README.Lernobjekte: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. Februar 2005, 17:21 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Technische Neuerungen
Seit der Einrichtung der ersten Universitäten ist der Lehrbetrieb in verhältnismäßig kleinen Gruppen und nach einem Wochenplan abgehalten worden. Die physische Anwesenheit von Lehrenden und Lernenden in Echtzeit war selbstverständlich. Computer und Technologie der Datennetze durchbrechen diese Tradition. Im Hörsaal und im Seminarraum stehen Hilfsmittel zur Verfügung, die im Vergleich zu Büchern und selbst zu relativ jungen Multimedia-Lehrbehelfen qualitativ neue Möglichkeiten eröffnen. Virtuelle Gemeinschaften beruhen auf der Simultaneität des Informationsaustausches im Internet und folgen keinem wöchtentlichen Rythmus. Für Gruppenbildungen im Universitätsbetrieb erschließen sich damit bisher unbekannte Kommunikations- und Kooperationsformen. Das Netz ist kein Präsentationsmedium wie Overhead-Folien oder Film (obwohl es sich auch so gebrauchen läßt.) Es ist eine Konkurrenz zur ortsgebundenen, zeitlich segmentierten Lehrtätigkeit der bisherigen Ordnung.
An zwei Stellen ist die Alternative besonders gut zu markieren. Die Beteiligung an Lehrveranstaltungen kann den Mustern virtueller sozialer Prozesse folgen. Zeitversetzte und durch streaming media vermittlete Partizipation ergänzt und überlagert das Angebot an Ort und Stelle. Vorlesungen sind in Tondokumenten erfasst und abwesende Studierende können per chat oder Videoschaltung an den Ereignissen teilnehmen. Und zweitens sprengt die damit verbundene digitale Erfassung des Lehr- und Lernvorgangs den engen Rahmen einer bestimmten universitären Klientele. Am Internet gestreamte Vorlesungen müssen allenfalls künstlich auf einen ausgewählten Personenkreis beschränkt werden. Der Vorgabe der Technik entsprechend sind sie weltweit verfügbar. Lehrveranstaltungsinhalte, die früher in Mitschriften, Skripten und Seminararbeiten niedergelegt wurden, können jetzt so einfach zirkulieren wie eine e-Mail.
schlechte und gute Aussichten
Verschiedene Reaktionen seitens der bisherigen Unterrichtspraxis sind denkbar. Ohne Zweifel lassen sich Seminarapparate und Handouts mit digitaler Hilfe leichter und kostengünstiger organisieren. Bei Diskussionsforen und Mailing Listen handelt es sich um nützliche Erweiterungen, die sinnvoll in bestehende pädagogische Konzepte zu integrieren sind. Das wären behutsame Anpassungen und Bereicherungen des Bekannten. Wichtige Trends zielen allerdings auf eine weiter reichende Umschichtung. Die Lehre an den Universitäten ist schon seit einiger Zeit mit strukturellen Schwierigkeiten konfrontiert, die sich aus dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach kostengünstig produzierbarem, praktisch verwertbarem und rasch revidierbarem Wissen ergeben. Ausbildungsformen jenseits der "akademischen Gemeinschaft" führen schneller zu vordefinierten Resultaten und lassen sich leichter nach den Erfordernissen des Arbeitsmarktes steuern. Den Universitäten bleibt (eventuell) die Forschung, ihr Lehrbudget wird gekürzt, sie geraten in einem Konkurrenzkampf mit enger fokussierten Mitbewerbern (Fachhochschulen, pädagogische Akademien, Fernstudien, betriebliche Ausbildung). Unter diesem Vorzeichen gewinnt die mögliche Digitalisierung des Lehrangebotes besonderes Gewicht.
Eine grössere Menge von Studierenden läßt sich effektiver betreuen. Standardisierte, qualitätsgeprüfte Unterrichtseinheiten ermöglichen ein konstantes Lehrniveau. Zeitersparnis und Transparenz in der organisatorischen Abwicklung setzen Ressourcen für die persönliche Betreuung frei. So lauten einige Prognosen der Befürwortrinnen (m/w) des eLearning. Ein Punkt soll hervorgehoben werden. Seit Unterlagen für Lehrveranstaltungen digital erzeugt werden, stehen sie im Prinzip zur Wiederverwendung und zum Austausch zur Verfügung. Sie kosten mehr Zeit und technischen Aufwand als herkömmliche Notizen, sind dafür aber objektivierbar, evaluierbar und verkauflich. Die Arbeitskraft, welche eine Dozentin in das Design einer Lehrveranstaltung investiert, läßt sich viel einfacher als bisher in Prestige und Honorare ummünzen. Hinzu kommt, dass die Anbieter elaborierter "Learning Managment Systems" (LMS) nach anfänglichem Zögern dazu übergegangen sind, neutrale Standards zur Handhabung des pädagogischen Inputs zu unterstützen. Die Chance besteht, dass entsprechend präparierte Lernbehelfe große Verbreitung erlangen und von zahlreichen Personen verwendet werden. Gegenüber Lehrbüchern besitzen sie eine konkurrenzlos höhere Flexibilität und unvergleichbar effektivere Verbreitungsmodalitäten.
