Diskussion:30. April 2007

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Version vom 14. Mai 2007, 12:19 Uhr von BirgitL (Diskussion | Beiträge)
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Zunächst eine Anmerkung zur Interpretation des Kategorischen Imperativs und der Kant'schen deontologischen Moral als "Goldene Regel": zweitere lautet ja bekanntlich: was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu. Diese Regelung ist eine eindeutig passive Satzung, die verbieten will, dass man schlichtweg dem anderen Schaden zufügt - weil dieser ebenfalls ein Mensch ist und deshalb gleichen Rspekt verdient, oder aus welchem anderen Antrieb auch immer. Bei Kant geht es meines Erachtens nicht allein um solche passiven Nichtregungen, im Sinne des Unterlassens einer Tat. Auch wenn Ricoeur das gerne so sehen würde (v.a. 284ff), geht es hier nicht allein um Verbote. Vielmehr geht es immer schon um ein aktives Einschreiten und deren menschliche Verpflichtung dazu. Kant will durchaus einen sinnvollen Begriff des menschlichen Zusammenlebens entwickeln. Dem zu Grunde liegt auch das Verständnis des Menschen als endlichem verletzbaren Wesen, das in jedem Fall respektiert werden muss. Die Nächstenliebe führt für Kant zur Liebespflicht. Hier geht es sowohl um passives Wohlwollen als auch um aktives Wohltun. Man muss sich immer auch dem Leiden anderer annehmen und hier handelnd mitfühlen. Hier scheint mir Ricoeurs Interpretation der Kant'schen Moralvorstellungen wirklich zu kurz zu schießen, indem hier alles allein an den Begriffen der Autonomie und des Verbots aufgehängt wird. Weiters würde ich nicht damit übereinstimmen wollen, dass die Universalitätsprüfung (287) bzw. jener Anspruch im Reich des Transzendentalen verpuffen müsse, weil sie gewissermaßen zu gebrechlich im hitzigen Weltengefecht verpuffen müsse. Bei Kant geht es eben in der Diskussion der oben genannten Liebespflichten (die wie der Kategorische Imperativ m.E. nicht als völlig voneinander isolierte Systeme voneinander vorgeschoben werden dürfen, sondern immer schon ein, wie Ricoeur das bei Rawl lobt, "komplexes" System darstellen) um ein ganz konkretes Einlassen auf eine besondere Situation, die die faktische Einzigartigkeit und das persönliche (nicht faktisch eh schon immer gleich vernünftige), das individuelle Ermessen der jeweiligen Person braucht, die einer anderen zu Hilfe kommt. Die Achtung, die Ricoeur bespricht, muss auch von diesem Punkt aus verstanden werden und würde hier diese "Pluralität" der Einzelnen in jedem Fall einer alles gleich machen wollenden gleich-vernünftigen Allgemeinheit vorziehen. --Iris 12:40, 1. Mai 2007 (CEST)


Hallo Zuerst mal, den obigen Beitrag betreffend, möchte ich nur auf die positiven, "aktiven" Formulierungen ("Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst") der Goldenen Regel verweisen, die ja auch Ricoeur auflistet. Gleichzeitig erscheint mir die Notwendigkeit des Umwegs über diese (die Goldene Regel), um Defizite in Kants deontologischer Ethik aufzuzeigen als nicht zwingend. Der Punkt (oder besser einer der Punkte), den Ricoeur machen möchte, nämlich darzulegen, dass in Kants Ethik "...die Andersheit durch eine sie kraft der Idee der Menschheit einschnürende Universalität an der Entfaltung gehindert wird." (274), erscheint mir sehr wichtig und berechtigt. Ob in der (aus guten Grunde natürlich) völlig formalen und universalen Ethik Kants Platz ist für radikale Andersheit / Alterität des Anderen, ist, denke ich, zumnindest fraglich. Auf der anderen Seite ist für mich nicht ganz verständlich, inwiefern die Goldene Regel diese Andersheit wirklich besser mitdenkt. In einer Formulierung wie: "Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst", kommt meines Erachtens die Konzeption des Anderen sehr in der Nähe eines Alter Ego, was Ricoeur ja vermeiden möchte. So scheint mir die Goldene Regel nicht das beste Beispiel, um auf das Spannungsfeld von Menschheit und konkreter Person bei Kant hinzuweisen. (Nur als Anmerkung: In Fridolin Wiplingers "Der personal verstandene Tod", Alber 1970, findet sich eine Neu- Umformulierung des kategorischen Imperativs: "Handle und lebe ihm gegenüber (dem Anderen) so, wie nur du und niemand anderer an deiner Stelle es könnte." Hier wird der Kantsche Formalismus auf eine Art aufgeweicht, reziprok schließt die Betonung der eigenen besonderen Person natürlich die Individualität des Anderen ein. Person, Personalität wird bei Wiplinger übrigens als Mit-sein und Für-einander-sein bestimmt - die Bindewortbildungen lassen den Einfluss Heideggers erkennen :)] Der zweite Teil von Ricoeurs Text wirkt für mich schlüssig, aber nicht detailliert genug, um über die angebliche Zirkularität von Rawls Theorie und das postulierte Primat der teleologischen Ethik gegeüber Vertrags / deontologischen Konzepten zu entscheiden.

