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== Die Rauheit der Stimme ==
 
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== Stimmlose Sprache? ==
 
== Stimmlose Sprache? ==
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[http://userpage.fu-berlin.de/~sybkram/media/downloads/Negative_Semiologie_der_Stimme.pdf Sybille Krämer: Negative
 
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Semiologie der Stimme]
 
Semiologie der Stimme]
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Version vom 14. Juni 2011, 09:49 Uhr

Walter Ong hat der "toten" Schrift das "lebendige" Sprechen entgegengesetzt. Die Digitalisierung der Schrift ermöglicht, zusammen mit der Vernetzung von Computern, eine bisher unbekannte Vergegenwärtigung von Texten. Man kann nicht mehr daran festhalten, dass es einen Zeitunterschied zwischen den beiden Ausdrucksformen gibt.

Abgesehen von diesen Entwicklungen sind zwei Beiträge aus Frankreich zu betrachten. Der eine knüpft an der traditionellen "Lebendigkeit" der Stimme an und unternimmt es, sie zugunsten der Nicht-Lebendigkeit der Schrift zu deplazieren. Der andere nimmt sie als Einzigartigkeit. Sie ist nicht die (problematische) Garantie des unbezweifelbaren Sinns, sondern seine Schnittstelle mit einem Körper.


Jacques Derrida

Logozentrismus

Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls. Frankfurt 2003. Suhrkamp

"Wenn ich spreche, dann gehört es zum phänomenologischen Wesen dieser Operation, daß ich mich in der Zeit, in der ich spreche, höre. Der durch meinen Atem und durch die Absicht zur Signifikation beseelte Signifikant (in Husserlscher Sprache der durch die Bedeutungsintention* beseelte Ausdruck) ist mir absolut nahe. Der lebendige Akt, der Leben spendende Akt, die Lebendigkeit*, die den Körper des Signifikanten beseelt und ihn in einen bedeutenden Ausdruck verwandelt, die Seele der Sprache scheint sich nicht von sich selbst, von ihrer Selbstgegenwart zu trennen. Sie geht nicht das Wagnis des Todes im Körper eines der Welt und der Sichtbarkeit des Raumes überlassenen Signifikanten ein."

Problemskizze

Lebendige Gegenwart

Wir haben an anderer Stelle der Bewegung zu folgen versucht, in der Husserl zwar unablässig die metaphysische Spe­kulation kritisierte, in Wahrheit aber nur die Verkehrung oder Entartung dessen meinte, was er als echte Metaphysik oder philosophia prote weiterhin denkt und wiederherstellen will. Seine Cartesianischen Meditationen beschließend, stellt Hus­serl nochmals die echte Metaphysik (diejenige, die ihre Voll­endung der Phänomenologie verdanken wird) der Meta­physik im gewohnten Sinne gegenüber. Die dort von ihm vorgelegten Ergebnisse seien, sagt er, »metaphysisch, wenn es wahr ist, daß letzte Seinserkenntnisse metaphysische zu nen­nen sind. Aber nichts weniger als Metaphysik im gewohnten Sinne ist hier in Frage, als welche eine historisch entartete Me­taphysik ist, die nichts weniger als dem Sinn gemäß ist, mit dem Metaphysik als Erste Philosophie ursprünglich gestiftet worden war. Die rein intuitive, konkrete und zudem apo­diktische Ausweisungsart der Phänomenologie schließt alle metaphysischen Abenteuer, alle spekulativen Uberschweng­lichkeiten aus.« (§ 60)

Das einmalige und durchgängige Motiv sämtlicher Verstöße und sämtlicher Verkehrungen, die Hus­serl an der »entarteten« Metaphysik anprangert, dürfte sich durch eine Vielzahl von Bereichen, Themen und Argumenten hindurch sichtbar machen lassen: Es ist stets eine Blindheit in Anbetracht der echten Weise der Idealität, derjenigen, die ist, die genau deshalb in der Identität ihrer Gegenwärtigkeit endlos wiederholt wird, wiederholt werden kann, weil sie nicht existiert, weil sie nicht reell ist, irreell ist, nicht im Sinne der Fiktion, sondern in einem anderen Sinne, der mehrere Namen wird annehmen können und dessen Möglichkeit es gestatten wird, von der Nicht-Realität und der Notwendigkeit des Wesens, des Noema, des intelligiblen Gegenstandes und der Nicht-Weltlichkeit überhaupt zu sprechen.

