Dialektik: Dogmatismus und Toleranz

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Version vom 2. November 2005, 22:49 Uhr von Jakob (Diskussion | Beiträge) (Etwas Intoleranz ist unvermeidlich)
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Sartre zur Passivität

ich erlaube mir, ein zitat von sartre aus seinem hauptwerk "das sein und das nichts" hierher zu setzen. möglicherweise ermöglicht es für ein paar von euch, von einem etwas anderen blickwinkel aus zu phantasieren; ihr könnt das zitat tolerieren oder für fehl am platz halten

[Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, 8. Aufl., Hamburg, 2002, S.29f]

"Was ist die Passivität? Ich bin passiv, wenn ich eine Veränderung erleide, deren Ursprung ich nicht bin - das heißt weder der Grund noch der Schöpfer. So erträgt mein Sein eine Seinsweise, deren Quelle es nicht ist. Nur, um etwas ertragen zu können, muß ich immerhin existieren, und daher befindet sich meine Existenz immer jenseits der Passivität. 'Passiv ertragen' ist zum Beispiel ein Verhalten, das ich durchhalte und das meine Freiheit ebenso engagiert wie im Fall des 'Entschieden-Zurückweisens'. Wenn ich immer 'derjenige-der-beleidigt-worden-ist' sein soll, muß ich in meinem Sein fortdauern, das heißt, daß ich mich selbst mit der Existenz affiziere. Aber gerade dadurch mache ich mich gewissermaßen für mein Beleidigtsein verantwortlich und nehme es auf mich, höre ich auf, ihm gegenüber passiv zu sein. Daraus ergibt sich folgende Alternative: entweder bin ich nicht passiv in meinem Sein, dann werde ich zum Grund meiner Affektionen, auch wenn ich zuerst nicht ihr Ursprung gewesen bin - oder aber ich bin bis in meine Existenz hinein von Passivität affiziert, mein Sein ist ein empfangendes Sein, und dann fällt alles ins Nichts. So ist die Passivität ein doppelt relatives Phänomen: relativ zur Aktivität dessen, der handelt, und zur Existenz dessen, der leidet..."

es stellt sich für mich vorab noch eine frage: kann überhaupt ein antagonismus zwischen dogmatismus und toleranz bestehen? müssten wir nicht zuallererst die beiden begriffe etymologisch definieren und herleiten? ich bin ja der festen überzeugung, der mensch wäre am tage seiner erscheinung zugrunde gegangen, wäre er nicht dogmatiker gewesen. die these impliziert natürlich, dass es zugleich, als notwendiges korrelat, einen tolerierenden geben muss. (alles im bereich der zwischenmenschlichen kommunikation).

(ein weiteres mal) rhetorisch gefragt: ist toleranz nicht die folge eines reflexiven bewusstseins, dass eine entscheidung (in der reflexion) trifft? (im gegensatz zum dogmatismus, der (oft) unreflektiert zu tage tritt)

--Flinkerhamster 14:39, 31. Okt 2005 (CET)


Toleranz ist selbst umstritten

„. . . die these impliziert natürlich, dass es zugleich, als notwendiges korrelat, einen tolerierenden geben muss.“

ein dialektisches experiment: wir setzen einen standpunkt (position, überzeugung) und als seine antithese einen dazu diametralen standpunkt. als aufhebende synthesis (sie negiert beide positionen, bewahrt sie und hebt sie auf eine gleichsam höhere stufe) setzen wir das konzept der „toleranz“. dieses manöver entspricht dem argumentationsgang lessings. es beruht nicht nur auf den voraussetzungen „historisierung“-“abstraktion“-“vertagung“, sondern auch auf der augenscheinlich unhaltbar gewordenen annahme, dass das toleranzprinzip sich nicht selbst antithetisch zur philosophie der standpunkte verhält. die aggression religiöser extremismen gilt jedoch nicht nur anderen religiösen standpunkten sondern wesentlich auch der vermeintlichen mediationsinstanz „demokratie“, die im konflikt selbst zur ideologischen position gerät.
auch der richter aus lessings ringparabel hat gewissermaßen einen ring. die formel „Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurtheilen freyen Liebe nach!“ zieht unter diesen umständen nicht mehr, da die rechtsprechende instanz ihre autorität eingebüßt hat.
die antithesen lauten folgerichtig vielmehr: standpunkte versus relativismus. die aufhebende synthese . . .

lukas 22:31, 31. Okt 2005 (CEST)


Der Hinweis auf die dialektische Logik ist hilfreich und betrifft ein schwieriges Thema. Man kannt die drei Formen des "Aufhebens" und kann auf diese Weise das Verhältnis von Antagonismen ordnen/bewältigen. Ausserdem lädt diese Sicht auch zur Bemerkung ein, dass es heute wohl kaum auf diese Weise geht. (Die Punkte nach "aufhebende Synthese). Ich werde im Verlauf der Vorlesung u.a. auf das Negationsproblem bei Wittgenstein und den "Widerstreit" bei Lyotard zu sprechen kommen. Für hard core Philosophinnen (m/w) lohnt sich vielleicht ein Blick auf Negation, Unterschied, Mannigfaltigkeit, einige Anmerkungen zum Negationsverständnis Hegels.

