Diskussion:Big Data (Vorlesung Hrachovec, WS 2015): Unterschied zwischen den Versionen

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<font color="purple">"Die entwickelten Staaten haben technische Instrumentarien geschaffen, durch die es möglich wird, ihre immer wieder verkündeten Ideale der Menschlichkeit auch seitens der Entwicklungsstaaten einzuklagen. Die USA und Europa können nicht mehr ohne bedeutende innere Probleme im Ausland Kriege vom Zaum brechen. Die zweckrationale und die humanitäre Version ihrer "Vernunft" kollidieren derzeit auf ihrem eigenen Territorium.</font> --[[Benutzer:Anna|anna]] ([[Benutzer Diskussion:Anna|Diskussion]]) 14:50, 29. Okt. 2015 (CET)
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<font color="purple">"Die entwickelten Staaten haben technische Instrumentarien geschaffen, die es möglich mach, die von ihnen immer wieder vorgetragenen Ideale der Menschlichkeit ''auch seitens der Entwicklungsstaaten'' einzuklagen. Die USA und Europa können nicht mehr ohne beachtliche Rückwirkungen im Ausland Kriege vom Zaum brechen. Die zweckrationale und die humanitäre Version ihrer "Vernunft" kollidieren derzeit auf ihrem eigenen Territorium.</font> --[[Benutzer:Anna|anna]] ([[Benutzer Diskussion:Anna|Diskussion]]) 14:50, 29. Okt. 2015 (CET)
  
 
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Version vom 5. November 2015, 16:07 Uhr

Diskussionsbeitrag zu Eurodac: Die geniale Idee, das Konzept einer geordneten Datenbank in der Vorlesung anhand der Eurodac zu erörtern, hat zu einer lebendigen Diskussion geführt, die sich unmittelbar auf die ethischen Fragen der Speicherung personenbezogener Daten in Datenbanken zugespitzt hat. Angesichts von Millionen von Flüchtlingsschicksalen und befeuert durch Angela Merkels mutige Politik herrscht zur Zeit weitgehend die Devise „freie Fahrt den Flüchtlingen“ und jede Einschränkung durch Registrierung, Kanalisierung oder Beschränkung der Migrationsströme wird als Angriff auf elementare Menschenrechte gesehen. Die Erfassung von Flüchtlingen in Datenbanken hat damit schlechte Karten und wird unmittelbar mit Polizeigewalt und Vorverurteilung assoziiert.

Die Eurodac, an der Jonathan P. Aust schon im Mai 2006 kein gutes Haar gelassen hat, verliert durch das Scheitern der Schengengrenze im Migrationschaos fast zur Gänze ihre Existenzberechtigung - dabei halte ich ihre Konzeption im Hinblick auf die im Jahr 2002 festgelegten Ziele für gar nicht so schlecht. Es ging ja - zu einem Zeitpunkt, als das Hauptproblem nicht bei Kriegsflüchtlingen gesehen wurde, sondern bei einer Begrenzung illegaler Immigration – darum, legale von illegalen Immigranten unterscheiden zu können und das asylum shopping zu unterbinden. Dass man bei der Konzeption der Datenbank damals auf die Speicherung von Namen verzichtet hat, scheint mir ein Hinweis auf einen durchaus sensiblen Umgang mit persönlichen Daten zu sein, ebenso wie ein Versuch, den bürokratischen Aufwand niedrig zu halten. So wie die Datenbank konzipiert ist, trifft sie ausschließlich Personen, die entweder illegal eingewandert sind oder in mehreren EU-Staaten um Asyl ansuchen. Die Fingerabdrücke von Personen, die nicht gegen die Einreise- und Asylbestimmungen verstoßen, entfalten keinerlei Wirkung und können nicht für polizeiliches law enforcement außerhalb der Asyl- und Migrationsbestimmungen verwendet werden.

Dass ein Staat das Recht beansprucht, „asylum applicants deliberately concealing their identity“ (Zitat Aust, p 6) zu identifizieren und asylum shopping zu unterbinden, scheint mir nicht gegen irgendwelche Menschenrechte zu verstoßen. Personen, die keinerlei Ausweisdokumente mit sich führen, sind eben nicht anders in Datenbanken zu speichern als durch körperliche Merkmale, wie zum Beispiel die Fingerabdrücke. Insgesamt finde ich, dass Jonathan Aust die grundsätzlichen Probleme der Schengengrenze und ihrer Überwachung sehr treffend vorhergesehen hat – die Eurodac Datenbank hat aber an den aufgezeigten Problemen die geringste Schuld.




