G.E. Moore - Freier Wille(FiK)

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George Edward Moore: Freier Wille

(» Free Will«. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnommen aus: G. E. Moore, Grundprobleme der Ethik. München (C. H. Beck) 1975, S.119-132. (dt. Obersetzung von: Ethics. London 1912. Aus dem Englischen von Annemarie Pieper)) aus Ulrich Pothast (Hg.): Seminar: Freises Handeln und Determinismus STW 1978 S.142-156

In den letzten drei Kapiteln haben wir verschiedene Einwände erörtert, die sich gegen die in Kapitel II dargestellte Theorie vorbringen lassen. Der letzte von uns erörterte Einwand be­stand in der Behauptung, daß die Antwort auf die Frage, ob eine Handlung richtig oder falsch ist, nicht von den tatsächlichen Folgen der Handlung abhänge; denn eine Handlung sei immer richtig, wenn die Folgen, soweit der Handelnde sie vorherzu­sehen vermag, als die bestmöglichen erscheinen, auch dann, wenn die Folgen nicht tatsächlich die bestmöglichen sind. Mit anderen Worten: Dieser Einwand gründet sich auf die Ansicht, daß richtig und falsch in einem bestimmten Sinn davon abhän­gen, was der Handelnde wissen kann. In diesem Kapitel möchte ich nun auf Einwände eingehen, die sich im Gegensatz dazu auf die Einsicht gründen, daß richtig und falsch davon abhängen, was der Handelnde tun kann.

Man darf nicht vergessen, daß unsere ursprüngliche Theorie in einem bestimmten Sinn behauptet, ja sogar darauf besteht, daß dies der Fall ist. Wir haben im vorigen Kapitel z. B. häufig darauf verwiesen, daß sie behauptet, eine Handlung sei nur richtig, wenn sie die bestmöglichen Folgen hervorbringt; und »bestmögliche Folgen« war gleichbedeutend mit »Folgen, die mindestens ebenso gut sind wie solche, die aus einer Handlung hervorgegangen wären, welche der Handelnde anstelle der aus-geführten Handlung hätte tun können«. Die Theorie behauptet mithin, daß die Antwort auf die Frage, ob eine Handlung rich­tig oder falsch ist, immer abhängt von einem Vergleich ihrer Folgen mit den Folgen all der übrigen Handlungen, die der Handelnde an ihrer Stelle hätte tun können. Somit setzt sie voraus, daß dort, wo eine freiwillige Handlung richtig oder falsch ist (und wir haben durchweg nur von freiwilligen Handlungen gesprochen), der Handelnde in einem bestimmten Sinn an ihrer Stelle etwas anderes hätte tun können. Dies ist ein ganz wesent­licher Teil der Theorie.

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Der Leser muß sich vergegenwärtigen, daß wir die Wörter »kann«, »können« und »möglich« ständig in einem besonderen Sinn gebraucht haben. In Kapitel I haben wir erklärt, wir wür­den der Kürze halber immer dann von einem Handelnden sa­gen, er hätte eine bestimmte Handlung tun können, die er nicht getan hat, wenn es zutrifft, daß er sie getan haben könnte — wenn er sich dazu entschieden hätte; und analog haben wir mit dem, was er tun kann oder was möglich ist, immer bloß das ge­meint, was möglich ist, wenn er sich entsprechend entschieden hätte. Demnach hat unsere Theorie nicht eigentlich behauptet, daß richtig und falsch davon abhängen, was der Handelnde un­eingeschränkt tun kann, sondern nur davon, was er tun kann, wenn er sich entsprechend entscheidet. Und darin liegt ein sehr großer Unterschied. Denn indem sich unsere Theorie auf diese Weise beschränkt, vermeidet sie eine Kontroverse, welcher diejenigen, die behaupten, daß richtig und falsch davon abhän­gen, was der Handelnde uneingeschränkt tun kann, nicht aus dem Wege gehen können. Es gibt, wenn überhaupt, nur we­nige, die ausdrücklich bestreiten, daß wir, wenn wir uns ent­sprechend entschieden hätten, sehr oft wirklich etwas anderes hätten tun können als das, was wir tatsächlich getan haben. So-wie jedoch behauptet wird, daß jeder Mensch immer uneinge­schränkt etwas anderes hätte tun können als das, was er getan hat, gibt es viele, die dies bestreiten würden. Daher verwickelt uns die Ansicht, die wir in diesem Kapitel erörtern wollen — die Ansicht, daß richtig und falsch davon abhängen, was der Han­delnde uneingeschränkt tun kann —, sogleich in eine äußerst schwierige Kontroverse: die Kontroverse über den freien Wil­len. Sehr oft wird nachdrücklich bestritten, daß irgend jemand jemals etwas anderes hätte tun können als das, was er tatsächlich getan hat, oder daß er jemals etwas anderes tun kann als das, was er tun wird. Ebenso nachdrücklich wird jedoch auch das Gegenteil behauptet. Welche dieser Ansichten man auch ver­tritt, beide stehen, wenn man sie mit der Ansicht verbindet, daß richtig und falsch davon abhängen, was der Handelnde unein­geschränkt tun kann, in ernsthaftem Widerspruch zu unserer Theorie. Wer behauptet, kein Mensch hätte jemals etwas ande­res tun können als das, was er getan hat, muß, sofern er zugleich behauptet, daß richtig und falsch davon abhängen, was wir tun können, logischerweise behaupten, daß keine unserer Hand-

