Hegel Instanzen: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 19. September 2005, 18:32 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Hegel, quer durch die Instanzen. Ein Erfahrungsbericht
Vermittlung
Oper im Fernsehen. Die Übertragung beruht auf einer klaren Rollenverteilung. Einerseits ist eine Vorführung definiert, andererseits ein Distributionssystem, das den Inhalt "unter die Leute bringt". Es liegt nahe, das Verhältnis des "Lernstoffes" zu seiner Verbreitung in Lehrbüchern und eLearning-Plattformen ähnlich aufzufassen. Die Vermittlung des Wissens bedient sich diverser Instrumente. Fernsehen und Plattformen erweitern den konventionellen Kreis der Adressatinnen (m/w) beträchtlich.
"Vermittlung" ist ein zentraler Begriff in Hegels Philosophie. Mit ihm verbindet sich eine starke These über die Beschaffenheit des Vermittelten. Die Umstände der Ausarbeitung einer Position sind Teil ihres Inhaltes selbst. Im Fernsehen verändert die Oper ihren Charakter; sie schwebt nicht als Partitur über den Aufführungsmodalitäten. Hegels Philosophie läßt sich als markante Station der europäischenGeistesgeschichte betrachten, als Bildungsgut, das auch mit neuen Mitteln überliefert werden kann. Der folgende Bericht setzt den Akzent anders. Es geht um ein Projekt, in dem Hegel als Teil des klassischen Philosophiecurriculums den Bedingungen und Nebenwirkungen des aktuellen Trends zum eLearning ausgesetzt wurde. Drastisch gesprochen: der Zugang zum Denken war vom Instrumentarium digitaler Gruppenkommunikation mitgeprägt.
Die Werke Hegels nicht als ungefragte Weisheit zu übernehmen heißt in diesem Szenario, einen eigenen Weg zu ihren Themen zu finden und zwar mit Blick auf pädagogische Hilfsmittel, die erst seit Kurzem existieren und sich in rascher Folge entwickeln. Die Unterbestimmtheit gilt doppelt: die Bedeutung der Hegelschen Philosophie steht zur Disposition, während die technischen Mittel sich im Teststadium befinden. Einer der prominentesten deutschen Hegel-Forscher, Herbert Schnädelbach, fragt "Warum Hegel?" und konstatiert, dass man seine Philosophie nicht mehr vertreten kann.
- Ich habe nichts gegen Hegel-Veranstaltungen, wenn dabei deutlich wird, dass es sich bei dieser Philosophie um einen schönen, aber ausgeträumten intellektuellen Traum handelt, und dass wir nicht im Stande sind, in der Perspektive des Absoluten zu philosophieren. Die Gefahren des Historismus, Relativismus oder Nihilismus mögen uns schrecken, aber deswegen haben Hegel und der Hegelianismus noch lange nicht recht. (Information Philosophie 4, Oktober 1999, S. 76)
Ein anderer Fachmann vergleicht die Beschäftigung mit Hegel den Reminiszenzen einer langen, einsamen Winternacht: welchen Einfluss hatte eine Frau, von der man seit 10 Jahren geschieden ist, auf das eigene Leben. (Horstmann, European Journal of Philosophy 7:2, 275) Unter diesen Voraussetzungen mag es vermessen erscheinen, ein eLearning Projekt zu Hegel durchzuführen. Die vorliegenden Ergebnisse sind fragmentarisch. Dennoch erweisen sich die damit ausgeklösten Lernprozesse als instruktiv.
Lernplattform
Im Studienjahr 2002/03 wurde eLearning an der Universität Wien erst von einer Hand voll "Pionieren" praktiziert. Mailing Listen und generische Werkzeuge zur Gruppenkommunikation (z.B. BSCW-Server) kamen zum Einsatz, integrierte "Lernplattformen" waren aus der Literatur bekannt. Die Absicht, des vom Autor angebotenen Projektseminars lag darin, die Funktionalität und Verwendbarkeit einer solchen Plattform im Philosophieunterricht zu testen. Dazu wurde auf einem Server des Institutes "ILIAS" in der Version 2 installiert. Die Software bot u.a. Module zur multimedialen Autorschaft (auch für Gruppen), für Forumsdiskussionen und zur off-line Nutzung. Sie wirde nicht als technischer Rahmen vorausgesetzt, sondern parallel zu traditionellen Seminardiskussionen über Hegels Vorwort und Einleitung zur "Phänomenologie des Geistes" vorgestellt und problematisiert. Das Ergebnis fiel zwiespältig aus. Zur Dokumentation und Verwaltung von Ressourcen eignete sich die Plattform gut. Auch die strukturierte, kommentierte Präsentation der Quelltexte war einfch zu realisieren. Als wenig zufriedenstellend wurde dagegen die Organisation der Texterstellung wahrgenommen. Während im Präsenz-Unterricht dynamische Diskussionsverläufe wiederholte Änderungen im projektierten Ablauf auslösten, zerlegte die Plattform Beiträge in Textvorgaben und tabellarisch gegliederte Kommentare. Dahinter steht die Auffassung, ein Kerninhalt sei vorgegeben und mit Bemerkungen gleichsam zu garnieren. In einem Seminar, in welchem es um die "Wissenschaft der Erfahrung" geht, "die das Bewußtsein macht" (PhdG 38), kann die Fixeinstellung Lernstoff/Kommentar nicht einfach hingenommen werden.
