Martin Seel: Eine Ästhetik der Natur

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Martin Seel, Eine Ästhetik der Natur, (Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1991).


„…Die ästhetische Bejahung der Natur ist eine Form der Bejahung menschlicher Freiheit“ (1)


In seiner Studie zur „Ästhetik der Natur“ untersucht Seel verschiedene Möglichkeiten naturästhetischer Erfahrung. Dabei wird angenommen, dass sich die naturästhetischen Ergebnisse einer solchen Untersuchung mit umweltethischen Ansprüchen verbinden lassen. Ausgangspunkt ist für Seel eine Einsicht in den Kontrast von Natur und Kultur: Erst die subjektive Distanz zur Natur konstituiert die ästhetische Erfahrung des Menschen in ihrer Variabilität; aus der Distanz der Kultur zur Natur und ihrer phänomenalen Besonderheit erklärt sich sein Begriff der „freien Natur“ im Sinne der Unverfügbarkeit. In ihrem Nicht-gemacht-sein ist ästhetische Erfahrung der Natur „Gegenerfahrung zur Sphäre des kulturellen Sinns.“

„Wie immer sie von Menschen geprägt und zurechtgemacht sei, die spezifische Attraktion der korresponsiven Natur rührt daher, dass die konkrete, individuell gewordene […] gewachsene […] sich regende Gestalt ihrer Erscheinungen nicht gemacht ist […] Ihr ästhetischer Sinn ist kein Erzeugnis, sondern ein Ereignis, das die konstitutive Absichtslosigkeit ihrer Bildungen zur Voraussetzung hat.“ (2)


Ästhetische Erfahrung der Natur als „Gegenerfahrung zur Sphäre des kulturellen Sinns“

Der Frageansatz Seels ist zunächst nicht der nach einem angemessenen Verhältnis zur Natur sondern der nach den grundsätzlichen Möglichkeiten eines solchen Verhältnisses. Seel unterscheidet 3 Möglichkeiten einer (nicht-instrumentellen) naturästhetischer Erfahrung. Die drei Kategorien verweisen jeweils auf den Umstand, dass Anerkennung der Natur nur im Zustand der menschlichen Trennung von der Natur möglich ist und eben dieser entspringt das ästhetische Erleben als „versuchte Nähe“. Darüber hinaus gründet Seels ethischer Anspruch der „Anerkennung des Anderen“ in eben diesem Getrenntsein von Natur.


Als Kontemplation wird diejenige Naturwahrnehmung bezeichnet, die ziel- u. interesselos versinkt in ein „ausdruckslose[s] Spiel der Erscheinungen“. Ordnungszusammenhänge, Deutungsspielräume etc. spielen keine Rolle. Korrespondenz bezeichnet demgegenüber eine Erfahrung die die Anschauung bereits überschritten hat. Die ästhetische Erfahrung (z.B. einer Landschaft) steht nicht für sich sondern veranschaulicht ein anderes. Sie ist das „Anschaulichsein des existenziellen Gutseins der in dieser Natur möglichen Formen des Lebens.“ (3) Seels Argumentation läuft darauf hinaus, dass die subjektiven Erfahrungen von ästhetischen Naturphänomenen durch ihre emotive Eindringlichkeit geeignet sind, moralische Einstellungen zu festigen. In der Imagination als ästhetischer Einstellung wird durch die Loslösung von der vorgegebenen Bedeutung die Autonomie des Objekts aufgezeigt. Natur kann unter einer Perspektive der kunstbezogenen Phantasie betrachtet werden, d.h. Natur kann auch als Kunst erscheinen.


Freie Natur und menschliche Freiheit

Ästhetische Erfahrungen können nach Seel nicht nur Qualitäten beschreiben, die zu einem guten Leben gehören, sondern auch eine Struktur dafür vorstellen, was als gutes Leben, was als Freiheit verstanden werden kann.

„Die Wirklichkeit des Naturschönen zeichnet sich dadurch aus, dass sie beides gegenwärtig sein lässt: die ausdruckshafte Gegenwart einer verlockenden Lebenssituation und die anschauliche (kontemplative oder imaginative) Distanz zur ästhetischen Identifikation mit ihr. Im sinnfälligen Zugleichsein dieser Positionen ergibt sich die zweite Korrespondenz. Sie besteht nicht wie die erste zwischen Entwurf und Welt, sie besteht zwischen menschlicher Orientierungsfreiheit und phänomenaler Welt.“ (4)

Von Eva Auer


Fußnoten:

(1) Martin Seel, Eine Ästhetik der Natur, (Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1991), S. 197

(2) Ebd., S. 115

(3) Ebd., S.90

(4) Ebd., S. 296