Beispielsweise

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Den Knoten, in welchen die überlieferten Theorien des Behauptungssatzes verwickeln, hat Ernst Tugendhat unter Rückgriff auf Gedanken Ludwig Wittgensteins gelöst. Er entwickelt eine Bedeutungstheorie für Begriffe, die Wahrheit anerkennt, ohne sie in metaphysische Schemata zu pressen. Damit verbindet sich ein Bonus für den extra-philosophischen Gebrauch des Konzeptes, das unter dieser Betrachtungsweise den Beigeschmack des Dogmatismus verliert. Tugendhat grenzt sein Unternehmen von der gegenstandstheoretischen Auffassung der Bedeutung prädikativer Sätze ab. Das ist der Typ von Theorien, welcher die Satzteile auf Korrelate in der Realität bezieht (Terme – Gegenstände, Prädikate – Begriffe) und das Urteil als sprachliche Synthese zum Ausdruck eines Wirklichkeitskomplexes auffasst. Anknüpfend an die Wittgensteinsche Sentenz, dass die Bedeutung eines Ausdrucks aus der Erklärung dieser Bedeutung zu erschließen sei, lenkt Tugendhat die Aufmerksamkeit darauf, wie Prädikatsausdrücke („ ...ist ein Levi’s Markenzeichen“) in Sätzen funktionieren.

Wenn man ein Prädikat genau dann versteht, wenn man weiß, wie es zur Charakterisierung und d.h. zur Klassifikation und Unterscheidung verwendet wird, dann müßte auch die Erklärung der Bedeutung eines Prädikates darin bestehen, daß erklärt wird, wie es zur Klassifikation und Unterscheidung verwendet wird. (Ernst Tugendhat Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Frankfurt 1976. S.176)

Wie sieht diese Verwendung aus? Wir zeigen z.B. ein Bild und sagen: „Das ist ein Levi’s Logo“. Nach einer Reihe derartiger Demonstrationen kann sich unter den Beteiligten Einverständnis herstellen. Das Prädikat gibt eine Kompetenz zur Einschätzung von Beispielen wieder.

Diese Auffassung rekurriert nicht auf Wahrheitsgarantien, sondern auf die Erfahrung, dass es immer wieder gelingt, in diskursiven Abläufen Einvernehmen über gewisse Einteilungsprinzipien zu erzielen.

Was wir ihm durch die Beispiele erklären, ist also die Verwendungsregel des Prädikats. Denn eine Tätigkeit, die in jedem ihrer Schritte durch ,richtig‘ und ,unrichtig‘ reguliert ist, ist eine Tätigkeit, die eine Regel befolgt, auch wenn die Regel nicht in Worten formulierbar ist. (a.a.O.)

Regeln, so wissen wir aus Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“, lassen sich nicht substanzialisieren. Die Wahrheit liegt also nicht im Zutreffen von Worten auf idealisierte Beschaffenheiten der Welt, sondern einfach darin, dass ein genereller Term auf einen Gegenstand zutrifft.

Man könnte fragen, wie denn das Wort,zutrifft‘ verstanden wird. Wenn man jedoch in der eben angedeuteten Weise erklärt, wie z.B. das Wort ,rot‘ verwendet wird, erklärt man gerade anhand von Beispielen, was es heißt, daß ,rot‘ auf einen Gegenstand zutrifft bzw nicht zutrifft. (a.a.O. S. 140)

Zu Begriffen kommen wir über Urteile, die sich auf reale Umstände beziehen, in denen Ordnungsbedarf (und Ordnungsmöglichkeit) besteht. Angesichts der Meeresoberfläche kann das Konzept einer Welle erklärt werden, kaum der Begriff des Lichtreflexes. Anders gesagt: die Beispiele müssen günstig gewählt sein. Ihre Verwendung enthält die Pointe in gewisser Weise bereits in sich. Begriffsbildung verläuft nach dieser Darstellung kreisförmig. In einer Richtung wird in aufeinanderfolgenden Samples etwas Gemeinsames entdeckt, also etwa eine geschwungene Linie. (Es könnte auch die Farbe oder die Geometrie des Bildes sein.) Aus der anderen Richtung betrachtet ist das Gemeinsame kein Zufall. Jemand (oder etwas) hat diese Gleichmäßigkeit arrangiert. Es handelt sich um Beispiele für einen Begriff – der sich als Unterscheidungsmerkmal in beispielhaften Situationen realisiert. Wissen besteht darin, an derart eingeführten Distinktionen einer Spachgemeinschaft teilnehmen zu können.