Zu khm100:

Es ist interessant, dass in der Diskussion um das Freihandelsabkommen (TTIP) der Abbau nationaler Regulierungen oft gerade als bedrohlich eingeschätzt wird. Das ergibt einen eigentümlichen "Kreisverkehr". Die EU ist maßgeblich aus wirtschaftlichen Gründen (Zollfreiheit, Erleichterung von Handelsschranken) eingerichtet worden. Für so ein Unternehmen muss es eine Außengrenze geben. Die EU vertritt aber auch Ideale, die prima vista nichts mit Wirtschaft zu tun haben. Dazu gehören die allgemeinen Menschenrechte und speziell das Asylrecht. Aus ihnen ergibt sich, dass die politischen Grenzen, innerhalb derer sich eine Handelsgemeinschaft etabliert, Externe unter bestimmten Bedingungen nicht ausschließen kann. Die ökonomisch-politische und die ethische Grundlage des "Projekts Europa" greifen ineinander und kommen in Konflikt.

An der Fussgängerinnenzone Mariahilferstraße kann man das Problem im Kleinen sehen.

khm100's Analyse ist zutreffend: ein Mittel zur Erfassung und staatlichen Steuerung Asylsuchender ist durch die Umstände zu einem unerwarteten Problem geworden. Dass dieses Mittel im Moment versagt, hängt an einem Notfall. (Am Anfang des Semesters sind viele Hörsäle "rettungslos" überfüllt.) Man sollte sich natürlich fragen, unter welchen Umständen es zu solchen kritischen Situationen kommt. Für Schengen und das Dublin-Abkommen ist zu sagen, dass die Aufhebung interner Mobilitätsbeschränkungen mit einer schweren Fehleinschätzung des Problems der neuen Außengrenzen verbunden war.

--anna (Diskussion) 08:10, 28. Okt. 2015 (CET)



Es ist mir selbst nicht recht geheuer, was ich nun sagen werde, aber ich möchte das bisher Vorgebrachte noch ein wenig zuspitzen.

Meiner Meinung nach gibt es (mindestens) zwei Arten eine Gesellschaft zu sehen: Entweder man sieht sie 1. als einen ungreifbaren Rahmen, der ein abstraktes Gebiet markiert, innerhalb dessen Grenzen Individuen agieren und dadurch “von oben” erfasst werden können (so wie z. B. der Zugang zum Internet es leichter macht, ein Individuum zu überwachen), oder 2. man sieht nur Individuen, die durch ihre Vernetzung so etwas wie die Gesellschaft erst erzeugen (so wie etwa der Besitz eines Bankkontos es leichter macht, einen Job zu finden, da fast alle Arbeitgeber mittlerweile bargeldlos die Löhne und Gehälter ausbezahlen). Vertritt man die erste Interpretation, dann ist es legitim, so wenig wie möglich mit den abstrakten Steuerungsmechanismen, die als dem Individuum äußerlich angenommen werden (z. B. staatliche Institutionen), in Kontakt zu kommen. Dann ist es legitim zu fordern, dass keine Fingerabdrücke abgenommen und gespeichert werden, da man dann diesem abstrakten Apparat unterstellt wird. Vertritt man die zweite Interpretation, dann stellt es eine grobe Reduktion dar, nur die Fingerabdrücke abzunehmen, ohne Aufmerksamkeit auf die mannigfaltigen Arten der Vernetzungen zu richten, denn dann sieht es so aus, als wenn diejenigen, die bloß auf ihre Fingerabdrücke reduziert werden, aus einer Gesellschaft ausgegrenzt werden, deren Vernetzungsgrad höher ist als jemals zuvor.

Da mir die erste Interpretation häufiger vorzukommen scheint als die zweite, möchte ich kurz darlegen, was ich damit meine, wenn ich sage, dass ausgegrenzt wird, wenn zu wenig Daten in Betracht gezogen und Beteiligte an der Gesellschaft damit auf ein nicht vertretbares Minimum reduziert werden.

