Stimme und Phänomen (Code): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 16. Mai 2008, 08:11 Uhr

Exzerpte aus Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Frankfurt/Main 2003. S. 54-60, 68-73


"der Prozeß des Todes, der in den Zeichen am Werk ist"

Diese Mitteilung wird aber dadurch möglich, daß der Hö­rende nun auch die Intention des Redenden versteht. Und er tut dies, sofern er den Sprechenden als eine Person auffaßt, die nicht bloße Laute hervorbringt, sondern zu ihm spricht, die also mit den Lauten zugleich gewisse sinnverleihende Akte vollzieht, welche sie ihm kundtun, bzw. deren Sinn sie ihm mitteilen will. Was den geistigen Verkehr allererst mög­lich und die verbindende Rede zur Rede macht, liegt in dieser durch die physische Seite der Rede vermittelten Korrelation zwischen den zusammengehörigen physischen und psychi­schen Erlebnissen der miteinander verkehrenden Personen. (Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I)

All das, was in meiner Rede dazu bestimmt ist, einem Anderen ein Erlebnis kundzutun, muß durch die Vermittlung der physischen Seite hindurchgehen. Diese irreduzible Ver­mittlung bezieht jeden Ausdruck in eine anzeigende Opera­tion ein. Die kundgebende Funktion* ist eine anzeigende Funktion. Man rückt hiermit wieder näher an die Wurzel der Anzeige heran: Zur Anzeige kommt es jedesmal, wenn der sinnverleihende Akt, die beseelende Intention, die lebendige Geistigkeit des Bedeutens nicht voll und ganz gegenwärtig ist. In der Tat ist mir, wenn ich einem Anderen zuhöre, sein Erlebnis nicht »leibhaft«, originär gegenwärtig. Ich kann, meint Husserl, eine originäre Anschauung, das heißt eine unmittelbare Wahrnehmung von dem haben, was an ihm in der Welt exponiert ist, von der Sichtbarkeit seines Körpers, sei­ner Gesten, von dem, was sich von den Lauten, die er äußert, vernehmen läßt. Doch die subjektive Seite seiner Erfahrung, sein Bewußtsein, die Akte, durch die er insbesondere seinen Zeichen Sinn verleiht, sind mir nicht unmittelbar und origi­när gegenwärtig, so wie sie es für ihn und so wie es meine eigenen für mich sind. Es gibt da eine irreduzible und defini­tive Grenze. Das Erlebnis des Anderen wird mir allein inso­fern kundgetan, als es durch Zeichen vermittelt angezeigt wird, die eine physische Seite beinhalten. Selbst die Idee des »Physischen«, der »physischen Seite« ist in ihrer eigenen Dif­ferenz allein von dieser Bewegung der Anzeige her denkbar.

Hier ist es nicht ein "äußeres" Zeichen für ein "äußeres" Ereignis, wie z.B. der Lärm einer Karambolage. Sondern: ein Erlebnis des Sprechenden wird nach aussen hin angezeigt.

Zur Erklärung des irreduzibel anzeigenden Charakters der Kundgabe, selbst in der Rede, schlägt Husserl bereits Motive vor, deren System die fünfte der Cartesianischen Meditationen mit größter Genauigkeit entwickeln wird: Außerhalb der mir eigenen* transzendentalen monadischen Sphäre, der Eigenheit* des mir Eigenen, meiner Selbstgegen­wart, habe ich zum Eigenen des Anderen, zur Selbstgegen­wart des Anderen nur Bezüge analogischer Appräsentation, vermittelter und potentieller Intentionalität. Die ursprüng­liche Gegenwärtigung ist mir untersagt. Was später dann überwacht von einer kühnen und strengen differenzierten transzendentalen Reduktion beschrieben werden wird, wird hier in den Untersuchungen in der »Parallel«dimension des Psychischen skizziert.

