Die Ereignisfolge in der "Jetzt-Handeln"-Situation: Unterschied zwischen den Versionen

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Welche Antwort erhielten wir also auf unsere ursprüngliche Frage bezüglich der relativen Zeiten für den Beginn der Gehirn­aktivität (BP) gegenüber dem bewussten Handlungswillen? Die eindeutige Antwort war: Das Gehirn leitet zuerst den Willens­prozess ein. Die Versuchsperson wird sich später des Drangs oder Wunsches (W) zu handeln bewusst, und zwar ungefähr 350 bis 400 ms nach dem Beginn des gemessenen BP, das vom Gehirn er-zeugt wird. Das galt für jede der vierzig Versuchsreihen bei jeder der neun Versuchspersonen.
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Welche Antwort erhielten wir also auf unsere ursprüngliche Frage bezüglich der relativen Zeiten für den Beginn der Gehirn­aktivität (BP) gegenüber dem bewussten Handlungswillen? Die eindeutige Antwort war: Das Gehirn leitet zuerst den Willens­prozess ein. Die Versuchsperson wird sich später des Drangs oder Wunsches (W) zu handeln bewusst, und zwar ungefähr 350 bis 400 ms nach dem Beginn des gemessenen BP, das vom Gehirn erzeugt wird. Das galt für jede der vierzig Versuchsreihen bei jeder der neun Versuchspersonen.
  
Diese Abfolge von Ereignissen wurde von Keller und Heck-hausen, von Haggard und Eimer und von zwei anderen Grup­pen bestätigt, obwohl diese beiden unser Experiment nicht ge­nau replizierten.' Haggard und Eimer fügten dem Experiment interessante Besonderheiten hinzu: Sie maßen das BP nicht nur auf dem Scheitel (wie wir), sondern auch die BPs, die sich in den lateralen prämotorischen Arealen des Kortex zeigen. Diese late­ralen BPs (LBP) wiesen Anfangszeiten auf, die näher bei den -55o ms lagen, die wir bei unseren BP-II-Messungen beobachteten. Haggard und Eimer unterteilten die LBP-Versuche in eine Gruppe mit früheren und eine Gruppe mit späteren Anfangs­zeiten. Die angegebenen W-Werte (Zeitpunkt des Bewusstseins des Handlungsdrangs) für die früheren LBPs waren ebenfalls die früheren W-Werte, und die Ws für die späteren LBPs lagen in der Gruppe der späteren Zeitpunkte. In beiden Gruppen von Versu­chen gingen die Anfangszeiten der LBPs den W-Zeitpunkten in der jeweiligen Gruppe voraus. Damit wurde gezeigt, dass der Befund bezüglich der Anfangszeiten von LBP, nämlich dass diese Zeiten den W-Zeitpunkten beträchtlich vorausgehen, für den ge­samten Wertebereich von sowohl den LBPs als auch den Ws gilt.
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"Die gesteigerte Luftfeuchtigkeit leitet die Nebelbildung ein." "Die Staatsanwaltschaft leitet ein Verfahren ein."
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Haggard und Eimer machten noch eine zusätzliche Behaup­tung: Sie behaupten, dass das am Scheitel gemessene BP keine kausale Beziehung zum Erscheinen von W haben kann, weil ihre BPs nicht mit ihren frühen bzw. späten Ws kovariierten. Unser BP II ist jedoch der entscheidende Wert, der auf die letztliche Einleitung des willentlichen »Jetzt-Handeln«-Prozesses bezogen werden muss. (Das BP I beginnt mit einem Nachdenken da-rüber, wann die Bewegung stattfinden soll; das ist ein separater Prozess.) Deshalb sollten es unsere BP II sein, die in frühe und späte Gruppen unterteilt werden sollten, um die Kovarianz mit frühen und späten Ws zu prüfen. Diese Messung wurde weder von uns noch von Haggard und Eimer vorgenommen, und des-halb kann gegenwärtig keine Schlussfolgerung bezüglich der Verursachung auf dieser Grundlage getroffen werden.?
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Diese Abfolge von Ereignissen wurde von Keller und Heckhausen, von Haggard und Eimer und von zwei anderen Grup­pen bestätigt, obwohl diese beiden unser Experiment nicht ge­nau replizierten. Haggard und Eimer fügten dem Experiment interessante Besonderheiten hinzu: Sie maßen das BP nicht nur auf dem Scheitel (wie wir), sondern auch die BPs, die sich in den lateralen prämotorischen Arealen des Kortex zeigen. Diese late­ralen BPs (LBP) wiesen Anfangszeiten auf, die näher bei den -550 ms lagen, die wir bei unseren BP-II-Messungen beobachteten. Haggard und Eimer unterteilten die LBP-Versuche in eine Gruppe mit früheren und eine Gruppe mit späteren Anfangs­zeiten. Die angegebenen W-Werte (Zeitpunkt des Bewusstseins des Handlungsdrangs) für die früheren LBPs waren ebenfalls die früheren W-Werte, und die Ws für die späteren LBPs lagen in der Gruppe der späteren Zeitpunkte. In beiden Gruppen von Versu­chen gingen die Anfangszeiten der LBPs den W-Zeitpunkten in der jeweiligen Gruppe voraus. Damit wurde gezeigt, dass der Befund bezüglich der Anfangszeiten von LBP, nämlich dass diese Zeiten den W-Zeitpunkten beträchtlich vorausgehen, für den ge­samten Wertebereich von sowohl den LBPs als auch den Ws gilt.
  