Lg Victor


Ich verstehe Ricoeur nicht so, dass er Defizite in Kants Pflichtenethik aufzeigen möchte, sondern dass er auf einen "Untergrund" der Kantischen Argumentation aufmerksam machen möchte, der eine implizite Verbindung zwischen einer teleologischen und einer deontologischen Perspektive nahelegt. Während nach Kant eine Handlung nur dann als moralisch gut anzusehen ist, wenn sie pflichtgemäß ist (und nicht in selbstsüchtiger Absicht oder aus unmittelbarer Neigung erfolgt), möchte Ricoeur durch den Aufweis einer Analogie zwischen der Goldenen Regel und der zweiten Formulierung des Kategorischen Imperativs ("Handle so, daß Du die Menschheit, sowohl in Deiner Person, als in der Person jedes andern, jederzeit zugleich als Zweck niemals bloß als Mittel brauchest" Grundlegung der Metaphysik der Sitten, 61) zeigen, dass auch bei Kant die Neigung eine Rolle spielt. Es stellt sich daher die Frage, ob die von Ricoeur beschriebene Analogie korrekt ist. --Uk 17:07, 4. Mai 2007 (CEST)


Ich würde gerne die oben erwähnte Andersheit nochmals aufgreifen. Ich glaube nicht, dass Ricoeur wirklich glaubt, dass die Goldene Regel die Andersheit mehr als Kants Ethik berücksichtigt. Er schreibt (S. 266), dass sich die Goldene Regel „von der Annahme einer vorgängigen Asymmetrie zwischen den Handlungsträgern abhebt“. Asymmetrie besteht ja nur dann, wenn der Andere auch wirklich anders als man selbst ist. Wenn sich also die Goldene Regel von der Asymmetrie abhebt, kann sie diese nicht zur selben Zeit berücksichtigen. Etwas weiter unten (S. 268) spricht Ricouer von der Goldenen Regel als einer Regel, die sich der „Moral der Gewalttätigkeit“ widersetzt. Gewalttätigkeiten können allerdings nur deshalb vorkommen, weil der Andere als Anderer irritiert. Wieder ist es die Asymmetrie, von der sich die Goldene Regel abhebt. Wenn Kant den Anderen nicht berücksichtigt, so ist das, glaube ich, auch nicht eigenartig – liegt sein Vorhaben doch in der Formulierung einer deontologischen Regel. Ich glaube auch nicht, – wie es oben erwähnt in einem der beiden Beiträge steht – dass Ricouer Kant zu kurz kommen lassen möchte, sondern aufzeigen möchte, dass die Goldene Regel und Kants Imperativ einander ähneln. Was mir allerdings nicht ganz klar ist: Wieso spielt die Neigung bei Kant eine Rolle? Ricouer sagt doch, dass der von Kant benutzte Begriff der Menschheit die Andersheit nicht berücksichtigt. In welcher Hinsicht kann man dann behaupten, Kants Imperativ beziehe sich auf „Mögen und Verabscheuen“? Ist Kants Imperativ nicht viel mehr eine Regel des Verhaltens, die Neigungen nicht berücksichtigt? -- Diana Oder liegt Kants vermeintliche Berücksichtigung von Neigung darin, dass er mit „Deine Person“ und „die Person jedes Anderen“ auf eine Pluralität weist, die im Gegensatz zur Einheit der Menschheit steht? -- Diana


Zum ersten Beitrag würde ich gerne schreiben, dass ich Ricoeurs Darstellung von Kant ganz und gar nicht so verstanden habe. Ehrlich gesagt verstehe ich den Vorwurf nicht ganz , Ricoeur würde sich hier auf eine passive Ausrichtung Kants versteifen. Ich verstehe die angeführte Kritik glaube ich nicht ganz richtig, das könnte aber auch daran liegen, dass ich mit dieser Form der Diskussion ein wenig überfordert bin und mich in diesem Forum nicht wirklich wohl fühle, oft das Gefühl habe, dass Dinge ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen präsentiert werden. --Woanna 18:27, 6. Mai 2007 (CEST)


Nichts desto trotz möchte ich eine Frage zum Text hier ins Forum stellen: Wenn Ricoeur von der "Fiktion eines Gesellschaftsvertrages" (S.276) und einer Verbindung derer mit der Idee von Gerechtigkeit spricht, ist mit Fiktion dann einfach nur gemeint, dass eine Republik kein - wie er später im Text selber schreibt - Faktum ist wie das menschliche, naturgegebene Gewissen, und somit künstlich und wie ich das verstanden hätte bloß etwas Konstruiertes wäre... Oder ist es direkt so zu verstehen, dass er durch die Verwendung von "Fiktion" die Funktionsweise einer solchen institutionalisierten Gerechtigkeit anzweifelt? --Woanna 18:51, 6. Mai 2007 (CEST)

Liebe Woanna!Zunächst bist du nicht alleine, auch ich fühle mich oft von den Statements im Forum überfordert :-) Bezugnehmend auf deine Frage, würde ich denken, dass die Republik etwas Konstruiertes darstellt, also auf diesem Grund fiktiv erscheint (und R. jenes auch so gemeint hat). Zumindest habe ich es so verstanden... BirgitL.

