Universitäres Blended Learning in Idee und Umsetzung
Universitäres Blended Learning in Idee und Umsetzung
Bildungstheoretische Verortung des e-gestützten Proseminars zu Politik der Entwicklung.
Seminararbeit zur Lehrveranstaltung Erziehung und Medien (SE 190145) bei Mag. Dr. Christian Swertz im Sommersemester 2008
eingereicht von Andrea Kremser
Matrikel-Nr.: 8806829
Studienkennzahl: A 297
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bildungstheorie
- 2.1 Begriffsklärung
- 2.2 Lerntheorien
- 2.3 Ein theoretisches und didaktisches Modell für Internetarbeit
- 2.4 Conclusio
3 Bildungspraxis: Das Proseminar zu Politik der Entwicklung
4 Resümee
Literaturverzeichnis
Weblinks
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das didaktische Modell in Verknüpfung mit den theoretischen Grundannahmen
Abbildung 2: Der Forschungsprozess des Proseminars
1 Einleitung
Die Motivation, sich mit eLearning an der Universität Wien auseinanderzusetzen, rührt aus zwei Rollen, die in diesem Zusammenhang eingenommen werden: Einerseits die der Studentin, die mit unterschiedlichen Formaten e-gestützter Lehre in Berührung kommt, andererseits die der Tutorin, deren Aufgabe es ist, Studierenden die Vorzüge der Verwendung einer die Präsenzlehre unterstützenden eLearning-Plattform schmackhaft zu machen. Eigene Erfahrungen mit sperrigen und zeitraubenden Anwendungen stellen eine nicht versiegende Quelle der Inspiration dar, die selbst gestaltete eLearning-Umgebung so ‚einfach’ und ‚angenehm’ wie möglich einzurichten. Dadurch standen bildungstheoretische Überlegungen bisher eher im Hintergrund. Umso wichtiger erscheint es, das Augenmerk nun auf selbige zu richten, um die Ergebnisse der aufgewandten Energie kritisch durchleuchten zu können.
Im Rahmen der Seminararbeit für die Lehrveranstaltung Erziehung und Medien wird daher der Frage nachgegangen, inwiefern die mitbetreute e-gestützte Lehrveranstaltung in Idee und Umsetzung jene Anforderungen erfüllt, die durch aktuelle bildungstheoretische und medienpädagogische Erkenntnisse formuliert werden können. Ausgegangen wird von der Annahme, dass sie aktuell erhobenen Ansprüchen zumindest teilweise gerecht wird, da die Rückmeldungen von Studierenden in der Lehrveranstaltungs-Evaluierung sowie in der persönlichen Kommunikation durchaus positiv sind und auch der je individuelle Erkenntniszuwachs von Studierenden bestätigt wird. Dennoch mögen sich durch die Überprüfung didaktische bzw. methodische Verbesserungsmöglichkeiten für das derzeitige Lehrveranstaltungs-Format finden lassen.
Um die Fragestellung beantworten zu können, erfolgt im ersten Abschnitt die Auseinandersetzung mit bildungstheoretischen Überlegungen, wobei nach der Abklärung zentraler Begriffe sowohl Lerntheorie als auch ein spezifisches Modell für Internetarbeit herangezogen werden. Dies soll ermöglichen, das im zweiten Abschnitt vorgestellte Proseminar theoretisch einzubetten, um es in Folge auf die (Nicht-)Erfüllung aktuell formulierter medienpädagogischer Ansprüche prüfen zu können. Im letzten Abschnitt sollen daraus möglicherweise erwachsende Konsequenzen herausgearbeitet und Empfehlungen für die zukünftige Lehrveranstaltungsplanung formuliert werden.
2 Bildungstheorie
In den letzten Jahren wurde eLearning – auch im deutschen Sprachraum – verstärkt Aufmerksamkeit aus bildungstheoretischen Perspektiven gewidmet. Der durch die Bologna-Deklaration eingeleitete und über die Lissabon-Strategie verankerte Umbau der europäischen Bildungslandschaft, macht(e) diese Auseinandersetzung erforderlich.
Nach der Klärung der zentralen Begriffe, die mit eLearning verbunden sind, werden im folgenden Abschnitt lerntheoretische Ansätze und ein spezifisches theoretisches sowie didaktisches Modell für Internetarbeit beleuchtet. Dieser Vorgang soll einen Rahmen für die Kontextualisierung der Lehrveranstaltung schaffen, die im anschließenden Abschnitt vorgestellt und analysiert wird.
2.1 Begriffsklärung
In der Fachliteratur werden unzählige Begriffe im Bereich virtuellen Lehrens und Lernens verwendet, die durchaus auch mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt sind. Um Uneindeutigkeiten zu vermeiden, werden im ersten Schritt Definitionen jener spezifischen Ausdrücke vorgenommen, die in Folge eingesetzt werden. So weit es möglich ist, orientieren sich diese am Vokabular, das an der Universität Wien Verwendung findet und teilweise durch das eLearning Center näher bestimmt wurde (vgl. Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.).
2.1.1 eBologna
Der 1999 initiierte Bologna-Prozess hat die Schaffung einer Europan Higher Education Area (EHEA) bis 2010 zum Ziel und ist mit der Förderung einer European Research Area (ERA) verbunden. Im Zuge der Zielerweiterungen für diesen europäischen Hochschulraum wurde auch die virtuelle Komponente in der Hochschullehre eingebunden (EvirtHEA); ein Prozess, der den Einsatz und die Verknüpfung von eLearning, eScience und weiteren eServices vorsieht, Infrastrukturausbau und virtuelle Mobilität zum Ziel hat und der mit eBologna bezeichnet wird (vgl. LMU 2006: 1 f.). An der Universität Wien wurde 2004 das durch das bm:bwk geförderte Strategieprojekt „eBologna – Kooperation und Innovation durch Neue Medien in der Lehre an der Universität Wien“ implementiert, in dessen Rahmen die gesamtuniversitäre eLearning-Strategie entworfen wurde und umgesetzt wird, die auch im Entwicklungsplan der Universität Wien verankert ist, der ebenso wie die Strategie den angestrebten Wechsel von Lehrzentriertheit auf Studierendenzentrierung betont (vgl. Projektzentrum Lehrentwicklung 2006: 1 ff.; Universität Wien 2008: 22 f.).
