DALIK, Margarete (Arbeit2)

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

DISKUSSION (2.Arbeit DALIK, Margarete)

Schriftliche Arbeit für die Übung zur Ringvorlesung vom 30.Oktober 2008

  • verfasst von Margarete Dalik; Matr.Nr. 7200559


Ausgehend vom Vortrag von Prof. Liessmann, in dessen Zentrum die bekannte Fabel von dem Philosophen stand, der beim Betrachten des Sternenhimmels in eine Zisterne gefallen und daraufhin von einer thrakischen Magd verlacht worden war, soll im Folgenden auf ein bemerkenswertes Buch der italienischen Philosophin Adriana Cavarero hingewiesen werden. Die Autorin lehrt Philosophie an der Universität Verona und zählt zu den wichtigsten feministischen Philosophinnen Italiens. Sie ist Begründerin der Gemeinschaft von Philosophinnen „Diotima“ und veröffentlichte 1990 in der gleichnamigen Schriftenreihe den Aufsatz „Und die Magd lachte“. In ihrem Buch Platon zum Trotz entwirft sie das Bild eines möglichen anderen Anfangs der Philosophie, in der die Gegenwart weiblichen Denkens spürbar wird. Vier Frauengestalten der Antike, Penelope, die thrakische Magd, Demeter und Diotima leisten dabei gleichsam Geburtshilfe für ein Denken des Unterschiedes der Geschlechter. In der Einleitung weist die Autorin auf die Vielfältigkeit, die symbolische Kraft und Wirksamkeit der Darstellung von besonderen Gestalten in der abendländischen Kultur hin. Gestalten wie Ödipus, Odysseus oder Don Juan wirken in verschiedenen Perspektiven durch die Jahrhunderte (so z.B. Ödipus bei Freud, Odysseus bei Adorno oder Don Juan bei Kierkegaard). In diesem „Theater der Gestalten“ läuft die Rollenverteilung für den Hauptdarsteller und die Nebenfiguren immer nach einem sich wiederholenden Schema ab : „Ein männliches Subjekt, das sich zwar als allgemein oder neutral erklärt, spricht seine eigene Zentralität aus. Dieses männliche Subjekt gibt als Hauptfigur nach dem eigenen Maß den sie umgebenden Gestalten. ihren Sinn.“ Die Darstellung des Weiblichen findet sich nur in ergänzender Weise als Bezugsperson der sie bestimmenden Männergestalt (dies ist zum Beispiel für Odysseus Penelope, für Zeus Hera, für Faust Gretchen). Jede dieser Frauengestalten hat in dem vorgegebenen Szenario unweigerlich eine „Rolle“ zu spielen, deren Sinn von patriarchalisch entworfenen Regeln vorgeschrieben wurde. Das männliche Subjekt will sich als solches wiedererkennen, Frauen sind dagegen nie ihr eigenes Subjekt, sondern Objekt des Denkens anderer. Cavarero fordert in ihrem Buch ein radikales Umdenken, das von der Realität der zwei Geschlechter ausgeht. Dieses Umdenken entlarvt den Ursprung der Allmachtsträume des männlichen Geistes und verwehrt sich dagegen, weibliches Denken als Sonderfall des eigentlichen, d.h. männlichen Denkens und als bloßes Beiwerk abzutun. Es geht nicht um bloße Anpassung oder um eine Korrektur des männlich konzipierten Frauenbildes, was nur eine neue Verortung der Frau als funktionale Untergattung des Menschen bedeuten würde. Nicht zufällig bedeutet im Italienischen: uomo = Mann und gleichzeitig Mensch, uomini = Männer, Menschen. Bei ihren Überlegungen geht es Cavarero weniger um die Forderung der Gleichberechtigung, als um „pensiero della differenza sessuale“, einer Theorieform, die den Unterschied der Geschlechter zum Ausgangspunkt weiblichen Selbstbewusstseins machen will. In ihrem Buch weist sie immer wieder auf die Kraft der Sprache und die damit verbundene Möglichkeit, das Denken nachhaltig in eine bestimmte Richtung zu prägen, hin. Weiters besticht das Werk durch die höchst originelle Weise, an altehrwürdige Denkgebäude und deren Repräsentanten heranzugehen. Cavarero bezeichnet ihre Vorgangsweise als einen „Raubzug“, den sie begeht, indem sie antike Frauengestalten aus dem platonischen Denkgewebe herauslöst, um sie symbolisch von der Willkür patriarchalischer Ordnung zu befreien. „Denn hier, im Horizont des Geschlechtsunterschieds, ist der erste Name der Philosophie nicht das EINE, sondern die ZWEI. Und diese ZWEI bringt lebende Menschen zur Sprache.