Der Philosoph John R. Searle schlug vor, dass eine Willens­handlung dann stattfindet, wenn ein bewusstes »Selbst« auf der Grundlage von Gründen handelt und in der Lage ist, Handlun­gen einzuleiten. Wir haben jedoch herausgefunden, dass der Willensprozess des »Jetzt-Handelns« unbewusst eingeleitet wird. Ein bewusstes Selbst kann daher diesen Prozess nicht einleiten. Jeder Grund für eine Handlung, den ein bewusstes Selbst ent­wickelte, würde eigentlich zur Kategorie des Vorausplanens oderdes Entscheidens gehören; wir haben experimentell gezeigt, dass diese Art von Prozess eindeutig verschieden ist von dem am Ende stattfindenden Prozess des »Jetzt-Handelns«. Schließlich kann man eine Handlung planen und über sie nachdenken, ohne dass man jemals handelt! Searles philosophisch motivierte Modelle leiden an dem Mangel, dass sie nicht alle experimentell bekann­ten Belege berücksichtigen. Seine Modelle sind in der Hauptsa­che ungeprüft und sogar unprüfbar.
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Haggard und Eimer machten noch eine zusätzliche Behaup­tung: Sie behaupten, dass das am Scheitel gemessene BP keine kausale Beziehung zum Erscheinen von W haben kann, weil ihre BPs nicht mit ihren frühen bzw. späten Ws kovariierten. Unser BP II ist jedoch der entscheidende Wert, der auf die letztliche Einleitung des willentlichen »Jetzt-Handeln«-Prozesses bezogen werden muss. (Das BP I beginnt mit einem Nachdenken darüber, wann die Bewegung stattfinden soll; das ist ein separater Prozess.) Deshalb sollten es unsere BP II sein, die in frühe und späte Gruppen unterteilt werden sollten, um die Kovarianz mit frühen und späten Ws zu prüfen. Diese Messung wurde weder von uns noch von Haggard und Eimer vorgenommen, und deshalb kann gegenwärtig keine Schlussfolgerung bezüglich der Verursachung auf dieser Grundlage getroffen werden.?
  
