Benjamin Libet und die Folgen (FiK): Unterschied zwischen den Versionen
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Gegeben seien ein willkürlicher Akt, ein Bewusstseinszustand und ein Zeitverlauf. Der Akt ist für die Umwelt sichtbar, der Bewusstseinszustand einer Versuchsperson bekannt und beides findet in einer Abfolge derselben Zeit statt. Freie Handlungen werden oft so beschrieben, dass Personen zu einem bewussten Entschluss kommen und ihn anschließend umsetzen. Zuerst kommt die gedankliche Tätigkeit, dann eine von ihr ausgelöste Aktion. Mit bildgebenden Verfahren lassen sich Vorgänge im Gehirn lokalisieren und in ihrer Entwicklung verfolgen. Die Frage ist dann, wie sich die hirnphysiologischen Prozesse mit dem Bewusstseinsbefund auf eine Linie bringen lassen. | Gegeben seien ein willkürlicher Akt, ein Bewusstseinszustand und ein Zeitverlauf. Der Akt ist für die Umwelt sichtbar, der Bewusstseinszustand einer Versuchsperson bekannt und beides findet in einer Abfolge derselben Zeit statt. Freie Handlungen werden oft so beschrieben, dass Personen zu einem bewussten Entschluss kommen und ihn anschließend umsetzen. Zuerst kommt die gedankliche Tätigkeit, dann eine von ihr ausgelöste Aktion. Mit bildgebenden Verfahren lassen sich Vorgänge im Gehirn lokalisieren und in ihrer Entwicklung verfolgen. Die Frage ist dann, wie sich die hirnphysiologischen Prozesse mit dem Bewusstseinsbefund auf eine Linie bringen lassen. | ||
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+ | Wir können vermöge eines "inneren Zeitbewusstseins" temporale Beziehungen erfahren. Zusätzlich bewegen wir uns in Verhältnissen, die mit Uhren gemessen werden. Eine Überschneidung sieht folgendermaßen aus: Wir sehen, wenn wir etwas fühlen, auf einen Zeitmesser. Libet verwendet ein, für den Mikrosekundenbereich seiner physiologischen Aufzeichnung geeignetes Kathodenstrahloszilloskop. | ||
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Wir konnten diese Frage experimentell untersuchen. Wir fanden, kurz gesagt, dass das Gehirn einen einleitenden Prozess durchläuft, der 550 ms vor dem freien Willensakt beginnt; aber das Bewusstsein des Handlungswillens erschien erst 150-200 ms vor der Handlung. Der Willensprozess wird also unbewusst eingeleitet, und zwar etwa 400 ms bevor die Versuchsperson sich ihres Willens oder ihrer Handlungsabsicht bewusst wird. Die experimentellen Befunde für diese überraschende Abfolge werden in diesem Kapitel dargestellt. | Wir konnten diese Frage experimentell untersuchen. Wir fanden, kurz gesagt, dass das Gehirn einen einleitenden Prozess durchläuft, der 550 ms vor dem freien Willensakt beginnt; aber das Bewusstsein des Handlungswillens erschien erst 150-200 ms vor der Handlung. Der Willensprozess wird also unbewusst eingeleitet, und zwar etwa 400 ms bevor die Versuchsperson sich ihres Willens oder ihrer Handlungsabsicht bewusst wird. Die experimentellen Befunde für diese überraschende Abfolge werden in diesem Kapitel dargestellt. | ||
