Konrad Liessmann: Theorie der Unbildung, Exzerpt (BW)

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Version vom 18. November 2006, 13:39 Uhr von Hofbauerr (Diskussion | Beiträge) (Wissen industrialisiert: Einsprüche)
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aus Konrad Liessmann: Theorie der Unbildung. Wien 2006, S. 30f, 38f, 53f, 59f, 72f


Definitionen

Angesichts der unendlichen Datenströme der Informationsmedien trösten wir uns gerne mit dem Satz, daß es nicht darauf ankomme, etwas zu wissen, sondern darauf, zu wissen, wo wir das Wissen finden. Wissen in der Wissensgesellschaft ist ausgelagertes Wissen. Aber: Wissen läßt sich nicht auslagern. Weder in den traditionellen Archiven und Bibliotheken noch in den modernen Datenbanken lagert Wissen. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung besitzen auch Organisationen kein Wissen. Sie können höchstens Bedingungen bereitstellen, durch die das Wissen ihrer Akteure in eine Beziehung zueinander gebracht und weitergegeben werden kann. In keiner Datenbank, in keinem Medium, das unstrukturiert Daten akkumuliert, finden wir deshalb Wissen. Wissen bedeutet immer, eine Antwort auf die Frage geben zu können, was und warum etwas ist. Wissen kann deshalb nicht konsumiert werden, Bildungsstätten können keine Dienstleistungsunternehmen sein, und die Aneignung von Wissen kann nicht spielerisch erfolgen, weil es ohne die Mühe des Denkens schlicht und einfach nicht geht. Aus diesem Grund kann Wissen auch nicht gemanagt werden. Das Wissen selbst ist, solange es keine anderen sozialen und intelligiblen Akteure auf dieser Welt als Menschen gibt, bei diesen. Allem Wissen ist so der Makel der Subjektivität eingeschrieben, es ist stets lückenhaft, inkonsistent und in hohem Maße von Kontingenz geprägt.

Allerdings ist das Wissen des einzelnen nicht mit dem gleichzusetzen, was er im Kopf hat. Im Gedächtnis gespeicherte Daten welcher Art auch immer sind noch kein Wissen. Die Gedächtnisakrobaten, die imstande sind, sich unzählige Einzelheiten zu merken, und die wandelnden Lexika, die imstande sind, jedes Kreuzworträtsel zu lösen, wissen im emphatischen Sinn nicht allzuviel. Zu einem Wissen würden diese Einzelheiten und Begriffe erst dann, wenn sie nach logischen und konsistenten Kriterien derart miteinander verknüpft werden können, daß sie einen sinnvollen und überprüfbaren Zusammenhang ergeben.

"Wissen ist ...", "Wissen ist keineswegs ...": das sind axiomatische Vorgaben. Die Eleganz der Axiomatik liegt darin, dass gewisse Sätze ausser Streit gestellt werden, um aus ihnen ein System zu entfalten. Allerdings hängt das Resultat an der Plausibilität der Ausgangsvoraussetzungen. Für sie wird auf Intuitionen zurückgegriffen. Die Frage ist dann, wie belastbar diese sind.
Gänzlich unbelastbar ist die Voraussetzung, in Datenbanken oder Speichermedien würden unstrukturiert Daten akkumuliert. Es ist unmöglich, irgendein Medium zu verwenden, es sei denn, es hat eine Datenstruktur. Und hinsichtlich von Datenbanken von blosser Akkumulation zu sprechen bedeutet, dass die Systemfolgen aus einem solchen Axiom unattraktiv sein werden.