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lungen jemals richtig und keine jemals falsch ist. Diese Ansicht wird meines Erachtens oft wirklich vertreten und stellt einen äußerst ernsten und grundsätzlichen Einwand gegen unsere Theorie dar; denn unsere Theorie besagt ja ganz im Gegenteil, daß wir sehr oft falsch und kaum jemals ganz richtig handeln. Wer andererseits behauptet, daß wir uneingeschränkt Dinge tun können, die wir nicht tun, und daß richtig und falsch davon abhängen, was wir auf diese Weise tun können, steht ebenfalls, wenn auch aus einem anderen Grund, im Widerspruch zu un­serer Theorie. Unsere Theorie behauptet: Unter der Voraus­setzung, daß jemand etwas anderes getan haben könnte, wenn er sich entsprechend entschieden hätte, sind wir hinreichend berechtigt zu sagen, daß seine Handlung richtig oder falsch ist. Die Vertreter der hier von uns erörterten Ansicht werden je-doch erwidern, daß dies keineswegs ausreicht: daß man das Charakteristische von richtig und falsch völlig mißversteht, wenn man sagt, dies sei ausreichend. Ihrer Ansicht nach kann eine Handlung dann und nur dann wirklich richtig oder falsch sein, wenn der Handelnde wirklich anders hätte handeln kön­nen — >können< keineswegs nur in dem Sinn verstanden, daß er hätte handeln können, wenn er sich entsprechend entschieden hätte. Sollte im Hinblick auf unser Handeln immer nur wirklich zutreffen, daß wir anders hätten handeln können, wenn wir uns entsprechend entschieden hätten, dann, so würden diese Leute sagen, stimmte es wirklich, daß keine unserer Handlungen jemals richtig und keine jemals falsch ist. Sie sagen deshalb, eine ganz wesentliche Bedingung des Richtigen und Falschen werde von unserer Theorie völlig übergangen — die Bedingung näm­lich, daß eine Handlung, sofern sie richtig oder falsch ist, frei getan werden muß. Darüberhinaus werden viele von ihnen auch behaupten, die Klasse von Handlungen, die wir uneinge­schränkt tun können, sei oft nicht identisch mit den Handlun­gen, die wir tun können, wenn wir uns entsprechend entschie­den. Sie könnten z. B. sagen, sehr oft sei eine Handlung, die wir hätten tun können, wenn wir uns entsprechend entschieden hätten, gleichwohl eine Handlung, die wir nicht hätten tun können; und eine Handlung sei immer richtig, wenn sie ebenso gute Folgen hervorbringe wie irgendeine andere Handlung, die wir an ihrer Stelle wirklich hätten tun können. Daraus aber folgt, daß viele Handlungen, die unsere Theorie für falsch er-

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klärt, nach Ansicht dieser Leute richtig sind; denn von all den Handlungen, die wir hätten tun können, sind diese Handlun­gen wirklich die besten, obschon nicht die besten von all den Handlungen, die wir hätten tun können, wenn wir uns entspre­chend entschieden hätten.

Nun scheinen mir von den noch anstehenden diese Einwände die wichtigsten zu sein. Sie erscheinen mir deshalb als schwer-wiegend, 1. weil es sehr schwierig ist, sich zu vergewissern, daß richtig und falsch nicht wirklich — wie sie behaupten — davon abhängen, was wir tun können, und nicht lediglich davon, was wir tun können, wenn wir uns entscheiden; 2. weil es sehr schwierig ist, sich zu vergewissern, in welchem Sinn es zutrifft, daß wir jemals etwas anderes hätten tun können als das, was wir tatsächlich getan haben. Ich behaupte nicht, zu einer dieser Fragen eine sichere Meinung zu haben; ich kann nur hoffen, daß es mir gelingt, auf bestimmte Tatsachen aufmerksam zu machen, die mir klar zu sein scheinen, obwohl sie oft übersehen werden, und so für die Entscheidung des Lesers jene Fragen ab­zugrenzen, die mir wirklich als zweifelhaft und schwierig erscheinen.

Wir wollen den Anfang machen mit der Frage: Trifft es jemals zu, daß jemand etwas anderes hätte tun können als das, was er tatsächlich getan hat? Dabei sollte ich wohl zunächst genau er-klären, wie sich diese Frage nach meiner Meinung zum Problem des freien Willens verhält. Denn es ist eine Tatsache, daß eben diese Frage in manchen Diskussionen über den freien Willen überhaupt nicht erwähnt wird, so daß man annehmen könnte, die beiden hätten wirklich überhaupt nichts miteinander zu tun. Einige Philosophen behaupten meines Erachtens in der Tat eben dies, daß sie nichts miteinander zu tun haben: Sie scheinen der Meinung zu sein, daß man unseren Willen als eigentlich frei bezeichnen kann, selbst wenn wir niemals in irgendeinem Sinn etwas anderes tun können als das, was wir schließlich tatsäch­lich tun. Doch 'denn man diese Ansicht vertritt, so scheint mir darin eindeutig ein Mißbrauch der Sprache vorzuliegen. Die Aussage, daß wir einen freien Willen haben, wird zweifellos ge­wöhnlich so verstanden, daß es manchmal wirklich in unserer Macht steht, anders zu handeln, als wir tatsächlich handeln. Wenn uns daher jemand sagt, wir hätten einen freien Willen, und gleichzeitig bestreitet, daß es etwas gibt, das in unserer

