung unter sonst identischen Umständen nicht anders kann, als die Waren zu bezahlen, weil eine andere Entscheidung seiner ganzen Motivlage zuwiderlaufen würde. Die Handlung ist also gemessen an den strikten Kriterien der Akteurskausalität nicht frei. Ein Versuch das Dilemma aufzuheben besteht darin, Herrn X dennoch für autonom zu halten, weil er für seine Einstellungen verantwortlich ist. Die Idee, die dahinter steht, ist, dass er sich schließlich zu einem früheren Zeitpunkt für diese Einstellung entschieden haben könnte, sodass sowohl Urheber- als auch Autonomieprinzip erfüllt wären. Die Forderung nach einer freien Entscheidung am Beginn der Kausalkette erweist sich als eine Vorstellung von einem Urheber seiner selbst. Dadurch ist das Problem aber nur zeitlich verschoben, denn es ist nicht ersichtlich, warum die ursprüngliche Entscheidung für eine bestimmte Einstellung nicht wiederum dasselbe Dilemma aufweisen sollte. Der Konflikt ist für Nagel und Strawson unlösbar. Unfrei sind damit nicht nur der ursprüngliche Willensakt, sondern auch alle davon abhängigen Entscheidungen. Für sie folgt aus dem Scheitern dieses Ansatzes, dass freie Handlungen prinzipiell unmöglich sind. Damit wäre der Einzelne auch nicht verantwortlich für sein Tun.

Personale Freiheit

Die Argumentation von Nagel und Strawson ist schwer zu kritisieren. Es fragt sich allerdings, ob ihr Schluss so unausweichlich hingenommen werden muss und ob die Willensfreiheit nicht doch irgendwie gerettet werden kann. Eine dahingehende Idee ist die Vorstellung einer personalen Freiheit. Hierbei geht es in erster Linie um Selbstbestimmung. Das Autonomiepostulat wird weniger streng gefasst und es die Selbstbestimmung wird lediglich von der Fremdbestimmung abgegrenzt. Das Selbst tritt dabei als Urheber auf. Damit sind Autonomie- und Urheberprinzip versöhnt. Voraussetzung für einen solchen Ansatz ist allerdings die Existenz eines Selbst. Aus diesem Grund war der erste Teil meiner Erörterungen über das Selbst unentbehrlich. Es wurde gezeigt, dass die empirischen Untersuchungen nach dem heutigen Stand die Existenz eines Selbst keineswegs widerlegen, wenn auch manche traditionellen Vorstellungen sich als unhaltbar erwiesen haben. Die Merkmale des Selbst werden im Folgenden als „personale Merkmale“ bezeichnet. Eine Handlung muss nach dieser Auffassung nicht autonom gegenüber sämtlichen handlungsbestimmenden Faktoren sein. Gefordert wird lediglich die Unabhängigkeit gegenüber den nicht-personalen Merkmalen. Wir sprechen von PERSONALER FREIHEIT. Unklar ist zunächst noch, welche Merkmale als personale Merkmale zu gelten haben. Die Antwort auf diese Frage ist sehr schwierig und nur mit Hilfe der Empirie (und auch dann nie umfassend) zu klären. Der erörterte Ansatz hat viel für sich. Es leuchtet intuitiv ein, dass tief verwurzelte Überzeugungen zu den personalen Merkmalen gezählt werden müssen und folglich kein Hindernis für freie Entscheidungen darstellen. Was bedeutet diese Konzeption nun für die unsere Alltagserfahrung so gut treffende Vorstellung von den alternativen Möglichkeiten. Eine bestimmte vollzogene Handlungen hätte dann anders ausfallen können, wenn entweder äußere nicht-personale Merkmale eine andere Entscheidung bewirkt hätten oder wenn die Entscheidung aus bloßem Zufall anders ausgefallen wäre. Mit bloßem Zufall ist gemeint, dass nicht meine personalen Merkmale die Entscheidung bewirkt haben, sondern etwa eine zufällige Reaktion im Rückenmark dafür verantwortlich ist. In dem Sinn wären auch die Handlungen von manchen psychisch Kranken als unfrei zu bezeichnen, weil ihre Entscheidungen nicht im gleichen Maße von ihren personalen Merkmalen abhängen und im Gegenteil oftmals eine Persönlichkeitsdiffusion eintritt. Das deckt sich sehr gut mit unserer gefühlsmäßigen Vorstellung des Freiheitsbegriffes. Man kann das Prinzip der alternativen Möglichkeiten im Rahmen dieser Konzeption so fassen: „Ich hätte anders handeln können, wenn die faktisch vollzogene Handlung meinen personalen Merkmalen widersprochen hätte.“ Ähnlich wie das Autonomieprinzip wird hier auch das Prinzip der alternativen Möglichkeiten abgeschwächt. Diese Abschwächung ist kein fadenscheiniger Kompromiss um die Theorie zu retten, sondern eine sachlich notwendige Anpassung aufgrund der von Nagel und Strawson gezeigten Unvereinbarkeit.

Die Theorie hat zweifellos gewisse Ähnlichkeiten mit den Ansätzen Moores und Frankfurts, sie ist jedoch sehr viel konkreter was die Freiheitskriterien angeht. Es geht nicht um die formale Übereinstimmung einer Volition zweiter Ordnung mit einer Volition erster Ordnung sondern um die Übereinstimmung von Handlung mit den das Selbst konstituierenden personalen Merkmalen. Der gezeigte Ansatz macht auch deutlich, warum selbst die genaue Erkenntnis der neuronalen Bahnen von Willensbildungsprozessen keine Gefahr für die Willensfreiheit darstellen würden. Diese Bahnen wären deutbar, als die biologische Entsprechung der personalen Merkmale. Ist die Verwerflichkeit des Ladendiebstahls meine tiefe Überzeugung, so zählt sie zu meinen personalen Merkmalen. Eine neuronale Manifestation dieser Überzeugung ist dann wohl kaum als Einschränkung meiner Willensfreiheit zu sehen, sondern als biologische Grundlage ebendieser Überzeugung. Das Gesagte würde sogar dann gelten, wenn die neuronalen Prozesse streng deterministisch funktionieren würden. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff von Wille und Zwang auf Naturgesetze nur sehr bedingt anwendbar sind. Schließlich kann man nicht davon sprechen, dass die Planeten ihre Bahnen einhalten, weil sie von den Naturgesetzen dazu gezwungen würden. Vielmehr beschreiben die Naturgesetze die tatsächlichen Gegebenheiten. In dem Sinne ist die mögliche Erkenntnisse von deterministischen, den Willensbildungsprozessen entsprechenden neuronalen Bahnen kein geeigneter Gegenstand für ein Vokabular bestehend aus Zwang, Wille, Freiheit, weil diese Bahnen schließlich den Naturgesetzen folgen würden. Man wird neuronale Prozesse, die die Basis von handlungswirksamen personalen Merkmalen darstellen, wohl kaum als Einschränkung unserer Freiheit betrachten können.

Empirisches

Für die von Pauen in diesem Abschnitt diskutierten empirischen Erkenntnisse bezüglich Libet verweise ich auf den entsprechenden Inhalt unseres Wikibooks: Libet und die Folgen.

<root><br /> <h level="2" i="1">== Kontext ==</h>

Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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