2.1.2 eLearning
Für eLearning finden sich unterschiedliche Definitionen; der Universität Wien zufolge findet elektronisch unterstütztes Lernen statt,
- „[...] wenn Lernprozesse in Szenarien ablaufen, in denen gezielt multimediale und (tele)kommunikative Technologien integriert sind. Da eLearning durch Entkoppelung von Zeit und Ort ein Angebot über die bekannten Benutzergruppen hinaus ermöglicht, eignet es sich dafür, Bildungsangebote verstärkt zu vermarkten und zu verkaufen.” (Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.)
Da nach dieser Formulierung von eLearning jeder Lernprozess bezeichnet werden kann, der in Lernumgebungen erfolgt, in denen elektronische Medien zum Einsatz kommen, gibt sie noch wenig Aufschluss über die damit verbundenen eLearning-Arrangements, die sich erheblich unterscheiden können (vgl. Mathes 2002: 2). Sie kann ebenso elektronisch unterstützte Distanzlehre (Fernstudien bzw. Fernunterricht) meinen, wie sie beispielsweise von der Fernuniversität Hagen angeboten wird, als auch die Bereitstellung einer einzigen Datei, wie etwa eine Literaturliste, über die persönliche Webseite der Lehrveranstaltungsleitung. In Umkehr wird mit eTeaching bzw. e-gestützter, d.h. elektronisch unterstützter, Lehre der Lehrprozess bezeichnet, der durch digitale Medien begleitet wird (vgl. bm:ukk 2008: 1). Also gilt es, das bevorzugte eLearning-Arrangement der Universität Wien näher zu spezifizieren.
Die Universität Wien verfolgt seit Beginn der Implementierung von eLearning die Verankerung von Blended Learning, das die Präsenzlehre im Hörsaal oder Seminarraum mit Online-Lehre verknüpft, die zeitlich und räumlich von der Präsenzlehre getrennt sein kann, aber dies nicht sein muss (vgl. Mesner, Rieder, Zwiauer 2006: 7). Zentrale Überlegungen werden daher über die erfolgreiche Kombination spezifischer Medien und didaktischer Methoden angestellt (vgl. Kerres 2000: 24). Dieses Verbundlernen, das auch als hybrides Lernen bezeichnet werden kann, meint an der Universität Wien
- „[...] Lehr-/Lernkonzepte, die eine didaktisch sinnvolle Verknüpfung von Präsenzelementen mit Online-Elementen anstreben. Dieser Trend hat sich auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre entwickelt, da Lernprozesse, die ausschließlich in virtuellen Räumen stattfinden, als weniger effizient und Erfolg versprechend angesehen werden.” (Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.)
Auch was an der Universität Wien unter Lernumgebung verstanden wird, kann in Bezug auf eLearning näher eingeschränkt werden; beschrieben werden damit
- „[...] die räumlichen, zeitlichen, personellen und instrumentellen Merkmale einer konkreten Situation, in die ein Lernprozess eingebettet ist. Konkret bezeichnet der Terminus die Lernmaterialien, Lernaufgaben und deren Gestaltung in einer Lernsituation. Im Zusammenhang mit eLearning ist damit in der Regel die mit IT-Hilfsmitteln medial gestaltete Lernumgebung gemeint. Sie wird strukturiert durch ein bestimmtes methodisch-didaktisches Design, wird bedingt durch die Leistungsfähigkeit der eingesetzten technischen Mittel und ist u. U. verbunden mit bestimmten personalen Dienstleistungen (z. B. Teletutoring).” (Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.)
Blended Learning bietet Lehrenden im Sinne von eBologna die Möglichkeit, die Präsenzlehre zugunsten studierendenzentriertem Lernen zu verringern, was von Vielen positiv begrüßt wird (vgl. hierzu Beiträge in Mesner, Rieder, Zwiauer 2006). Unterstützt werden soll das Selbststudium oder selbstgesteuerte bzw. selbständige Lernen, d.h.
- „[...] Lernprozesse, die von den Studierenden selbstständig geplant und gestaltet werden. Die Rolle der Lehrenden beschränkt sich dabei weitgehend auf die Bereitstellung von inhaltlichem [sic!] Klärungen.” (Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.)
Das bedeutet aber nicht, dass Lehrende zeitlich entlastet werden; erfolgreiches Blended Learning erfordert nicht nur die didaktische Neukonzeption bisher erfolgreich abgehaltener Lehrveranstaltungsformate, sondern auch den Erwerb von eCompetence, d.h. die Fähigkeit, neue Medien sinnvoll in der Lehre einzusetzen, und teils erheblichen Betreuungsaufwand (vgl. Projektzentrum Lehrentwicklung 2004: 1; Beiträge in Mesner, Rieder, Zwiauer 2006).
2.1.3 eLearning-Plattform
Als eLearning-Plattform bzw. Lernplattform oder Virtual Learning Evironment versteht die Universität Wien
- „[...] eine Art Lernsoftware, die das Design und die Umsetzung webbasierter Kursumgebungen ermöglicht. Im Gegensatz zu [...] Autorensystemen, die zur multimedialen Aufbereitung von Lerninhalten dienen, bieten Lernplattformen bei der Kursentwicklung, Kursverwaltung und Kursdurchführung Unterstützung.” (Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.)
Zu den wesentliche Elementen einer computerbasierten virtuellen Lernumgebung zählen „Administration, Kommunikation, Kursmaterial, Test und Tutorhilfen [sic!]“, die es ermöglichen, den virtuellen Klassenraum einzurichten und zu gestalten, in dem die Online-Begegnung oder zumindest die Vernetzung von Lehrenden und Studierenden erfolgt (vgl. Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.). Diese Möglichkeit bieten – jeweils mehr oder weniger – die unterschiedlichen Lernmanagementsysteme (LMS), die an der Universität Wien für die Einrichtung virtueller Lernumgebungen zur Verfügung stehen, wie z.B. Blackboard Vista oder Moodle, bei denen es sich
- „[...] um ein Softwaretool [handelt], auf welches im Intranet/Internet zugegriffen werden kann und das über eine entsprechende Oberfläche bestimmte Funktionalitäten wie den Aufruf und die Administration von LernerInnen, Lerninhalten, Übungsaufgaben, Kommunikationstools usw. von einer zentralen Stelle aus ermöglicht. Das LMS ist die zentrale Schnittstelle einer Lernumgebung zwischen Studierenden und Kursleitenden.” (Projektzentrum Lehrentwicklung o.J.: o.S.)