Die Kundgabe nimmt der Hörende in demselben Sinne wahr, in dem er die kundgebende Person selbst wahrnimmt – obschon doch die psychischen Phäno­mene, die sie zur Person machen, als das, was sie sind, in eines anderen Anschauung nicht fallen können. Die gemeinübli­che Rede teilt uns eine Wahrnehmung auch von psychischen Erlebnissen fremder Personen zu, wir >sehen< ihren Zorn, Schmerz usw. Diese Rede ist vollkommen korrekt, solange man z. B. auch die äußeren körperlichen Dinge als wahrge­nommen gelten läßt und, allgemein gesprochen, den Begriff der Wahrnehmung nicht auf den der adäquaten Wahrneh­mung, der Anschauung im strengsten Sinne einschränkt. Besteht der wesentliche Charakter der Wahrnehmung in dem anschaulichen Vermeinen*, ein Ding oder einen Vorgang als einen selbst gegenwärtigen* zu erfassen – und ein solches Vermeinen ist möglich, ja in der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle gegeben, ohne jede begriffliche, ausdrückliche Fassung –, dann ist die Kundnahme* eine bloße Wahrnehmung der Kundgabe*. [...] Der Hörende nimmt wahr, daß der Redende gewisse psychische Erlebnisse äußert, und insofern nimmt er auch diese Erlebnisse wahr; aber er selbst erlebt sie nicht, er hat von ihnen keine >innere<, sondern eine >äußere< Wahrnehmung. Es ist der große Unterschied zwischen dem wirklichen Erfassen eines Seins in adäquater Anschauung und dem vermeintlichen* Erfassen eines solchen auf Grund einer anschaulichen aber inadäquaten Vorstellung. Im erste­ren Falle erlebtes, im letzteren Falle supponiertes* Sein, dem Wahrheit überhaupt nicht entspricht. Das wechselseitige Verständnis erfordert eben eine gewisse Korrelation der bei­derseitigen in Kundgabe und Kundnahme sich entfaltenden psychischen Akte, aber keineswegs ihre volle Gleichheit.


Die Grundannahme einer Gegenwärtigkeit ist der eigent­liche Strang dieser Beweisführung. Die Mitteilung oder Kundgabe* ist deshalb von ihrem Wesen her anzeigend, weil die Gegenwärtigkeit des Erlebnisses des Anderen unserer originären Anschauung verwehrt ist. Jedesmal, wenn die unmittelbare und volle Gegenwärtigkeit des Signifikats entzo­gen sein wird, wird der Signifikant von anzeigender Art sein. (Das ist auch der Grund, warum die Kundgabe, die etwas ungenau durch manifestation übersetzt wird, nicht manife­stiert, nichts manifest macht, wenn manifest evident, offen, »leibhaft« dargeboten heißt. Die Kundgabe* verkündet das, worüber sie in Kenntnis setzt, und entzieht es zugleich.) Jede Rede oder eher noch alles das, was in der Rede nicht die unmittelbare Gegenwärtigkeit des signifizierten Inhalts wie­derherstellt, ist un-ausdrücklich. Die reine Ausdrücklichkeit wird die reine aktive Intention (Geist, Psyche, Leben, Wille) eines Bedeutens* sein, das eine Rede beseelt, deren Inhalt (Bedeutung*) gegenwärtig sein wird. Gegenwärtig nicht in der Natur, denn einzig die Anzeige findet in der Natur und im Raum statt, sondern im Bewußtsein. Also gegenwärtig für eine »innere« Anschauung oder für eine »innere« Wahrneh­mung. Aber gegenwärtig für eine Anschauung, welche nicht die des Anderen in einer Mitteilung sein kann; wir haben gerade verstanden, warum. Also selbstgegenwärtig im Leben einer Gegenwart, die noch nicht aus sich in die Welt, in den Raum, in die Natur hinausgegangen ist. Bei all diesen »Aus­gängen«, die dieses Leben aus der Selbstgegenwart ins Exil des Anzeichens vertreiben, kann man versichert sein, daß die Anzeige, die bis hierher fast die gesamte Oberfläche der Spra­che abdeckt, der Prozeß des Todes ist, der in den Zeichen am Werk ist. Und sobald der Andere erscheint, läßt sich die anzeigende Sprache – ein anderer Name für die Beziehung zum Tod – nicht länger ausstreichen.

