Objekt und Klasse, Gegenstand und Begriff (CP)

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=== H. HRachovec: Objekt und Klasse, Gegenstand und Begriff


Im Urteil wird, nach traditioneller Lehre, ein Gegenstand unter einen Begriff subsumiert. Das ist ein Peugeot 307“ heißt: dieses Ding geh¨rt zu einer bestimmten Menge von der o ” genannten Firma produzierter PKWs. Das Beispiel k¨nnte –mutatis mutandis – aus einer o Einf¨hrung in objektorientiertes Programmieren stammen. In dieser Welt spezifiziert u ” eine Klasse die Gemeinsamkeit einer Menge von Objekten mit denselben Eigenschaften (Attributen), demselben Verhalten (Operationen) und denselben Beziehungen.“ [Balzert 1999, S. 113] Also etwa einen Fahrzeugtyp, dem entsprechend einzelne PKWs gebaut werden. Derart charakterisierte Objekte unterscheiden sich u.a. in der Motorst¨rke, der a Farbe und dem ben¨tigten Treibstoff. Jedes verf¨gt uber eine eindeutige Identifikation o u ¨ und vordefinierte Verhaltensweisen. Mit anderen Worten: ein Kraftfahrzeug, das solchen Bedingungen gen¨gt, ist ein Objekt der Klasse Peugeot 307“. Der Unterschied zum u ” Satz Das ist ein Peugeot 307“ erscheint minimal.

Aber der Schein tr¨gt. u ” In beiden F¨llen wird ein Einzelding in ein Verh¨ltnis zu etwas Allgemeinem gesetzt. a a Doch die Auffassungen dar¨ber, worin die Beziehung besteht, differieren betr¨chtlich u a und wirken sich direkt auf das Verst¨ndnis der Verh¨ltnisglieder aus. Ein Gegenstand, a a der einem Urteil unterzogen wird, ist nicht einfach die Realisierung eines Typs. F¨r die u objekt-orientierte Analyse kann das besagte Fahrzeug als modelliertes Objekt einzig und allein der angegebenen Klasse angeh¨ren. Alle relevanten Charakteristika liegen auf ihrer o Seite. Urteile finden hier keinen Anhaltspunkt. In ihnen geht es um die Absch¨tzung, a inwieweit sich bestimmte Charakteristika von Gegenst¨nden behaupten lassen. Dazu a muß es experimentelle Handlungsfreiheit geben, ein Ausprobieren von Beschreibungen und R¨ckkoppelungen zwischen Subjekt und Pr¨dikat. Die Auspr¨gung eines Attributes u a a im Objekt kann hingegen keine R¨ckwirkung auf die Definition der Klasse haben. Ein u Urteil dient z.B. dazu, nach einer Testfahrt die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs zu bewerten. Seine Erfassung als software-technisches Objekt entspricht dem Eintrag im Typenschein. Als Exemplar eines Typus ist es ersch¨pfend bestimmt. o Auf diesen Hinweis k¨nnte jemand erwidern: Auch die Typenzuordnung ist ver¨ndero a ” bar!“ Sicherlich, aber der Einwand illustriert genau die Divergenz zwischen den beiden Verh¨ltnismustern. F¨r bestimmte Zwecke soll der Einzelfall durch das vorgegebene a u Schema definitiv festgelegt sein; in anderen Kontexten kommt es gerade auf den Spielraum zwischen Einzelnem und Allgemeinem an, auf die begriffliche Flexibilit¨t in der a M¨glichkeit der Musteradaption. o Der Punkt ist nicht, daß ein nach Schablone gefertigtes Produkt keine Geschichte haben k¨nnte, sondern daß es in einem solchen Fall keine einfache Instanz der Schablone mehr o ist. Sobald sich die Frage stellen kann, zu welchem Typ das Ding geh¨rt, befinden wir o uns in einer anderen Diskussion. Die Attribute des PKW, um beim Beispiel zu bleiben, durchlaufen dann nicht bloß den parametrisierten Raum, sondern leisten einen Beitrag zur Bestimmung der Allgemeinheit, der sie subsumiert werden.

Traditionell bezeichnet man die F¨higkeit zu einer solchen Feinabstimmung a zwischen Einzelnem und Allgemeinem als Urteilskraft. Mit ihrer Hilfe wird die Vertretbarkeit der Anwendung des Begriffes auf ein Ding im Einzelfall entschieden. Das ist ein ” Peugeot 307“ enth¨lt danach eine Behauptung, die eventuell umstritten ist, z.B. wenn es a um eine speziell getunte Maschine geht. Dieser gesamte Verhaltenskomplex fehlt in der Objekt-Klassen-Konstruktion. Ein Software-Objekt geh¨rt zu einer Klasse, doch die wird o nicht von ihm pr¨diziert. Das Repertoire der Einsatzm¨glichkeiten von solchen Objeka o ten unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von jenem der (Namen f¨r) Gegenst¨nde, u a mit denen sprachlich operiert wird. Die intuitive Weltsicht ( Dinge, zu Tatsachen ver” bunden“) wird uneinheitlich ausgelegt. Einmal handelt es sich um Auspr¨gungen einer a Muster-Vorgabe, das andere Mal um Tr¨ger von (eventuell wechselnden) Eigenschaften. a Die Vorgabe inkludiert eine object factory“, welche den Eigenschaften fehlt. Im De” tail fallen die beiden Verh¨ltnisbestimmungen von Einzelnem und Allgemeinem deutlich a auseinander.