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Macht steht, führt er uns in die Irre. Wir haben im gewöhnli­chen Sinn des Wortes zweifellos keinen freien Willen, wenn wir niemals in irgendeinem Sinn wirklich etwas anderes hätten tun können als das, was wir getan haben; in dieser Hinsicht hängen die beiden Fragen also zweifellos zusammen. Doch die bloße Tatsache (wenn es eine Tatsache ist), daß wir manchmal in ei­nem bestimmten Sinn das tun können, was wir nicht tun, be­rechtigt uns andererseits noch nicht notwendig zu der Aussage, daß wir einen freien Willen haben. Wir haben ihn zweifellos nicht, wenn wir dies nicht können; aber daraus folgt nicht, daß wir ihn haben, wenn wir es können. Ob wir ihn haben oder nicht, hängt von dem genauen Sinn ab, in welchem es zutrifft, daß wir es können. Sollten wir also zu dem Schluß kommen, daß wir in einem bestimmten Sinn oft wirklich das tun können, was wir nicht tun, berechtigt uns dies an sich noch nicht zu der Aussage, daß wir einen freien Willen haben.

Zunächst können und sollten wir uns meines Erachtens völlig darüber klar sein, daß wir in einem bestimmten Sinn zweifellos oft das tun können, was wir nicht tun. Es ist nach meiner Mei­nung völlig klar, daß sich dies so verhält, und es ist sehr wichtig, dies einzusehen. Denn viele Leute neigen ohne Einschränkung zu der Behauptung, daß niemand bei irgendeinem Anlaß jemals etwas anderes hätte tun können als das, was er bei diesem Anlaß tatsächlich getan hat. Wenn sie dies ohne Einschränkung ein-fach behaupten, meinen sie damit natürlich implizite (auch wenn dies nicht ihre Absicht ist), daß es keinen bestimmten Sinn des Wortes »können« gibt, der besagt, daß jemand tat-sächlich hätte anders handeln können. Und eben diese Implika­tion ist nach meiner Meinung ganz ohne Zweifel eindeutig falsch. Aus diesem Grund stellt jeder, der ohne Einschränkung behauptet: »Es hätte niemals etwas anderes geschehen können als das, was tatsächlich geschehen ist«, eine völlig ungerechtfer­tigte Behauptung auf, die er selbst unvermeidlich ständig wi­derlegen muß. Es ist wichtig, dies zu betonen, denn viele stellen diese uneingeschränkte Behauptung auf, ohne zu erkennen, wie stark sie dem, was sie selbst und wir alle sonst glauben, und zwar zu recht glauben, widerspricht. Wenn sie jedoch wirklich eine Einschränkung hinzufügen – wenn sie lediglich sagen »In einem bestimmten Sinn des Wortes >können< hätte nichts ande­res geschehen können als das, was geschehen ist« –, mögen sie

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vielleicht vollkommen recht haben; doch darum geht es uns nicht. Wir behaupten lediglich, in einem vollkommen ange­messenen und legitimen Sinn des Wortes »können«, noch dazu in einem Sinn, in dem das Wort sehr häufig gebraucht wird, sei es ganz sicher, daß einiges von dem, was nicht geschehen ist, hätte geschehen können. Der Beweis, daß sich dies so verhält, ist ganz einfach folgender:

Die Häufigkeit der Gelegenheiten, bei denen wir alle zwi­schen zwei Dingen unterscheiden, von welchen keines gesche­hen ist, kann man gar nicht überschätzen. Wir bringen diese Unterscheidung zum Ausdruck, indem wir sagen, daß das eine hätte geschehen können, das andere dagegen nicht. Es gibt keine häufigere Unterscheidung als diese, und niemand, der die Fälle, in welchen wir sie machen, genau untersucht, kann wohl dreierlei bezweifeln, nämlich: 1) daß entsprechend der von uns gebrauchten Sprache sehr oft wirklich irgendein Unterschied zwischen den beiden Dingen besteht; z) daß dieser Unter-schied, der wirklich zwischen den Dingen besteht, derjenige ist, den wir zum Ausdruck bringen wollen, wenn wir sagen, das eine sei möglich, das andere unmöglich; und 3) daß diese Aus­drucksweise vollkommen angemessen und legitim ist. Wenn dies aber so ist, folgt daraus eindeutig, daß eine der häufigsten und legitimsten Verwendungen der Ausdrücke »können« und »nicht können« dazu dient, einen Unterschied zum Ausdruck zu bringen, der oft wirklich zwischen zwei Dingen besteht, von denen keines tatsächlich geschehen ist. Zur Erläuterung genü­gen ein paar Beispiele: Ich hätte heute morgen zwei Kilometer in zwanzig Minuten gehen können, aber ich hätte zweifellos nicht vier Kilometer in fünf Minuten laufen können. Ich habe de facto keins von beidem getan; aber es wäre barer Unsinn, wenn man sagte, die bloße Tatsache, daß ich es nicht getan habe, hebe den Unterschied zwischen ihnen auf, den ich zum Aus-druck bringe, indem ich sage, daß die eine Handlung in meiner Macht stand, die andere hingegen nicht. Obwohl ich keine von beiden getan habe, war die eine doch für mich in einem Sinn möglich, in welchem mir die andere völlig unmöglich war. Oder, um ein anderes Beispiel anzuführen: Es stimmt in der Regel, daß Katzen auf Bäume klettern können, Hunde dagegen nicht. Angenommen, an einem bestimmten Tag klettert weder A's Katze noch B's Hund auf einen Baum. Es wäre völlig ab-