Die Beziehung zum Anderen als Nicht-Gegenwärtigkeit ist also die Unreinheit des Ausdrucks. Um die Anzeige in der Sprache zu reduzieren und endlich die reine Ausdrücklich­keit zurückzugewinnen, muß man also die Beziehung zum Anderen außer Kraft setzen. Ich werde dann nicht mehr durch die Vermittlung der physischen Seite oder jeglicher Appräsentation überhaupt hindurchgehen müssen. Der Pa­ragraph 8, »Die Ausdrücke im einsamen Seelenleben«, folgt somit einer Bahn, die unter zweierlei Gesichtspunkten paral­lel zur Bahn der Reduktion auf die monadische Spähre der Eigenheit* in den Cartesianischen Meditationen verläuft: Parallele des Psychischen und des Transzendentalen, Paral­lele der Schicht der ausdrücklichen Erlebnisse und der Schicht der Erlebnisse überhaupt.

Bisher haben wir die Ausdrücke in der kommunikativen Funktion betrachtet. Sie beruht wesentlich darauf, daß die Ausdrücke als Anzeichen wirken. Aber auch in dem sich im Verkehr nicht mitteilenden Seelenleben ist den Ausdrücken eine große Rolle beschieden. Es ist klar, daß die veränderte Funktion nicht das trifft, was die Ausdrücke zu Ausdrücken macht. Sie haben nach wie vor ihre Bedeutungen* und dieselben Bedeutungen* wie in der Wechselrede. Nur da hört das Wort auf, Wort zu sein, wo sich unser ausschließliches Interesse auf das Sinnliche richtet, auf das Wort als bloßes Laut­gebilde. Wo wir aber in seinem Verständnis leben, da drückt es aus und dasselbe aus, ob es an jemanden gerichtet ist oder nicht. Hiernach scheint es klar, daß die Bedeutung* des Aus­druckes, und was ihm sonst noch wesentlich zugehört, nicht mit seiner kundgebenden Leistung zusammenfallen kann.

Der erste Vorteil dieser Reduktion auf den inneren Monolog ist also der, daß das physische Geschehen der Sprache darin tatsächlich abwesend zu sein scheint. In dem Maße, wie die Einheit des Wortes – das, was dafür sorgt, daß es als Wort, als dasselbe Wort, als Einheit aus einem Lautkomplex und ei­nem Sinn, wiedererkannt wird – weder mit der Mannigfaltig­keit der sinnlichen Ereignisse seiner Verwendung zusam­mengeworfen noch folglich von diesen abhängig sein kann, ist das Selbe des Wortes ideal, ist es die ideale Möglichkeit der Wiederholung und verliert es nichts an die Reduktion von ir­gendeinem, folglich also jedem durch sein Erscheinen bezeichneten empirischen Ereignis. »Was uns als Anzeichen (Kennzeichen) dienen soll, muß von uns als daseiend wahrgenommen werden«; die Einheit eines Wortes dagegen schul­det nichts seinem Dasein*, seiner Existenz*. Seine Ausdrück­lichkeit, die keinen empirischen Körper, sondern allein die ideale und identische Form dieses Körpers, insofern er durch ein Bedeuten beseelt wird, nötig hat, schuldet nichts irgendeiner weltlichen, empirischen usw. Existenz. Im »einsamen Seelenleben« sollte mir also die reine Einheit des Ausdrucks als solche endlich zurückerstattet werden.