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: "550 ms vor dem freien Willensakt" ist so wie: "1m vor dem Gewinn des Rennens". Man würde genauer sagen: "1m vor der Ziellinie", wobei die Ziellinie unter genau bestimmten Umständen die Repräsentation des Abschlusses eines Wettrennens ist. "Das Bewusstsein erschien erst 150-200 ms vor der Handlung". Wie erscheint das Bewusstsein auf einer Zeitachse? Welcher Art ist dieses Bewusstsein? Ist es vergleichbar mit jenem "Bewusstsein", von dem man sagt: "Ich bin mir der Konsequenzen meines Handlungen durchaus bewusst"? | : "550 ms vor dem freien Willensakt" ist so wie: "1m vor dem Gewinn des Rennens". Man würde genauer sagen: "1m vor der Ziellinie", wobei die Ziellinie unter genau bestimmten Umständen die Repräsentation des Abschlusses eines Wettrennens ist. "Das Bewusstsein erschien erst 150-200 ms vor der Handlung". Wie erscheint das Bewusstsein auf einer Zeitachse? Welcher Art ist dieses Bewusstsein? Ist es vergleichbar mit jenem "Bewusstsein", von dem man sagt: "Ich bin mir der Konsequenzen meines Handlungen durchaus bewusst"? | ||
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Version vom 14. Mai 2007, 17:16 Uhr
Gegeben seien ein willkürlicher Akt, ein Bewusstseinszustand und ein Zeitverlauf. Der Akt ist für die Umwelt sichtbar, der Bewusstseinszustand einer Versuchsperson bekannt und beides findet in einer Abfolge derselben Zeit statt. Freie Handlungen werden oft so beschrieben, dass Personen zu einem bewussten Entschluss kommen und ihn anschließend umsetzen. Zuerst kommt die gedankliche Tätigkeit, dann eine von ihr ausgelöste Aktion. Mit bildgebenden Verfahren lassen sich Vorgänge im Gehirn lokalisieren und in ihrer Entwicklung verfolgen. Die Frage ist dann, wie sich die hirnphysiologischen Prozesse mit dem Bewusstseinsbefund auf eine Linie bringen lassen.
Benjamin Libet konstruierte eine Versuchsanordnung, in der es möglich ist, die Zeitmessung des neurologischen Experiments mit dem Zeitempfinden der Probanden zu verbinden:
- "Als ich 1977 Gastwissenschaftler am Rockefeller Center for Advanced Studies in Bellagio, Italien, war, kehrten meine Gedanken zu diesem scheinbar unlösbaren Messproblem zurück. Es fiel mir damals ein, dass eine Versuchsperson die »Uhrzeit« ihres Erlebnisses der bewussten Absicht berichten könnte. Sie würde sich die Uhrzeit im Stillen merken und dann, nachdem jeder Versuchsdurchgang vorbei war, berichten."
Wir können vermöge eines "inneren Zeitbewusstseins" temporale Beziehungen erfahren. Zusätzlich bewegen wir uns in Verhältnissen, die mit Uhren gemessen werden. Eine Überschneidung sieht folgendermaßen aus: Wir sehen, wenn wir etwas fühlen, auf einen Zeitmesser. Libet verwendet ein, für den Mikrosekundenbereich seiner physiologischen Aufzeichnung geeignetes Kathodenstrahloszilloskop.
Wir konnten diese Frage experimentell untersuchen. Wir fanden, kurz gesagt, dass das Gehirn einen einleitenden Prozess durchläuft, der 550 ms vor dem freien Willensakt beginnt; aber das Bewusstsein des Handlungswillens erschien erst 150-200 ms vor der Handlung. Der Willensprozess wird also unbewusst eingeleitet, und zwar etwa 400 ms bevor die Versuchsperson sich ihres Willens oder ihrer Handlungsabsicht bewusst wird. Die experimentellen Befunde für diese überraschende Abfolge werden in diesem Kapitel dargestellt.
- "550 ms vor dem freien Willensakt" ist so wie: "1m vor dem Gewinn des Rennens". Man würde genauer sagen: "1m vor der Ziellinie", wobei die Ziellinie unter genau bestimmten Umständen die Repräsentation des Abschlusses eines Wettrennens ist. "Das Bewusstsein erschien erst 150-200 ms vor der Handlung". Wie erscheint das Bewusstsein auf einer Zeitachse? Welcher Art ist dieses Bewusstsein? Ist es vergleichbar mit jenem "Bewusstsein", von dem man sagt: "Ich bin mir der Konsequenzen meines Handlungen durchaus bewusst"?