Diese Nicht-Weltlichkeit ist keine andere Weltlichkeit und diese Idealität ist nichts Daseiendes, das vom Himmel gefallen wäre, son­dern ihr Ursprung wird stets die Möglichkeit der Wiederho­lung eines erzeugenden Aktes sein. Damit die Möglichkeit dieser Wiederholung idealiter ins Unendliche eröffnet sein kann, muß eine ideale Form diese Einheit des endlos und des idealiter sichern: Dies ist die Gegenwart oder besser die Ge­genwärtigkeit der lebendigen Gegenwart. Die äußerste Form der Idealität, diejenige, in der man in letzter Instanz jede Wiederholung antizipieren oder erinnern kann, die Idealität der Idealität ist die lebendige Gegenwart, die Selbstgegenwart des transzendentalen Lebens. Die Gegenwart ist stets die Form gewesen und wird stets, ins Unendliche, die Form sein, in der, das kann man apodiktisch behaupten, die unendliche Ver­schiedenartigkeit der Inhalte zustande kommen wird. Der – für die Metaphysik inaugurale – Gegensatz zwischen Form und Stoff findet in der konkreten Idealität der lebendigen Ge­genwart seine äußerste und radikale Begründung. (S. 12)


Quelle des Sinns, Sprache, Sprechen

Die Idealität ist das Heil oder die Herrschaft der Gegenwart in der Wiederholung. In ihrer Reinheit ist diese Gegenwart keine Gegenwart von etwas, das in der Welt da ist; sie steht in einer Wechselbeziehung mit Akten einer Wiederholung, die selbst ideal sind. Heißt dies, daß das, was die Wiederholung ins Unendliche öffnet oder sich darauf hin öffnet, wenn die Bewegung der Idealisierung sich Sicherheit verschafft, ein bestimmer Bezug eines »Daseien­den« zu seinem Tod ist? Und daß das »transzendentale Leben« der Schauplatz dieses Verhältnisses ist? Es ist zu früh, um dies zu sagen. Man muß zunächst einmal durch das Pro­blem der Sprache hindurchgehen. Man wird darüber nicht erstaunt sein: Die Sprache ist eben das Medium dieses Spiels von Anwesenheit und Abwesenheit. Gibt es nicht in der Sprache, ist nicht die Sprache zunächst einmal genau das, worin das Leben und die Idealität sich scheinbar vereinen könnten? Nun müssen wir allerdings zum einen berücksich­tigen, daß das Element der Bedeutung — oder die Substanz des Ausdrucks —, welche(s) scheinbar am besten sowohl die Idea­lität als auch die lebendige Gegenwärtigkeit in all ihren Formen zu bewahren vermag, das lebendige Sprechen, die Gei­stigkeit des Atems als phone ist; und daß zum anderen die Phänomenologie, Metaphysik der Gegenwärtigkeit in der Form der Idealität, gleichfalls eine Philosophie des Lebens ist.