Eine wichtige Pointe: Instinktiv haben kmh100 und ich die Restriktion auf Fingerabdrücke als positive Vorsichtsmaßnahme angesehen. Euphon dreht die Sache um. Es sei gerade eine Ausschlussstrategie! Die Deregulierung, die von Isolde Charim (siehe den obigen Link) als gemeinschaftsbildend beschrieben wird, ist ein neoliberales Prinzip. Das heißt: mit der Beschwerde gegen die Erfassung der Fingerabdrücke stellt man sich selbst ins Abseits einer vernetzten Gesellschaft. Das hatte ich in der vergangenen Sitzung als Wildweststrategie angesprochen. --anna (Diskussion) 13:13, 29. Okt. 2015 (CET)


Wird man von einer Polizistin aufgehalten, dann verlangt diese zuerst einen Ausweis. Die Übereinstimmung, die mein Ausweis mit mir hat beruht nicht allein auf einem Vergleich des Fotos mit meinem Gesicht. Es sind einige Institutionen notwendig, die den Bezug zwischen meinem Ausweis und mir erst erzeugen. Dazu gehört ein Meldeamt, ein Melderegister, vertrauenswürdige und ausgebildete Beamte, die die Meldung bearbeiten, Gerätschaften, die dafür sorgen, dass der Ausweis nicht leicht zu fälschen ist, wie z. B. eine Vorrichtung, die ein Wasserzeichen auf meinem Ausweis anbringt, die Unterschrift eines Beamten, der für die Richtigkeit der auf dem Ausweis aufscheinenden Daten verantwortlich zeichnet, usw. Es ist keineswegs so, dass mein Ausweis mich stellvertretend substituieren könnte, um als reduzierte Entität im institutionellen Apparat der Polizei besser verarbeitet werden zu können. Viel eher verursache ich, damit ich als registriert existieren kann, viel Aufwand und dadurch die Notwendigkeit von Vernetzungen. Gleichzeitig werde ich durch die Vorrichtungen, die ich durch meine ausweisbare Existenz nötig mache, geprägt und geformt. Ich muss einen Namen haben, eine Meldeadresse, einen Staatsbürgerschaftsnachweis, eine Geburtsurkunde, usw. Nun wird man von der Polizei nicht sonderlich oft aufgehalten, aber das Gesagte trifft auf alle möglichen Fälle zu, in denen ich in der Gesellschaft agieren will.

Mein Argument ist nun, dass, falls ich davon ausgehe, dass ich in einer Gesellschaft lebe, die erst durch die Individuen und ihr Tun konstruiert wird, und diese Gesellschaft in dem selben Maße mitbestimmt, wer ich bin, ich danach trachten muss, möglichst alle Vernetzungen, durch die ich die Gesellschaft mitkonstruiere und die mich formen, ersichtlich zu machen, damit ich die Möglichkeit habe, nicht ausgegrenzt so an der Gesellschaft zu partizipieren und sie in der Art mitzugestalten, dass ich gerne darin leben will und dass andere die Möglichkeit haben, ihre Interessen mit meinen abstimmen zu können und ich meine Interessen mit ihren abstimmen kann.

Das gleiche gilt meiner Meinung nach für Asylsuchende. Die Diskussionen, die momentan geführt werden, wären vor fünfzig Jahren in der Form nicht möglich gewesen, weil der Grad der Vernetzung damals noch nicht erreicht war, der heute in unserer westlichen Gesellschaft gang und gäbe ist. Anstatt nur als namenloser Fingerabdruck herumzulaufen, twittern Asylsuchende z. B. und haben eine Facebook-Seite, wodurch sie an den gesellschaftlichen Netzwerken der Länder, in denen sie leben möchten, teilhaben. Inklusion beginnt mit Information auf die oben dargestellte bidirektionale Weise; formen und geformt werden. Fingerabdrücke sind weit entfernt davon, die Möglichkeit der Mitgestaltung und des Mitgestaltetwerdens in Anspruch nehmen zu können, also plädiere ich für mehr Informationen, die in Datenbanken gespeichert werden sollen - ich fordere gläserne Menschen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden. Und wer schon gläsern ist, soll noch gläserner werden. Opazität bedeutet Ausgrenzung, das Unbekannte ist das “Fremde”, “Andere”, “Feindliche”. Das Gläserne ist das Inkludierbare, das Mitgestaltete und das Mitgestaltende.

