Diskussion:30.10.2013 ONLINE DISKUSSION Ricoeur, Paul (1969): Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Ricoeur spricht hier von der antiken Vorstellung der Anamnesis, die ja das Wiedererinnern jener Ideen war, an welchen man vor diesem Leben bereits teilhabe hatte. Wie lässt sich diese Vorstellung mit der Vorstellung einer Anamnese, die heute ja im wesentlichen die Aufnahme der Krankengschichte (Lebensgeschichte) eines Menschen ist, in Übereinstimmung bringen, da hier ein deutlicher Bedeutungswechsel erfolgt ist. Konnte jemand dem Text diesen Zusammenhang entnehmen?


hier meine zwei Fragen zu dem Ricoeur Text:

1. Auf S 36 steht : ,, ,Nicht ein Bestimmtes bezeichnen ist dasselbe wie nichts bezeichnen' Die Gemeinschaft, die Kommunikation unter Menschen ist also nur möglich, wenn die Wörter einen Sinn haben, d.h. einen bestimmten Sinn." (Ricoeur, Paul (1969), 36: Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen, in: ders.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M.: Suhrkamp) Was hält die Gruppe von dieser Meinung? Ist es überhaupt möglich, dass ein Wort keinen Sinn hat?

Gute Frage,..ich dachte zunächst an sowas wie 文字. Das ist ein Wort und heißt Schrift/Zeichen, wénzì. Es erscheint für uns "unsinnig" zunächst. Übersetzt macht es Sinn. Sobald etwas "unsinniges" auftaucht, wird es mit Sinn versehen. Vlt ist das sogar ein passendes Beispiel, der Name Barbara entwickelte sich scheinbar dadurch, dass die römischen Legionen, angekommen im 'wilden Norden' die Sprache der dort ansässigen nicht verstanden. Die Laute, also das Sprechen, die diese von sich gaben, klangen in den Ohren der Römer wie "barrbarrbarr" (wobei ich nicht sicher bin, ob die Römer das von den Griechen übernahmen oder andersherum). Da sind einerseits "Laute" von Fremden, nicht verständlich, unsinnig und andererseits der Begriff Barbar, der Name (Symbol?), der für alle stand, die nicht griechisch/Latein sprachen. Oder - wäre dieser Begriff das, was für Ricoeur doch unter "technisches Zeichen" fällt? --CoS (Diskussion) 20:10, 29. Okt. 2013 (CET)

2. Auf S. 44 steht: ,,Einzig das Symbol gibt was es sagt" (Ricoeur, Paul (1969), 44: Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen, in: ders.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M.: Suhrkamp) Was fällt alles unter den Begriff Symbol und was genau kann man sich unter dem 'Geben' vorstellen?

LG, Kevin Knabe

Vielleicht: Ein Symbol ist bei Ricoeur alles - mit mehrfacher/doppelter Bedeutung ausgestattete - Zeichenartige (vgl. S.25). Diese bergen einen ersten Sinn. Dieser regt Interpretationen an. In dem Prozesss "gibt sich" das Symbol, zeigt sich in einer seiner möglichen Erfüllungen. Gewicht/Last -> Schuld, der zweite Sinn wohne dem ersten inne. Die Möglichkeit zu Schuld findet sich quasi in der Last (vgl. S.44). So eine Art Offenbarung nennt er eine Wahrheit als "Erfüllung einer bedeutsamen Intention" (S.43). Wichtig ist, dass Symbole bereits etwas Primäres bergen, vielleicht eine Art noch entfernter Sinn. Dieser könne sich mannigfaltig, aber nicht willkürlich (vgl. S.45 "Die Ähnlichkeit, in der die Kraft des Symbols liegt..) zeigen, erfüllen, 'geben'. Das Primäre ist der Moment, der Symbolen eine Undurchsichtigkeit verleihe und trotz (oder gar wegen?) dieser Undurchsichtigkeit könne man von einer "Enthüllenden Macht der Symbole" (S.44) sprechen. Ein Symbol sagt quasi schon von selbst etwas, deutet an und das legen wir aus, "Forderung nach Erfüllung" (43f). Hier zum Beispiel ein Zeichen: $ erfüllt sich nichts mannigfaltig, denn es wurde gesetzt, dass das Dollar heißt? Kommt auf die Bewegung in der Verbindung an? Zwischen Last und Schuld ist etwas anderes als zwischen $ und Dollar? Dabei ist der Weg von Dollar zu Geld zu Schuld(en) auch nicht so weit - kann ein technisches Zeichen (falls $ eines ist) die "Fähigkeit" eines Symbols bekommen, im 'Lauf der Zeit'? --CoS (Diskussion) 23:36, 29. Okt. 2013 (CET)


Hier meine Fragen zum Text

1)Was bedeutet „interpretatio naturae“ konkret – welche Naturerklärungen könnten eine Textinterpretation leiten? (S. 38)