Dass "die Aneignung von Wissen (...) nicht spielerisch erfolgen (kann)" steht in unmittelbarem Widerspruch zum kindlichen Wissenserwerb. Aber auch Erwachsene erwerben Wissen zum Teil spielerisch, nämlich als Vergnügen, freiwillig, mittels Versuch und Irrtum. Dass "es ohne die Mühe des Denkens schlicht und einfach nicht geht", ruft meinen doppelten Einspruch hervor: erstens weil ich Denken nicht als Mühe empfinde, und zweitens weil "schlicht" und "einfach" keine Argumente sind.
Wenn Wissen "nicht gemanagt werden" kann, wie können dann Wissensarbeiter gemanaged werden?--Hofbauerr 12:48, 18. Nov 2006 (CET)

Wissen industrialisiert

Allein, der Schein trügt. Daß bestimmte Formen industrieller Arbeit nicht mehr sichtbar sind, verdankt sich vorab weniger ihrem Verschwinden als ihrer Verlagerung. Die Öfen der Stahlindustrie, die Schlote der petrochemischen Industrie lodern und rauchen nach wie vor, aber an anderen, billigeren Standorten. Entscheidend aber ist, daß an der Grundstruktur der industriellen Produktionsweise weder die digitale Revolution noch der Fortschritt in Wissenschaft und Technik etwas geändert haben. Eher im Gegenteil. Die industrielle Produktionsweise beschreibt nämlich nicht, welche Rohstoffe mit welchen maschinellen Verfahren zu welchen Gütern verarbeitet werden, sondern sie definiert überhaupt eine bestimmte Form der Herstellung von Gütern aller Art.

Nicht nur die Öfen rauchen an anderen Standorten, sondern zunehmend auch die Köpfe --Hofbauerr 13:39, 18. Nov 2006 (CET)

Diese Form läßt sich durch folgende Logik beschreiben: Es geht um die tendenziell mechanisierte und automatisierte Herstellung von identischen Produkten unter identischen Bedingungen mit identischen Mitteln. Der Begriff der Industrie wurde so von Anbeginn an als Gegensatz zum Handwerk verstanden, das auf die individuelle Herstellung von nichtidentischen Produkten unter nichtidentischen Bedingungen abzielte. Industrialisierung bezeichnet so den Prozeß der Unterwerfung menschlicher Tätigkeit unter das identitätslogische Produktionsparadigma. In der Regel gibt es nichts, was Menschen herstellen, das sich nicht industrialisieren ließe, und je fortgeschrittener die dafür verwendeten Automatisierungstechnologien sind, desto komplexere Tätigkeiten bis hin in den Bereich der individuellen Sphären der Kommunikation, ja der Intimität lassen sich industrialisieren. Die immer leistungsfähiger werdenden Simulationstechnologien erlauben es dann zum Beispiel, einfache Akte der verbalen Informationsweitergabe - Durchsagen an Bahnhöfen oder in U-Bahnen - zu industrialisieren: Ein- und dieselbe synthetisch erzeugte Stimme reproduziert den immer gleichen Ablauf von Ansagen. Nur im Ausnahmezustand, der nicht vorhersehbar war, in der Katastrophe, schaltet sich noch die unverwechselbare Stimme eines lebenden Individuums ein, dessen Stimme dann panisch klingt oder vor Angst überhaupt versagt.

Der bisher größte Schritt zur Industrialisierung der Wissensproduktion (recte: Informations-Reproduktion) war die Einfühung des Buchdrucks.
Wissensproduktion (recte: Informations-Produktion) besteht aus der "individuellen Herstellung von nichtidentischen Produkten", analog zur handwerklichen Produktion. Auch die Wissensverteilung (Informations-Reproduktion) kann ohne industrielle Methoden erfolgen, zB in Form von Reden, Vorlesungen, Manu-Skripten. Auch wenn diese nicht handschriftlich sondern digital erstellt und werden und im digitalen Netz bereit gestellt werden. Ohne "Unterwerfung menschlicher Tätigkeit unter das identitätslogische Produktionsparadigma". --Hofbauerr 13:39, 18. Nov 2006 (CET)

Auf der produktionslogischen Ebene waren daher nicht die monströsen Anlagen der Schwerindustrie für die seit dem 18. Jahrhundert entstehende moderne Gesellschaft entscheidend, sondern die Standardisierung, Mechanisierung und Angleichung menschlicher Arbeitsprozesse an vorgegebene Abläufe. Die Taylorisierung der Arbeit und das Fließband sind nur eine Erscheinungsform dieser Logik, vordergründig selbstbestimmte Telearbeit ist eine andere. Unter dieser Perspektive wird schnell klar, daß gegenwärtig nicht die Wissensgesellschaft die Industriegesellschaft ablöst, sondern umgekehrt das Wissen in einem rasanten Tempo industrialisiert wird.