Die Möglichkeit zur Gruppenarbeit ist in ILIAS, wie gesagt, vorgesehen. Es zeigte sich allerdings, dass sie sich atark am Modell von Seminarunterlagen orientiert. Dieses Genre kennt zwei Stadien: "in Arbeit" und "präsentabel". Es fehlt genau der Zustand, der eine mittelfristig angelegte Kooperation unterstützt, nämlich die vorläufige Abgeschlossenheit eines Entwurfes. Um diesen Textmodus digital realisieren zu können, müssen die Beteiligten Einblick in den Redaktionsverlauf des Textes haben. Ein Protokoll seiner Genese sollte transparent machen, in welche Richtung er sich entwickelt, was fehlt und was bereits zufriedenstllend behandelt ist. Gefragt ist mehr als eine Versionsverwaltung, welche die Änderungen linear aneinander reiht. Das Protokoll sollte auch ein Anhaltspunkt für Revisionen bereits vorliegender Beiträge sein. Versuchsweise wurde eine ILIAS-"Lerneinheit" als eine derartige Mitschrift angelegt. Sie sollte alle Änderungen (und deren Motivationen) in den diversen Inhaltsblocks dokumentieren. Diese Idee erwies sich als wenig attraktiv. Die zusätzlich Arbeit war nicht als Mehrwert in der Entwicklung der philosophischen Beiträge zu erkennen. Generell stellte sich heraus, dass die Plattform die Funktion eines digitalen Magazins plus einer Präsentations-Software gut erfüllen konnte, angesichts der spezifisch philosophischern Ansprüche (Hegels Vermittlungsthese) allerdings einen zu starren Rahmen bot. Damit ist nicht geleugnet, dass sie für viele Zwecke hilfreich sein kann; dem Bildungsideal des gewählten Philosophen ("das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken" PhdG 23) war sie schlecht gewachsen.
Die Schwierigkeit indiziert eine tiefgreifende Diskrepanz. Es handelt sich nicht bloss um "technophobe" Züge der traditionellen Philosophieausbildung. Der Slogan vom Wahren als Subjekt betrifft einen prinzipiellen Punkt. Wissen besteht nicht einfach in Lehrsätzen, sondern schließt die Fähigkeit ein, mit ihnen umzugehen. und daraus produktiv Neues zu entwickeln. Ein vorgezeichneter Instruktionsrahmen ist dabei nicht nur hilfreich, sondern teilweise auch hinderlich. Das pädagogische Geschick der Hochschullehrerinnen (m/w) war damit immer schon herausgefordert. Der Einsatz einer eLearning-Plattform bringt ein neues Moment ins Spiel. In der Regel ist es den Lehrenden unmöglich, deren technische Vorgaben und ihre prä-formierende Wirkung auf den Lernprozess zu beeinflussen. Elektronisch unterstützte Lehre folgt den Schemata, die sich im Gebrauch des WWW herausgebildet haben: Klicken durch (multimedial gestaltete) Webseiten, Forumsbeiträge, eMail und Download. (Für besonders Neugierige wird vieleicht auch ein Chat-Modul angeboten.) Die Entwicklung der entsprechenden Plattformen tendiert dazu, ein möglichst umfassendes Potpourri solcher Funktionen mit einer geeigneten Benutzerverwaltung (inklusive user tracking) und Prüfungsmanagment anzubieten. Das gilt für ILIAS3, die Nachfolgeversion des 2002/03 eingesetzten Programms, ebenso wie für andere einschlägige Angebote. Aus den angeführten Gründen wechselte das Hegel-Projekt 2003/04 das Format der elektronischen Unterstützung.
Wiki-Web
Verglichen mit den mächtigen Programmen, die den Markt für institutionelle Lernplattformen beherrschen, sind Wiki-Webs bescheidene Nebenerscheinungen. Die Idee ist simpel. Ein Zusatzprogramm ermöglicht es, nicht nur am WWW zu browsen, sondern auch ohne weitere Umstände freien Text zu verfassen und neue Seiten zu erzeugen. Mit resignativem Beiklang ist in der medientheoretischen Debatte mehrfach auf Bert Brechts Radio-Theorie verwiesen worden. Die Technik ließ ein hohes Maß an Autonomie der Produzentinnen erwarten - und hat sich letztlich in die broadcast-Ordnung gefügt. Die Einrichtung des Wikis wiederholt die Chance, diesmal unter noch attraktiveren Bedingungen. Zur Autorschaft sind genau dieselben Instrumente nötig, wie für Konsumentinnen: ein Computer, ein Browser und eine Internetverbindung. Wikis sind keine experimentelle peer-to-peer Architektur; sie laufen im Rahmen des etablierten Client-Server-Modells. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie einen Teil des Server-Angebotes restriktionsfrei und mit einem Minimum an technischem Aufwand zur Verfügung stellen. Der Effekt ist spektakulär: von physischen Beschränkungen einmal abesehen, kann jede Benutzerin des WWW, zu jeder Zeit, an einem Text mitschreiben, der durch die Wiki-Software zugänglich gemacht wird. Das Konzept hat ursprünglich nichts mit eLearning zu tun. Aber es bietet sich als Alternative zur zentralen Betreuuung durch eLearning-Plattformen an.