“ Die thrakische Dienstmagd Wie auch den Thales, o Theodoros, als er, um die Sterne zu beschauen, den Blick nach oben gerichtet in den Brunnen fiel, eine artige und witzige thrakische Magd soll verspottet haben, dass er, was am Himmel wäre, wohl strebte zu erfahren, was aber vor ihm läge und zu seinen Füßen, ihm unbekannt bliebe. In den meisten Interpretationen wird das Lachen der Thrakerin als Ausdruck der Verständnislosigkeit einfacher Leute gegenüber der philosophischen Denkweise und als Gegenteil der kontemplativen Haltung des Denkers verstanden. Interessant ist der Perspektivenwandel mit entgegen gesetzter Wertigkeit, der, je nach Autor, die beiden Figuren dieser Erzählung begleitet. Bei Platon ist die Thrakerin eine junge, hübsche und ausländische Dienerin. Bei anderen Autoren gibt es, je nachdem ob Misogynie oder antimetaphysische Einstellung vorherrschen, Variationen von der boshaften, zahnlosen Alten bis zu dem weisen männlichen (!) Alten. Für die Auslegung ist somit nicht die Person, sondern die jeweiligen Attribute bedeutsam. Cavarero verdeutlicht, dass der Frau das Recht auf einen Ort autonomer Bedeutung abgesprochen wird. Eben jene Unsichtbarkeit des weiblichen Geschlechts stellt die Grundlage jeder möglichen Misogynie dar. Die Verleugnung einer gleichwertigen Existenz der Frau beginnt schon bei der Entwertung der Geburt. Nach einer zentralen These von Luce Irigaray funktioniert die abendländische Philosophie und somit auch unsere Gesellschaft und unsere Kultur: „auf der Basis eines Muttermordes“ . Die Geburt durch die Mutter, die gleichsam die Schwelle für jede neue, unverwechselbare und geschlechtlich definierte Existenz bedeutet, wird im antiken Denken vergessen. Es wird jedoch niemals „der Mensch geboren, sondern einzelne Frauen und Männer, die durch die Entbindung von einer Mutter einen konkreten Erscheinungsraum erhalten“. und in diesem eine erste Beziehung erleben. In der Philosophie Platons spielen immer wieder spezielle Räume und Verortungen des Menschen eine wichtige Rolle. Im Höhlengleichnis ist unschwer die Geburtsmetaphorik zu erkennen, die hier benützt wird um die Philosophie als „Ausgeburt der niedergekommenen männlichen Seele zu enthüllen“ . Hannah Ahrendt zeigt die Zentralität des Todes im antiken Denken auf und setzt ihr den Begriff der „Natalität“ entgegen. Wenngleich sie selbst dabei nicht die Mutterschaft ins Zentrum setzt, sondern die griechische Sichtweise der Geburt aus dem Nichts neu fasst, bewirkt sie dennoch eine grundlegende perspektivische Umkehr. Der Blick auf die Geburt lässt eben den Ort erkennen, von dem sich der männliche Blick in der abendländischen Philosophie abgewandt hat, um den Tod als angstbesetzten Maßstab jedes menschlichen Seins zu bestimmen. Schon Thales gibt dem Denken eine bestimmte Richtung vor. Den vergänglichen Erscheinungen werden die ewigen Gesetze der Sterne, die weder der Geburt noch dem Tod ausgesetzt sind, gegenübergestellt. Zwei Welten zeichnen sich ab, die eine die Welt der Erscheinungen, die in ihrer Bedeutung auf bloßes „Scheinen“, das heißt auf Unbeständigkeit und Täuschung reduziert ist. Die andere, die Welt des reinen Denkens findet später bei Platon mit dem „Sein der seienden Dinge“, in dem Begriff der Ideen seine Entsprechung. Doch schon bei Parmenides wird die Kluft zwischen Sein und Erscheinung radikal verdichtet und die völlige Trennung von abstraktem Denken und direkter Welterfahrung durchgeführt. Der Philosoph findet im Bereich des reinen Denkens seine Heimat, während das Leben und die Erscheinungen zum Nichts erklärt werden. Alle sinnlich erfahrbaren Eigenschaften des Lebens verschwinden, weil sie als bloßer Schein gelten. Platon hebt später in Abgrenzung zu Parmenides das „Nichtseiende“ in die Kategorie des Verschiedenen und öffnet dadurch einen Bereich für das Vielfältige, die Trennung zwischen Wahrheit und Lebenswelt bleibt bestehen. Cavarero vertritt nun die Meinung, dass es die unerträgliche Angst vor dem Tod ist, die diese Verzerrung der Perspektive bewirkt. Wandel und Veränderung werden nicht als positive Chiffren des Lebens gesehen, sondern als qualvoller Hinweis auf die Unausweichlichkeit des Todes. Bei Platon gehört der Tod zwar zur Erfahrung des Menschen, aber nur zu jenem körperlichen Teil, der ohnehin als Kerker der Seele fungiert, die alsbald befreit im Reich der ewigen Ideen ihre Heimat findet. In der „Idee des Menschen“ verliert sich nicht nur die Einmaligkeit jeden Wesens, sondern auch vor allem die weibliche Geschlechtsidentität. Der „Mensch“ wird in seinem Wesen als denkfähig und vernunftbegabt bezeichnet. Tritt der Mensch zufällig als Frau in die Welt, so wird dieser Umstand sofort mit „einem körperlichen Mangel und einer Depotenzierung des Denkvermögens“ assoziiert. Zusammengefasst kann das Lachen der Thrakerin weit mehr bedeuten, als es vordergründig zeigt. Sie lacht nicht nur über das Missgeschick desjenigen, der im blinden Vertrauen auf seine mögliche Annäherung an das Wahre in den Brunnen fällt. Sie lacht als Frau im klaren Bewusstsein des Umstandes, dass sie im Reich dieser Philosophie keinen Ort von eigener Bedeutung findet und sie holt ihre Kraft aus der Welt, in der ihre Existenz als eigenständiges Individuum mit einer geschlechtlichen Identität wurzelt.


Zurück