Als zentrale Lernplattform wurde ab Juli 2004 WebCT Vista forciert (seit der letzten Versions-Migration vor dem Wintersemester 2007/08 Blackboard Vista), da es gegenüber anderen Lernmanagementsystemen bessere Einbindung in andere eServices der Universität Wien erlaubt (vgl. Mettinger, Zwiauer 2006: 19).
2.2 Lerntheorien
Weitere Begriffe, die sich in der Diktion der Universität Wien aufspüren lassen, stehen in Verbindung mit Lerntheorien, wodurch diese nicht unerwähnt bleiben dürfen, vor allem, da sich auch die meisten Publikationen zum Thema eLearning auf sie beziehen. So beispielsweise auch jene der Erziehungswissenschafterin Patricia Arnold, zu deren aktuellen Forschungsschwerpunkten eLearning in der Hochschullehre zählt. Sie vertritt die Sichtweise, dass Überlegungen zur Gestaltung virtueller Lernumgebungen unmittelbar auf die Grundfrage zurückwerfen, wie überhaupt gelernt werden kann. In Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre aus lerntheoretischer Sicht (2005) stellt sie den drei unterschiedlichen lerntheoretischen Ausrichtungen, die mediendidaktische Fragestellungen nachhaltig beeinflusst haben, den aus ihren Vorstellungen über Lernprozess, Rollenverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden, Wissen und Wissensvermittlung abgeleiteten Gestaltungsprinzipien für eLearning-Arrangements gegenüber.
2.2.1 Behaviorismus
Behavioristische Lerntheorien verstehen Lernen als „beobachtbare Verhaltensänderung“ (Arnold 2005: 2) und den Lernprozess als von außen durch Lehrende steuerbar. Diese Sichtweise wirkt sich in der eLearning-Gestaltung in sogenannten „Drill & Practice-Programmen“ aus, die das Üben und Perfektionieren vorgegebener Lehrinhalte zum Ziel haben, deren Nutzen für die Hochschullehre als gering eingeschätzt werden kann (ebd.: 7).
2.2.2 Kognitivismus
Kognitivistische Lerntheorien sehen Lernen als „Prozess der Informationsverarbeitung“ (ebd.: 3) und den Lernprozess als aktiven Aufbau kognitiver Strukturen, lösen sich jedoch nicht von der Überzeugung, dass dieser steuerbar ist. Zum Einsatz kommen in der eLearning-Gestaltung oft „(intelligente) tutorielle Programme", die Lernenden Wahlmöglichkeiten bieten und erlauben, Lehrinhalte systematisch darzustellen, um deren Zusammenhänge zu verdeutlichen, was der Hochschullehre entgegenkomme (ebd.: 7).
2.2.3 Konstruktivismus
Konstruktivistische Lerntheorien, deren einzelnen Ansätze sich durchaus widersprüchlich gegenüber stehen, fassen Lernen als „aktiven Konstruktionsprozess“ (ebd.: 5) auf, wodurch der Lernprozess nicht von außen gesteuert werden kann, sondern je nach Ansatz „autonome“, konstruktive Einzelleistung oder sozialer, kooperativer Prozess ist. Dadurch muss in der eLearning-Gestaltung versucht werden, „authentische Lernumgebungen“ (ebd.: 10) herzustellen, die die Bearbeitung komplexer Probleme erlauben. Unterstützt werden sollen Selbststeuerung und Reflexionsfähigkeit, was in letzter Konsequenz nach Michael Kerres das „Ende des Unterrichts“ bedeuten würde. Das Lernangebot in der Hochschullehre wird – zumindest der Selbstdarstellung nach – durch diese Ausrichtung dominiert (ebd.: 13).
2.3 Ein theoretisches und didaktisches Modell für Internetarbeit
Auch wenn das Blended Learning, das an der Universität Wien bevorzugt wird, und die eLearning-Plattform, die im nächsten Abschnitt analysiert wird, nicht direkt mit Internetarbeit in Verbindung gebracht werden können, bieten die Vorstellungen von Winfried Marotzki, Arnd-Michael Nohl und Wolfgang Ortlepp über Bildungstheoretisch orientierte Internetarbeit am Beispiel der universitären Lehre (2003) meines Erachtens interessante Anknüpfungspunkte, weshalb ihr Beitrag hier vorgestellt werden soll. Die Autoren verbinden in diesem Konzept ein theoretisches Modell von Bildungsdimensionen mit einem didaktischen für Internetarbeit; die Kernelemente beider können über die bereits beschriebenen Lerntheorien hinaus durchaus auch für das Nachdenken über und die Analyse von Lehren und Lernen fruchtbar gemacht werden.
2.3.1 Faktische und normative Genese sowie Artikulation
Marotzki et al. (2003: 2 ff.) bestimmen in ihrem theoretischen Modell drei zentrale Anliegen von Bildung, spezifisch:
- Wissensaufbau (faktische Genese)
- Kritikfähigkeit (normative Genese)
- Ausdrucksfähigkeit (Artikulation)
Die faktische Genese dient dem Aufbau von Verfügungswissen über die eigene Person (Selbst) und die sie umgebenden Kulturgüter (Welt). Die normative Genese wird möglich, wenn Verfügungswissen der (rechtfertigenden) Reflexion unterworfen und damit auf Geltungsansprüche hin geprüft wird, wodurch Orientierungswissen aufgebaut werden kann. Daher können zwei Formen des Sich-Verhaltens unterschieden werden: Das Verhältnis zur (objektiven) Welt herzustellen erfordert eine objektivierende Einstellung; der Bezug zu anderen und den gemeinsamen Bezug auf Welt entlang des Moralprinzips eine performative Einstellung. Einfacher ausgedrückt: bestehende „gültige“ Normen werden über die faktische Genese erkennbar, aber erst die diskursive Bestätigung ihrer Geltungsansprüche bzw. Neuverhandlung führt zur normativen Genese. Dies setzt die Fähigkeit zur Artikulation voraus, über die nicht nur Haltungen mitgeteilt werden, sondern auch Verantwortung übernommen wird. In Abgrenzung zur Teilhabe, bei der die Gesellschaft im Vordergrund steht, meint Artikulation öffentliche Identitätspräsentationen Einzelner im Diskurs.