Philosophie des Lebens nicht allein, weil in ihrem Zen­trum der Tod nur als empirische und extrinsische Bedeutung eines weltlichen Unfalls Anerkennung findet, sondern auch weil die Quelle des Sinns überhaupt stets als Akt eines Lebens, als lebendiger Seinsakt, als Lebendigkeit* bestimmt wird. Nun entzieht sich indes die Einheit des Lebens, der Brennpunkt der Lebendigkeit*, die ihr Licht in die gesamten Grundbegriffe der Phänomenologie aufbricht (Leben*, Erlebnis*, lebendige Gegenwart*, Geistigkeit* usw.), der transzendentalen Reduktion, ja, bahnt ihr sogar als Einheit von weltlichem und transzendentalem Leben den Weg für den Durchgang. Auch wenn das empirische Leben oder gar die Region des rein Psychischen eingeklammert werden, ent­deckt Husserl immer noch ein transzendentales Leben oder in letzter Instanz die Transzendentalität einer lebendigen Ge­genwart. Und was er thematisiert, ohne daß er dafür die Frage nach dieser Einheit des Begriffs Leben stellt. Ein »see­lenloses* [...] Bewußtsein«, dessen Wesensmöglichkeit in Ideen I (§ S.4) freigelegt wird, ist trotzdem ein transzendental lebendiges Bewußtsein. Wenn man gemäß einem in seinem Stil in Wirklichkeit sehr husserlianischen Gestus daraus schließen würde, daß die Begriffe empirisches (oder allge­mein weltliches) Leben und transzendentales Leben radikal heterogen sind und daß die beiden Namen untereinander ein rein anzeigendes oder metaphorisches Verhältnis unterhal­ten, dann trägt die Möglichkeit dieses Verhältnisses das ge­samte Gewicht der Frage. Die gemeinsame Wurzel, die alle diese Metaphern möglich macht, scheint uns noch immer der Begriff Leben zu sein. In letzter Instanz besteht, so Husserl, zwischen dem rein Psychischen — der dem transzendentalen Bewußtsein gegenüberstehenden und durch die Reduktion der Totalität der natürlichen und transzendenten Welt ent­deckten Region der Welt — und dem rein transzendentalen Leben das Verhältnis einer Parallelität. (S. 18)

Der Primat der Stimme (1)

Weniger erstaunt dürfte man über das hartnäckige, umwe­gige und aufwendige Bemühen der Phänomenologie sein, das Sprechen (parole) zu wahren und eine Wesensverbindung zwischen logos und phone zu behaupten, ist doch das Vorrecht des Bewußtseins (bei dem Husserl sich trotz der be­wundernswerten, unabschließbaren und in so vielen Hinsichten revolutionären Meditation, die er ihm gewidmet hat, im Grunde niemals gefragt hat, was das sei) nichts anderes als die Möglichkeit der lebendigen Stimme. Da das Selbstbe­wußtsein nur in seiner Beziehung auf einen Gegenstand erscheint, dessen Gegenwärtigkeit es zu wahren und zu wie­derholen vermag, ist es der Möglichkeit der Sprache niemals vollkommen fremd oder älter als sie. ...

Wird nun aber nicht gerade ihre Ununterscheidbarkeit (d.h. jene zwischen Bewusstsein und Sprache, h.h.) die Nicht-Gegenwärtigkeit und die Differenz (die Vermitteltheit, das Zeichen, die Verweisung usw.) ins Herz der Selbstgegenwär­tigkeit einführen? Diese Schwierigkeit ruft nach einer Antwort. Diese Antwort nennt sich die Stimme. Das Rätsel der Stimme erhält seinen Reichtum und seine Tiefe aus all jenem, dem sie hier scheinbar entspricht. Daß die Stimme die Wah­rung der Gegenwärtigkeit simuliert und daß die Geschichte der gesprochenen Sprache das Archiv dieser Simulation ist, hindert uns von nun an, die »Schwierigkeit«, der die Stimme in der Husserlschen Phänomenologie entspricht, als eine Schwierigkeit innerhalb des Systems oder als einen ihm eige­nen Widerspruch anzusehen. Und es hindert uns auch daran, diese Simulation, deren Struktur von einer unendlichen Komplexität ist, als Illusion, Phantasma oder Halluzination zu beschreiben. Diese letztgenannten Begriffe verweisen im Gegenteil auf die Simulation qua Sprache als ihre gemeinsame Wurzel.