Objekt und Metadaten
Ein Stichwort zur Bezeichnung dieser Zusammenhänge ist "Lernobjekt". Das sind digital realisierte pädagogische Unterlagen, die eigenständige Ausschnitte eines Stoffbereiches erfassen und mit Metadaten versehen sind, welche die Zuordnung in einen breiteren administrativen, fachwissenschaftlichen und methodischen Kontext gestatten. Nach diesen Kategorien aufgeschlüsselt werden Lernobjekte in elektronischen Archiven gesammelt und zur weiteren Verwendung angeboten. Entscheidend ist die sachgerechte Modularisierung des Lernstoffes. Ein einzelnes Bild oder ein Zitat ist den organisatorischen Aufwand nicht wert. Andererseits eignet sich auch eine Vorlesung schlecht zur Übernahme. Kaum jemand wird den Semesterkurs einer Kollegin wiederholen. Das von diversen Gremien vertretene Ziel dazwischen ist eine passende Segementierung. Sie würde es erlauben, zur Gestaltung des Unterrichts auf verschiedene, in sich abgeschlossene Einheiten zurückzugreifen und sie den eigenen Zwecken entsprechend neu zu assemblieren. Es ist z.B. vorstellbar, dass sich eine "Geschichte Europas" aus Darstellungen in nationaler Perspektive zusammensetzt.
Auch für die Philosophiegeschichte ist das vielleicht ein praktikabler Weg. Plausibel ist durchaus, dass die gebräuchlichen Seminare und Überblicksdarstellungen zu "klassischen" Themen durch derartige Kollagen an Substanz gewinnen. Ein Expose zu Tarskis Wahrheitstheorie oder zu Positionen in der Philosophie des Geistes kann von verstärktem Nutzen sein. Dennoch bestehen einige schwerwiegende Einwände gegen die Übertragung dieser Methode auf den philosophischen Unterricht. Ein Blick auf die Literatur zeigt schnell, dass Lehrbücher, ganz zu schweigen von philosophischen Publikationen allgemein, keineswegs zu einem Standard konvergieren. Bezüglich klassischer Philosophen sind im README.Methode einige Gründe für diesen Umstand angedeutet. Die Einbettung selbst kanonischer Beiträge in die unabsehbare Vielfalt legitimer gegenwärtiger Fragestellungen, die Forderung nach systematischer Konsistenz quer durch weitreichende Untersuchungsgebiete und schließlich auch die hohe Korrelation zwischen fachlicher und persönlicher Akzentuierung sprechen gegen den Erfolg philosophischer "Paketlösungen" im Sinne isolierbarer, kombinatorisch freier Unterrichtsmittel. Selbst aus der pragmatischen Sicht der Hochschulleitungen wird vermutlich zugestanden, dass der Sinn eines Philosophiestudiums (sofern es überhaupt angeboten wird), im Erlernen minimal verschulter Strategien zur Prüfung eingespielter Geltungsansprüche besteht. Solche Interventionen lassen sich schlecht voraussehen und kaum delegieren.
reizvoll
Dies alles sei zugestanden. Die Idee der Lernobjekte zu Hegel hat dennoch ihren Reiz. In einer Hinsicht eignet sich kaum ein Philosoph schlechter als Hegel zu einem solchen atomisierenden Verfahren. Die deutsche Hegel-Prominenz wird es sicherlich als absurd betrachten. Wer sich hingegen auf den Gedanken einläßt, dass wir uns bereits im Einzugsgebiet "des Absoluten" befinden und dieses Motiv zusätzlich durch den Bezug zu Wittgensteins "übersichtlicher Darstellung" stark macht, verfolgt eine andere Perspektive.
Der Satz ist vollkommen logisch analysiert, dessen Grammatik vollkommen klargelegt ist. Er mag in welcher Ausdrucksweise immer hingeschrieben oder ausgesprochen sein (Ludwig Wittgenstein, Big Typescript, WA 11.282)
In dieser logischen Maximalforderung steckt mehr von Hegels Absolutheit, als von der kleinteiligen Aufklärungsarbeit des Wiener Kreises. Die Transparenz vollständig analysierter Bezüge wird gleichsam sub specie aeternitatis angesprochen. Abstrahiert man von der großen Erzählung des dialektischen Gesamtprozesses, so findet man bei beiden Philosophen eine Folge von Klarstellungen. "Absolut" heißt dann: herausgelöst aus Bedingungszusammenhängen; für sich alleine stehend; umstandslos gültig. Dieser Effekt läßt sich in Lernobjekten wiedergeben.
Querschnitte
Lernobjekte sollen "in sich abgeschlossen" sein und damit gleichzeitig an einer globalen Ordnung teilnehmen, die sich in kommunikativem Austausch konstituiert. Gewöhnlich werden sie als Bausteine vorgestellt und zum Aufbau molekularer Wissensmuster angeboten. Aber das läßt sich anders einrichten. Sie können auch wie Nietzsches Bemerkungen, Adornos "Minima Moralia" oder wie die Aphorismen Roland Barthes' funktionieren. Jeder derartige "Abschnitt" ist eine Welt für sich und spiegelt die Welt insgesamt. Er ist absolut im Sinn der Eigenständigkeit und auch darin, dass er unbedingte Geltung fordert. Das offene Problem ist natürlich, dass die "vollkommene logische Analyse" eine gänzlich instabile Koinzidenz von Augenblick und Zeitlosigkeit darstellt.
Die Unruhe in der Philosophie kommt daher, daß die Philosophen die Philosophie falsch ansehen, nämlich gleichsam in (unendliche) Längsstreifen zerlegt, statt in (endliche) Querstreifen. (Wittgenstein, Big Typescript, WA 11.290)
Das Prinzip der Wissenschaften besteht darin, einige Querstreifen auszuschneiden und sie produktiv neu zusammenzusetzen. Der hier vorgestellten Auffassung von Philosophie gemäß liegt die Herausfoderung darin, im Einzelnen das Signum des Ganzen zu sehen. In Formeln wie diesen verdichtet sich der Wunsch, es möge eine Weltbetrachtung geben, in der sogenannte "letzte Fragen" schon vor dem Ende zu beantworten sind. Die Lernobjekte dieser Sammlung berichten von Hegels Strategie, beide Momente zu verbinden und ihre Form reflektiert sein Problem in einem neuen Medium.
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