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surd zu sagen, allein diese Tatsache sei ein Beweis dafür, daß es falsch ist zu sagen (wie wir es sicherlich oft tun würden), die Katze hätte auf einen Baum klettern können, der Hund dagegen nicht. Oder um ein Beispiel anzuführen, das einen unbelebten Gegenstand betrifft: Einige Schiffe können 20 Knoten, andere dagegen nicht mehr als 15 Knoten fahren. Und die bloße Tatsa­che, daß ein 2o-Knoten-Schiff bei einer bestimmten Gelegen­heit nicht tatsächlich diese Geschwindigkeit hatte, berechtigt uns zweifellos nicht zu der Aussage, daß es sie in demselben Sinn nicht hätte erreichen können, in welchem ein 15-Knoten-Schiff sie nicht hätte erreichen können. Im Gegenteil: Wir alle können und sollten zwischen Fällen unterscheiden, in denen das 2o-Knoten-Schiff nicht so schnell fuhr, weil es nicht konnte (z. B. wegen eines Defekts der Schiffsschraube), und solchen Fällen, in denen es nicht so schnell fuhr, obwohl es konnte. Es ließen sich noch zahllose andere Beispiele dieser Art anführen. Es ist gewiß ganz klar, daß wir alle uns ständig einer solchen Sprache bedienen: Wenn wir zwei Ereignisse betrachten, von welchen keines eingetreten ist, unterscheiden wir ständig zwi­schen ihnen, indem wir sagen, daß das eine möglich war, ob-wohl es nicht eingetreten ist, das andere dagegen unmöglich war. Ohne allen Zweifel ist das, was wir damit meinen (was im­mer es auch sein mag), etwas oft völlig Zutreffendes. Verhält sich dies aber so, dann behauptet jeder, der ohne Einschrän­kung behauptet »Es hätte nichts anderes jemals geschehen kön­nen als das, was geschehen ist«, schlicht etwas Falsches.

Es ist deshalb ganz gewiß, daß wir (in einem bestimmten Sinn) oft etwas hätten tun können, das wir nicht getan haben. Wir wollen jetzt sehen, wie sich diese Tatsache zu dem Argument verhält, mit dessen Hilfe man uns zu überzeugen versucht, daß sie keine Tatsache sei.

Das Argument ist allseits bekannt: Aus Gründen, die ich nicht zu erörtern brauche, nimmt man an, daß schlechthin alles, was geschieht, eine Ursache hat, die ihm vorausliegt. Damit sagt man, daß es notwendig aus etwas ihm Vorausliegenden folgt, oder mit anderen Worten, daß es, wenn die vorhergehenden Ereignisse, die seine Ursache sind, einmal geschehen waren, zwangsläufig geschehen mußte. Wenn man aber sagt, daß es zwangsläufig geschehen mußte, so sagt man, daß nichts anderes stattdessen hätte geschehen können, das heißt: Wenn alles eine

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Ursache hat, hätte nichts anderes jemals geschehen können als das, was geschehen ist.

Angenommen nun, die Prämisse dieses Arguments, daß alles wirklich eine Ursache hat, ist korrekt. Was folgt dann daraus wirklich? Offensichtlich folgt daraus lediglich, daß in einem bestimmten Sinn des Wortes »können« nichts anderes jemals hätte geschehen können als das, was geschehen ist. Dies folgt in der Tat. Doch wenn das Wort »können« mehrdeutig ist — d. h. wenn es bei verschiedenen Gelegenheiten in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird —, ist es offensichtlich sehr wohl möglich, daß in einem bestimmten Sinn nichts anderes jemals hätte geschehen können als das, was geschehen ist, daß es aber in einem anderen Sinn doch zugleich vollkommen richtig sein kann, daß manches, was nicht geschehen ist, hätte geschehen können. Und gibt es jemanden, der mit Gewißheit zu behaup­ten wagt, das Wort »können« sei nicht mehrdeutig, es habe nicht mehr als nur einen legitimen Sinn? Möglicherweise ist es nicht mehrdeutig. Wenn dies der Fall wäre, würde die Tatsache, daß manches, was nicht geschehen ist, hätte geschehen können, in einem wirklichen Widerspruch zu dem Prinzip stehen, daß alles eine Ursache hat; wir müßten dann dieses Prinzip meiner Meinung nach aufgeben, weil die Tatsache, daß wir oft etwas hätten tun können, das wir nicht getan haben, überaus gewiß ist. Auf einer Annahme wie der, daß das Wort »können« nicht mehrdeutig sei, sollte man jedoch keinesfalls ohne den klarsten Beweis beharren. Dennoch hat man diese Annahme meines Er-achtens oft ohne irgendeinen Beweis akzeptiert, lediglich des-halb, weil es den meisten Menschen nicht auffällt, daß Wörter oft mehrdeutig sind. In der Kontroverse um den freien Willen hat man z. B. oft angenommen, daß es lediglich um die strittige Frage ginge, ob alles verursacht ist oder ob Willensakte manch-mal ohne Ursache sind. Diejenigen, die daran festhalten, daß wir einen freien Willen haben, fühlen sich zu der Behauptung verpflichtet, daß Willensakte manchmal keine Ursache haben; und diejenigen, die daran festhalten, daß alles verursacht ist, se­hen dies als vollständigen Beweis dafür an, daß wir keinen freien Willen haben. Es ist jedoch in der Tat äußerst zweifelhaft, ob der freie Wille überhaupt unvereinbar ist mit dem Prinzip, daß alles verursacht ist. Ob er es ist oder nicht — all dies hängt von der Antwort auf die schwierige Frage nach der Bedeutung