''Searle ist meiner Meinung nach Recht zu geben: Wenn "ein bewusstes »Selbst« auf der Grundlage von Gründen" eine Handlung vollzieht, so stellt man sich darunter etwas mehr vor als nur das Heben einer Hand. Das im Libet-Experiment praktizierte Handheben hatte für die Test-Personen keinerlei Konsequenzen und war - abgesehen vom Interesse des Experimentators - völlig belanglos. Bei etwas komplexer gelagerten Entscheidungen gehen einer Handlung umfangreiche Denkprozesse voraus, die mehr als nur 500-800 ms in Anspruch nehmen. Es erscheint mir nicht gerechtfertigt, aus den Libet'schen Ergebnissen zu schließen, daß uns unsere Handlungsgründe generell immer unbewußt sind. Zumindest ein Teil unserer Handlungsgründe ist uns bewußt. Wir wägen mögliche Konsequenzen sehr wohl bewußt gegeneinander ab und geben schließlich - aufgrund welcher Motive auch immer - der einen oder anderen Handlungsmöglichkeit den Vorzug. Vor schwierige Entscheidungen gestellt, ziehen wir es sogar oft vor, die Entscheidung hinauszuschieben oder zu umgehen. Die Umstände des Libet-Experiments werden also dem "wahren Leben" nicht gerecht; deshalb sollten die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden (z.B. auf moralisch heikle Entscheidungen).''--[[Benutzer:Bergerml|Bergerml]] 19:37, 15. Nov 2006 (CET)
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Der Philosoph John R. Searle schlug vor, dass eine Willens­handlung dann stattfindet, wenn ein bewusstes »Selbst« auf der Grundlage von Gründen handelt und in der Lage ist, Handlun­gen einzuleiten. Wir haben jedoch herausgefunden, dass der Willensprozess des »Jetzt-Handelns« unbewusst eingeleitet wird. Ein bewusstes Selbst kann daher diesen Prozess nicht einleiten. Jeder Grund für eine Handlung, den ein bewusstes Selbst ent­wickelte, würde eigentlich zur Kategorie des Vorausplanens oder des Entscheidens gehören; wir haben experimentell gezeigt, dass diese Art von Prozess eindeutig verschieden ist von dem am Ende stattfindenden Prozess des »Jetzt-Handelns«. Schließlich kann man eine Handlung planen und über sie nachdenken, ohne dass man jemals handelt! Searles philosophisch motivierte Modelle leiden an dem Mangel, dass sie nicht alle experimentell bekann­ten Belege berücksichtigen. Seine Modelle sind in der Hauptsa­che ungeprüft und sogar unprüfbar.
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: ''Searle ist meiner Meinung nach Recht zu geben: Wenn "ein bewusstes »Selbst« auf der Grundlage von Gründen" eine Handlung vollzieht, so stellt man sich darunter etwas mehr vor als nur das Heben einer Hand. Das im Libet-Experiment praktizierte Handheben hatte für die Test-Personen keinerlei Konsequenzen und war - abgesehen vom Interesse des Experimentators - völlig belanglos. Bei etwas komplexer gelagerten Entscheidungen gehen einer Handlung umfangreiche Denkprozesse voraus, die mehr als nur 500-800 ms in Anspruch nehmen. Es erscheint mir nicht gerechtfertigt, aus den Libet'schen Ergebnissen zu schließen, daß uns unsere Handlungsgründe generell immer unbewußt sind. Zumindest ein Teil unserer Handlungsgründe ist uns bewußt. Wir wägen mögliche Konsequenzen sehr wohl bewußt gegeneinander ab und geben schließlich - aufgrund welcher Motive auch immer - der einen oder anderen Handlungsmöglichkeit den Vorzug. Vor schwierige Entscheidungen gestellt, ziehen wir es sogar oft vor, die Entscheidung hinauszuschieben oder zu umgehen. Die Umstände des Libet-Experiments werden also dem "wahren Leben" nicht gerecht; deshalb sollten die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden (z.B. auf moralisch heikle Entscheidungen).''--[[Benutzer:Bergerml|Bergerml]] 19:37, 15. Nov 2006 (CET)
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: Es gibt nach Libet einen Unterschied zwischen geplanten Handlungen und Spontanhandlungen, bei letzteren ist keine Zeit zur Überlegung, obwohl es ein Bewusstsein der ungezwungenen Tätigkeit gibt. Dabei ist kein Platz für psychische Zustände/Vollzüge eines "bewussten Selbst". Was heißt das für die Beispiele ''überlegter'' Handlungen. Ich stimme Michael Berger zu: wenn dieser Typus von Handlungen anerkannt wird, muss man ihn nach seinen eigenen Zeitabläufen beurteilen und kann sich nicht einfach am Fall der Spontanhandlung orientieren. --anna 12:36, 16. Nov 2006 (CET)
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Zurück zu unserem Experiment: Ein zusätzlicher wichtiger Befund war, dass W der tatsächlichen Bewegung der Muskelakti­vierung um 150-200 ms vorausging (siehe Abb. 4.3). Außerdem ist der tatsächliche Unterschied zwischen der wirklichen Einlei­tung der Handlung im Gehirn und dem bewussten Willen (W) wahrscheinlich größer als die hier beobachteten 400 ms (wenn man das BP als Bezugspunkt verwendet). Wie oben angemerkt, könnte ein unbekanntes Areal, das sich anderswo im Gehirn befindet, die Aktivität einleiten, die wir als BP II messen.
 