- Die Lösung Libets besteht darin, keinen zusätzlichen Willensakt (zum Ausdrücken des Auftretens des Willensaktes) anzunehmen, sondern eine Zeitnotiz. Das ist allerdings auch ein Willensakt.
- Die Uhrzeit eines Erlebnisses wird berichtet. Dieses Erlebnis ist das innerpsychische Auftreten einer Handlungsabsicht. Was macht ein psychologisches Ereignis zur "Handlungsabsicht"? Kann ich (hier im Hörsaal) die punktuelle Handlungsabsicht haben, das Flugzeug von Chicago nach Toronto zu nehmen? Das hängt an den Umständen, z.B. wenn ich über den Computer einen Flug buche. Aber dann ist der Sinn der Rede von "Absicht" in einen Kontext eingebettet. Wie eng kann dieser Kontext sein, damit noch von Absicht gesprochen werden kann? Ich habe das Bewusstsein, einem Kind in Dafour eine Mineralwasserflasche geben zu wollen. Ist das eine Absicht?
Ein Kathodenstrahloszilloskop wurde so arrangiert, dass der von ihm erzeugte Lichtfleck in der Nähe des äußeren Randes seines Bildschirms einen Kreis beschrieb. Der äußere Rand des Bildschirms der Oszilloskopröhre war wie gewöhnlich durch 6o Sekunden markiert, die kreisförmig angeordnet waren. Die Bewegung des Lichtflecks sollte die Bewegung des Sekundenzeigers einer gewöhnlichen Uhr simulieren. Unser Lichtfleck ging jedoch in 2,56 sec einmal im Kreis herum, etwa fünfundzwanzigmal schneller als die normalen 60 sec [...]. Jede markierte Sekunde auf der Uhr entsprach deshalb etwa 43 ms der Bewegung des Lichtflecks. Diese schnelle »Uhr« konnte dann Zeitunterschiede im Bereich von hunderten von Millisekunden aufdecken.
Die Versuchsperson saß 2,3 m vom Oszilloskop entfernt. In jedem Durchgang fixierte sie ihren Blick auf die Mitte des Bildschirms des Oszilloskops. Sie wurde gebeten, eine freie Willenshandlung zu vollziehen, eine einfache, aber plötzliche Bewegung des Handgelenks, und zwar zu einem beliebigen Zeitpunkt. Sie wurde gebeten, nicht im Voraus zu planen, wann sie handeln würde; sie sollte vielmehr die Handlung »von sich aus« erscheinen lassen. Das würde uns gestatten, den Prozess der Handlungsplanung von dem Prozess für einen freien, spontanen Willen, »jetzt zu handeln«, zu unterscheiden. Sie wurde außerdem gebeten, ihr erstes Bewusstsein ihrer Bewegungsabsicht mit der »Position auf der Uhr« des kreisenden Lichtflecks zu verknüpfen. Diese verknüpfte Uhrzeit wurde von der Versuchsperson nach Beendigung des Versuchs berichtet. Wir bezeichneten diese berichteten Zeiten mit »W« für das bewusste Wollen oder Wünschen einer Handlung. Das BP, das bei jeder solchen Willenshandlung erzeugt wurde, wurde ebenfalls gemessen, und zwar mit geeigneten Elektroden auf dem Kopf. Ein BP, das über vierzig Versuche gemittelt wurde, erwies sich als brauchbar. Die Zeit des Einsetzens dieser gemittelten BPs konnte dann mit den berichteten W-Zeiten bei denselben vierzig Handlungen verglichen werden.
- Eine freie Willenshandlung ohne Planung, das ist eine weitgehend willkürliche Bewegung. wie z.B. ein Signal, das jemandem die Vorfahrt läßt oder das Zurückwinken aus einem Zug. Frei und spontan? Eine spontane Geste ist konventionell von einer physiologisch verursachten Geste (Reflex) und einer lange überlegten Geste ("schachmatt") zu unterscheiden. Hier tritt ein methodologisches Problem auf. Wenn "spontan" in diesem Sinn verstanden wird, ist von vornherein eine Differenz zwischen Physiologie und Psyche eingeführt. Oder "spontan" heisst planungslos und korreliert mit einer gewissen Gehirnaktivität. Dann ist die Sache in die umgekehrte Richtung vorentschieden.