Immerhin strukturiert diese »Schwierigkeit« den gesam­ten Husserlschen Diskurs, und wir müssen ihr Wirken aner­kennen. Das von der gesamten Geschichte der Metaphysik implizierte notwendige Vorrecht der phone wird Husserl ra­dikalisieren, indem er mit größtem kritischen Raffinement dessen sämtliche Ressourcen ausbeuten wird. Denn nicht der lautlichen Substanz oder der physischen Stimme, dem Körper der Stimme in der Welt, wird er eine Herkunftsverwandt­schaft mit dem Logos schlechthin zuerkennen, sondern der phänomenologischen Stimme, der Stimme in ihrem tran­szendentalen Leib, dem Atem, der intentionalen Beseelung, die den Körper des Wortes in den Leib verwandelt, die aus dem Körper* einen Leib*, eine geistige Leiblichkeit* macht. Die phänomenologische Stimme wäre dieser geistige Leib, der auch bei Abwesenheit der Welt zu sprechen und sich selbst gegenwärtig zu sein — sich zu vernehmen — fortfährt. Selbstverständlich wird das, was man der Stimme gewährt, der Sprache von Wörtern, einer aus Einheiten — die man für irreduzibel, unzerteilbar halten konnte — gebildeten Sprache gewährt, die den bedeuteten Begriff mit dem bedeutenden »Lautkomplex« verschweißt. Der Wachsamkeit der De­skription zum Trotz hat eine vielleicht naive Behandlung des Begriffes »Wort« in der Phänomenologie die Spannung zwi­schen ihren beiden Hauptmotiven: der Reinheit des Forma­lismus und der Radikalität des Intuitionismus, mit Sicherheit unaufgelöst zurückgelassen. (S. 25ff)

Das Zeichen und der Tod

Mit der Differenz zwischen der wirklichen Gegenwart und der Gegenwart in der Repräsentation als Vorstellung* findet sich so durch die Sprache ein ganzes System von Dif­ferenzen in ein und dieselbe Dekonstruktion hineingezogen: zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden im allgemeinen, dem Signifikat und dem Signifikanten, der schlichten Gegenwärtigkeit und ihrer Reproduktion, der Präsentation als Vorstellung* und der Re-präsentation als Vergegenwärtigung*; denn die Re-präsentation hat als Re­präsentat eine Präsentation* als Vorstellung. Gegen Husserls ausdrückliche Intention sieht man sich so veranlaßt, die Vorstellung* selbst und als solche von der Möglichkeit der Wiederholung und die einfachste Vorstellung*, die Präsenta­tion (Gegenwärtigung*), von der Möglichkeit der Re-prä­sentation (Vergegenwärtigung*) abhängig zu machen.

Man leitet die Gegenwärtigkeit-der-Gegenwart von der Wieder­holung ab und nicht umgekehrt. Gegen Husserls ausdrück­liche Intention, doch nicht ohne eine Würdigung dessen, was sich, wie weiter unten vielleicht deutlich werden wird, in sei­ner Beschreibung der Bewegung der Zeitigung und der Be­ziehung zum Anderen impliziert findet. Der Begriff Idealität muß natürlich im Zentrum einer sol­chen Problematik stehen. Der Aufbau (structure) der Rede kann nach Husserl nur als Idealität beschrieben werden: Idealität der sinnlichen Gestalt des Signifikanten (zum Beispiel des Wortes), die dieselbe bleiben muß und das nur als Idealität vermag; Idealität des Signifikats (der Bedeutung*) oder des gemeinten Sinns, der weder mit dem Akt des Mei­nens noch mit dem Gegenstand zusammenfällt, wobei diese letzten beiden unter Umständen nicht ideal sein können, und schließlich in bestimmten Fällen Idealität des Gegenstandes selbst, der damit (genau das geschieht in den exakten Wissen­schaften) die ideale Transparenz und die vollkommene Ein­deutigkeit der Sprache sicherstellt.