Auf der einen Seite die Personen, die aus dem Eurodac gelöscht werden wollen. Auf der anderen die Bootsflüchtlichtlinge, deren Smartphone die GPS-Koordinaten sendet, auf denen sie allenfalls gerettet werden können. Die Löschforderung, das muss betont werden, gilt für den Fall, dass die Flüchtlinge nicht gesellschaftlich integriert werden. Aber Euphon beschreibt plastisch, wie umständlichr und zeitraubend dieser Prozess ist. In ihn sind Datenbanken eingebettet. --anna (Diskussion) 13:13, 29. Okt. 2015 (CET)

Ich muss selbst den Kopf schütteln, wenn ich das so sage, aber es erscheint mir logisch, auch wenn es mir nicht geheuer ist. Es geht mir wohl um eine Art Umdenken. Anstatt sich dagegen zu sträuben, dass wir komplett vernetzt sind, warum nicht endlich anerkennen, dass es so ist und das Beste daraus machen? Jeder hat ein Recht darauf, sichtbar für andere zu sein, weil er nur dann auf nachvollziehbare Weise die Gesellschaft mitbestimmen kann. Ein Recht darauf, unsichtbar zu sein, hat nur diejenige, die im Prozess des Vernetzens mit Beteiligten der Gesellschaft zu tun hat, welche die Offenheit in für die Partizipientin nicht zuträgliche Art und Weise ausnutzen. Verweigerung der Öffentlichkeit sollte also ein Notbehelf im Extremfall sein und nicht als Normalzustand gesehen werden.

Es ist mir klar, dass ich hier irgendwie böse Geister beschwöre. Aber lieber die Realität der Gesellschaft in all ihrer Vernetztheit erkennen und Gefahr laufen, etwas gegen Parasiten zu unternehmen zu müssen, welche die Möglichkeiten, die sich durch die Offenehit ergeben, ausnutzen wollen, als in einer Scheinwelt leben, in der die Vernetzheit verneint und an und für sich vernetzte Menschen auf weniger reduziert und damit aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Euphon (Diskussion) 10:09, 29. Okt. 2015 (CET)


Zwischenruf: Die gegenwärtige Krise kann man so sehen:

"Die entwickelten Staaten haben technische Instrumentarien geschaffen, die es möglich mach, die von ihnen immer wieder vorgetragenen Ideale der Menschlichkeit auch seitens der Entwicklungsstaaten einzuklagen. Die USA und Europa können nicht mehr ohne beachtliche Rückwirkungen im Ausland Kriege vom Zaum brechen. Die zweckrationale und die humanitäre Version ihrer "Vernunft" kollidieren derzeit auf ihrem eigenen Territorium. --anna (Diskussion) 14:50, 29. Okt. 2015 (CET)


Dieser Eintrag stellt eine Weiterführung des von khm100 angeregten Gedankens dar und bezieht sich dabei auf die oben vorgenommenen Einschübe sowie die Einwände und Anregungen, die in der LV aufgekommen sind.