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des Wortes »können« ab. Einzig gewiß in dieser Angelegenheit ist: I. wenn wir einen freien Willen haben, muß es in einem bestimmten Sinn zutreffen, daß wir manchmal hätten tun können, was wir nicht getan haben; 2. wenn alles verursacht ist, muß es in einem bestimmten Sinn zutreffen, daß wir niemals etwas hät­ten tun können, das wir nicht getan haben. Was jedoch völlig ungewiß ist und einer Untersuchung bedarf, ist die Frage, ob diese beiden Bedeutungen des Wortes »können« identisch sind.

Wir wollen beginnen mit der Frage: In welchem Sinn des Wortes »können« ist es ganz gewiß, daß wir oft etwas hätten tun können, das wir nicht getan haben? In welchem Sinn hätte ich z. B. heute morgen zwei Kilometer in zwanzig Minuten ge­hen können, obwohl ich dies nicht getan habe? Es drängt sich die Vermutung auf, daß ich letztlich nichts anderes damit meine, als daß ich gekonnt hätte, wenn ich mich entsprechend entschieden hätte; oder vielleicht sollten wir (um eine mögliche Komplikation zu vermeiden) besser sagen, »daß ich sie gegan­gen sein würde, wenn ich mich dazu entschieden hätte«. Mit anderen Worten: Es ist zu vermuten, daß wir die Wendung »Ich konnte« einfach und ausschließlich als Kurzfassung für die Aussage »Ich würde, wenn ich mich entschieden hätte« gebrauchen. I (siehe Anmerkung; Kö) In allen Fällen, in denen wir durchaus das hätten tun können, was wir nicht getan haben, läßt sich wohl sehr schwer darüber Gewißheit erlangen, daß wir nicht dieses (oder etwas Ähnliches) unter dem Wort »können« verstehen. Das Beispiel des Schiffs scheint eine Ausnahme zu sein, denn hier trifft es gewiß nicht zu, daß es zwanzig Knoten gefahren wäre, wenn es sich dazu entschieden hätte; aber selbst hier scheint die Mög­lichkeit zu bestehen, daß wir lediglich meinen, es würde so schnell gefahren sein, wenn die Männer an Bord sich entspre­chend entschieden hätten. Zweifellos gibt es gute Gründe für die Annahme, daß wir mit »können« sehr oft bloß meinen »würde, wenn dieser oder jener sich entschieden hätte«. Und wenn es sich so verhält, dann gibt es einen Sinn des Wortes »können«, in welchem die Tatsache, daß wir oft das hätten tun können, was wir nicht getan haben, vollkommen vereinbar ist mit dem Prinzip, daß alles eine Ursache hat: denn die Aussage, daß ich — wenn ich einen bestimmten Willensakt ausgeführt hätte — etwas getan hätte, das ich nicht getan habe, widerspricht keineswegs diesem Prinzip.

