Negationsformen (T)

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Oppositionen

Wichtig zur Analyse von Konflikten ist die Beobachtung, dass wir das Wörtchen "nicht" (das Negationszeichen) unterschiedlich verwenden. Zwischen folgenden drei Gebrauchsweisen bestehen signifikante Unterschiede:

  • die Negation als Operator in einem bipolaren Zusammenhang
  • als Verwerfung eines bipolaren Zusammenhangs
  • und "überladen": als Vehikel des bipolaren und trans-polaren Umschaltens (im Unterschied zu: "hat damit nichts zu tun")


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Es gibt Konflikte

  • weil die Rechnung nicht bezahlt ist: Eintrittsgeld
  • weil etwas als verrechenbar betrachtet wird: Kirchenmusik
  • weil (Nicht-)Bezahlung mit Unbezahlbarkeit kollidiert: Eintrittsgeld für Kirchen

Eine Typologie von Konflikten könnte so aussehen


ja/nein Sachkonflikt, einfache Opposition
ja/aber Sachkonflikt, Sachdivergenz
ja/und sachliche Einigung, Erweiterung
ja-nein/und Ergänzung auf unentschiedener Sachbasis (Tractatus)
ja/ja zwei aufeinander unbezogene Positionen (aneinander vorbei)


Klare Verhältnisse in Wittgensteins "Tractatus"

Der Tractatus legt eine einzige, alle Sprachausdrücke reglementierende Logik der Weltbeschreibung fest. Sie beruht auf Elementarsätzen, welche die Welt abbilden. Zwei Eigenschaften sind dabei hervorzuheben:

  • Jedes Bild ist auf wahr oder falsch festgelegt
  • Die Bilder sind voneinander unabhängig
4.21 Der einfachste Satz, der Elementarsatz, behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes.
4.211 Ein Zeichen des Elementarsatzes ist es, daß kein Elementarsatz mit ihm in Widerspruch stehen kann.
4.22 Der Elementarsatz besteht aus Namen. Er ist ein Zusammenhang, eine Verkettung, von Namen.
4.221 Es ist offenbar, daß wir bei der Analyse der Sätze auf Elementarsätze kommen müssen, die aus Namen in unmittelbarer Verbindung bestehen.

...

5.134 Aus einem Elementarsatz läßt sich kein anderer folgern.
5.135 Auf keine Weise kann aus dem Bestehen irgend einer Sachlage, auf das Bestehen einer, von ihr gänzlich verschiedenen Sachlage geschlossen werden.

Damit sind die grundlegenden Sinn-Einheiten der Kommunikation nach innen dualistisch verfasst und extern voneinander isoliert. Einem positiv/negativ-Verhältnis steht ein Alteritäts-Verhältnis gegenüber.

Es ist nämlich schwer das was nicht der Fall ist nicht zu verwechseln mit dem was stattdessen der Fall ist. (Tagebuch 25.11.1914)

Eine genauere Darstellung findet sich in einer Lerneinheit zu Wittgensteins Bildbegriff.

Es ist komplizierter

Wittgensteins Auffassung im Tractatus sieht ausschließlich bipolare Negationen vor. Der nächste Schritt ist seine Entdeckung der Negation in einem Kontinuum. "Schwarz/Weiss" funktioniert unter den passenden Annahmen bipolar, wie verhält es sich aber mit "Grün/Blau"? Grün ist nicht blau, aber damit wird ein internes Verhältnis zwischen Positionen im Farbraum angesprochen. Grün ist anders nicht-blau als es nicht 10 Meter hoch ist.