Zurück zu unserem Experiment: Ein zusätzlicher wichtiger Befund war, dass W der tatsächlichen Bewegung der Muskelakti­vierung um 150-200 ms vorausging (siehe Abb. 4.3). Außerdem ist der tatsächliche Unterschied zwischen der wirklichen Einlei­tung der Handlung im Gehirn und dem bewussten Willen (W) wahrscheinlich größer als die hier beobachteten 400 ms (wenn man das BP als Bezugspunkt verwendet). Wie oben angemerkt, könnte ein unbekanntes Areal, das sich anderswo im Gehirn befindet, die Aktivität einleiten, die wir als BP II messen.
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Abb. 4.3. Diagramm der Abfolge von zerebralen (BPs) und subjektiven Ereignissen (W), die einer selbst eingeleiteten Willenshandlung vorausgehen.
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<small>Abb. 4.3. Diagramm der Abfolge von zerebralen (BPs) und subjektiven Ereignissen (W), die einer selbst eingeleiteten Willenshandlung vorausgehen.
Bezogen auf die Nullzeit (Muskelaktivierung) treten zuerst die zerebralen BPs auf, und zwar entweder bei vorausgeplanten Handlungen (BP I) oder ohne Vorausplanung (BP II). Das subjektive Erleben des frühesten Bewusstseins des Bewe­gungswunsches (W) erscheint bei etwa —zoo ms; das ist deutlich früher als die Handlung (die »Nullzeit), aber 350 ms nach BP II. Die subjektive Datierung des Hautreizes (S) lag durchschnittlich bei -5o ms vor der tatsächlichen Verabreichung des Reizes. Aus Libet, 1989.
 
  
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Bezogen auf die Nullzeit (Muskelaktivierung) treten zuerst die zerebralen BPs auf, und zwar entweder bei vorausgeplanten Handlungen (BP I) oder ohne Vorausplanung (BP II). Das subjektive Erleben des frühesten Bewusstseins des Bewe­gungswunsches (W) erscheint bei etwa —zoo ms; das ist deutlich früher als die Handlung (die »Nullzeit), aber 350 ms nach BP II. Die subjektive Datierung des Hautreizes (S) lag durchschnittlich bei -5o ms vor der tatsächlichen Verabreichung des Reizes. Aus Libet, 1989.</small>
 
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Version vom 16. November 2006, 12:36 Uhr

Welche Antwort erhielten wir also auf unsere ursprüngliche Frage bezüglich der relativen Zeiten für den Beginn der Gehirn­aktivität (BP) gegenüber dem bewussten Handlungswillen? Die eindeutige Antwort war: Das Gehirn leitet zuerst den Willens­prozess ein. Die Versuchsperson wird sich später des Drangs oder Wunsches (W) zu handeln bewusst, und zwar ungefähr 350 bis 400 ms nach dem Beginn des gemessenen BP, das vom Gehirn erzeugt wird. Das galt für jede der vierzig Versuchsreihen bei jeder der neun Versuchspersonen.

"Die gesteigerte Luftfeuchtigkeit leitet die Nebelbildung ein." "Die Staatsanwaltschaft leitet ein Verfahren ein."