Nur nicht alle!

Den regelmäßig ausgerufenen Bildungskatastrophen stehen so die großen Bildungslügen gegenüber. Mit großen Worten täuschen diese über die wahren Möglichkeiten und Zwecke von Bildung hinweg. Während Wissen als die sich rasend vermehrende Ressource der Zukunft verkauft wird, wovon die dumme Metapher der Wissensexplosion zeugt, nimmt das allgemeine Wissen in atemberaubendem Tempo ab. Die Bildungslücken der sogenannten politischen Eliten bei einfachsten historischen oder kulturgeschichtlichen Fragen sind eklatant, und der Triumph des Meinungsjournalismus ist die Kehrseite der Tatsache, daß niemand mehr etwas weiß. Der Glaube an die Datenablagerungen auf den Festplatten ersetzt das Denken, die Ubiquität von Informationen in den Datennetzen suggeriert eine Demokratisierung des Wissens, wo doch nur dessen großflächige Einebnung zu konstatieren ist. »Was alle wissen«, schrieb Nietzsche, »wird von allen vergessen.« Und er setzte hinzu: »[...] gäbe es keine Nacht, wer wüßte noch, was Licht wäre!«  Wenn Wissen Macht ist, wird es nicht dort zu finden sein, wo alle sind. Und wenn es dort ist, wird es keine Macht mehr sein.

»Bildung« selbst ist in der sogenannten Wissens- und Informationsgesellschaft zu einem diffusen Begriff geworden, mit dem der Erwerb und die Vermittlung unterschiedlicher Kenntnisse und Qualifikationen ebenso benannt werden können wie die dazugehörigen Institutionen und Verfahren. Mit dem rsprünglichenIedeutungsfeld von »Bildung« hat dies wenig zu tun. Das ist nicht zufällig so. In der Tat zeichnet sich im Bildungsbereich in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel ab.

Hegel und Bildung

Die am antiken Ideal und am humanistischen Konzept orientierte Bildung galt in erster Linie als Programm der Selbstbildung des Menschen, eine Formung und Entfaltung von Körper, Geist und Seele, von Talenten und Begabungen, die den einzelnen zu einer entwickelten Individualität und zu einem selbstbewußten Teilnehmer am Gemeinwesen und seiner Kultur führen sollte. Gleichzeitig galt Bildung als einzige Möglichkeit, den Menschen aus der Barbarei in die Zivilisation, aus der Unmündigkeit in die Autonomie zu leiten. Maßstab und Ausdruck dafür war die Auseinandersetzung mit paradigmatischen Inhalten, die weder einem Zufallsprinzip noch dem Diktat einer aktuellen Verwertbarkeit gehorchten. Die Bedeutung etwa der alten Sprachen, der literarische Kanon, die Kenntnis der philosophischen, ästhetischen, kulturellen und religiösen Überlieferung orientierten sich an einem Konzept von »Geist«, wie es Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seiner Philosophie exemplarisch vorgeführt hat. Kunst, Religion und Wissenschaft erscheinen bei ihm als jene Objektivationen des Geistes, in denen sich das artikuliert, was über das Zufällige und Subjektive hinausgeht und als Anspruch einer verbindlichen Wahrheit zentral für jeden Bildungsprozeß ist. Bildung stellt so immer eine Vermittlungsarbeit zwischen den je individuellen Entfaltungsmöglichkeiten und den Anforderungen des Allgemeinen, den Verbindlichkeiten des objektiven Geistes dar.