Heißt das, daß ich, wenn ich zu mir selbst spreche, mir selbst nichts mitteile? Sind »Kundgabe*« und »Kund­nahme*« damit außer Kraft gesetzt? Ist die Nicht-Gegen­wärtigkeit reduziert und mit ihr die Anzeige, der Umweg über die Analogie, usw.? Modifiziere ich mich so nicht? Bringe ich mir so nichts über mich selbst bei? Husserl betrachtet den Einwand und weist ihn dann zurück. »Sollen wir sagen, der einsam Sprechende spreche zu sich selbst, es dienten auch ihm die Worte als Zeichen*, näm­lich als Anzeichen* seiner eigenen psychischen Erlebnisse? Ich glaube nicht, daß eine solche Auffassung zu vertreten wäre.«

ursprüngliches Zeichen

Wie wenn z. B. jemand zu sich selbst sagt: Das hast du schlecht gemacht, so kannst du es nicht weiter treiben. Aber im eigentlichen, kommunikativen Sinne spricht man in solchen Fällen nicht, man teilt sich nichts mit, man stellt sich nur als Sprechenden und Mittei­lenden vor. In der monologischen Rede können uns die Worte doch nicht in der Funktion von Anzeichen für das Dasein psychischer Akte dienen, da solche Anzeige hier ganz zwecklos wäre. Die fraglichen Akte sind ja im selben Augenblick von uns selbst erlebt.

Diese Behauptungen werfen ganz verschiedenartige Fragen auf. Doch betreffen sie alle den Status der Repräsentation in der Sprache. Der Repräsentation im allgemeinen Sinne von Vorstellung*, aber auch im Sinne der Repräsentation als Wiederholung oder Reproduktion der Präsentation, als die Präsentation* oder Gegenwärtigung* modifizierende Vergegenwärtigung, und schließlich im Sinne des stellvertre­tenden Repräsentanten, der den Platz einer anderen Vorstellung* einnimmt (Repräsentation, Repräsentant, Stellver­treter).

  • ich stelle mir das Schloss Schönbrunn vor (Vorstellungsbild)
  • ich rufe mir ein Vorstellungsbild ins Gedächtnis
  • ich stelle mir das Vorstellungsbild nochmals vor
  • ich lasse eine Vorstellung durch ein Zeichen vertreten

Betrachten wir zunächst das erste Argument. Im Monolog teilt man sich nichts mit, man stellt sich selbst als sprechendes und mitteilendes Subjekt vor. Wie es scheint, wendet hier Husserl auf die Sprache die grundsätzliche Unterschei­dung zwischen Realität und Repräsentation an. Zwischen der wirklichen Mitteilung (der Anzeige) und der »vorgestellten« Mitteilung gäbe es einen Wesensunterschied, eine schlichte Äußerlichkeit. Zudem müßte man, um zu der (im Sinne der Mitteilung) inneren Sprache als reiner Vorstellung vorzu­dringen, durch die Fiktion hindurchgehen, das heißt durch eine besondere Art Repräsentation: die Phantasievorstel­lung, die Husserl später als neutralisierende Vergegenwärtigung definieren wird.

Läßt sich dieses System von Unterscheidungen auf die Sprache anwenden? Als erstes wäre zu unterstellen, daß in der Mitteilung, in der sogenannten »wirklichen« Praxis der Sprache, die Repräsentation (in sämtlichen Bedeutungen die­ses Wortes) nicht wesentlich und konstitutiv ist, daß sie nur ein Akzidens ist, das sich unter Umständen der Praxis der Rede zugesellt. Nun gibt es aber allen Grund zu der An­nahme, daß in der Sprache Repräsentation und Realität sich nicht hier oder da hinzufügen, und zwar aus dem einfachen Grund, daß es im Prinzip unmöglich ist, sie strikt zu unterscheiden. Und man hat mit Sicherheit nicht das Recht zu be­haupten, daß dies in der Sprache geschieht. Die Sprache schlechthin ist dies. Sie allein.

Die innere "Mitteilung" bräuchte keine Repräsentationsstruktur. Sprache ist sinnvoll, sie handelt von etwas. Ohne diesen Bezug ist eine Lautverbindung kein Sprachausdruck.