- Wie kann der Prozess der Handlungsplanung vom spontanen Willen, jetzt zu Handeln abgetrennt werden? In welchem Sinn ist eine Geste ohne Planung eine Handlung? Der kritische Ausdruck ist "spontan Handeln". Was macht eine Geste zum Zugestehen der Vorfahrt - im Unterschied zum Zurechtrichten des Rückspiegels oder der Fliegenabwehr?
- Was heißt es, eine Handlung von sich aus erscheinen zu lassen? Eine Zöllnerin winkt einen PKW durch. Das ist eine Handlung mit möglichen Konsequenzen. Aber wo liegt dabei das Moment der Freiheit? Kaum in den Sekundenbruchteilen des nicht blockierten Winkens.
Unsere Definition einer Willenshandlung enthielt folgende Merkmale: Der Handlungswille entstand auf endogene Weise. Es gab also keine äußeren Hinweisreize für den Vollzug der Handlung; keine äußeren Beschränkungen für den Zeitpunkt der Handlung; und vor allem hatte die Versuchsperson den Eindruck, dass sie für die Handlung verantwortlich war, und sie hatte auch das Gefühl, dass sie es in der Hand hatte, wann sie handelte und ob sie überhaupt handeln sollte oder nicht. Menschliche Versuchspersonen können letzteres Kriterium von Situationen unterscheiden, in denen eine motorische Handlung ohne dieses Merkmal erzeugt wird. Der Neurochirurg Wilder Penfield reizte elektrisch den frei liegenden Motorkortex während der Operation zur Behandlung epileptischer Zentren. Die Reizung des Motorkortex erzeugt Kontraktionen bestimmter Muskeln und bestimmte Bewegungen an bestimmten Stellen des Körpers. Die Patienten berichteten, dass sie solche Bewegungen nicht wollten; sie berichteten, dass diese Bewegungen ihnen von der Person aufgezwungen wurden, die ihren Kortex gereizt hatte; sie waren keine Willenshandlungen.
- "Keine äußeren Beschränkungen"? Die ganze Versuchsanordnung ist eine solche Beschränkung.
- "Verantwortlich" heißt in diesem Kontext: nicht reflexhaft oder extern ausgelöst. Zu unterscheiden wäre:
- alles, was nicht durch Reflexe oder externe Machinationen zustand kommt (rot / nicht-rot)
- eine andere Qualität der Phasen-Abfolge (rot / blau)
- Diese Unterscheidung macht deutlich, dass die Diskussion durch eine grundlegende Doppeldeutung des Negators "nicht" gekennzeichnet ist. Er kann einen extensionalen Dualismus oder eine Qualitätsdifferenz induzieren.
Es gibt viele klinische Störungen, bei denen Handlungen in Abwesenheit eines bewussten Willens auftreten. Dazu gehören unwillkürliche Handlungen bei Gehirnlähmung, Parkinson, Chorea Huntington, Tourette-Syndrom und auch zwanghafte Handlungsimpulse. Ein schlagendes Beispiel ist das »alien hand sign«. Patienten mit einer Schädigung am vorderen, medialen Teil des prämotorischen Areals der Hirnrinde können den Ein-druck haben, dass die Hand und der Arm auf der betroffenen Seite merkwürdige zweckgerichtete Handlungen vollziehen, wie beispielsweise das Aufknöpfen eines Hemdes, während die Versuchsperson versucht, es zuzuknöpfen. All das geschieht ohne oder sogar gegen den Willen und die Absicht der Versuchsperson.
Vom_Wildwuchs_zum_Nutzgarten_(FiK)
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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)
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