Der Analyse von Lukas stimme ich zu: der strategische Aufstieg um eine Reflexionsstufe wird nicht mehr unwidersprochen als Unparteilichkeit anerkannt. Das wirft ein nächstes Thema auf: die Logik von Objekt- und Metaperspektive. Sie wird uns in der Beschäftigung mit dem "Toleranzprinzip" Rudaolf Carnaps beschäftigen.

--anna 21:02, 1. Nov 2005 (CET)


Etwas Intoleranz ist unvermeidlich

Einige Gedanken zur bisherigen Diskussion: Allgemein wird der Toleranzbegriff hier meiner Meinung nach zu absolut gesehen. Es wird schließlich nicht nur von Toleranz gesprochen, wenn ich etwas total/absolut toleriere, sondern auch, wenn ich Kompromisse eingehe, d.h. auch wenn ich zumindest teilweise auf meinem Standpunkt bleibe, kann ich tolerant handeln. Das führt wiederum zu folgender These, dass Intoleranz (die ebenso wenig unbedingt absolut ist) nicht grundsätzlich als negative Eigenschaft - ja ganz im Gegenteil - sogar als Notwendigkeit für reflektierende Lebewesen, wie wir Menschen es nun mal sind, anzusehen ist. Indem ein Lebewesen aufhört ausschließlich instinktiv zu handeln und sich somit auch über sein Handeln + Konsequenzen bewusst ist, wird es zwangsweise intolerant. Sobald ich eine Meinung habe – und ich traue mich zu behaupten, dass jedes reflektierende Lebewesen eine Meinung hat, egal ob aus dogmatischen Quellen oder aus Reflexion heraus – bin ich intolerant. Selbst wenn ich Maßnahmen gegen Intoleranz treffen will, bin ich zumindest der Intoleranz gegenüber intolerant. Die Frage ist also nicht, ob ich tolerant sein soll oder nicht, weil ich eben nie vollkommen tolerant (und übrigens genauso wenig vollkommen intolerant) sein/handeln kann, sondern in welchem Maß ich tolerant sein/handeln soll oder inwieweit es für mein eigenes Sein überhaupt möglich ist. Dasselbe gilt für sämtliche von Menschen geschaffenen Institutionen, Gruppierungen, Religionen, Parteien, etc.: Intoleranz sichert ihre Existenz, es gäbe ja ohne Intoleranz für sie überhaupt keinen Grund zu sein. Das meine ich in dem Sinn, dass sich ja niemand für etwas einsetzen bräuchte, was sowieso unwiderlegbar gegeben ist. --gregs

Keine Frage: Es kann uns weder gelingen, unsere Ansprüche stets und in ihrer Gesamtheit durchzusetzen, noch, sämtliche Ansprüche zu akzeptieren oder tolerieren. Das eigentliche Problem ist jedoch in meinen Augen, wie sich angesichts dieses Sachverhaltes ein schlüssiger, nicht regressiver oder selbstwidersprüchlicher Imperativ der Toleranz begründen läßt. --Jakob 16:13, 2. Nov 2005 (CET)

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir diesen ‚Imperativ der Toleranz’ überhaupt begründen müssen, da die Notwendigkeit eben dieser durch das tägliche Leben besteht und jeder von uns jeden Tag zwangsweise tolerant bzw. intolerant ist. Und –nebenbei bemerkt- sind in jeder Sache so viele Standpunkte vorhanden, dass die Toleranz gegenüber dem einen zwangsläufig Intoleranz gegenüber eines anderen auslöst. Natürlich sage ich auch ich wäre gegen Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und (lassen wir einmal beiseite, dass dies schon wieder Intoleranz ist) begründe das teilweise mit Menschenrechten (in Fragen von Religion etc.) und der persönlichen Überzeugung, dass meine Freiheit dort aufhört, wo sie einen anderen in der seinen stört. Übergänge sind auch hier fließend. --Lucia

Wenn wir ohnehin nur „zwangsweise tolerant bzw. intolerant“, sprich: in Sachen Toleranz innerlich oder äußerlich determiniert sind, haben wir nur leider das in meinen Augen recht unangenehme Problem, daß wir Toleranz überhaupt nicht mehr fordern oder einklagen können. Man mußte eben so oder so, tolerant oder intolerant handeln. Folglich kann man ihr bzw. ihm auch keinen Vorwurf mehr machen, weil sie oder er intolerant war. Natürlich kann man sagen: Wir brauchen gar kein schlüssiges Konzept von Toleranz, die Menschen handeln ohnehin so oder so. Nur verschließen wir uns damit recht weitgehend die sinnvolle Möglichkeit der Bewertung, Begründung und Forderung von Handlungsweisen überhaupt.--Jakob 22:49, 2. Nov 2005 (CET)




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