Kant und Hegel (IH)
Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten § 31/II
II. Was ist ein Buch?
Ein Buch ist eine Schrift (ob mit der Feder oder durch Typen, auf wenig oder viel Blättern verzeichnet, ist hier gleichgültig), welche eine Rede vorstellt, die jemand durch sichtbare Sprachzeichen an das Publikum hält. – Der, welcher zu diesem in seinem eigenen Namen spricht, heißt der Schriftsteller (autor). Der, welcher durch eine Schrift im Namen eines anderen (des Autors) öffentlich redet, ist der Verleger. Dieser, wenn er es mit jenes seiner Erlaubnis tut, ist der rechtmäßige, tut er es aber ohne dieselbe, der unrechtmäßige Verleger, d.i. der Nachdrucker. Die Summe aller Kopeien der Urschrift (Exemplare) ist der Verlag.
Der Büchernachdruck ist von Rechtswegen verboten
Schrift ist nicht unmittelbar Bezeichnung eines Begriffs (wie etwa ein Kupferstich, der als Porträt, oder ein Gipsabguß, der als die Büste eine bestimmte Person vorstellt) sondern eine Rede ans Publikum, d.i. der Schriftsteller spricht durch den Verleger öffentlich. – Dieser aber, nämlich der Verleger, spricht (durch seinen Werkmeister, operarius, den Drucker) nicht in seinem eigenen Namen (denn sonst würde er sich für den Autor ausgeben), sondern im Namen des Schriftstellers, wozu er also nur durch eine ihm von dem letzteren erteilte Vollmacht (mandatum) berechtigt ist. – Nun spricht der Nachdrucker durch seinen eigenmächtigen Verlag zwar auch im Namen des Schriftstellers, aber ohne dazu Vollmacht von demselben zu haben (gerit se mandatarium absque mandato); folglich begeht er an dem von dem Autor bestellten (mithin einzig rechtmäßigen) [405] Verleger ein Verbrechen der Entwendung des Vorteils, den der letztere aus dem Gebrauch seines Rechtsziehen konnte und wollte (furtum usus); also ist der Büchernachdruck von rechtswegen verboten.
Die Ursache des rechtlichen Anscheins einer gleichwohl beim ersten Anblick so stark auffallenden Ungerechtigkeit, als der Büchernachdruck ist, liegt darin: daß das Buch einerseits ein körperliches Kunstprodukt (opus mechanicum) ist, was nachgemacht werden kann (von dem, der sich im rechtmäßigen Besitz eines Exemplars desselben befindet), mithin daran ein Sachenrecht statthat; andrerseits aber ist das Buch auch bloße Rede des Verlegers ans Publikum, die dieser, ohne dazu Vollmacht vom Verfasser zu haben, öffentlich nicht nachsprechen darf (praestatio operae), ein persönliches Recht, und nun besteht der Irrtum darin, daß beides mit einander verwechselt wird.
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Die Verwechselung des persönlichen Rechts mit dem Sachenrecht ist noch in einem anderen, unter den Verdingungsvertrag gehörigen, Falle (B, II, α), nämlich dem der Einmietung (ius incolatus), ein Stoff zu Streitigkeiten. – Es fragt sich nämlich: ist der Eigentümer, wenn er sein an jemanden vermietetes Haus (oder seinen Grund) vor Ablauf der Mietszeit an einen anderen verkauft, verbunden, die Bedingung der fortdauernden Miete dem Kaufkontrakte beizufügen, oder kann man sagen: Kauf bricht Miete (doch in einer durch den Gebrauch bestimmten Zeit der Aufkündigung)? – Im ersteren Fall hätte das Haus wirklich eine Belästigung (onus) auf sich liegend, ein Recht in dieser Sache, das der Mieter sich an derselben (dem Hause) erworben hätte; welches auch wohl geschehen kann (durch Ingrossation des Mietskontrakts auf das Haus), aber alsdenn kein bloßer Mietskontrakt sein würde, sondern wozu noch ein anderer Vertrag (dazu sich nicht viel Vermieter verstehen würden) hinzukommen müßte. Also gilt der Satz: »Kauf bricht Miete «, d.i. das volle Recht in einer Sache (das Eigentum) überwiegt alles persönliche Recht, was mit ihm [406] nicht zusammen bestehen kann; wobei doch die Klage aus dem Grunde des letzteren dem Mieter offen bleibt, ihn wegen des aus der Zerreißung des Kontrakts entspringenden Nachteils schadenfrei zu halten.