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Es gibt noch einen weiteren Grund für die Annahme, daß wir oft genau dies unter »können« verstehen, ein Grund, der außerdem angibt, warum es wichtig ist, auf der offenkundigen Tatsache zu beharren, daß wir sehr oft wirklich anders gehan­delt haben würden, wenn wir anders gewollt hätten: Diejeni­gen, die bestreiten, daß wir jemals etwas hätten tun können, das wir nicht getan haben, reden und denken oft so, als ergebe sich daraus wirklich der Schluß, daß wir niemals anders gehandelt haben würden, selbst wenn wir anders gewollt hätten. Ich glaube, diese Ansicht wird im wesentlichen im Hinblick auf zwei Fälle vertreten — einmal im Verhältnis zur Zukunft, zum andern im Verhältnis zur Vergangenheit. Der erste Fall tritt ein, wenn jemand in der Meinung, daß nichts anderes geschehen kann als das, was geschehen wird, geneigt ist, sich die Ansicht zu eigen zu machen, die man Fatalismus nennt — die Ansicht, daß das Ergebnis immer das gleiche sein wird, gleichgültig was wir wollen; daß es deshalb nie einen Zweck hat, die eine und nicht die andere Entscheidung zu treffen. Dieser Schluß ergibt sich wirklich, wenn man unter »können« versteht: »würde ge­schehen, wenn wir es wollten«. Diese Ansicht ist jedoch gewiß nicht wahr und folgt ebenso gewiß nicht aus dem Kausalprin­zip. Im Gegenteil: Gründe, die von genau gleicher Art und ge­nau so schwerwiegend sind wie jene, die uns vermuten lassen, alles habe eine Ursache, führen zu dem Schluß, daß dann, wenn wir einen Weg wählen, das Ergebnis immer in bestimmter Hin­sicht von dem verschieden sein wird, was gewesen wäre, wenn wir einen anderen Weg gewählt hätten; wie wir auch wissen, besteht der Unterschied manchmal darin, daß das, was wir ge­wählt haben, geschieht. Es trifft daher im Hinblick auf zukünf­tige Handlungen zweifellos oft zu, daß von zwei Handlungen — ganz gleich, für welche wir uns entscheiden — eben diejenige, für die wir uns entscheiden, auch tatsächlich getan würde, obwohl außer Zweifel steht, daß nur eine der beiden getan werden wird.

Der zweite Fall, in welchem manch einer geneigt ist, so zu re­den und zu denken, als ob deshalb, weil niemand jemals etwas anderes hätte tun können als das, was er getan hat, zu folgern sei, daß er es auch dann nicht getan haben würde, wenn er sich entsprechend entschieden hätte, ist folgender: Viele scheinen aus der ersten dieser beiden Behauptungen direkt zu schließen,

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daß wir niemals das Recht haben können, jemanden für sein Tun zu loben oder zu tadeln oder zwischen richtig oder falsch auf der einen und glücklich oder unglücklich auf der anderen Seite zu unterscheiden. Sie folgern z. B., daß es keinerlei Grund gibt, das freiwillige Begehen eines Verbrechens anders zu behandeln und zu betrachten als das unfreiwillige Sichzuziehen einer Krankheit. Sie sagen, derjenige, der das Verbrechen be­gangen hat, konnte ebensowenig umhin, es zu begehen, wie der andere umhin konnte, sich die Krankheit zuzuziehen; beide Geschehnisse waren gleich unvermeidlich; und obwohl beide freilich ein großes Unglück sein können und gleich schlechte Folgen haben mögen, läßt sich der Unterschied nicht rechtfer­tigen, den wir zwischen ihnen machen, indem wir sagen, daß das Begehen des Verbrechens falsch war oder daß man den Mann dafür moralisch tadeln muß, das Sichzuziehen der Krankheit dagegen nicht falsch und der Mann dafür nicht zu tadeln war. Auch dieser Schluß folgt, wenn wir mit »konnte nicht« meinen: »würde nicht, selbst wenn er es hätte vermeiden wollen«. Ich möchte jedoch betonen, daß der Schluß nur folgt, wenn wir von dieser Voraussetzung ausgehen. Das heißt: Die bloße Tatsache, daß es dem einen Mann gelungen sein würde, das Verbrechen zu vermeiden, wenn er sich dazu entschieden hätte (was zweifellos oft zutrifft), wohingegen es dem anderen Mann nicht gelungen sein würde, die Krankheit zu vermeiden, selbst wenn er es gewollt hätte (was zweifellos auch oft zutrifft), liefert eine ausreichende Berechtigung für die unterschiedliche Betrachtung und Behandlung der beiden Fälle. Sie liefert eine solche Berechtigung, weil wir da, wo das Eintreten eines Ereig­nisses vom Willen abhängig war, vermittels einer Einwirkung auf den Willen (etwa durch Tadel oder Strafe) oft eine wirkliche Chance haben, dazu beizutragen, daß ähnliche Ereignisse in der Zukunft nicht mehr vorkommen; dagegen haben wir dort, wo ein Ereignis nicht vom Willen abhängig ist, keine solche Chance. Wir können somit klar sagen, daß diejenigen, die so reden und denken, als ob jemand, der freiwillig Unglück bewirkt, genauso behandelt und betrachtet werden soll wie je­mand, der unfreiwillig ein gleich großes Unglück bewirkt, so tun, als ob es nicht zuträfe, daß wir – wenn wir gewollt hätten – jemals anders gehandelt haben würden. Aus diesem Grund ist es äußerst wichtig, auf der absoluten Gewißheit der Tatsache

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zu beharren, daß wir oft wirklich anders gehandelt haben wür­den, wenn wir anders gewollt hätten.

