"ein paar Zentimeter"

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Version vom 6. Februar 2006, 13:11 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge)
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Schön wär's. Das Problem bei Diskussionen, an denen zwei oder mehrere Parteien mit gefestigten Standpunkten teilnehmen, liegt ja gerade darin, dass das nicht möglich zu sein scheint. Es mag für jemanden, der sich durch das Erweitern seines persönlichen Horizonts selbst definiert, ein erstrebenswertes Ziel sein - das Aufgeben oder Aufweichen des eigenen Standpunkts ist es mit Sicherheit für viele nicht (siehe auch: Ratziners Artikel). Bei der aktuellen Diskussion geht es ja schließlich auch nicht darum, gemeinsam zu einem Kompromiss oder, noch unvorstellbarer, zu einer wie auch immer gearteten gemeinsamen Wahrheit zu kommen, sondern darum, "keinen Zentimeter abzuweichen". Vielleicht deshalb, weil ein Abweichen als erster von vielen Schritten in die falsche Richtung gesehen wird (das halte ich persönlich für die wahrscheinlichste Begründung für das Festhalten an gewissen Positionen; Diese Strategie lässt sich auch sehr gut am Verhalten der katholischen Kirche beobachten, ohne auf sie einzudreschen zu wollen. Aber die strikte Ablehnung z.B. von Verhütungsmitteln wie Kondomen spricht hier Bände. Es erscheint schier irrational, die Verwendung von Präservativen als mit dem Glauben unvereinbar zu erklären, betrachtet man die Erlaubnis derselben aber als ersten Schritt bzw. als Aufweichen der eigenen Position, wird diese Haltung verständlicher, wenn auch für viele Nichtgläubige nicht unbedingt akzeptabler).

Ich möchte behaupten, dass es schlicht und einfach gewisse Themen gibt, die von den beteiligten Akteuren nicht konsensorientiert diskutiert werden können, sei es aus Gründen der Politik, der Religion oder deshalb, weil Veränderungen in gewissen Bereichen nicht in einem Zeitraum stattfinden, der von einzelnen gehandhabt werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass keine Konflikte zwischen Meinungen stattfinden sollen, schließlich sind diese u.a. eine treibende Kraft für Veränderung. Aber der für eine Veränderung der Standpunkte nötige Zeitraum ist zu groß, um zu einem Ergebnis zu kommen, das von den aktuell Beteiligten auch als solchges erkennbar ist. - Ismael 13.Jan 2006 17:45

Dieses Abweichen geht in Richtung "fremder Gründe". Tatsächlich kann man da "den Boden unter den Füßen verlieren". Das aufgeklärte Europa ist Karikaturen religiöser Figuren gewohnt. Dass damit religiöse Sensibilitäten verletzt werden, ist verständlich. Es ist genau ein Kennzeichen der säkularen Gesellschaft, das zuzulassen (im Unterschied zum Desinteressse). Die Fremdheit der Gründe beginnt dort, wo solche Karikaturen verboten und verfolgt werden und steigert sich natürlich, wenn sie "Gründe" zum Warenboykott oder zu Sachbeschädigungen werden. An solchen Stellen kollabiert das Konstrukt der mehrschichtigen Negation auf das Schema Freund/Feind.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Schwierigkeit, diesem Schema, wenn es mir aufgedrängt wird, zu entgehen. Eine Passantin in Beirut ist in diesem Muster gefangen, ob sie es will, oder nicht. Diese Prägung zu leugnen, ist illusorisch. Die Aufgabe, aus einer solchen Engführung herauszufinden, beginnt immer wieder von vorne. --anna 12:56, 6. Feb 2006 (CET)

Ich halte es nicht für richtig, bei Toleranz von Zweiseitigkeit zu sprechen. Es ist vielmehr notwendig, sich den Toleranzbegriff, dort wo er verwendet werden soll, langsam auf der Zunge zergehen zu lassen und genau zu überlegen, wo er angewendet werden darf, und wo er zu einer Verfremdung des Problems führt. Bei dem Thema der „EU – Plakate“ geht es nicht darum diese Art von Kunst zu tolerieren, es geht einzig um den Ort ihrer Platzierung. Diese hat aber zweifellos einen politischen Hintergrund, und Politik ist nicht der Ort für Toleranz. In der Politik geht es um Vertretung von Standpunkten. Wendet man beim Thema der „Plakate“, den Toleranzbegriff an, führt dies meines Erachtens zu einer Verfremdung des Problems, denn die Frage, ob es sich dabei um Kunst handelt, und ob diese Art von Kunst zu tolerieren ist, stellt sich überhaupt nicht. – Zur Erinnerung, Polt: „Ich höre immer nur Toleranz, Toleranz…(handelt es sich dabei um ein Modewort?)…, wo bleiben die Standpunkte!“. (Magdalena, 17.01.06)