W. v. Humboldt

Für Wilhelm von Humboldt, das Feindbild aller Bildungsreformer, war Bildung schlicht die »letzte Aufgabe unseres Daseyns«, und er bestimmte diese in seiner Theorie der Bildung des Menschen mit einem denkwürdigen Satz: »Dem Begriff der Menschheit in unserer Person, sowohl während der Zeit unseres Lebens, als auch noch über dasselbe hinaus, durch die Spuren des lebendigen Wirkens, das wir zurücklassen, einen so großen Inhalt, als möglich, zu verschaffen«, eine Idee, die nichts anderes Bedeutete als eine »Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung«. Dieses Konzept wollte das zu einem Bildungsprogramm machen, was nach Humboldt das Streben des Menschen überhaupt auszeichnet. In seiner »Endabsicht betrachtet«, ist das erkennende Denken des Menschen immer nur »ein Versuch seines Geistes, vor sich selbst verständlich« zu werden, sein Handeln ist eine Anstrengung seines Willens, »in sich frei und unabhängig zu werden«, und seine »Geschäftigkeit« erweist sich als das Streben, nicht in sich müßig bleiben zu müssen. Der Mensch ist ein aktives Wesen, und da alles Handeln und Denken einen Gegenstand haben muß, versucht der Mensch »soviel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden«. Massen von Menschen, als auf Individuen, mehr auf äussren Werth und Nuzen, als auf innere Schönheit und Genuss gerichtet ist, und wo hohe und mannigfaltige Kultur sehr weit von der ersten Einfachheit abgeführt hat, heilsam sein, auf Nationen zurükzublicken, bei welchen diess alles beinah gerade umgekehrt war.«

Individualität, Geist, Reflexion, Welt, Menschwerdung, Hegel

Den Gedanken, auf den es ihm ankam, hat Humboldt deutlich hervorgehoben: Die Kultur der Griechen hat einen bildungstheoretischen Vorrang, weil diese Kultur paradigmatisch für den Charakter der Menschheit überhaupt genannt werden kann und weil sie in ihrer Konzentration auf innere Schönheit und ästhetischen Genuß dem Verwertungsdenken der Moderne einen kritischen Spiegel vorhalten kann. Die doppelte Bedeutung des Humanismus kommt dabei klar zum Ausdruck: Es geht der humanistischen Bildung um die Kenntnisse jener komplexen Formen und Gestalten, in denen sich Menschsein realisieren kann; da es aber unmöglich ist, diese Vielfalt empirisch und historisch umfassend auch nur halbwegs vollständig zu studieren, schlägt Humboldt eine Methode vor, die durchaus modern erscheint: das exemplarische Lernen.

Exemplarisch lernen kann man aber nur dort, wo tatsächlich etwas modellhaft und in besonderem Maße typisch ausgebildet erscheint. Die Grundthese des Neuhumanismus ist also, daß sich die Bedeutsamkeit des Menschen gerade in seiner Vielfalt und Potentialität an jener Kultur am besten studieren läßt, die selbst erstmals den Menschen als Individuum in das Zentrum ihrer ästhetischen, politischen und moralischen Bemühungen gesetzt hatte. In der griechischen Antike sah Humboldt noch ein Interesse am Menschen selbst verwirklicht, das in anderen Kulturen, in denen der Mensch externen Mächten untergeordnet wurde, also fremdbestimmt war - sei es durch die Religion, sei es durch das Diktat der Politik oder der Ökonomie in der Moderne - nicht mehr in demselben Maße gegeben war. Über den Charakter des Menschen, über seine Möglichkeiten und Grenzen und vor allem über seine Individualität und Einzigartigkeit ließen sich so für Humboldt am Beispiel der Griechen noch immer die entscheidenden Einsichten gewinnen, weil in dieser Kultur zuallererst der Mensch als Selbstzweck, als autonomes Subjekt am Horizont der kulturellen und geistigen Auseinandersetzung aufgetaucht war.

