Wissen und Geld (tphff)

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Wissen, Geldrahmen, Geldbetrag

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The Guardian Weekly 06.01.1210, S. 29


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Unvergleichbarkeiten und Vergleichsrahmen

Zwischen Dingen und Tätigkeiten bestehen in den meisten Fällen massive Unterschiede.

  • Pullover und Gartenschläuche
  • Kochrezepte und Wiegenlieder
  • Kuchenbacken und Schneeschaufeln

Andererseits ist es üblich, Dinge und Tätigkeiten in numerischen Systemen zu erfassen.

  • Sozialversicherungsnummer
  • Wohnadressen
  • Google Maps
  • Nutzgewicht

Zum Zweck der Beförderung sind eine Kiste und ein Kleinkind austauschbar.


Käufliches Wissen

Bezahlung für Information ist weit verbreitet.

  • eine Nummer am Rubbellos
  • eine Fahrplanauskunft
  • ein Audioguide
  • ein Programmheft

Es wird nicht als anstößig empfunden, dass die Ergebnisse jahrelanger Arbeit (eine Habilitation aus dem Jahr 1970) um 12.90 € (de facto 6.45 €) angeboten werden. Wie dieser Preis zustand kommt, und in welchem Verhältnis er zu einem Wert steht, ist eine eigene Frage. Das Buch ist jedenfalls eine Ware. Es ist auch nicht einfach "Information", sondern Ergebnis wissenschaftlicher Tätigkeit. Das kommerzielle Verlagswesen ist in diese Praxis eingebunden.


Geld als Maßsystem und als Zahlungsmittel

Einerseits sind die meisten Dinge nicht miteinander kommensurabel, darunter Wissen und Geld. Andererseits behandeln wir sie oft als austauschbar, z.B. kaufen wir Habilitationsschriften oder Sprachunterricht.

In geisteswissenschaftlichen Stellungnahmen wird oft mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass Grundlagenwissenschaft keinen direkten ökonomischen Nutzen aufweist und darum im Verteilungskampf oft schlecht abschneidet Das Demokratiedilemma (OSP). Ein Pathos des "Nutzens der Nutzlosigkeit" wird erzeugt. Käuflichkeit erscheint als Abwertung:

  • Käufliche Liebe
  • Käufliche Justiz
  • Käufliches Wissen

In der Orientierung über das Verhältnis von Wissen und Geld ist zwischen drei Positionen zu unterscheiden.

Der Zahlungsverkehr
"Getrocknetes" Wissen wird gegen eine Geldsumme getauscht. In dieser Praxis wird eine Äquivalenz realisiert.
Der Geldrahmen
Die Voraussetzung für die praktizierte Äquivalenz ist ein Rahmen, innerhalb dessen Gegebenheiten vergleichbar werden. Das kann ein Punktesystem für Emmissionsschäden sein. Die Wirtschaft beruht auf dem System der monetären Vergleichbarkeit. So wie das Funktionieren eines Aufzugs darauf beruht, dass die transportierten Gegenstände die Nutzlast nicht überschreiten.
Jenseits des Geldrahmens
Es kann in Zweifel gezogen werden, ob der Geldrahmen eine adäquate Betrachtungsweise ist. So wie darauf hingewiesen wird, dass die Austauschbarkeit einer Kiste und eines Kleinkinds im Aufzug nichts über die Beschaffenheit dieser zu transportierenden Entitäten sagt.

Beachtet man diese Unterscheidungen, so sind zwei Inkommensurabilitäten zwischen Wissen und Geld festzuhalten.

  • Ein Geldbetrag gehört zu einer anderen Kategorie, als ein Rahmen, der festlegt, dass etwas gegen Geld getauscht werden kann.
  • Die Betrachtung eines Dings unter der Vorgabe eines Geldrahmens kann zurückgewiesen werden. In diesem Fall ist der Geldbetrag inkommensurabel zum Wissen, weil die Vergleichsbasis geleugnet wird.

Der Verkauf von Wissensgütern ist gängige Praxis. Er ist möglich, weil er wirklich ist. Das heisst nicht, der Hinweis auf die Inkommensurabilität sei ohne Grund. Die Einbeziehung der Wissensproduktion in das monetäre System versteht sich nicht von selbst. Die Betrachtung einer Habilitationsschrift als Geldwert ist etwas anderes, als ihre Verknüpfung mit einem Preis. Und schließlich lassen sich Betrachtungsweisen finden, von denen aus der Geldrahmen die Beschaffenheit des Themas gänzlich verfehlt.


Umverteilung

Diese Überlegungen betreffen Marktverhältnisse, in denen freier Austausch auf der Grundlage eines einheitlichen Bezugssystems (Geldrahmen) herrscht. Weder im individuellen Leben, noch im Staat, gehorcht alles diesem Maß. Gutes Wetter für einen Ausflug kann man nicht kaufen, ebensowenig wie die Sicherheit eines Atomkraftwerkes. Genauer: Es gibt in diesen Fällen zwar einen finanziellen Aspekt. Eine Flugzeugreise (in Schönwettergebiete) oder eine neue Reaktorarchitektur kosten Geld und verbessern die Situation. Aber sie ändern nichts daran, dass die genannten Situationen für Marktmechanismen teilweise unzugänglich sind.

In modernen Staaten wurde bisher eine Anzahl von Lebensbereichen aus politischen und prinzipiellen Gründen weitgehend vom Markt getrennt:

  • Polizei und Landesverteidigung
  • Justiz
  • Gesundheit
  • Transport- und Kommunikations-Infrastruktur
  • Bildung

Sowohl die öffentliche Sicherheit, als auch das Universitätswesen kosten Geld. Zu den Regeln des Sozialstaates gehört es, dass diese Kosten nicht von Individuen in Märkten aufzubringen sind. "Gated communities" und Leibwächter sind Beispiele bezahlter Sicherheit, sie werden jedoch als Zusatzleistung verstanden. Es ist nicht vorgesehen, dass Polizisten sich bei privatem Geldmangel auf die Straße stellen und Strafgeld von zufällig vorbeikommenden Autofahrerinnen einheben.

Beim Thema Studiengebühren geht es (wie bei der Rezeptgebühr), darum, das Verhältnis der Kostenbeteiligung im Bildungssektor zwischen staatlichen Leistungen (also dem Steueraufkommen) und privater Finanzierung zu verschieben. Naturgemäß wehren sich die bisherigen Nutznießerinnen der Subventionierung aus dem allgemeinen Steueraufkommen gegen das Ansinnen, dieser speziellen Gruppe mehr Geld abzuverlangen. Es spricht allerdings einiges dafür, dass die Privilegien der öffentlichen Finanzierung des Hochschulwesens den sozialen Schichten nicht in gleicher Weise zu Gute kommen, sondern nach wie vor die Besserverdienenden bevorzugen.

So verständlich in diesem Zusammenhang die Verteidigung des Besitzstandes ist, so fragwürdig ist der Hinweis auf die Inkommensurabilität zwischen Bildung und Geld.