Die Annahme, daß wir, wenn wir sagen, wir hätten etwas tun können, das wir nicht getan haben, oft lediglich meinen, wir würden es getan haben, wenn wir uns dazu entschieden hätten, ist daher durchaus begründet. Trifft dies zu, dann ist es aber ganz gewiß, daß wir in diesem Sinn oft wirklich etwas getan ha­ben könnten, das wir nicht getan haben, und daß diese Tatsache keineswegs unvereinbar ist mit dem Prinzip, daß alles eine Ur­sache hat. Meinerseits muß ich zugeben, daß ich nicht sicher bin, ob dies nicht vielleicht alles ist, was wir gewöhnlich meinen und darunter verstehen, wenn wir behaupten, einen freien Wil­len zu haben, ob also diejenigen, die einen freien Willen bestrei­ten, in Wirklichkeit (wenn auch zweifellos oft unbewußt) bestreiten, daß wir jemals anders gehandelt haben würden, selbst wenn wir anders gewollt hätten. Man hat manchmal behauptet, daß wir eben dies meinen; und ich kenne kein überzeugendes Gegenargument. Meinen wir aber nur dies, so folgt daraus ein­deutig, daß wir wirklich einen freien Willen haben, und auch, daß diese Tatsache durchaus vereinbar ist mit dem Prinzip, daß alles eine Ursache hat. Außerdem folgt daraus, daß es vollkom­men richtig ist, wenn gemäß unserer Theorie richtig und falsch _ in Abhängigkeit von dem erscheinen, was wir hätten tun kön­nen, wenn wir uns entsprechend entschieden hätten.

Zweifellos werden jedoch viele sagen, dies genüge nicht, um uns zu der Aussage zu berechtigen, daß wir einen freien Willen haben. Sie werden dies aus einem Grund sagen, der gewiß einige Plausibilität hat, mich aber dennoch nicht ausreichend über-zeugt. Sie werden nämlich sagen: Angenommen, wir würden oft anders gehandelt haben, wenn wir uns anders entschieden hätten, so trifft es doch nicht zu, daß wir einen freien Willen haben, es sei denn, es trifft in diesen Fällen auch oft zu, daß wir uns anders hätten entscheiden können. Das Problem des freien Willens stellt sich somit als die Frage, ob wir uns jemals für et-was hätten entscheiden können, für das wir uns nicht entschie­den haben, oder jemals für etwas entscheiden können, für das wir uns de facto nicht entscheiden. Da dieses Argument einige Plausibilität hat, erscheint es mir der Mühe wert, darauf auf­merksam zu machen, daß wir auch hier mit absoluter Gewiß­heit in mindestens zwei verschiedenen Bedeutungen uns oft für

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etwas hätten entscheiden können, für das wir uns de facto nicht entschieden haben, und daß diese Tatsache in keiner der beiden Bedeutungen dem Kausalprinzip widerspricht.

Die erste Bedeutung ist die bereits von oben bekannte: Wenn wir sagen, wir hätten etwas tun können, das wir nicht getan ha­ben, und damit oft bloß meinen, wir würden es getan haben, wenn wir uns dazu entschieden hätten, dann meinen wir viel-leicht mit der Aussage, daß wir uns dazu hätten entscheiden können, lediglich, daß wir uns so entschieden haben würden, wenn wir uns entschieden hätten, diese Entscheidung zu tref­fen. Ich glaube, es trifft zweifellos oft zu, daß wir uns entschie­den haben würden, etwas Bestimmtes zu tun, wenn wir uns entschieden hätten, diese Entscheidung zu treffen, und daß dies ein sehr wichtiger Sinn ist, in welchem es oft in unserer Macht steht, eine Entscheidung zu treffen. Es gibt zweifellos so etwas wie das Aufsichnehmen einer Anstrengung, um sich selbst dazu zu bringen, sich für einen bestimmten Weg zu entscheiden; und meines Erachtens gibt es keinen Zweifel daran, daß wir oft, wenn wir eine solche Anstrengung auf uns genommen hätten, eine Entscheidung getroffen haben würden, die wir de facto nicht getroffen haben.

Die erste Bedeutung ist die bereits von oben bekannte: Wenn wir sagen, wir hätten etwas tun können, das wir nicht getan ha­ben, und damit oft bloß meinen, wir würden es getan haben, wenn wir uns dazu entschieden hätten, dann meinen wir viel-leicht mit der Aussage, daß wir uns dazu hätten entscheiden können, lediglich, daß wir uns so entschieden haben würden, wenn wir uns entschieden hätten, diese Entscheidung zu tref­fen. Ich glaube, es trifft zweifellos oft zu, daß wir uns entschie­den haben würden, etwas Bestimmtes zu tun, wenn wir uns entschieden hätten, diese Entscheidung zu treffen, und daß dies ein sehr wichtiger Sinn ist, in welchem es oft in unserer Macht steht, eine Entscheidung zu treffen. Es gibt zweifellos so etwas wie das Aufsichnehmen einer Anstrengung, um sich selbst dazu zu bringen, sich für einen bestimmten Weg zu entscheiden; und meines Erachtens gibt es keinen Zweifel daran, daß wir oft, wenn wir eine solche Anstrengung auf uns genommen hätten, eine Entscheidung getroffen haben würden, die wir de facto nicht getroffen haben.