Bildung wird von den Autoren denn auch als prozessuale „Strukturierung von Wissensbeständen“ verstanden; Bildungsbemühungen müssten daher die Fähigkeit stärken, „faktische Geltungsansprüche zu hypothetischen zu machen und sie diskursiv zu testen“ (ebd.: 5).
2.3.2 Objektivierende, performative und artikulierende Haltung
Marotzki et al. (2003: 7 ff.) leiten aus diesem theoretischen Modell ihr didaktisches ab, das in den unterschiedlichen Phasen der Internetprojektarbeit Studierender die Ausbildung von drei den theoretischen Grundannahmen korrespondierenden Haltungen fördern soll; diese werden bestimmt als:
- Objektivierende Haltung
- Performative Haltung
- Artikulierende Haltung
Die Ausbildung einer objektivierenden Haltung soll einerseits über „Informations- und Wissensarbeit“ (ebd.: 8) und andererseits über die „Erzeugung von Wissensstrukturen“ (ebd.) erreicht werden. Ersteres erfordert, faktisches Wissen zu erzeugen und prozedurales Wissen zu nutzen, womit sowohl die faktische Genese (z.B. über die Informationssammlung, -kontextualisierung und -selektion, die in Wissen überführt wird) als auch die normative Genese (z.B. über diachrone und synchrone Dimensionierung – also In-Bezug-Setzung – des Wissensbestands, die erlaubt, den Kern der Problemlage zu ermitteln) betroffen sind. Zweiteres verlangt selbstgesteuerte, problemorientierte Komplexitätsreduktion; eine Ordnungsleistung, die der Analysefähigkeit bedarf. Die Herstellung einer performativen Haltung soll prozessual gelingen; die intersubjektive Überprüfung von Geltungsansprüchen erfordert dabei dreierlei: vergleichende Quellenkritik zur Bewusstmachung möglicher fremder und eigener Perspektivität; das Sichtbarmachen und die Relationierung fremder und eigener Werthierarchien und den ihnen „unterliegenden expliziten und impliziten Interessen“ (ebd.: 13); sowie die Bestimmung der Reichweite des Antwortformats. Die Ausformung einer artikulierenden Haltung setzt ansprechende didaktische Aufbereitung voraus, die den öffentlichen Auftritt ermöglicht, in dem sich Studierende intersubjektivem Diskurs und potentieller Kritik stellen müssen.
Um die Zusammenhänge zwischen theoretischem und didaktischem Modell zu verdeutlichen, wurde mit Abbildung 1 der Versuch unternommen, das von Marotzki et al. (2003: 7) abgebildete didaktische Modell um dessen theoretische Grundannahmen zu erweitern.
2.4 Conclusio
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Universität Wien sich im Zuge der durch den Bologna-Prozess eingeleiteten Neuarchitektur der europäischen Hochschulen auch mit virtuellen Lernumgebungen auseinandersetzen musste, wodurch auch über den Entwicklungsplan die universitätsweite eStrategie verankert wurde, die Blended Learning favorisiert, da es die Ausrichtung auf das Selbststudium fördert, wobei das zentralisierte Lernmanagementsystem Blackboard Vista favorisiert wird. Dies kann meines Erachtens durchaus kritisch betrachtet werden, da die Studierendenorientierung, die in der zweiten Phase der Implementierung vorangetrieben wird, durch die Verschiebung der Verantwortung jene Selbstökonomisierung vorantreibt, deren Ausschlusspotential sich bereits abzeichnet.
Bildungstheoretisches Fundament für diese Verlagerung sind kognitivistische und konstruktivistische Ansätze, die individuelle oder kooperative Selbststeuerung des Lernens der Fremdsteuerung vorziehen, wobei meines Erachtens unberücksichtigt bleibt, dass Lernen stets beide Komponenten aufweist. Im folgenden Abschnitt orientiere ich mich in der Analyse daher weniger an lerntheoretischen Ansätzen, als am didaktischen Modell von Marotzki et al., obwohl auch in diesem die Eigenleistung Lernender zentral gesetzt wird, es aber das Außen nicht ausschließt. Kritisch anmerken möchte ich, dass auch Marotzki et al. die Unterstützung der Nutzenoptimierung vorgeworfen werden könnte, da sie von Lernenden ausgehen, die durch den Durchlauf auf ein Ziel sinnbestimmt werden: Letztendlich soll auch bei ihnen das Verhalten sowie die Reflexion des eigenen Handelns und bestehender Werte in der digitalen Kultur eingeübt werden. Dennoch sehe ich in dem durch sie formulierten Anspruch an Bildung, der in der Förderung der Fähigkeit gesehen werden kann, bestehende Geltungsansprüche zu erkennen, in Frage zu stellen und sich zu ihnen und der sozialen Umwelt – auch öffentlich – verhalten zu können, sowie in den von ihnen dargelegten didaktischen Anforderungen, einen geeigneten Ausgangspunkt für die Analyse.
3 Bildungspraxis: Das Proseminar zu Politik der Entwicklung
Nach der theoretischen Rahmung e-gestützter Hochschullehre soll analysiert werden, ob die durch mich mitbetreute Lehrveranstaltung den durch Marotzki et al. (2003) formulierten Anforderungen gerecht wird. In einem ersten Schritt wird die Lehrveranstaltung und mein Bezug zu dieser kontextualisiert; im zweiten Schritt wird sie in ihrer Idee vorgestellt; im dritten Schritt erfolgt die Darstellung ihrer Realisierung. Dies soll ermöglichen, sie in einem vierten Schritt mit dem didaktischen Modell von Marotzki et al. zu verbinden, um sie in einem letzten Schritt beurteilen zu können. Dieses Vorgehen soll die Basis für die im anschließenden Abschnitt angestellten Überlegungen zu potentiellen Verbesserungen bilden, die in der Planung zukünftiger Lehrveranstaltungen Berücksichtigung finden könnten.