Im ersten Moment scheint diese Rekonstruktion die Unhaltbarkeit der anspruchsvollen Wahrheitstheorie zusätzlich zu bestätigen. Wissen ist relativ auf die angedeuteten Lernprozesse und nicht in einer objektiven Welt, die „dem“ Erkennen gegenüberstünde, verankert. Wittgenstein und Tugendhat lehnen einen solchen Objektivismus tatsächlich ab, aber sie sind auch keine Relativisten. Der Schlüssel zu ihrer post-platonischen Auffassung liegt in der soeben angesprochenen Funktion des rechten Beispiels. Der Verhandlungs- und Begriffsbildungsprozess, der nach dem Gesagten zu Grunde gelegt wird, kann ja unmöglich so aussehen, dass die Beteiligten beliebig auf Umweltreize reagieren. Um eine Regularität lernen zu können, muss sie der Wahrnehmung eingeprägt, und das heißt thematisierbar und wiedererkennbar sein. Beispiele fallen nicht vom Himmel, sie sind dazu gewählt, eine begriffliche Pointe zu etablieren, darin besteht ihre Zirkularität. Dieses Verfahren hat einen normativen Kern. Aus den Umständen muss jeweils herausgehoben werden, was sie zum Beispiel einer Regelmäßigkeit macht. Sequentielle Weltzustände haben Gemeinsamkeiten nicht an sich. Sie sind ein Beitrag des Orientierungsvermögens lebendiger Organismen. Im Szenario des Spracherwerbs und damit des Eintretens in den „Raum des Wissens“ steht die Lehrende für eine zweckmäßige Filterung. Auf dieser Stufe aber – das ist die Antiliberalität der Wittgensteinschen Position – kann von „alternativen Wahrheiten“ nicht die Rede sein. Zur Festlegung eines Begriffes sind Situationen, in denen eindeutig identifizierbare Akzente gesetzt werden, nötig. Der Unterschied zwischen CDs und DVDs ist unlernbar, wenn diese und jene Scheiben ungeordnet in ein Laufwerk gesteckt werden, dass beide Typen liest.

Richtigkeit spielt in der Probesituation und in ihrer Einschätzung eine Rolle. Einerseits muss für das Lernen zwischen richtigen und falschen Reaktionen unterschieden werden, sonst ist kein Fortschritt möglich. Andererseits ist mit passenden und unpassenden Beispielen zu rechnen, d.h. solchen, die den Lernprozess befördern und anderen, die ihn stören, weil sie nicht die geeigneten Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Ein Lexikon wird nicht verdeutlichen, was ein Roman ist, auch wenn es einige „Lexikonromane“ gibt. Für unseren Zweck ist von Belang, dass die Entscheidungen in zwei ungleichen Horizonten stehen. Innerhalb eines mit Beispielen operierenden Begriffsbildungsprozesses wird mit ja und nein operiert. („Ist das ein Apfelstrudel? “) Aber es gilt auch: Beispiele können glücklich oder unglücklich gewählt sein. (Ein Apfelkuchen ist keine gute Illustration eines Apfelstrudels.) Über passende Typologisierungen kann man debattieren, über die erste Frage – als Unwissende (m/w) – nicht. Eine Sache ist es, an Hand eines Beispiels die richtige Qualifikationen auszusprechen, eine andere, ein richtiges Beispiel zu treffen. In unserer Jeans-Illustration entspricht das einer zwiefältigen Themenstellung. Einerseits ist ein bestimmter Doppelbogen als Erkennungszeichen für Levi’s eingeführt, andererseits behauptet er sich gegen „falsche“ Bögen. An ihnen ist nichts falsch, sie werden bloß (vorgeblich) falsch eingesetzt. Dieser Wechsel der Betrachtungsweise widersteht dem Relativismus.

Das unbestreitbare Gleiten begrifflich strukturierten Wissens hat beide Seiten, eine unverzichtbare Fähigkeit zur Stellungnahme und die Möglichkeit, den Weltausschnitt, in welchem die Festschreibung stattfindet, zu variieren. Beispiele, anhand derer ein Begriff gelernt wird, sind nicht immun gegen Modifikation, aber die Modifikation beruht – sonst handelt es sich um einen Themenwechsel – auf einer „Urszene“.

Zur Verdeutlichung ist der Ausdruck „falscher Alarm“ hilfreich. Er kann zumindest zweifach interpretiert werden. Entweder es ist kein Alarm, das hat er dann mit zahllosen anderen Ereignisse gemeinsam. Auch ein Freudenfeuer ist kein Alarm. Oder es ist wohl ein Alarm, allerdings unter unpassenden Voraussetzungen. (Die Sirene heult wegen eines Defekts.). Im ersten Fall bezieht man sich auf ein Vorbild von Alarm, im zweiten sagt man, dass ein Ereignis, welches Bedingungen für „Alarm“ erfüllt, ein schlechtes Beispiel für Alarm ist. Ein „falscher Hase“ ist kein Hase, sondern ein faschierter Braten in der Rolle eines Hasenbratens. So ist auch „falsches Wissen“ kein Wissen in dem Sinn, den wir im ersten Zugriff mit dem Terminus verbinden, sondern eine Konkurrenz zu den Bedingungen des ersten Zugriffs. Es liegt nicht auf der Ebene der „falschen Rolex“, sondern eines falschen Markenzeichens für Rolex Uhren. Begriffe sind so festgelegt und derart beweglich.


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Besser Wissen (Vorlesung Hrachovec, 2006/07)</root>