In meiner alten Auffassung der Elementarsätze gab es keine Bestimmung des Wertes einer Koordinate; obwohl meine Bemerkung daß ein farbiger Körper in einem Farbenraum ist etc. mich direkt hätte dahin bringen können.
Eine Koordinate der Wirklichkeit darf nur einmal bestimmt werden.
Wenn ich den allgemeinen Standpunkt darstellen wollte, würde ich sagen: "Man darf eben über eine Sache nicht einmal das eine und einmal das andere sagen". Diese Sache aber wäre die Koordinate der ich einen Wert geben kann und nicht mehr.
Es stellt die Sache falsch dar wenn man sagt man dürfe einem Gegenstand nicht zwei Attribute beilegen die miteinander unvereinbar sind. Denn so scheint es, als müsse man in jedem Falle erst untersuchen ob zwei Bestimmungen mit einander vereinbar seien oder nicht. Die Wahrheit ist (eben) daß zwei Bestimmungen derselben Art, [ich sollte hier ein gebräuchliches Wort setzen] unmöglich sind.
Unsere Erkenntnis ist eben, daß wir es mit Maßstäben und nicht quasi mit isolierten Teilstrichen zu tun haben.
Jede Aussage bestünde dann gleichsam im Einstellen einer Anzahl von Maßstäben und das Einstellen eines Maßstabes auf zwei Teilstriche ist unmöglich.
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Das wäre z.B. die Angabe daß ein farbiger Kreis von der Farbe NN und dem Radius ... an der Stelle ... liegt. Man könnte an die Signale im Schiff denken "Stop, volle Fahrt etc."
Es müssen übrigens nicht Maßstäbe sein denn eine Scheibe mit den Signalen "frei" und "besetzt" kann man keinen Maßstab nennen. Es kann auch eine Scheibe sein halb schwarz halb weiß.
Was nicht so sein kann, kann anders sein. ((?))
Auch Sätze die durch "und" mit einander verbunden sind schließen sich innerlich zusammen.
Daß alle Sätze die Zeit in irgend einer Weise enthalten scheint uns zufällig im Vergleich dazu daß auf alle Sätze die Wahrheitsfunktionen anwendbar sind.
Das scheint mit ihrem Wesen als Sätzen zusammenzuhängen das andere mit dem Wesen der vorgefundenen Realität.
Wahr-Falsch und die Wahrheitsfunktionen hängen mit der Darstellung der Wirklichkeit durch Sätze zusammen. Wenn einer sagte: ja woher weißt Du daß die ganze Wirklichkeit durch Sätze darstellbar ist so ist die Antwort: Ich weiß nur daß sie durch Sätze darstellbar ist soweit sie durch Sätze darstellbar ist und eine Grenze ziehen zwischen einem Teil der und einem Teil der nicht so darstellbar ist kann ich in der Sprache nicht. Sprache heißt die Gesamtheit der Sätze.
Man könnte sagen: Satz ist das worauf sich die Wahrheitsfunktionen anwenden lassen. Die Wahrheitsfunktionen sind der Sprache wesentlich. (MS 108, 53. 1929)


Die Hasenente

Ein gutes Beispiel für unterschiedliche Sichtweisen, die einander ausschließen, überlagern oder gar nicht berühren können, ist eine Figur, die Wittgenstein öfters beschäftigte:


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Die Analyse dieser Graphik muss mit mehreren Schichten operieren.

  1. "Die Skizze stellt einen Hasen dar."
  2. "Die Skizze stellt eine Ente dar."
  3. "Das ist ein Autograph Ludwig Wittgensteins."

In welchem (Negations-)Verhältnis stehen diese Behauptungen zueinander? Handelt es sich um Sätze im bipolaren Gebrauch? Dann würden sie einander wie "bezahlt" und "nicht bezahlt" ausschließen. Aber eine Ente ist als Nicht-Hase unpassend beschrieben. Es handelt sich um eine andere Sache, die von der Hasenbetrachtung sozusagen nicht erreicht wird. Die Ente ist "jenseits der Hasensicht". Allerdings nicht so weit entfernt, wie die Bemerkung (3). Zwischen (1) und (3) besteht kein Widerspruch, wohl aber zwischen (1) und (2). In diesen zwei Sätzen artikuliert sich ein Sachkonflikt.


Werbung und Weihe

Über Hasen- und Entenbilder wird kaum ein Prozess geführt werden. Näher am Tagesgeschehen ist ein Plakat der Firma Girbaud, das den Justizapparat beschäftigt hat.


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