Diese Idealität jedoch, die nur der Name für die Ständigkeit des Selben und die Möglichkeit seiner Wiederholung ist, existiert nicht in der Welt und kommt auch nicht aus einer anderen Welt. Sie hängt voll und ganz von der Möglichkeit von Akten einer Wieder­holung ab. Sie wird durch sie konstituiert. Ihr »Sein« entspricht dem Maß des Wiederholungsvermögens. Die abso­lute Idealität ist das Korrelat einer Möglichkeit endloser Wiederholung. Folglich kann man sagen, daß das Sein durch Husserl als Idealität, das heißt als Wiederholung bestimmt wird. ...

Husserl räumt zuwei­len ein: nur gegen einen konventionellen Platonismus habe er ich stets gewandt. Wenn er die Nicht-Existenz oder die Nicht-Realität der Idealität behauptet, so stets, um anzuer­kennen, daß die Idealität einem Modus gemäß ist, der sich auf die sinnliche Existenz oder auf die empirische Realität, ja sogar auf deren Fiktion, nicht reduzieren läßt. Indem Platon das ontos on als eidos bestimmte, tat er nichts anderes.

...

Der Bezug auf die Gegenwärtigkeit der Gegenwart als äußerster Form des Seins und der Idealität ist die Bewegung, durch die ich das empiri­sche Dasein, die Faktizität, die Kontingenz, die Weltlichkeit usw. überschreite. Und als erstes die meinige. Die Gegenwär­tigkeit als universale Form des transzendentalen Lebens zu denken heißt mich dem Wissen zu öffnen, daß in meiner Ab­wesenheit, jenseits meines empirischen Daseins, vor meiner Geburt und nach meinem Tod, die Gegenwart ist. Ich kann sie jeglichen empirischen Inhalts entleeren, einen absoluten Zusammenbruch des Inhalts jeder möglichen Erfahrung, eine radikale Verwandlung der Welt phantasieren: Die uni­versale Form der Gegenwärtigkeit, das ist mir auf eine merkwürdige und einmalige Weise gewiß, da sie kein bestimmtes Seiendes betrifft, wird davon nicht berührt sein. Somit liegt in dieser Bestimmung des Seins als Gegenwärtigkeit, Idealität und absoluter Möglichkeit einer Wiederholung der Bezug zu meinem Tod (zu meinem Verschwinden schlechthin) verbor­gen. Die Möglichkeit des Zeichens ist dieser Bezug zum Tod. Die Bestimmung und die Auslöschung des Zeichens in der Metaphysik sind die Verheimlichung dieses Bezugs zum Tod, der freilich die Bedeutung hervorbrachte. (S. 72)

Husserl

Primat der Stimme (2)

Um richtig zu verstehen, worauf das Vermögen der Stimme beruht und inwiefern die Metaphysik, die Philoso­phie und die Bestimmung des Seins als Gegenwärtigkeit die Epoche der Stimme als technische Beherrschung des Gegen­stand-Seins sind, um die Einheit von techne und phone rich­tig zu verstehen, gilt es die Objektivität des Gegenstandes zu denken. Der ideale Gegenstand ist der objektivste aller Ge­genstände: Unabhängig vom hic et nunc der Geschehnisse und der Akte der ihn meinenden empirischen Subjektivität kann er ins Unendliche wiederholt werden und bleibt dennoch derselbe. Da seine Gegenwärtigkeit für die Anschau­ung, sein dem Blick Ansichtig-sein seinem Wesen nach von keiner weltlichen oder empirischen Synthesis abhängig ist, wird die Wiederherstellung seines Sinns in der Form der Gegenwärtigkeit zu einer universalen und unbegrenzten Mög­lichkeit. Doch da sein Ideal-Sein nichts ist außerhalb der Welt, muß es in einem Medium konstituiert, wiederholt und ausgedrückt werden, das die Gegenwärtigkeit und die Selbst­gegenwart der Akte, die es meinen, nicht antastet: ein Me­dium, das sowohl die Gegenwärtigkeit des Gegenstandes im Angesicht der Anschauung als auch die Selbstgegenwart, die absolute Nähe der Akte zu sich selbst, wahrt. Wenn die Idea­lität des Gegenstandes nur sein Sein-für ein nicht empirisches Bewußtsein ist, dann kann sie nur in einem Element ausge­drückt werden, dessen Phänomenalität nicht die Form der Weltlichkeit hat. Die Stimme ist der Name für dieses Element. Die Stimme hört sich, versteht sich (s'entend). Die phoni­schen Zeichen (die »Lautbilder« im Sinne von Saussure, die phänomenologische Stimme) werden von dem Subjekt, das sie äußert, in der absoluten Nähe ihrer Gegenwart »gehört« und »verstanden«. Das Subjekt muß nicht aus sich herausge­hen, um von seiner Ausdrucksaktivität unmittelbar affiziert zu sein. Meine Worte sind »lebendig«, weil sie mich scheinbar gar nicht verlassen: weil sie nicht in einer sichtbaren Ent­fernung aus mir, aus meinem Atem herausfallen; weil sie nicht aufhören, zu mir zu gehören, mir »ohne Beiwerk« zur Verfügung zu stehen. So jedenfalls gibt sich das Phänomen der Stimme, die phänomenologische Stimme. (S. 102f)

