Benutzer:Andyk/FluechtigesLeben
Flüchtiges Leben
- Untertitel: Die Elastizität von Grenzräumen und die Krise der Menschenrechte
- Ein Vortrag von Andreas Oberprantacher im Juni 2011 auf der Konferenz "Crossing Borders"
- Die Tonspur gibt es in der Philosophischen Audiothek
Im Folgenden werde ich versuchen, eine dichte Beschreibung mit den Mitteln der Philosophie vorzunehmen, wobei ich hinzufügen möchte, dass die Beschreibung skizzenhaft bleiben wird müssen aufgrund mehrfacher Bedingungen die die Situation selbst betreffen.
Prolog : Finis terre
Ich beginne mit einer gewissen Vorgeschichte, um auf das Feld meines Vortrages zu verweisen. Im Codex Calixtinus, einem Manuskript aus dem 12. Jahrhundert, auch bekannt als Liber Sancti Jacobi, wird darauf aufmerksam gemacht, dass der Heilige Jakobus im Unterschied zu anderen Aposteln, die sich über die damals bekannten Länder verstreut haben sollen, bis ans äußerste Ende der Welt gereist sei, um dort die frohe Botschaft zu verkünden. Dem Autor jener Zeilen gemäß, die von der Forschung dem Mönch Aymeric Picaud zugeschrieben werden: "Auf Wink des Herrn landete er am Strand Spaniens und predigte den Menschen die dort lebten und ihre Heimat hatten das Wort Gottes." Tatsächlich befindet sich der letzte Kilometerstein des Jakobsweges nicht dort, wo man ihn zunächst vermuten könnte, also nicht in Santiago de Compostela, sondern etwas mehr 60km nach Westen versetzt, am Cabo de Finisterre. Gewissermaßen dort, wo das Festland ins Meer abbricht. Der an diesen nordwestlichen Rand Spaniens führende Camino a Fisterra gilt zwar nicht als Teil des Jakobsweges im eigentlichen Sinn, doch hat er sich gewissermaßen als dessen Epilog bewährt. Fisterra ist somit ein besonderer Ort. Wie sein Name besagt handelt es sich um einen Grenzort. Um einen Ort also, der die Grenze des Landes als Abgrenzung zum Meer im Namen und als Namen bewahrt. Finis terre: Grenze, Ziel und Ende des bewohnten Landes sowie eines Pilgerweges.
Die Spur hält man durch den Blick nach vorne, nicht auf das Gaspedal
Noch vor allem anderen sei es eine Grenze im Besonderen, die der Mensch als ein zum Politischen fähiges Lebewesen feststellen und bewahren müsse, behauptet Carl Schmitt in seiner weltgeschichtlichen Betrachtung "Land und Meer", die er für einen exklusiven Kreis von Adressaten sowie als Erzählung für seine Tochter Anima verfasst hat. In erster Auflage 1942 in Leibzig erschienen, leitet Schmitt seine Meistererzählung mit folgenden gravierenden Worten ein, die ich als erste Wegmarken meiner Passagen verwenden möchte:
- "Der Mensch ist ein Landwesen, ein Landtreter. Er steht und geht und bewegt sich auf der festgegründeten Erde. Das ist sein Standpunkt und sein Boden. Dadurch erhält er seinen Blickpunkt. Das bestimmt seine Eindrücke und seine Art, die Welt zu sehen. Nicht nur seines Gesichtskreises, sondern auch die Form seines Gehens und seiner Bewegungen, seine Gestalt erhält er als ein Erdgeborenes und auf der Erde sich bewegendes Lebewesen."
Es ist ein Mensch des sicheren Tritts und des selbstbewussten Auftritts also, kein wankender und schon gar kein zögernder, der uns auf den Seiten von Schmitts Typoskript entgegentritt. Der Landtreter bemisst den Raum mit Entschlossenheit, vielleicht schon in Gedanken an den nationalsozialistischen Gleichschritt, von dem sich auch Schmitt bewegen ließ, jedenfalls im gefestigten Wissen um die Verortung seines Denkens sowie um die Erstreckung seines politischen Willens. Trotz seiner ausgesprochenen Standhaftigkeit könnte man mit Verweis auf Georges Bataille von der Haltung dieses Schmitt'schen Landtreters annehmen, dass sein implizit tellurischer Charakter, so lautet eine Formulierung die Schmitt wenige Jahre später zur näheren Bestimmung des Partisanen anwenden wird, letzten Endes womöglich doch ein abstrakter sei, zumal zu bedenken ist, dass sich ein um seinen Blickpunkt bemühter, fortschreitender, wohl kaum um seinen Fuß und noch weniger um seinen großen Zeh kümmern wird, der ihm erst sein prekäres Gleichgewicht verleiht. Bataille schrieb 1929 in einem Aufsatz, der in Document erschienen ist:
- "Aber wie groß auch immer die Rolle des Fußes für das Sichauftretens sein mag, der Mensch, dessen Kopf leicht ist, schaut unter dem Vorwand, dass der Fuß ja im Schmutz steckt, auf diesen herab, als handelte es sich um Schmutz."
In diesem Sinne könnte der Schmitt'sche Siedler der Erde als ein mit sich selbst hadernder gedacht werden, der mit jedem Schritt zugleich seinen eigenen Schmutz zu übergehen versucht.