2)Die Psychoanalyse (nach Freud) wird im Text beschrieben als mit dem Zweifel beginnend und mit der List der Entschlüsselung fortfahrend (S.48). Ist diese Beschreibung auch für die Psychoanalytik, also schulenübergreifend gültig? Fraglich, dass die PA mit dem Zweifel beginnt, wird es z.B. bei Ogden (1988, S.14-15) zur Projektiven Identifikation. Er erläutert Winnicotts Ansatz: „Die Wahrheit, die der Patient damit [mit der Projektion] zeigt, muss als eine Art Übergangsphänomen behandelt werden, wo es nie um die Frage geht, ob die „Wahrheit“ des Patienten Realität oder Phantasie ist. Wie jedes Übergangsphänomen ist sie gleichzeitig Realität und Phantasie, subjektiv und objektiv.“

Grüße Hauke Müller

Antwort zu Frage 2 von Müller

Meiner Meinung nach, haben die Psychoanalyse und die anderen psychotherapeutischen Schulen gemein, dass sie zweifelnd beginnen. Es gibt meistens einen ausschlaggebenden Grund, ein ausschlaggebendes Zweifeln für eine PA oder andere Psychotherapie. Z.B. das Zweifeln aufgrund eines bestimmten Leidensdrucks oder konkreter Zweifel an der eigenen Persönlichkeit oder Lebensgestaltung. Ich denke, dass sich PA und andere Schulen aber eher im zweiten beschriebenen Teil der Entschlüsselung unterscheiden. Nicht alle psychotherapeutische Schulen haben zum Ziel durch "Entschlüsselung zu heilen". Als Beispiel: Ein Patient sucht aufgrund eines neurotischen Symptoms einen Psychoanalytiker auf und gemeinsam wird versucht, das Unbewusste zu entschlüsseln, um das neurotische Symptom loszuwerden (bzw. zu mildern). Der gleiche Patient könnte aber mit dem gleichen Symptom zu einem Verhaltenstherapeuten gehen. Auch hier beginnt der Prozess mit einem Zweifel (Zweifel über das neurotische Symptom), zielt aber nicht auf dessen Entschlüsselung. Das Symptom wird direkt bearbeitet, ohne die Gründe dafür zu durchleuchten.

Hannah Hofer --HannahMaria93 09:56, 29. Okt. 2013 (CET)


Meine Fragen zum Text

1.) Ricoeur schreibt auf S.45: "Die moderne Sorge um die Symbole bringt einen neuen Wunsch zum Ausdruck, den Wunsch, angerufen zu werden, jenseits von Schweigen und Vergessen, die durch die Manipulation der leeren Zeichen und die Konstruktion formalisierter Sprachen immer größer zu werden."

Ich habe das so verstanden, dass die Aussage auch mit dem "modernen Trend", immer mehr auf das nicht Offensichtliche hinzusehen und Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, verbunden werden kann. Die Bezeichnung "Manipulation der leeren Zeichen" wirkt auf mich sehr abstrakt, aber mein erster Gedanke dazu war, dass sie das dynamische Unbewusste gut beschreiben könnte. Das Unbewusste beeinflusst, also manipuliert mit leeren Zeichen, die als Zeichen eben nicht bewusst wahrgenommen und benannt werden.

Wie seht ihr das?

2.) Ricoeur schreibt auf s.48: "Eine der ersten Huldigungen an die Psychoanalyse spricht von 'Heilung durch das Bewußtsein'. Ein treffendes Wort, vorausgesetzt man sagt, daß die Analyse ein unmittelbares und verschleierndes Bewußtsein durch ein mittelbares und vom Realitätsprinzip belehrtes Bewußtsein ersetzen will."

Meiner Meinung nach, ist Ricoeurs Aussage sehr radikal. Dieser Ausschnitt lässt Freud und die Psychoanalyse sehr bedrohlich erscheinen. Dieses Ersetzen durch ein "vom Realitätsprinzip belehrtes Bewußtsein", lässt die Psychoanalyse sehr manipulativ erscheinen. Ich denke, wenn man moderne Richtungen der Psychoanalyse (Psychoanalytik) betrachtet, fällt dieses absolute Ersetzen des "krankhaften" Bewusstseins durch ein "richtiges" Bewusstsein weg. Mir gefällt dabei der Begriff "belehrtes" Bewusstsein nicht. Der Psychoanalytiker lehrt, meines Erachtens, seinem Analysanden nicht ein neues, besseres Bewusstsein, sondern gemeinsam wird versucht das Unbewusste allmählich bewusst zu machen und neue Perspektiven darauf zu werfen.

Wie seht ihr das?