Unter dieser Perspektive umschreibt Bildung schlechthin das Programm der Menschwerdung durch die geistige Arbeit an sich und an der Welt. Das allerdings bedeutet auch die paradigmatische Aneignung von Wissen über sich und die Welt sowie die sinnvolle Auseinandersetzung mit diesem Wissen. Die Idee der Wissenschaft als die geistige Durchdringung der Welt um der Erkenntnis willen ist von der emphatischen Idee von Bildung nicht zu trennen. Bei Hegel schließlich sind Bildung, Reflexion, wissenschaftliches Wissen und Erkennen überhaupt Begriffe, die erst im Bezug aufeinander ihren Sinn ergeben. Die Phänomenologie des Geistes etwa läßt sich als ein Bildungsprozeß lesen, der nicht nur die Entwicklung eines individuellen Bewußtseins, sondern auch das der Gattung in seiner geschichtlichen Entfaltung nachzeichnet und reflektiert, damit aber selbst den eigentlichen Bildungsprozeß darstellt. Bildung ist dem Geist nichts Äußerliches, sondern das Medium, in dem er sich überhaupt erst realisieren kann. Geist ist, was sich bildet, und nur was sich bildet, kann Geist genannt werden. Daß der Begriff des Geistes aus den modernen Wissenschaften und Kulturkonzepten mit durchaus triumphierender Geste verabschiedet wurde, läßt sich unter dieser Perspektive als ein erklärter Wille zum Verzicht auf Bildung lesen.


Unbildung heute ist deshalb auch kein intellektuelles Defizit, kein Mangel an Informiertheit, kein Defekt an einer kognitiven Kompetenz - obwohl es alles das auch weiterhin geben wird -, sondern der Verzicht darauf, überhaupt verstehen zu wollen. Wo immer heute von Wissen die Rede ist, geht es um etwas anderes als Verstehen. Die Idee des Verstehens, einstens Grundlage geisteswissenschaftlicher Tätigkeit an sich, überwintert bestenfalls in der politisch korrekten Phrase vom Verstehen des Anderen als Ausdruck eingeforderter Toleranz. Ansonsten geht es entweder um die Entwicklung von Technologien, die die Natur- und Menschen beherrschung erleichtern, oder um die Produktion von Kennzahlen, die mit der Sache, die dabei angeblich verhandelt wird, immer weniger zu tun haben.

Was sich hartnäckig noch immer Bildung nennt, orientiert sich gegenwärtig nicht mehr an den Möglichkeiten und Grenzen des Individuums, auch nicht an den invarianten Wissensbeständen einer kulturellen Tradition, schon gar nicht am Modell der Antike, sondern an externen Faktoren wie Markt, Beschäftigungsfähigkeit (employability), Standortqualität und technologischer Entwicklung, die nun jene Standards vorgeben, die der »Gebildete« erreichen soll. Unter dieser Perspektive erscheint die »Allgemeinbildung« genauso verzichtbar wie die »Persönlichkeitsbildung«. In einer sich rasch wandelnden Welt, in der sich Qualifikationen, Kompetenzen und Wissensinhalte angeblich ständig ändern, scheint »Bildungslosigkeit«, also der Verzicht auf verbindliche geistige Traditionen und klassische Bildungsguter zu einer Tugend geworden zu sein, die es dem einzelnen ermöglicht, rasch, flexibel und unbelastet von »Bildungsballast« auf die sich stets ändernden Anforderungen der Märkte zu reagieren. In der Wissensgesellschaft, so hören wir, ist auch das Wissen stets im Wandel und erfordert ganz andere Strategien seiner Produktion und Aneignung als jene Idiosynkrasie des 19. Jahrhunderts, die man Bildung nannte. Das Wissen der Wissensgesellschaft definiert sich vorab aus seiner Distanz zur traditionellen Sphäre der Bildung; es gehorcht aber auch nicht mehr den Attitüden der Halbbildung. Das, was sich im Wissen der Wissensgesellschaft realisiert, ist die selbstbewußt gewordene Bildungslosigkeit.




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