Husserl selbst gibt uns die Mittel, das gegen ihn selbst zu denken. Denn sowie ich wirklich, wie man sagt, von Worten Gebrauch mache, und ob ich das nun zu kommunikativen Zwecken tue oder nicht (versetzen wir uns hier vor diese Unterscheidung und in die Instanz des Zeichens überhaupt), muß ich von Anfang an eine Wiederholungsstruktur vollzie­hen und es in dieser vollziehen, in der das Element nur reprä­sentativ sein kann.

Wenn ich "mit inneren Worten" operiere, sind es als Worte notgedrungen typisierte, deutbare Zeichengestalten.

Ein Zeichen ist niemals ein Ereignis, wenn Ereignis unersetzliche und unumkehrbare empirische Einmaligkeit bedeutet. Ein Zeichen, das nur »einmal« stattfände, wäre kein Zeichen. Ein rein idiomatisches Zeichen wäre kein Zeichen. Ein Signifikant (im allgemeinen) muß trotz der Verschiedenartigkeit der empirischen Merkmale, die ihn modifizieren können, und durch sie hindurch in sei­ner Gestalt erkennbar sein. Er muß trotz der Verzerrungen, die das, was man das empirische Ereignis nennt, ihn notwen­dig erleiden läßt, und durch sie hindurch derselbe bleiben und als solcher wiederholt werden können. Ein Phonem oder ein Graphem ist in einem gewissen Maße jedesmal, wenn es sich in einer Operation oder einer Wahrnehmung gegenwärtigt, notwendig immer anders, aber als Zeichen und Sprache im allgemeinen kann es nur fungieren, wenn eine formale Identität erlaubt, es wieder in Umlauf zu brin­gen und es wiederzuerkennen. Diese Identität ist notwendig eine ideale. Sie impliziert also notwendigerweise eine Reprä­sentation: als Vorstellung, als Ort der Idealität im allgemei­nen, als Vergegenwärtigung*, als Möglichkeit der reprodu­zierenden Wiederholung im allgemeinen und als Repräsen­tation*, insofern jedes signifikante Ereignis Ersatz (ebenso für das Signifikat wie für die ideale Form des Signifikanten) ist. Insofern diese repräsentative Struktur die Bedeutung (signification) selbst ist, kann ich nicht zu einer »wirklichen« Rede ansetzen, ohne daß ich nicht originär in eine endlose Repräsentativität eingebunden bin.

Wittgenstein sagt: es gibt keine Privatsprache. Für Derrida ist wichtig: originär. Am Anfang des Problems steht die Beziehung der Abkünftigkeit. Vgl: "Delegierte". Sie haben ihren Auftrag von jemand anderem. Aber dieser andere selbst ist nicht der "Urdelegierte".

Man wird uns gegenüber vielleicht einwenden, mit seiner Hypothese einer einsamen Rede, die insofern dem Wesen der Rede entspräche, als sie deren mitteilende und anzeigende Schale fallen läßt, möchte Husserl doch genau diesen ausschließlich repräsentativen Charakter der Ausdrücklichkeit zum Erscheinen bringen. Und auch wir hätten schließlich unsere Frage mit Husserlschen Begriffen formuliert. Das stimmt. Doch allein für den Ausdruck und nicht für die Be­deutung (signification) im allgemeinen möchte Husserl die Zugehörigkeit zur Ordnung der Repräsentation als Vorstel­lung* beschreiben.

Husserl sieht nicht, dass die Ausdrücklichkeit des Zeichens das Gesetz der Bedeutung generell ist. Er sieht eine ursprüngliche Bedeutung im Subjekt vor. Einen reinen Ausdruck, der ohne repräsentative Vermittlung zugänglich sein soll.