Umgangssprachlich sind die beiden Strategien etwa im Unterschied zwischen Blument¨pfen oder Telegrafenstangen auf der einen, Giftpilzen oder Kopfbedeckungen o auf der anderen Seite greifbar. Die automatische Fertigung gehorcht anderen Gesetzen, als die exemplarische Verwirklichung einer Gattung. Das heißt nicht, daß es keine Ber¨hrungspunkte g¨be. Die ubergeordneten Kategorien – Einzelnes/Allgemeines – in u a ¨ denen das Problem sich fassen l¨ßt, sind offensichtlich hilfreich. Man muß den Akzent a nicht auf die Unvereinbarkeiten legen. Wir haben Objektstatus gegen Beurteilung abgehoben. Von einem allgemeineren Standpunkt aus handelt es sich in beiden F¨llen um a Pr¨fverfahren. Das Exemplar einer Klasse gehorcht implizit einem Zugeh¨rigkeitstest, u o andererseits werden Gegenst¨nde nach Kriterien zu Mengen zusammengefaßt. Beide a Vorg¨nge lassen sich, wie Freges mathematische Rekonstruktion des Begriffsgebrauches a uberzeugend demonstriert hat, im selben Formalismus fassen. ¨ Begriffe sind danach Funktionen, die es erlauben, Gegenst¨nde zusammenzufassen, das a ergibt Extensionen des betreffenden Begriffsausdrucks. Diese Konzeption paßt auf Blument¨pfe ebenso, wie auf Kopfbedeckungen.

Wenn n¨mlich irgend etwas anderes sch¨n ist außer jenem An-sich-Sch¨nen, so ist a o o es meiner Ansicht nach aus keinem anderen Grund sch¨n, als weil es an jenem o Sch¨nen teilhat. ... wenn mir jemand sagt, daß irgend etwas sch¨n ist, entweder o o weil es eine bl¨hende Farbe oder Gestalt oder sonst etwas der Art hat, so lasse u ich das andere auf sich beruhen, denn durch alles ubrige werde ich nur verwirrt, ¨ und halte ganz einfach und schlicht und vielleicht einf¨ltig daran bei mir fest, daß a nichts anderes es sch¨n macht als eben die Anwesenheit oder die Gemeinschaft o jenes Sch¨nen, wie und woher sie auch komme. Dar¨ber n¨mlich m¨chte ich nichts o u a o weiter behaupten, als daß durch das Sch¨ne alle sch¨nen Dinge sch¨n werden. o o o [Platon, Phaidon 100 c,d]

Das Motiv l¨ßt sich auch auf Automarken anwenden. Eine moderne Paraphrase Platons a ¨ k¨nnte folgende Uberlegungen enthalten: o Wenn mir jemand sagt, daß etwas ein Peugeot 307 ist, entweder weil es eine bestimmte Farbe oder Gestalt, oder sonst etwas der Art hat, so halte ich ganz einfach daran fest, daß nur die Typenzugeh¨rigkeit etwas zu einem Peugeot 307 macht. o

Wir sehen etwas unter dem Einfluß vorweg bestehender Kenntnisse. Begriffe artikulieren Typologien, ohne welche uns die sensorischen Inputs uberschwemmen. In dieser Theorie ¨ stehen hinter den Urteilsakten Urtypen. Die Frage, woraus die Welt besteht, ist ¨quiva alent zur Frage, wie sich mit Hilfe vor-investierten Wissens die Wahrnehmungsdaten zu relativ stabilen Aggregaten ordnen lassen. Ironischerweise bedient sich die objektorientierte Analyse also eines antiken Schemas, dessen Plausibilit¨t zur Modellierung des a Erkenntnisvorgangs vielfach angezweifelt worden ist. Aktuelle Konzeptionen vertreten die Auffassung, daß sich die Orientierung in der Welt, genau gesagt die uns zug¨ngliche a

�Welt selber, zusammen mit dem Begriffsgebrauch entwickelt. Das heißt: in der sprachlich vermittelten Strukturierung der Umwelt an Hand von Aussages¨tzen. Die Priorit¨ten a a Platons werden dabei umgedreht: am Anfang steht kein uberzeitlicher Typus, sondern ¨ der im diskursiven Prozeß verankerte Entwurf von Ordnungsstrukturen. Die Klassen, die in der objekt-orientierten Analyse konstruiert und in Programmabl¨ufe a eingebaut werden, beruhen auf Sichtweisen einer gegliedert erschlossenen Umwelt, uber ¨ die wir Behauptungen aufstellen. Kein Strichkode ohne K¨uferinnen. Objektorientierte a Softwareentwicklung modelliert ein Ensembel platonischer Ideen und gewinnt daraus effektive Abl¨ufe. Ohne derartige Mechanismen ist, wie gesagt, Leben schwer vorstella ¨ bar. Doch wenn es dabei bleibt, lohnt es sich auch nicht. Der Zweck der Ubung sind Erfahrungen, deren Leitlinien ihrerseits in Frage gestellt werden k¨nnen. o