Diese Abfolge von Ereignissen wurde von Keller und Heckhausen, von Haggard und Eimer und von zwei anderen Grup­pen bestätigt, obwohl diese beiden unser Experiment nicht ge­nau replizierten. Haggard und Eimer fügten dem Experiment interessante Besonderheiten hinzu: Sie maßen das BP nicht nur auf dem Scheitel (wie wir), sondern auch die BPs, die sich in den lateralen prämotorischen Arealen des Kortex zeigen. Diese late­ralen BPs (LBP) wiesen Anfangszeiten auf, die näher bei den -550 ms lagen, die wir bei unseren BP-II-Messungen beobachteten. Haggard und Eimer unterteilten die LBP-Versuche in eine Gruppe mit früheren und eine Gruppe mit späteren Anfangs­zeiten. Die angegebenen W-Werte (Zeitpunkt des Bewusstseins des Handlungsdrangs) für die früheren LBPs waren ebenfalls die früheren W-Werte, und die Ws für die späteren LBPs lagen in der Gruppe der späteren Zeitpunkte. In beiden Gruppen von Versu­chen gingen die Anfangszeiten der LBPs den W-Zeitpunkten in der jeweiligen Gruppe voraus. Damit wurde gezeigt, dass der Befund bezüglich der Anfangszeiten von LBP, nämlich dass diese Zeiten den W-Zeitpunkten beträchtlich vorausgehen, für den ge­samten Wertebereich von sowohl den LBPs als auch den Ws gilt.

Haggard und Eimer machten noch eine zusätzliche Behaup­tung: Sie behaupten, dass das am Scheitel gemessene BP keine kausale Beziehung zum Erscheinen von W haben kann, weil ihre BPs nicht mit ihren frühen bzw. späten Ws kovariierten. Unser BP II ist jedoch der entscheidende Wert, der auf die letztliche Einleitung des willentlichen »Jetzt-Handeln«-Prozesses bezogen werden muss. (Das BP I beginnt mit einem Nachdenken darüber, wann die Bewegung stattfinden soll; das ist ein separater Prozess.) Deshalb sollten es unsere BP II sein, die in frühe und späte Gruppen unterteilt werden sollten, um die Kovarianz mit frühen und späten Ws zu prüfen. Diese Messung wurde weder von uns noch von Haggard und Eimer vorgenommen, und deshalb kann gegenwärtig keine Schlussfolgerung bezüglich der Verursachung auf dieser Grundlage getroffen werden.?

Der Philosoph John R. Searle schlug vor, dass eine Willens­handlung dann stattfindet, wenn ein bewusstes »Selbst« auf der Grundlage von Gründen handelt und in der Lage ist, Handlun­gen einzuleiten. Wir haben jedoch herausgefunden, dass der Willensprozess des »Jetzt-Handelns« unbewusst eingeleitet wird. Ein bewusstes Selbst kann daher diesen Prozess nicht einleiten. Jeder Grund für eine Handlung, den ein bewusstes Selbst ent­wickelte, würde eigentlich zur Kategorie des Vorausplanens oder des Entscheidens gehören; wir haben experimentell gezeigt, dass diese Art von Prozess eindeutig verschieden ist von dem am Ende stattfindenden Prozess des »Jetzt-Handelns«. Schließlich kann man eine Handlung planen und über sie nachdenken, ohne dass man jemals handelt! Searles philosophisch motivierte Modelle leiden an dem Mangel, dass sie nicht alle experimentell bekann­ten Belege berücksichtigen. Seine Modelle sind in der Hauptsa­che ungeprüft und sogar unprüfbar.

Searle ist meiner Meinung nach Recht zu geben: Wenn "ein bewusstes »Selbst« auf der Grundlage von Gründen" eine Handlung vollzieht, so stellt man sich darunter etwas mehr vor als nur das Heben einer Hand. Das im Libet-Experiment praktizierte Handheben hatte für die Test-Personen keinerlei Konsequenzen und war - abgesehen vom Interesse des Experimentators - völlig belanglos. Bei etwas komplexer gelagerten Entscheidungen gehen einer Handlung umfangreiche Denkprozesse voraus, die mehr als nur 500-800 ms in Anspruch nehmen. Es erscheint mir nicht gerechtfertigt, aus den Libet'schen Ergebnissen zu schließen, daß uns unsere Handlungsgründe generell immer unbewußt sind. Zumindest ein Teil unserer Handlungsgründe ist uns bewußt. Wir wägen mögliche Konsequenzen sehr wohl bewußt gegeneinander ab und geben schließlich - aufgrund welcher Motive auch immer - der einen oder anderen Handlungsmöglichkeit den Vorzug. Vor schwierige Entscheidungen gestellt, ziehen wir es sogar oft vor, die Entscheidung hinauszuschieben oder zu umgehen. Die Umstände des Libet-Experiments werden also dem "wahren Leben" nicht gerecht; deshalb sollten die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden (z.B. auf moralisch heikle Entscheidungen).--Bergerml 19:37, 15. Nov 2006 (CET)