Nun haben wir aber gerade nahegelegt, daß diese – und ihre weiteren repräsentativen Modifikatio­nen – von jedem Zeichen schlechthin impliziert werden. An­dererseits und vor allem, sobald man eingeräumt hat, daß die Rede wesentlich der Ordnung der Repräsentation zugehört, wird die Unterscheidung zwischen »wirklicher« Rede und Repräsentation der Rede suspekt, unabhängig davon, ob diese Rede rein »ausdrückend« oder in eine »Mitteilung« eingebunden ist. Aufgrund der originär wiederholenden Struk­tur des Zeichens im allgemeinen bestehen die besten Aussichten darauf, daß die »wirkliche« Sprache genauso bloß vorgestellt ist wie die bloß vorgestellte Rede und daß die bloß vorgestellte Rede genauso wirklich ist wie die wirkliche Rede. Ob es sich nun um einen Ausdruck oder um eine anzeigende Mitteilung handelt, der Unterschied zwischen der Realität und der Repräsentation, zwischen dem Wahren und der Phantasie, zwischen der schlichten Gegenwärtigkeit und der Wiederholung hat stets bereits zu verschwinden begon­nen. Entspricht nicht die Aufrechterhaltung dieses Unter­schiedes – in der Geschichte der Metaphysik und noch bei Husserl – dem hartnäckigen Wunsch, die Gegenwärtigkeit zu bewahren und das Zeichen zu reduzieren bzw. abzulei­ten? Und mit ihm sämtliche Mächte der Wiederholung?

Die angeblich direkte innere Rede ist durch Repräsentation gekennzeichnet, also durch Vorstellung geprägt. "Wirklicher" als durch Repräsentation vermittelt kann man nicht werden. Wieso daraus allerdings die angesprochenen Verwischungen folgen ("hat stets bereits zu verschwinden begonnen") ist nicht sehr klar:
  • Realität/Repräsentation
  • Wahrheit/Phantasie
  • Gegenwärtigkeit/Wiederholung
Das ist Derridas Rückgriff auf Heideggers Interpretation der Gegenwart als "ständige Anwesenheit" und dies wieder als Grundvorgang der abendländischen Metaphysik. Die Grammatologie ist dem gegenüber eine Option für die Verschiebung, die Abwesenheit, Uneigentlichkeit; für den unvermeidlichen Tod. Wittgenstein demonstriert, dass Bewusstseinsvorstellungen kein fundierendes Moment der Sprache sein können. Dem würde Derrida zustimmen. Er verbindet das darüber hinaus mit der "Geschichte der Metaphysik".

Und somit im – abgesicherten, beruhigten, konstituierten – Wir­kungsfeld der Wiederholung, der Repräsentation, der die Gegenwärtigkeit entziehenden Differenz gut zu leben. Wenn nun behauptet wird, wie wir das gerade getan haben, im Zei­chen finde die Differenz zwischen Realität und Repräsenta­tion usw. nicht statt, so läuft das auf die Behauptung hinaus, die Geste, welche diese Differenz bestätigt, sei die eigentliche Auslöschung des Zeichens.

Nicht leicht verständlich. Die Distinktion innen/aussen weist dem Zeichen den falschen Ort zu, insofern ist die Beschreibung seiner Abkünftigkeit eine "Auslöschung". Daran anknüpfend will Derrida wohl sagen: Das Zeichen kann man im Realitäts-Repräsentations-Diskurs nicht auf die Seite der Repräsentation stellen.

Doch läßt sich die Eigenart des Zeichens auf zweierlei Art auslöschen, und auf die Instabili­tät all dieser Bewegungen ist achtzugeben. Sie gehen in der Tat sehr schnell und sehr subtil ineinander über. Man kann das Zeichen in der klassischen Art einer Philosophie der An­schauung und der Gegenwart auslöschen. Diese löscht das Zeichen aus, indem sie es ableitet, indem sie die Reproduk­tion und die Repräsentation dadurch annulliert, daß sie diese zu der Modifikation macht, die zu einer schlichten Gegen­wärtigkeit unvermutet hinzutritt. Doch da eine derartige Philosophie – und in Wahrheit die Philosophie und die Ge­schichte des Abendlandes – so den Zeichenbegriff selbst kon­stituiert und begründet hat, ist dieser von seinem Ursprung an und in seinem Sinninnersten von diesem Willen zur Ablei­tung oder Auslöschung geprägt. Infolgedessen ist die gegen die klassische Metaphysik gerichtete Wiederherstellung der Eigenart und des nicht-abgeleiteten Charakters des Zeichens aufgrund eines sichtlichen Paradoxons genauso die Auslö­schung eines Zeichenbegriffs, dessen ganze Geschichte und ganzer Sinn dem Abenteuer der Metaphysik der Gegenwär­tigkeit zugehören. Dieses Schema gilt ebenso für die Begriffe Repräsentation, Wiederholung, Differenz usw. sowie für ihr gesamtes System. Die Bewegung dieses Schemas wird fürs erste und für lange Zeit die Sprache der Metaphysik nur von innen, von einem gewissen Drinnen her bearbeiten können. Diese Arbeit hat zweifellos stets bereits begonnen. Man müßte sich, sobald die Schließung der Metaphysik benannt sein wird, wieder zu eigen machen, was in diesem Drinnen geschieht.