Allgemein formuliert kann man meiner Meinung nach sagen, dass Diskussionen über bestimmte Sachverhalte dadurch geöffnet werden können, indem man sich darüber Gedanken macht, welche Faktoren in die Diskussion miteinbezogen werden sollten und in welcher Form das passiert. In dieser Hinsicht stellt mein Eintrag weiter oben eine Art Warnung davor dar, Diskussionen zu vorschnell und quasi schon im Vorhinein zu schließen, weil gewisse Faktoren auf ein Minimum eingegrenzt und damit zu reduktiv behandelt oder gar übersehen werden, weil das, was in der Diskussion weiters passiert auf diesem basalen Anfangspunkt aufbaut und die Diskussion dadurch eingegrenzt wird. In dieser Hinsicht geht es mir weniger um die Frage, ob die Abnahme von Fingerabdrücken eine Einschränkung der Möglichkeit darstellt, in eine Gesellschaft inkludiert zu werden, oder ob sie erst eine Einstiegsmöglichkeit in eine Gesellschaft bietet. Vielmehr möchte ich auf den großen Einfluss hinweisen, den Anfangspunkte für Diskussionen, die mit Kategorisierungen verbunden sind, haben. Es geht mir darum zu zeigen, dass auf (mindestens) zweierlei Arten mit Anfangspunkten umgegangen werden kann (diese zweiteilige Darstellung kann zu meinem Vorschlag, mindestens zwei Arten der Gesellschaft anzunehmen, parallel gelesen werden): Die erste Perspektive sieht festgelegte Anfangspunkte als Diskussionen erst ermöglichend, indem die im Vorhinein vorgenommene Klärung der Sachverhalte die Standpunkte beschreibbar macht. Die zweite Perspektive stellt diese Basis für Diskussionen in Frage, indem sie darauf hinweist, dass die Vorentscheidung darüber, welche Standpunkte in der Diskussion angenommen werden, schon eine Reduktion darstellt und dementsprechend die Diskussion prädeterminiert. Diese Perspektive sieht eine Diskussion erst dann geöffnet, wenn nicht mehr vorausgesetzt wird, als dass sich die Standpunkte erst in der Diskussion ergeben. - Während im ersten Fall die Diskussion erst als durch Kategorisierungen ermöglicht und damit für differenzierte Meinungen geöffnet gesehen wird, ergibt sich der zweiten Perspektive nach durch diese vorab vorgenommenen Differenzierungen eine überzogene Eingrenzung auf ein bestimmtes Gebiet. Während im zweiten Fall die Möglichkeit der Diskussion erst erreicht wird, indem anfangs offen bleibt, welche Differenzierungen sich durch die jeweiligen einbezogenen Faktoren ergeben werden, sieht die erste Perspektive diese Herangehensweise als die Diskussion erschwerend oder gar verunmöglichend.

Der ersten Perspektive nach wird die Diskussion damit angefangen, dass von “Fingerabdrücken” die Rede ist, von “Löschung”, “Ausgrenzung” und “Inklusion”. Von dieser Basis aus wird dann zu entscheiden versucht, was nun davon abgeleitet ein wünschenswertes Vorgehen sei. Dabei bilden sich Fronten, die, so könnte man sagen, im Bereich dieser Anfangskriterien gefangen sind. Die zweite Perspektive stellt nicht auf der Basis dieser Anfangsbestimmungen die Möglichkeiten gegenüber, sondern sieht den Menschen und seine Vernetzungen den vorausgesetzten Fingerabdrücken noch vorgelagert. Und dies ist mitnichten romantisch “humanistisch” gedacht. Es geht vielmehr um eine Art der Gegenüberstellung, die mit der Art der Vernetzung der Faktoren zusammenhängt, die dieser zweiten Herangehensweise zufolge eben nicht vorausgesetzt werden können. Dementsprechend möche ich vorschlagen, die hier geführte Diskussion eher an Linien zu orientiert, die zum Beispiel (siehe die in dem Einschub oben vorgenommene Gegenüberstellung) die Forderung eines Asylsuchenden nach Löschung und die sich erst durch die Möglichkeit der Ortung des GPS-Signals ergebende Möglichkeit der Ortung von Personen auf Schlepperbooten der Forderung eines asylsuchenden Jugendlichen, nicht von seinen Eltern überwacht werden zu wollen und der Möglichkeit, das GPS-Signal des Mobiltelefons des Jugendlichen mit Hilfe einer App für die aus Syrien emmigrierten Eltern ortbar und damit der Jugendliche überwachbar wird, gegenübergestellt werden. Was der eingangs beschriebenen ersten Perspektive nach in beiden Fällen gleich ist (ein GPS-Signal, ein Mobiltelefon, vielleicht sogar vom selben Hersteller, Asylsuchende), ist der zweiten Perspektive nach keineswegs dasselbe. Der Unterschied zwischen dem Mobiltelefon eines Asylsuchenden im Mittelmeer und dem eines ebenfalls asylsuchenden Jugendlichen in Haag am Hausruck entsteht durch die verschiedenen Arten der Vernetzungen, die beide Menschen betrifft. Erst durch diese Vernetzungen entstehen Differenzierungen, die den einen hier den anderen dort verorten. Weil in der zunehmend vernetzten Welt die Netzwerke der beiden immer mehr überlappen (ein Österreicher benutzt genauso wie ein Nordaafrikaner ein Dualband-Mobiltelefon und hat einen Skype-account, der Förster in Ischgl fährt das gleiche Modell von Toyota wie der ISIS-Kämpfer im Irak), vergrößert sich die Schwierigkeit, von Vorneherein Unterschiede vorauszusetzen, denn das Unvernehmen um Kategorisierungen nimmt zu. Sehr allgemein möchte ich also sagen, dass die Vernetzung (oder die oben von mir als bedenklich dargestellte unterlassene Vernetzung) die Art der Diskussion genauso wie die Art der Inklusion und der Exklusion bedingt. Anstatt zu fragen, was wir sagen, wenn wir x annehmen und was sich daraus ableiten lässt, plädiere ich dafür zu fragen, worüber wir übehaupt reden, wenn wir x annehmen. Und um das zu eruieren braucht es meiner Meinung nach den Kontext, der sich als Vernetzung der jeweiligen Faktoren, die im Zentrum der Diskussion stehen, zeigt.