Es gibt nach Libet einen Unterschied zwischen geplanten Handlungen und Spontanhandlungen, bei letzteren ist keine Zeit zur Überlegung, obwohl es ein Bewusstsein der ungezwungenen Tätigkeit gibt. Dabei ist kein Platz für psychische Zustände/Vollzüge eines "bewussten Selbst". Was heißt das für die Beispiele überlegter Handlungen. Ich stimme Michael Berger zu: wenn dieser Typus von Handlungen anerkannt wird, muss man ihn nach seinen eigenen Zeitabläufen beurteilen und kann sich nicht einfach am Fall der Spontanhandlung orientieren. --anna 12:36, 16. Nov 2006 (CET)

Zurück zu unserem Experiment: Ein zusätzlicher wichtiger Befund war, dass W der tatsächlichen Bewegung der Muskelakti­vierung um 150-200 ms vorausging (siehe Abb. 4.3). Außerdem ist der tatsächliche Unterschied zwischen der wirklichen Einlei­tung der Handlung im Gehirn und dem bewussten Willen (W) wahrscheinlich größer als die hier beobachteten 400 ms (wenn man das BP als Bezugspunkt verwendet). Wie oben angemerkt, könnte ein unbekanntes Areal, das sich anderswo im Gehirn befindet, die Aktivität einleiten, die wir als BP II messen.

Was bedeutet das? Erstens wird der Prozess, der zu einer Willenshandlung führt, vom Gehirn unbewusst eingeleitet, und zwar deutlich vor dem Erscheinen des bewussten Handlungs­willens. Das bedeutet, dass der freie Wille, wenn es ihn gibt, eine Willenshandlung nicht einleiten würde.

Es gibt auch weitreichende Implikationen für das Timing von Willenshandlungen, wenn eine rasche Einleitung erforderlich ist, wie bei den meisten sportlichen Aktivitäten. Ein Tennisspie­ler, der einen Ball zurückschlägt, der nach einem Aufschlag mit einer Geschwindigkeit von 16o km/h auf ihn zukommt, kann nicht warten, bis er sich seiner Handlungsentscheidung bewusst wird. Reaktionen auf sensorische Signale im Sport erfordern komplexe mentale Operationen, um jedem einzelnen Ereignis gerecht zu werden. Es handelt sich nicht um gewöhnliche Reak­tionszeiten. Auch wenn das so ist, werden Sportprofis einem sagen, dass man »tot« ist, wenn man über seine Bewegungen be­wusst nachdenkt.

L sequenz.JPG

Abb. 4.3. Diagramm der Abfolge von zerebralen (BPs) und subjektiven Ereignissen (W), die einer selbst eingeleiteten Willenshandlung vorausgehen.

Bezogen auf die Nullzeit (Muskelaktivierung) treten zuerst die zerebralen BPs auf, und zwar entweder bei vorausgeplanten Handlungen (BP I) oder ohne Vorausplanung (BP II). Das subjektive Erleben des frühesten Bewusstseins des Bewe­gungswunsches (W) erscheint bei etwa —zoo ms; das ist deutlich früher als die Handlung (die »Nullzeit), aber 350 ms nach BP II. Die subjektive Datierung des Hautreizes (S) lag durchschnittlich bei -5o ms vor der tatsächlichen Verabreichung des Reizes. Aus Libet, 1989.



Diese Seite steht im Kontext von Benjamin Libet: Handlungsabsicht