Wir kennen den metaphysischen Zeichenbegriff. Er ist in Abhebung von Ursprünglichkeit und Authentizität definiert. Wenn wir die Zeichenhaftigkeit an den Anfang stellen, ersetzen wir den klassischen Zeichenbegriff. Wir "dekonstruieren" also "das Zeichen" um zu einem nicht-metaphysischen Zeichenbegriff zu kommen.
Damit verbindet sich eine Frage: die "Wiederherstellung der Eigenart und des nicht-abgeleiteten Charakters des Zeichens" ist eine Vereigentlichung. Sie wendet sich gegen tausende Jahre Philosophietradition. Worauf greift sie zurück? Das führt in Heideggers Ursprünglichkeiten, die nun als ursprüngliche Nicht-Ursprünglichkeiten auftreten. Man kann sagen: Für gewisse Zwecke kann man hinter den Zeichenbegriff nicht zurückgehen. Man kann auch sagen: Im Verleich mit dem Ideal der Authentizität ist dem Zeichenbegriff zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Problematisch ist: Wir dekonstruieren das Verständnis des Zeichens zugunsten einer Restitution seiner Eigenart! Wo holen wir die her?
"Delegierte sind immer schlecht behandelt worden." - "Wir zeigen, dass es ohne Delegierte keinen Parteitag gäbe." Die Fiktion des "Willens der Partei" steht gegen die real demokratischen Verhältnisse der (Regelungen der) Delegation. (Der Volkswille gegen die Politiker.) Soweit, so gut. Aber aus der Unentbehrlichkeit der Delegierten, und aus der konstitutiven Abkünftigkeit ihres Mandates folgt noch nicht dass wir sie an die Stelle der Beglaubigung des politischen Prozesses setzen können.

Mit der Differenz zwischen der wirklichen Gegenwart und der Gegenwart in der Repräsentation als Vorstellung* findet sich so durch die Sprache ein ganzes System von Dif­ferenzen in ein und dieselbe Dekonstruktion hineingezogen: zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden im allgemeinen, dem Signifikat und dem Signifikanten, der schlichten Gegenwärtigkeit und ihrer Reproduktion, der Präsentation als Vorstellung* und der Re-präsentation als Vergegenwärtigung*; denn die Re-präsentation hat als Re­präsentat eine Präsentation* als Vorstellung*. Gegen Hus­serls ausdrückliche Intention sieht man sich so veranlaßt, die Vorstellung* selbst und als solche von der Möglichkeit der Wiederholung und die einfachste Vorstellung*, die Präsenta­tion (Gegenwärtigung*), von der Möglichkeit der Re-prä­sentation (Vergegenwärtigung*) abhängig zu machen. Man leitet die Gegenwärtigkeit-der-Gegenwart von der Wieder­holung ab und nicht umgekehrt. Gegen Husserls ausdrück­liche Intention, doch nicht ohne eine Würdigung dessen, was sich, wie weiter unten vielleicht deutlich werden wird, in sei­ner Beschreibung der Bewegung der Zeitigung und der Be­ziehung zum Anderen impliziert findet.


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