3.1 Kontext
Kritisch geprüft werden soll die Lehrveranstaltung 140012 des Sommersemesters 2008, das Proseminar zu Politik der Entwicklung: Nation-Building und Demokratie in Südostasien. Für Studierende des Individuellen Diplomstudiums „Internationale Entwicklung“ zählt es zu den Pflichtveranstaltungen des ersten Abschnitts. Es wird von Studierenden begleitend zur oder in Anschluss an die Vorlesung Einführung in die Politik der Entwicklung besucht und dient der Vertiefung der über diese Lehrveranstaltung vermittelten entwicklungspolitischen Inhalte. Angeboten wird es von mehreren Lehrveranstaltungs-LeiterInnen; im Sommersemester 2008 können vier thematisch unterschiedliche Proseminare besucht werden, die durch drei externe LektorInnen abgehalten werden.
Die für die Analyse herangezogene Lehrveranstaltung zählt zu den beiden Proseminaren, die im laufenden Semester von der Politikwissenschafterin Silvia Michal-Misak geleitet werden, die ich seit dem Wintersemester 2005/06 als Tutorin unterstütze. Es ist das sechste Proseminar, das ich begleite, und das ich zuvor als Studierende bei ihr absolviert habe. Auch die erwähnte Vorlesung habe ich nicht nur bei ihr besucht, sondern auch zwei Mal als Tutorin betreut. Die Lehrveranstaltungen von Michal-Misak, die seit 2004 am Projekt Internationale Entwicklung mitarbeitet, folg(t)en dem Blended Learning-Konzept der Universität Wien, wobei auch das empfohlene Lernmanagementsystem WebCT Vista bzw. Blackboard Vista verwendet wurde bzw. wird.
Da Michal-Misak zwei Proseminare pro Semester abhält, die zwar thematisch unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen folgen, sich aber in Idee und Umsetzung gleichen, stellt auch die Tutorin der alternativen Lehrveranstaltung eine zentrale Bezugsperson dar. Seit dem Sommersemester 2007 ist dies Stefanie Andruchowitz, mit der – so wie mit Michal-Misak – sehr erfolgreiche Zusammenarbeit besteht. Dabei erlaubt die Offenheit von Michal-Misak, uns aktiv an der Gestaltung und Realisierung der Lehrveranstaltung zu beteiligen.
3.2 Idee
Inhaltlich setzt sich die Lehrveranstaltung aus politikwissenschaftlicher Perspektive mit der entlang „westlicher“ Vorstellungen von Demokratie und Nation/Staat modellierten Demokratisierungswelle der 1970er-Jahre auseinander, in deren Folge sich in den südostasiatischen Staaten bis zur Jahrtausendwende nicht der erwartete politische Wandel einstellte. Gegenstand des Proseminars sind daher die hierfür anzusehenden Ursachen sowie deren Auswirkungen auf soziale Realitäten in ihren multifaktoriellen Voraussetzungen. Sein Ziel ist es, Studierende zu befähigen, komplexe endogene und exogene Ursachen und daraus resultierende aktuelle Problemlagen zwischen Nation-Building und Demokratisierung analytisch zu erschließen und zu verbinden. Erreicht werden soll dies über die Auseinandersetzung mit grundlegenden theoretischen Modellen und praktischen Analysen, für die Leitfragen, Analyseebenen und Analysekriterien formuliert wurden. Die Beurteilung Studierender erfolgt auf Basis der erbrachten Einzel- sowie Teamleistungen und ihrer Anwesenheit während der Präsenzphasen. Ziel der eLearning-Plattform ist es, Kommunikation, Informationsaustausch, Beratung und Administration zu unterstützen; auch ein Teil der Aufgaben wird über sie abgewickelt. (vgl. Michal-Misak 2008: 1 f.)
Angelegt ist die Lehrveranstaltung als Forschungsseminar, um Studierenden den Vorgang wissenschaftlicher Einzel- sowie Teamforschung näherzubringen (siehe Abbildung 2). In der ersten Einheit werden Forschungsteams zusammengestellt, die einen bestimmten Schwerpunktbereich des Rahmenthemas des Proseminars gemeinsam untersuchen sollen. Kommuniziert wird, dass es erforderlich ist, den Schwerpunktbereich in spezifische Problemlagen aufzuteilen. Ausgehend vom Schwerpunktthema des Teams, zu dem eine gemeinsame Fragestellung zu formulieren ist sowie drei Hypothesen aufzustellen sind, beschäftigen sich Studierende also auch mit Einzelforschung zu jeweils spezifischen Aspekten des Schwerpunktthemas, die sie unter einer gesonderten Fragestellung sowie drei Hypothesen bearbeiten. Dabei darf die Teamforschung nicht aus den Augen verloren werden, da die Einzelforschung zum Gesamtergebnis des Forschungsteams beitragen soll. Um an diesem anzugelangen, müssen die Einzelforschungsergebnisse zusammengeführt werden, um die gemeinsamen Hypothesen verifizieren bzw. falsifizieren zu können, was letztendlich erlauben sollte, die gemeinsame Fragestellung zu beantworten.
Nach einer einführenden Präsenzphase stehen Selbstudieneinheiten zur Verfügung, in denen der Forschungsprozess geplant, eingeleitet und dokumentiert werden soll, worauf Rückmeldung erfolgt. Danach haben die Forschungsteams Gelegenheit, ihre Erkenntnisse im Plenum darzulegen. Mitstudierende sollen dabei als WissenschaftlerInnen angesprochen werden, die zum selben Rahmenthema, aber mit anderer Schwerpunktsetzung geforscht haben. Damit wird eine wissenschaftliche Community hergestellt, die immer wieder zusammentrifft, um aktuelle Forschungsergebnisse auszutauschen und zu diskutieren.
3.3 Umsetzung
Im Sommersemester 2008 standen 14 Einheiten zur Verfügung (12 Präsenztermine und zwei Selbststudieneinheiten). Vor der Darstellung dieser, die ich in ihren drei unterschiedlichen Phasen vornehmen werde, möchte ich einige Bemerkungen voranstellen.
Erstens, dass alle in der Lehrveranstaltung eingesetzten bzw. während der Präsenzphasen gemeinsam erarbeiteten Dokumente über die eLearning-Plattform (in Folge Plattform) zur Verfügung standen. Diese waren durch Genauigkeit in der Erfüllung formaler Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens gekennzeichnet, um diese den Studierenden beispielhaft aufzuzeigen. Auch konnten diese als Vorlagen verwendet werden.
Zweitens, dass zum Proseminar ein Arbeitsbehelf erstellt wurde, der formal einer Seminararbeit entsprach, und in dem alle Anforderungen im Detail nachzulesen waren. Dieser konnte von der Plattform abgerufen und als Vorlage verwendet werden. Auch die Zitierregeln des Projekts Internationale Entwicklung sowie eine von Michal-Misak mit sehr gut beurteilte Proseminararbeit standen zur Verfügung. Zentrale Texte sowie Weblinks boten Möglichkeit für selbstgesteuerte thematische Orientierung; aufgrund bisheriger Erfahrungen jedoch nur in geringer Anzahl, um die Eigenrecherche zu aktivieren.
Drittens, dass die Plattform laufend aktualisiert wurde. So waren die wichtigsten Neuigkeiten, Erinnerungen an nächste Arbeitsschritte, Rückmeldungen über Erfolge, u.ä. auf der Startseite nachzulesen, auf der auch die Teamliste stand. Auch Studierende arbeiteten am Zuwachs zentral mit, da über die Diskussionsforen nicht nur Austausch erfolgte, sondern auch Teilarbeiten zu erfüllen waren, deren Ergebnisse allen zur Verfügung stehen sollten.
Viertens, dass für die einfachere Kommunikation innerhalb und zwischen den Teams die Gruppenfunktion der Plattform genutzt wurde. Dies ermöglichte, plattforminterne E-Mails über eine einzige Adresse an ein gesamtes Team zu versenden und die nach Bedarfsbekundung eingerichteten teameigenen Chaträume zu nutzen.
3.3.1 Vorbereitungsphase
Im ersten, durch die beiden Tutorinnen geleiteten Termin, wurden zentrale Inhalte, Design, Aufgabenstellungen, Arbeitsschritte sowie Beurteilungskriterien des Proseminars kommuniziert, die Plattform sowie das Schulungsangebot des Zentralen Informatikdiensts vorgestellt und die Aufteilung in Forschungsteams zu sechs Schwerpunkten (ausgewählte Länder Südostasiens) vorgenommen. Besprochen wurde die Einstiegsaufgabe, für deren Einreichung über die Plattform zwei Wochen Zeit war, und die sich aus der Lektüre der beiden einführenden Texte und der Formulierung dreier an diese anschließenden Fragen zusammensetzte. Studierende erhielten ein Handout, das die wichtigsten Daten zur Lehrveranstaltung sowie der Plattform zusammenfasste. Die Teams wurden gebeten, in die folgende Einheit eine vorläufige Teamforschungsfrage mitzubringen.
Der zweite durch die beiden Tutorinnen geleitete Termin war Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens sowie dem Forschungsprozess des Proseminars gewidmet. Besprochen wurde der Umgang mit Quellen, begleitet von einer Online-Übung zur Recherche wissenschaftlicher Artikel in der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek der Universität Wien. Dies sollte Studierenden das Auffinden eines für ihre Einzelforschung relevanten Fachartikels erleichtern, der Mitstudierenden – begleitet von einem Abstract – über die Plattform zur Verfügung zu stellen war, und auch in die Proseminararbeit eingearbeitet werden musste. Dem Forschungsprozess wurde viel Zeit gewidmet, um die mit ihm verbundenen Arbeitsschritte in deren Verflechtung zu verdeutlichen. Dargelegt wurden auch die Anforderungen an das Teamkonzept, für dessen Abfassung fünf Wochen zur Verfügung standen, und an die Einzelforschungsvorhaben, deren Entwürfe nach sieben Wochen eingereicht werden mussten. Abschließend wurde Onscreen die vorläufige Fragestellung eines Teams gemeinsam bearbeitet, bis eine analysefähige Formulierung erreicht war, wonach drei Hypothesen aufgestellt wurden. Danach wurden damit verbundene, mögliche zu bearbeitende Aspekte für Einzelforschungen überlegt und zu einem von diesen eine Forschungsfrage und drei Hypothesen spezifiziert.
In der dritten Einheit wurden angeleitet durch die Lehrveranstaltungsleiterin die Einstiegstexte und die durch Studierende formulierten Anschlussfragen diskutiert. Darauf aufbauend wurde von Michal-Misak die Thematik vertiefend erschlossen; erörtert wurden die mit ihr verbundenen zentralen Begriffe im historischen Verlauf und die aktuellen Problemlagen der Region.
Der vierte Termin war dem Rahmenthema entsprechenden politikwissenschaftlichen Ansätzen gewidmet, die durch die Lehrveranstaltungsleiterin voneinander abgegrenzt wurden. Danach wurden die Analyseebenen und Analysekriterien erarbeitet, die in den Länderanalysen der Teams herangezogen werden sollten.
3.3.2 Arbeits- und Feedbackphase
In Folge war die erste Selbststudieneinheit angesetzt, deren Ergebnis ein Teamkonzept über das gemeinsame Forschungsvorhaben sowie die geplante Gestaltung einer Proseminareinheit war, und in dem die Themen der Einzelforschungen expliziert wurden. Ein Diskussionsforum diente dem Upload, wodurch die Teamkonzepte allen zugänglich waren und kommentiert werden konnten. Zu diesen erging in der folgenden Präsenzeinheit mündliches Feedback in Teamgesprächen. Die folgende Selbststudieneinheit diente der Ausarbeitung der Einzelforschungsexposés, auf die von Michal-Misak schriftliches Feedback erfolgte. Zum achten Termin fand eine Exkursion in das Vienna International Center statt. In der darauf folgenden Woche musste auf der Plattform das individuelle „Konferenzpapier“, die Proseminararbeit, als persönliche Aufgabe eingereicht werden.
3.3.3 Artikulationsphase
Die letzten sechs Präsenztermine wurden durch die Forschungsteams übernommen, denen in Aufgabenverteilung und Gestaltung größtmöglicher Freiraum überlassen blieb. Betont wurde, dass nur ein Bruchteil der gewonnenen Erkenntnisse vermittelt werden kann, wodurch die Leistung in der erfolgreichen Selektion der wichtigsten Aspekte des Schwerpunktthemas sowie der Verdeutlichung ihrer Zusammenhänge liege. Leitfrage dieses Prozesses sei daher: „Was inkludieren wir, worauf können (bzw. müssen) wir verzichten?“ Für die 45 Minuten, die den Teams zur Verfügung gestellt wurden, waren mit der Einschränkung, dass die wissenschaftliche Herangehensweise nicht verloren gehen durfte, alle Präsentationsformate möglich, wobei auf visuelle Unterstützung – zwischen Tafelbild und Multimediaeinsatz – nicht verzichtet werden durfte. Nicht erlaubt waren Einzelbeiträge, Referate oder langatmige Monologe. Die verbleibenden 45 Minuten waren der Diskussion vorbehalten, für die auch drei Impulsfragen vorzubereiten waren. Wie die Gesamtzeit eingeteilt wurde, wie viele der Teammitglieder redeten und wie sie die anderen ProseminarteilnehmerInnen einbinden wollten, wurde freigestellt. Mitgebracht werden musste ein „Konferenzdokument“, d.h. ein Handout, das Fragestellung und Hypothesen der Teamforschung, zentrale Inhalte der Einheit sowie ein Literaturverzeichnis enthalten musste. Dieses wurde im Anschluss an den Termin von den Teams über die Plattform zur Verfügung gestellt, die auf diese Weise auch zusätzliche Materialien veröffentlichen konnten.
3.4 Analyse
Um die vielschichtigen Prozesse anhand des didaktischen Modells von Marotzki et al. analysieren zu können, möchte ich diese den drei oben beschriebenen Haltungen zuordnen.
Die Förderung einer objektivierenden Haltung gelingt meines Erachtens sowohl über die individuellen als auch über die kooperativen Aufgabenstellungen, da sie erfordern, dass Studierende faktisches und prozedurales Wissen aufbauen bzw. nutzen müssen, das sie in Folge kontextualisieren und strukturieren müssen. Sowohl als Team als auch als EinzelforscherIn ist es notwendig, den aktuellen Forschungsstand zu Schwerpunkt- und Einzelthema zu recherchieren und zu überlegen, ob die Quellenlage es erlaubt, den Wunschthemen nachzugehen, wofür Zusammenhänge zwischen den erhobenen Daten hergestellt bzw. als nicht existent anerkannt werden müssen. Hilfreich ist das kollaborative Arbeiten, da durch den Austausch ausgewogenere Quellen Verwendung finden. Gemeinsam bzw. einzeln muss auch selektiert werden, welches Material im Forschungsvorhaben verwendet werden kann bzw. welches ausgeschieden werden sollte. Vor allem die Teamaufgabe stellt hohe Anforderungen, da die EinzelforscherInnen ihren je spezifischen Wissensstand untereinander in Bezug setzen müssen, und ihnen im gemeinsamen analytischen Vorgehen ein hohes Maß an Komplexitätsreduktion abverlangt.
Auch die Herstellung einer performativen Haltung wird meines Erachtens durch die individuellen und kooperativen Aufgabenstellungen unterstützt, wofür der Prozesscharakter des Proseminars und die frühe Problemorientierung durch die Forschungsfragen sowie Hypothesenbildungen wichtig sind. Hier kommt der Austausch im Team zu tragen, der die intersubjektive Prüfung von Geltungsansprüchen erleichtert; Studierende gehen dadurch kritischer mit Quellen um, reflektieren eher Perspektivitäten und unterstützen sich in der Offenlegung unterschiedlicher Werthierarchien. Als besonders wichtig hat sich in dieser Hinsicht erwiesen, dass stets die Möglichkeit zur Beratung besteht, die in der normativen Genese besonders intensiv genutzt wird. Enorm hilfreich erweist sich auch das kontinuierliche Feedback zum Forschungsprozess; Studierende werden meines Erachtens dadurch entlastet. Selbst wenn „alles passt“, tut es gut, dies auch gelegentlich bestätigt zu bekommen.
Die Einnahme einer artikulierenden Haltung wird meines Erachtens besonders gefördert. Einerseits kann dies auf das ExpertInnentum zurückgeführt werden, das durch die frühe Abgabe der Proseminararbeit erlangt wird, da es Sicherheit für den öffentlichen Auftritt verleiht. Studierende sind nicht nur in der Vermittlung der gemeinsamen Forschungsergebnisse sattelfester, sondern bringen ihre individuellen Wissensbestände in die Diskussion ein und können auf anschließende Fragen souverän antworten. Sie beziehen kritischer Stellung und begegnen geäußerter Kritik gelassener. Obwohl in der obigen Darstellung der Artikulationsphase die „Verbote“ überwiegen mögen, zeigen sich in den Umsetzungen der Teams eher die Freiräume, die sich anbieten und die durchgängig genutzt werden. Besonders überraschend ist hierbei, mit welchen enormen Anstrengungen Studierende auf die Offenheit hinsichtlich Aufgabenverteilung und Gestaltung antworten. Die didaktische Aufbereitung der Inhalte ist von hoher Qualität, die Wahl der Präsentationsformate vielfältig und in der Regel multimedial.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Lehrveranstaltung-Design damit den zentralen Bildungsanliegen des theoretischen Modells von Marotzki et al. in Wissensaufbau, Kritikfähigkeit und Ausdrucksfähigkeit entgegenkommt. Kritisch anmerken lässt sich, dass in der ersten Hälfte des Proseminars hoher Druck besteht, den Leistungsanforderungen gerecht zu werden, was auch im Zuge der im Wintersemester 2007/08 durchgeführten Evaluierung durchaus ambivalent kommentiert wurde. Dennoch sind die Rückmeldungen – für mich recht überraschend – überwiegend positiv; die zweite Hälfte wird durch die gute Vorbereitung und den Spaß an der Gestaltung der Einheit dadurch wesentlich entspannter empfunden und vor allem der unmittelbare Abschluss des Proseminars zu Semesterende ohne einer noch zu erledigenden Arbeit begrüßt. Auch die Offenheit hinsichtlich Aufgabenverteilung könnte kritisch betrachtet werden: Während positive gruppendynamische Prozesse meist auch im Plenum sichtbar werden, bleiben dysfuniktionale eher unsichtbar.