@magdalena: "In der Politik geht es um Vertretung von Standpunkten." - Für mich schließt das Toleranz nicht unbedingt aus. Man kann doch auch in der Politik sagen "Ja, das ist dein Standpunkt, meiner ist ein anderer, und ich denke wegen [Argumente einfügen] ist meiner Richtig". Das kollidiert für mich nicht mit dem stehen lassen der für einen selber nicht nachzuvollziehenden Gründen. Ich weiß schon, dass die Rhetorik aus der politischen Rede entstanden ist und eine ihrer Grundzüge das Überreden ist (danke Prof. Vetter :) ) aber meine Idee von. Politik ist nicht das gegenseitige Niederbeten mit den eigenen Glaubensbekenntnissen ohne Rücksicht auf Verluste... --Uschebti 17:36, 17. Jan 2006 (CET)

ich würde uschebtis antwort an magdalena unterstreichen und verstärken: ohne standpunkte kann es keine toleranz geben. erst wenn jemand einen anderen standpunkt hat den ich nicht nachvollziehen kann und dieser andere standpunkt dann auch noch meinem standpunkt widerspricht kann ich dazu kommen von toleranz zu reden. wenn ich keinen standpunkt habe können wir gar nicht erst widersprüchliche standpunkte haben. wenn wir standpunkte haben die einander nicht widersprechen, in welchem punkt sollen wir uns dann noch gegenseitig toleranz zeigen können?

kann man ein paar zentimeter von seiner meinung abweichen? welche folgen hat das für möglich toleranz-vorhaben? wenn wir davon ausgehen, dass sich mein standpunkt aus meinen meinungen zusammensetzt, dann verändere ich meinen standpunkt wenn ich meine meinung verändere. grundsätzlich muss ich meinen standpunkt überhaupt nicht verändern um tolerant sein zu können (es sei denn mein standpunkt beinhaltet, dass ich mir andere meinungen niemals anhöre oder versuche zu verstehen). Bei einem intesiven meinungsaustausch kommt es meiner meinung nach oft zu (wenn auch kleinen) veränderungen (oder erweiterungen) der eigenen meinung. Ismael, ich stimme dir in dem punkt zu, dass es themen gibt, die nicht konsensorientiert diskutiert werden können. Aber ich verstehe nicht ganz warum für eine veränderung von einem standpunkt viel zeit vergehen muss. Natürlich ist es nicht immer leicht neue ansichtsweisen, vielleicht auch neue beweise, aufzunehmen, aber ich habe durchaus schon erlebt, dass menschen aufgrund eines eindeutigen gegenbeipiels ihre meinung geändert haben. Dass es einer institution wie der kirche einerseits schwerfällt neues aufzunehmen und noch viel schwerer fällt zuzugeben, einen neuen standpunkt zu beziehen, will ich nicht bestreiten. Aber das heisst noch lange nicht, dass eine standpunktveränderung lange dauern muss. Sarah 25. Jan 2006


Ich frage mich an dieser Stelle, ob es tatsächlich notwendig ist, daß ich den anderen Standpunkt "nicht nachvollziehen kann". Mir scheint die einzige Bedingung für die Möglichkeit von Toleranz zu sein, daß die zwei Standpunkte einander widersprechen. Es ist in der Diskussion immer wieder darauf hingewiesen worden, daß Nachvollziehbarkeit für Toleranz förderlich ist, ohne hinreichend zu sein, aber mir scheint, daß der Kern der Sache, die du hier angesprochen hast, ganz ohne irgendein Nachvollziehbarkeitskriterium auskommt. -- H.A.L. 22:45, 25. Jan 2006 (CET)

PS: Das Editorfenster legt mir soeben freundlich nahe, diese Seite in kleinere Abschnitte zu unterteilen. Glaubt ihr, daß sich eine sinnvolle Aufteilung in Diskussionsbeiträgen zum Thema "Nachvollziehbarkeit" und solche zum Thema "Möglichkeitsbedingungen" denken ließe?


Mir scheint auch, dass es für Toleranz nicht nötig ist, den eigenen Standpunkt zu verändern. Erforderlich ist die Bereitschaft, Handeln aus "fremden Gründen" in einem politischen Zusammenhang unsanktioniert zuzulassen. Faktisch ist es allerdings kaum vorstellbar, dass die Bereitschaft, unnachvollziehbare Schlussfolgerungen als "Gründe" anzuerkennen, ohne eine gewisse Flexibilität im eigenen Verständnis von "Gründen" auskommt.

Der Unterschied zwischen Gründen und "fremden Gründen" liegt darin, dass erstere verständlich, aber eventuell nicht schlüssig ("nachvollziehbar") sind, während bei den zweiten schon die Verständlichkeit als Gründe Schwierigkeiten bereitet. --anna 13:10, 6. Feb 2006 (CET)


@ Magdalena, ich glaube, deine Äußerung "Politik ist nicht der Ort für Toleranz" würden manche gern in Stein meißeln.

@ Uschebti: nach meinem Verständnis ist Rhetorik die Lehre der Glaubwürdigkeit und ein Rhetoriker trachtet danach zu überzeugen. Überreden ist Sache der Sophisten und derer gibt es allerdings mehr als genug. (Der Begriff "Rhetorik" kam über die Jahrzehnte zu Unrecht in Misskredit und ich finde es ist an der Zeit ihn zu resignifizieren).

Toleranz, Toleranz ... ist scheinbar ein Begriff den man theoretisch fassen möchte, aber praktisch nicht anwenden kann. Weil Politik ihre eigenen Regeln hat, weil der Markt die Kunst definiert und weil es immer zwei Positionen gibt, die nicht „aufgeweicht“ werden dürfen.

Wo soll dann bittesehr Toleranz ausgeübt werden?

--Talkative 18:51, 17. Jan 2006 (CET)





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