Darüberhinaus läßt sich noch eine weitere Bedeutung aufzei­gen, in welcher es uns immer dann, wenn wir mehrere verschie­dene Handlungsmöglichkeiten im Auge haben, möglich ist, uns für eine davon zu entscheiden. Diese Bedeutung ist zweifellos von einiger praktischer Wichtigkeit, selbst wenn sie keine Möglichkeit bietet, unsere Aussage, daß wir einen freien Willen haben, zu rechtfertigen. Sie ergibt sich aus der Tatsache, daß wir in solchen Fällen kaum jemals mit Sicherheit vorher wissen können, welche Entscheidung wir tatsächlich treffen werden; und eine der gebräuchlichsten Bedeutungen des Wortes »mög­lich« ist ja die, in welcher wir ein Ereignis »möglich« nennen, wenn niemand mit Sicherheit wissen kann, ob es nicht eintreten wird. Daraus folgt, daß es immer oder beinahe immer dann, wenn wir nach der Erwägung von Alternativen eine Entschei­dung treffen, möglich gewesen wäre, uns für eine jener Alternativen zu entscheiden, für die wir uns nicht tatsächlich ent­schieden haben; oft war es sogar nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich, daß wir uns so verhalten hätten. Diese Tatsache ist zweifellos von praktischer Wichtigkeit, weil viele

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vorschnell zu der Annahme neigen, es sei ganz gewiß, daß sie eine bestimmte Entscheidung nicht treffen werden, von der sie wissen, daß sie sie treffen sollten, wenn es möglich wäre; und ihr Glaube, daß sie sie nicht treffen werden, führt natürlich dazu, sie von der Entscheidung abzuhalten. Aus diesem Grund ist es wichtig zu betonen, daß sie im Hinblick auf eine bestimmte Entscheidung kaum jemals mit Sicherheit wissen kön­nen, ob sie sie nicht treffen werden.

Es ist daher ganz gewiß, 1. daß wir oft anders gehandelt haben würden, wenn wir uns dazu entschieden hätten; 2. daß wir uns in ähnlicher Weise oft anders entschieden haben würden, wenn wir uns entschieden hätten, uns so zu entscheiden; und 3. daß uns fast immer eine andere Entscheidung möglich war, in dem Sinn, daß niemand von uns mit Sicherheit wissen konnte, ob er sich nicht so entscheiden würde. Diese drei Dinge sind allesamt Tatsachen und sind allesamt mit dem Kausalprinzip vereinbar. Will jemand es übernehmen, mit Gewißheit zu behaupten, keine dieser drei Tatsachen und keine Verbindung von ihnen berechtige uns zu der Aussage, daß wir einen freien Willen ha­ben? Angenommen, wir hätten keinen freien Willen, es sei denn, es träfe oft zu, daß wir uns für etwas entschieden haben könnten, für das wir uns nicht entschieden haben: Kann ein Verteidiger oder ein Gegner des freien Willens überzeugend nachweisen, daß das, was er unter »entschieden haben könn­ten« in diesem Satz versteht, etwas anderes ist als die beiden ge­wissen Tatsachen, die ich unter 2. und 3. angeführt habe, oder als eine Verbindung beider? Viele werden zweifellos weiterhin darauf beharren, daß diese beiden Tatsachen keineswegs aus-reichen, um uns zu der Aussage zu berechtigen, daß wir einen freien Willen haben: daß es in einem ganz anderen Sinn zutref­fen muß, daß wir uns entscheiden konnten. Doch soweit ich weiß, hat niemand uns jemals genau sagen können, welcher Sinn dies ist. Ich kenne kein überzeugendes Argument, mit dessen Hilfe sich nachweisen läßt, daß ein solcher anderer Sinn von »können« notwendig oder nicht notwendig ist. Daher muß ich dieses Kapitel mit einem Zweifel abschließen. Anstatt wie unsere Theorie zu behaupten, daß eine Handlung nur richtig ist, wenn sie ebenso gute Folgen hervorbringt wie irgendeine andere Handlung, die der Handelnde getan haben würde, wenn er sich dazu entschieden hätte, ist es, glaube ich, möglich zu sa-

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gen, daß eine Handlung dann und nur dann richtig ist, wenn der Handelnde nicht etwas anderes getan haben könnte, das bessere Folgen hervorgebracht haben würde; und dieses »nicht getan haben könnte« ist nicht gleichbedeutend mit »nicht getan haben würde, wenn er sich dazu entschieden hätte«, sondern ist in dem wie auch immer zu charakterisierenden Sinn zu ver­stehen, der uns zu sagen berechtigt, daß wir einen freien Willen haben. Wenn sich dies so verhält, wäre unsere Theorie genau insoweit falsch.

Anmerkung

I) Dies ist eine Passage, auf die sich mehrere kritische Notizen in anderen Beiträgen dieses Bandes beziehen; sie soll deshalb hier im englischen Original zitiert werden, um dem Leser eine möglichst vollständige In­formation über Moores Vorschlag zu geben: »What is the sense of the word >could<, in which it is so certain that we often could have done what we did not do? What, for instance, is the sense in which I could have walk­ed a mile in twenty minutes this morning, though I did not? There is one suggestion, which is very obvious: namely, that what I mean is sim­ply after all that I could if I had chosen; or (to avoid a possible complica­tion) perhaps we had better say >that I should, if I had chosen<. In other words, the suggestion is that we often use the phrase >I could< simply and solely as a short way of saying >I should, if I had chosen<. [Anm. d. Hrsg.]

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<root><br /> <h level="2" i="1">== Kontext ==</h>

Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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