Hannah Hofer--HannahMaria93 10:15, 29. Okt. 2013 (CET)


Ich empfinde das ähnlich problematisch. Ich ging immer davon aus, dass in einer Kur der Analysand selbst 'seine Wahrheit' entziffert, eben nicht der Analytiker. Einem wird Wissen unterstellt und dieser weiß aber eigentlich nichts (vlt ist das eine spezifisch lacansche Ansicht)--CoS (Diskussion) 19:37, 29. Okt. 2013 (CET)



1)Ich habe vermutlich ein grundsätzliches Problem mit 'der Hermeneutik'. Es geht darum, einen Text, allgm. etwas Lesbares zu interpretieren, auszulegen, "Nicht nur in Texte, sondern in alle menschlichen Schöpfungen ist Sinn eingegangen, den herauszulesen eine hermeneutische Aufgabe ist" (wiki). Hierfür gibt es verschiedene Methoden, komparative Interpretation, psychologische/mimetische I., kulturanalytische I., usw. Also etwas zu übersetzen - ein eigentlich unbekannter, ferner, oder lang vergangener Kontext wird sozusagen rekonstruiert und man geht davon aus, dann zu wissen, was der Autor des Textes X quasi "wirklich sagen wollte"? Ricoeur schreibt aber, dass es nicht mehr darum gehe, ob es ein "es tatsächlich wissen können" gebe, es gehe weder um Irrtum oder Lüge, sondern das Problem verschiebe sich in den Bereich der Illusion (vgl. 38) und Interpretation somit als "Taktik des Zweifels und als Kampf gegen die Masken" (39). Er scheint sich eher auf Seiten einer exegetischen Interpretation zu stellen. Heißt das, es geht ihm um eine umfassende Interpretation, die sich nicht auf einzelne Textteile oder so bezieht, da sich auch Freud auf eine Gesamtheit von Eindrücken beziehe? Bei dem Begriff der Illusion bezieht er sich auf Nietzsche und ich dachte an Folgendes: „Das, was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrtümern und Phantasien [...] ein Schatz, denn der Wert unseres Menschentums ruht darauf” (Nietzsche Menschliches-Allzumenschliches, Abschnitt 16) - also ein "wirkliches Wissen" gibt es nicht, Illusion ist sozusagen Realität? Und jede Interpretation wäre somit immer nur eine vorläufige bis zu nächsten? Hier greife dann sozusagen der "Wille zum Zweifel" einerseits, Hand in Hand mit dem "Willen zu Gehorchen" (jeweils auf S.40), denn „Worte hören, ihnen […] Gehör schenken, heißt schon, ihnen mehr oder weniger Gehorsam sein. Gehorchen ist nichts anderes, als Entgegengehen im Anhören“ (Lacan 1997:164)?! Es gibt keine Wahrheit oder wahre Erkenntnis etc. - weil wir Menschen sind? Notwendiger Kreislauf, indem wir oft versuchen, uns selbst zu überholen?

2) Ist der Begriff der Epoche, wie ihn Ricoeur interpretiert, nicht zu schwach? Meint Husserl mit Epoche nicht tatsächlich eine Art Ausschaltung, Ausklammerung von etwas? Ricoeur spricht davon, an etwas durchaus weiterhin zu glauben, "aber auf neutralisierte Weise" (S.42), also man weiche von einer absoluten Gültigkeit des jeweiligen Objektes nicht ab (S.42f). Wiederum verstehe ich das vlt nicht, interptetiere es falsch. Ein Philosoph müsse Gültigkeit voraussetzen, um beruhigt forschen zu können, denn ohne diese Voraussetzung würde man "Sorge tragen" um das Objekt, das verloren gehen könnte, wenn man mehr daran glaubt? Er spricht hier eigentlich eine quasi grundlegende Angst an und im Kontext von Wissenschaft und Forschung eigentlich einen problematischen Moment? --CoS (Diskussion) 19:37, 29. Okt. 2013 (CET)

3) eine allgm. Frage: Wie steht es um Satzzeichen, Punkt, Komma usw. Diese Symbole (?) verändern u.a. den Rhythmus im Sprechen? COS(20:28)


Fragen zum Text

1) "... der Begriff der Bedeutung erheischt die Eindeutigkeit des Sinns" . . (Ricoeur, Paul (1969), 35: Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen, in: ders.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M.: Suhrkamp) "Die Gemeinschaft, die Kommunikation unter den Menschen ist also nur möglich, wenn die Wörter einen Sinn haben, d.h. einen bestimmten Sinn". (Ricoeur, Paul (1969), 36: Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen, in: ders.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M.: Suhrkamp) -> Es gibt ja auch Wörter die nicht nur einen Sinn / eine Bedeutung haben und trotzdem, wenn sie in einem (bestimmten) Kontext verwendet werden, werden sie von den Menschen gleichermaßen / richtig verstanden. Darauf geht Ricoeur nicht ein. Ist dies in diesem Kontext des Textes irrelevant oder hat er darauf einfach nicht Bezug genommen?

2)"... diese Metapher bringt eine mögliche Ausdehnung des Exegesebegriffs, insofern der Begriff des "Textes" über den der "Schrift" hinausgeht." (Ricoeur, Paul (1969), 38: Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen, in: ders.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M.: Suhrkamp)

"..Dieser Begriff des "Textes" - befreit von dem der "Schrift" - ist interessant..." (Ricoeur, Paul (1969), 438: Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen, in: ders.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M.: Suhrkamp)

-> Wieso wird hier ein Unterschied zwischen Text und Schrift gemacht & worin besteht dieser genau? Wieso geht der "Text" über die "Schrift" hinaus und inwiefern tut er dies?--Nathalie Kremnitzer (Diskussion) 22:30, 29. Okt. 2013 (CET)