...

Versuchen wir also, den phänomenologischen Wert der Stimme, die Transzendenz ihrer Würdigkeit im Verhältnis zu jeder anderen signifikanten Substanz zu befragen. Wir neh­men an und wir werden versuchen zu zeigen, daß diese Tran­szendenz nur eine scheinbare ist. Doch ist dieser »Schein« das Wesen des Bewußtseins und seiner Geschichte selbst, und er bestimmt eine Epoche, zu der die philosophische Idee der Wahrheit, der Gegensatz von Wahrheit und Schein ge­hört, so wie er noch in der Phänomenologie funktioniert. Man kann ihn also weder »Schein« heißen, noch ihm innerhalb der metaphysischen Begrifflichkeit einen Namen geben. Man kann nicht versuchen, diese Transzendenz zu dekon­struieren, ohne sich, indem man sich die ererbten Begriffe durchlaufend vorantastet, auf das Unnennbare hin zu vertie­fen. (S. 104)


höchst lebendig

Die somit »scheinbare Transzendenz« der Stimme hängt damit zusammen, daß das Signifikat, das stets von seinem Wesen her ideal ist, die »ausgedrückte« Bedeutung*, dem Ausdrucksakt unmittelbar gegenwärtig ist. Diese unmittel­bare Gegenwärtigkeit hängt damit zusammen, daß der phä­nomenologische »Körper« des Signifikanten sich in genau dem Moment auszulöschen scheint, in dem er hervorge­bracht wird. Er gehört scheinbar immer schon dem Element der Idealität an. Er reduziert sich phänomenologisch selbst, verwandelt die weltliche Undurchsichtigkeit seines Körpers in reine Durchsichtigkeit. Diese Auslöschung des sinnlichen Körpers und seiner Außerlichkeit ist für das Bewußtsein schlicht die Form der unmittelbaren Gegenwärtigkeit des Signifikats.

Warum ist das Phonem das »idealste« aller Zeichen? Woher rührt diese Komplizität zwischen dem Laut und der Idealität oder eher noch zwischen der Stimme und der Idea­lität? ... Wenn ich spreche, dann gehört es zum phänomenologischen Wesen dieser Operation, daß ich mich in der Zeit, in der ich spreche, höre. Der durch meinen Atem und durch die Absicht zur Signifikation beseelte Signifikant (in Husserlscher Sprache der durch die Bedeutungsintention* beseelte Ausdruck) ist mir absolut nahe. Der lebendige Akt, der Leben spendende Akt, die Lebendigkeit*, die den Körper des Signifikanten beseelt und ihn in einen bedeutenden Ausdruck verwandelt, die Seele der Sprache scheint sich nicht von sich selbst, von ihrer Selbstgegenwart zu trennen. Sie geht nicht das Wagnis des Todes im Körper eines der Welt und der Sichtbarkeit des Raumes überlassenen Signifikanten ein. