Wittgenstein über Kalkül (Code)

Aus Philo Wiki
Version vom 1. Mai 2008, 18:53 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge) (first)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu:Navigation, Suche

MS 109, S. 221 ff

Was heißt es ein Gesetz in einer Reihe von Erscheinungen wahrnehmen?

Der Ausdruck einer allgemeinen Regel ist auch ein Zeichen das in einem Kalkül gebraucht werden muß (nur anders als andere Zeichen).

Die Grammatik besteht aus solchen allgemeinen Regeln. Und es ist nichts zwischen dem Ausdruck dieser Regeln und dem Resultat ihrer Anwendung.

Was geschieht wenn wir die allgemeine Regel die eine Reihe von Fällen beherrscht herausfinden und anschreiben? Wenn ich etwa die Fälle 1/1, 2/4, 3/9 sehe und sage die Regel sei n/n2

Wenn ich aber nun von der allgemeinen Regel Gebrauch mache, wie kommt sie in diesem Gebrauch vor? Wenn ich z.B. a a c b nach der Regel

        a | d
        b | e
        c | f
       in d d f e übersetze ---

In welcher Weise mache ich von dem Zeichen der allgemeinen Regel Gebrauch? Da ist es klar daß dieses Zeichen (wieder) nicht magisch wirkt oder wie ein medizinisches Mittel; sondern es hat nur Sinn im Gegensatz zu anderen Zeichen desselben Systems etwa

        a | r
        b | s
        c | t.

Das muß sich auch zeigen wenn ich mir z.B. etwas notiere und mit Zeichen die gewöhnlich nicht in Gebrauch sind. Ich wollte mir etwa rasch die Zahl der männlichen und weiblichen Hörer im Zimmer notieren und machte dazu für jeden Mann ein Kreuz für jede Frau einen Strich ins Notizbuch; auch diese Notiz ist eine solche nur in einem System, das ich mir geschwind für mich zurechtgelegt habe.

Auch jede Erklärung die ich gebe (welcher Art immer) ist eben eine Erklärung die sagt daß es so ist im Gegensatz zu einem anderen Fall, daß es so ist (und nicht anders). Dieses so muß eben in einem Raum von anderen Möglichkeiten gesehen werden. Es ist der Fall des Zeigens an einen Ort, wenn man etwa sagt „hier ist ein roter Fleck”. Dieses Zeigen zeigt an einen Ort im Gegensatz zu anderen Orten oder richtiger im Gegensatz zum übrigen Raum. Der Hinweis durch das Zeigen muß als ein Fall in einem System von Hinweisen, oder des Hinweisens, verstanden werden.

Aber kann ich ein System als solches verstehen ohne mich in ihm zu bewegen? Andrerseits aber erschöpft doch keine Bewegung die Möglichkeiten des Systems? Brauche ich also wirklich eine Bewegung um das System zu verstehen? Es ist der analoge Fall der Erklärung eines formalen Gesetzes durch die Aufzählung einiger Glieder einer Reihe etwa 1, 8, 27, 64,

Natürlich das Zeichen eins Satzsystems bezeichnet es nur im Gegensatz zu anderen Systemen und setzt selbst ein System voraus. (Interne Relation die nur besteht wenn ihre Glieder da sind.)

Ich überlege mir, der wievielte heute ist und sage mir in Gedanken vor: „Montag der 10te Dienstag der 11te Mittwoch der 12te Donnerstag der 13te”. Und schreibe die ‚13’. Bei Montag der 10te schwebt mir vor eine Einladung die ich für diesen Tag hatte, und derentwegen ich mir dieses Datum gemerkt hatte.

Das Denken als Ganzes und seine Anwendung geht sozusagen automatisch vor sich. Wieviele Zwischenstufen ich auch zwischen den Gedanken und die Anwendung setze, immer folgt eine Zwischenstufe der nächsten und die Anwendung der letzten ohne Zwischenglied. Und hier haben wir den gleichen Fall, wie wenn wir zwischen Entschluß und Tat durch Zwischenglieder vermitteln wollen.

Die Verbindung unseres Hauptproblems mit dem epistemologischen Problem des Wollens ist mir schon früher einmal aufgefallen. Wenn in der Psychologie ein solches hartnäckiges Problem auftritt so ist es nie eine Frage nach der tatsächlichen Erfahrung (eine solche ist immer viel gutmütiger) sondern ein logisches, also eigentlich grammatisches Problem.

Warum die grammatischen Probleme so hart und scheinbar unausrottbar sind weil sie mit den ältesten Denkgewohnheiten d.h. mit den ältesten Bildern, die in unsere Sprache selbst geprägt sind, zusammenhängen.

Ich habe eine bestimmte Vorstellung, und dann kommt jemand zur Tür herein. Aber warum nenne ich nun die Vorstellung die ich hatte „ die Vorstellung daß dieser Mensch zur Tür hereinkommen werde”? Aber so verwenden wir die Sprache eben.


Ms 110, S. 201 ff

Was für das Wort „Sprache” gilt muß auch für den Ausdruck „System von Regeln” gelten. Also auch für das Wort „Kalkül”.

Ist es da übrigens nicht merkwürdig, daß die Mathematiker immer mit der Feder auf dem Papier arbeiten? Und warum z.B. nie mit kontinuierlichen Farbübergängen?

Wie bin ich denn zum Begriff ‚Sprache’ gekommen? Doch nur durch die Sprachen die ich gelernt habe.

Aber die haben mich in gewissem Sinne über sich hinausgeführt, denn ich wäre jetzt im Stande eine neue Sprache zu konstruieren z.B. Wörter zu erfinden. Also gehört diese Methode der Konstruktion noch zum Begriff der Sprache. Aber nur wenn ich ihn so festlege.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Der Begriff: sich einander etwas mitteilen. Wenn ich z.B. sage: ‚Sprache’ werde ich jedes System von Zeichen nennen, das Menschen untereinander vereinbaren um sich miteinander zu verständigen, so könnte man hier schon fragen: Und was schließt Du unter dem Begriff ‚Zeichen’ ein?                                                                                                                                                                                  

Immer wieder hat mein „u.s.w.” eine Grenze.

Was nenne ich „Handlung”, was „Sinneswahrnehmung”?

Die Worte „Welt”, „Erfahrung”, „Sprache”, „Satz” „Kalkül”, „Mathematik” können alle nur für triviale Abgrenzungen stehen wie „essen”, „ruhen”, etc..

Denn wenn auch ein solches Wort der Titel unserer Grammatik wäre etwa das Wort „Grammatik” so hätte doch dieser Titel nur dieses Buch von anderen Büchern zu unterscheiden.

Allgemeine Ausführungen über die Welt und die Sprache gibt es nicht.

Nachtrag: Ich

sage einen Satz „Ich sehe einen schwarzen Kreis”; aber auf die Wörter kommt es doch nicht an; sagen wir also statt dessen „a b c d e”. Aber nun kann ich nicht ohne weiteres mit diesen Zeichen den oberen Sinn verbinden (es sei denn daß ich „a b c d e” als ein Wort auffasse und dies als Abkürzung des oberen Satzes). Diese Schwierigkeit ist doch aber sonderbar. Ich könnte sie so ausdrücken: Ich bin nicht gewöhnt statt ‚ich’ ‚a’ zu sagen und statt ‚sehe’ ‚b’, statt ‚einen’ ‚c’, etc.. Aber damit meine ich nicht, daß ich, wenn ich daran gewöhnt wäre, mit dem Wort „a’ sofort das Wort ‚ich’ assoziieren würde; sondern daß ich nicht gewohnt bin ‚a’ an der Stelle von ‚ich’ zu gebrauchen in der Bedeutung von ‚ich’.

Ich halte meine Wange, und jemand fragt, warum ich es tue und ich antworte: „Zahnschmerzen”. Das heißt offenbar dasselbe, wie „ich habe Zahnschmerzen”, aber weder stelle ich mir die fehlenden Worte im Geiste vor, noch gehen sie mir im Sinn irgendwie ab. Daher ist es auch möglich, daß ich die Worte „ich habe Zahnschmerzen” in dem Sinne ausspreche, als sagte ich nur das letzte Wort oder, als wären die drei nur ein Wort.



zurück zu Code: Kommunikation und Kontrolle (Vorlesung Hrachovec, 2007/08)