Bezugnehmend auf das Statement von Uk, möchte ich mich zur Frage äußern ob Ricoeurs angenommene Analogie zwischen Goldener Regel und Kategorischem Imperativ denkbar ist, wobei ich zwei Standpunkte zum Ausdruck bringen möchte. Kant ging davon aus, dass sittliches Handeln ein Handeln aus Pflicht, nicht aus Neigung darstellt. Die Goldenen Regel hingegen („Was dir unlieb, tue keinem anderen […]“, bzw. „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen“(S. 265) basiert jedoch nicht auf Pflicht, weil sie, wie Ricoeur betont auf „Mögen und Verabscheuen“ (S 270) basiert und Neigungen einführt, welche Kant strikt aus seiner Pflichtethik verbannt. Dies würde meines Erachtens gegen eine Gleichheit sprechen. Ricoeur betont jedoch, dass die Goldene Regel und der 2. Kategorischer Imperativ die gleiche Absicht verfolgen, da beide eine Gegenseitigkeit zu erzielen bestrebt sind, wo diese nicht existiert (S. 272). Diese nicht existierende Gegenseitigkeit kann, wie Ricoeur zu Recht betont, sowohl auf der „Behandlung der Menschheit in meiner Person und in der des Anderen als ein Mittel“ (was mit der Beherrschung des Willens eines Anderen gleichzusetzen ist) entstehen, als auch durch die Asymmetrie zwischen dem, was eine Person tut und dem was dem anderen getan wird. Werden Goldene Regel und Kategorischer Imperativ nicht befolgt, so führen beide für Ricoeur zu Gewalt und Folter. In diesem Punkt ist für mich eine Analogie zwischen 2. Kategorischem Imperativ und Goldener Regel erkennbar. Lg! Sylvia

Ich möchte mich in meinem Beitrag auf die Frage der Analogie zwischen der Goldenen Regel und der 2. Formulierung des Kategorischen Imperativs beziehen: Kant leitet den kategorischen Imperativ vom Begriff der Pflicht ab. Der Begriff der Pflicht enthält auch den Begriff des guten Willens. Es kommt auf die Gesinnung/die Maxime an, die den guten Willen ausmacht. Soll der Wille gut sein, darf die Maxime nicht Neigung sein, sondern Pflicht. Es muss ein Handeln sein, das sich aus der Pflicht heraus motiviert. Pflichtmäßig handeln bedeutet, ich sehe nur die Handlung aber nicht die Moralität/das Gewissen. Handeln aus Pflicht: Ich handle nicht aus einer Neigung heraus. Gut handle ich nicht schon dann, wenn es bloß um eine Neigung/ein Ansehen/eine Anerkennung geht. Denn das ist lt. Kant nicht sittlich. Es ist nicht schon unmittelbar die Handlung, die einen guten Willen ausmacht, sondern der Beweggrund der Handlung, der einen guten Willen GUT macht. Die Handlungsmotivation kann nicht in einer bloßen Neigung liegen. Der gute Wille hängt von meinem Wollen ab. Wenn wir nur den empirischen Willen hätten, gebe es nichts unbedingt Gutes. Der empirische Wille (persönliches Wohlergehen) ist subjektiv. Das Gut-Sein des Willens hängt vom Zweck ab, der gewollt wird. Aus diesen Überlegungen zum Begriff des Willens ist die Goldene Regel, die ein weit verbreitetes Moralprinzip darstellt, mit Vorsicht zu genießen, da die Absicht/der Beweggrund des Nicht-Wollens nicht ersichtlich ist. Kant interpretiert die Goldene Regel eher „platt“ als pragmatischen Egoismus bzw. verfeinerter Selbstliebe (Bsp.: Ich will nicht, dass mir jemand mein Auto stiehlt, also soll auch das Auto des Nachbarn nicht gestohlen werden.). Kant verneint Selbstliebe, weil sie Gemeinschaft prinzipiell ausschließt. Insofern ist die Goldene Regel zu kritisieren. Die zweite grundsätzliche Interpretationsweise ist spekulativ. Reziprozität, die gefordert wird, verweist auf Universalisierungsgedanken. Anerkenne die Anderen als Deinesgleichen/Vernunftwesen und handle danach (Anerkennungsgedanke nach Fichte). Nach Kants Interpretation der Goldenen Regel sehe ich keine Analogie zwischen dieser und der zweiten Formulierung des kategorischen Imperativs, welche nach der zweiten Interpretation durchaus zu erkennen ist. Lg Martina