Es geht mir, kurz gesagt, darum, darauf aufmerksam zu machen, dass wir erst klären müssen, worüber wir überhaupt reden, wenn wir eine Basis annehmen, von der aus wir darüber diskutieren, wer unter welchen Umständen inkludiert oder ausgegrenzt werden soll und dass eine insuffiziente Behandlung dieser Frage eine Reduktion darstellt. Diese Frage habe ich in Verbindung gebracht mit den Vernetzungen, deren Aufzeigen meiner Meinung nach dabei hilft, diesen Sachverhalt zu klären. Erst dann kann, so denke ich, entschieden werden, wie weiters verfahren werden soll. Die Möglichkeit, die das Aufzeigen der Vernetzung bietet, besteht darin, heute viel mehr als noch vor fünfzig Jahren, sich ein Bild darüber machen zu können, worüber wir reden und was wir im Vorhinein annehmen müssen, wenn wir Anfangspunkte für die Diskussion finden wollen. Die Vernetzung kann deswegen dabei helfen, weil durch sie “Standpunkte” (entweder wie “Kartenabreißer” oder “Platzzuweiser” in der Diskussion) notwendig und relevant werden, die dabei helfen, in weiterer Folge genauere Differenzierungen vorzunehmen. Wenn ich sage, dass durch die Reduktion auf Fingerabdrücke Menschen nicht in all ihrer heute gegebenen Vernetztheit anerkannt werden, dann meine ich damit, dass in dem Fall die Diskussion wesentlich verkürzter geführt wird, als dies der heutige Stand der Technik erlauben würde. - Dass der in oben dargestellter Weise bidirektional gesehene Informationsvorgang in weiterer Folge verschiedene Stoßrichtungen erhalten kann, habe ich durch meinen Verweis darauf, dass ich das von mir Gesagte selbst für bedenklich halte, bereits angedeutet. Es ergeben sich neben den Möglichkeiten der durch Technik bedingten Aufzeigbarkeit auch Möglichkeiten der Repression. Die Frage danach, ob es “gut” oder “schlecht” ist, mehr Differenzierugen vorzunehmen, ist eine nachgelagerte Frage, die ich nicht ansprechen wollte. Zuerst soll die Art der Diskussion geklärt werden, die solche Unterscheidungen erst bedingt. Die Vernetztheit, die oben im Einschub schon als mit Datenbanken auf grundlegender Ebene verbunden dargestellt worden ist, ist meiner Meinung nach ein guter Einsteigspunkt für diese Überlegungen.

Politisch ist dieser Sachverhalt, weil durch die zunehmende, den Gesellschaften inhärente, aber auch die zwischen den Gesellschaften stattfindende, Vernetzung verursacht, immer schwieriger zu werden scheint zu entscheiden, wo überhaupt bei solchen Diskussionen und den daraus resultierenden politischen Initiativen und Interventionen angesetzt werden soll. Gleichzeitig, und das möchte ich betonen, bietet die Vernetzung meiner Meinung nach eine gangbare Möglichkeit, diesem Unvernehmen zu begegnen.

Euphon (Diskussion) 08:32, 5. Nov. 2015 (CET)