3.5 Conclusio
Die Kontextualisierung der Lehrveranstaltung verweist auf den Erfahrungshorizont der Lehrveranstaltungsleiterin und deren kooperative Haltung gegenüber ihren Tutorinnen, die sich aktiv in die Gestaltung und Realisierung der Proseminare einbringen können. Die ihnen bereits in der Vorbereitungsphase sichtbar eingeräumte Position ermöglicht Studierenden, die Tutorinnen als geeignete Ansprechpartnerinnen zu erkennen, wodurch sich der Betreuungs- und Arbeitsaufwand besser verteilen lässt, was meines Erachtens für das als Forschungsprozess angelegte Design der Lehrveranstaltung unerlässlich ist.
In der Beschreibung der Umsetzung des Proseminars treten die abwechselnden instruktions- und konstruktionsorientierten Phasen zutage, daher lässt sich die Lehrveranstaltung lerntheoretisch keinem der drei beschriebenen Idealtypen zuordnen. Am ehesten entspricht sie den Ansätzen situierten Lernens, die kognitivistische und konstruktivistische Annahmen verknüpfen (vgl. Tulodziecki 2000: 60).
Aus didaktischer Perspektive scheint es gerechtfertigt zu behaupten, dass das Design der Lehrveranstaltung den durch Marotzki et al. formulierten Ansprüchen gerecht zu werden, auch wenn die Anforderungen an Studierende wie Lehrveranstaltungsleiterin und Tutorinnen als sehr hoch eingeschätzt werden können. Die Rückmeldungen von Studierenden und die Zufriedenheit von Michal-Misak und ihren Unterstützerinnen scheinen das Format aber zu bestätigen. Insgesamt kann im Vergleich zu früheren Konzeptionen festgehalten werden, dass sich eine Verbesserungen der Qualität aller zu erbringenden Leistungen ergeben hat. Zurückgeführt werden kann dies meines Erachtens auf
- den prozessualen Charakter, der eine eingehendere Auseinandersetzung stärkt, die Konsistenz der Forschung erhöht und die Arten und Weisen der Vermittlung der angeeigneten Erkenntnisse diversifiziert;
- die Offenheit der Gestaltungsmöglichkeiten in der Artikulationsphase, die multimediale Präsentationsformen auf hohem didaktischen Niveau zur Folge haben; und
- die durchgängige Betreuung, die Studierenden nicht nur zu einer reflexiveren Haltung im Forschungsprozess führt, sondern ihnen auch Sicherheit verleiht.
Trotz der positiven Veränderungen sollten die potentiell negativen Implikationen des Lehrveranstaltungs-Designs nicht aus dem Blick rücken; diese könnten im hohen Druck der ersten Hälfte des Proseminars erkannt und in möglicherweise unerkannten dysfunktionalen Gruppenprozessen vermutet werden.
4 Resümee
under construction
Literaturverzeichnis
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Weblinks
- Das eLearning Center Universität Wien wird durch das Projektzentrum Lehrentwicklung betreut. In diesem eigens eingerichteten virtuellen Raum laufen zentrale Informationen sowie Dokumente der universitären eStrategie zusammen, und stehen Dokumentation und Materialien zur Verfügung: http://elearningcenter.univie.ac.at/
- Die Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien betreibt das Projekt innovative lehre, das sich mit Neuen Medien in der Hochschullehre auseinandersetzt: http://innovation.philo.at/
- Das Büro Support Neue Medien des Zentralen Informatik Diensts der Universität Wien, das für die technische Unterstützung universitären eLearnings eingerichtet wurde, bietet vor allem technische Information und Schulungen, wobei für letztere hilfreiche Unterlagen über die Handhabung der unterschiedlichen Lernmanagementsysteme zur Verfügung gestellt werden: http://www.univie.ac.at/ZID/elearning/
- In der Zeitschrift Comment des Zentralen Informatik Diensts der Universität Wien werden regelmäßig Informationen rund um die eStrategie publiziert: http://comment.univie.ac.at/
- Auch in der Online-Zeitschrift bildungsforschung wird regelmäßig zur Thematik veröffentlicht. Die jüngste Ausgabe (Dezember 2007) war dem Schwerpunkt Technologie verändert die Bildungsforschung gewidmet: http://www.bildungsforschung.org/bildungsforschung
- Die Publikationen der Fachzeitschrift MedienPädagogik befassen sich mit medienpädagogischer Theoriebildung sowie empirischer Medienforschung und behandeln auch die Thematik des eLearning: http://www.medienpaed.com/zs/
- Im Auftrag des bm:ukk wird die Initiative e-teaching-austria.at betrieben, die computergestützten Unterricht und Laptopklassen fördern soll. Das Portal verlinkt zu weiteren österreichischen Initiativen, wie z.B. zur e-LISA academy und eLearning Austria: http://www.e-teaching-austria.at/
- Auf europäischer Ebene besteht beispielsweise eLene-TT (eLearning network for Teacher Training), ein Projekt, das durch die Europäische Kommission finanziert wurde, und in dem sich europäischer Universitäten zusammenschlossen, um Hochschullehrende ein virtuelles Trainingsangebot und Ressourcen zur Verfügung zu stellen: http://www.elene-tt.net/
- Das European Distance and E-Learning Network (EDEN) stellt neben Informationen und Publikationen rund um die europäischen ePolitiken auch das European Journal of Open, Distance and E-Learning zur Verfügung: http://www.eden-online.org/
- Das offizielle Portal der Generaldirektion Bildung und Kultur der Europäischen Kommission, das nach eigener Angabe „zur Förderung des Einsatzes von IKT für lebenslanges Lernen“ eingerichtet wurde, hat folgende Adresse: http://www.elearningeuropa.info/main/index.php?page=home
- Eurydice, das Informationsnetz zum Bildungswesen in Europa der Europäischen Kommission, bietet auch Publikationen rund um die ePolitiken: http://www.eurydice.org/portal/page/portal/Eurydice
- Die hilfreichste Übersicht zu europäischen eStrategien findet sich bei EurActiv.com, ein unabhängiges ein Webportal, das alle Politikbereiche der Europäischen Union abdeckt. Zu den Themen werden nicht nur offizielle Dokumente der EU verlinkt, sondern auch Positionen anderer AkteurInnen. Zum Stichwort eLearning beispielsweise: http://www.euractiv.com/en/education/elearning/article-117475
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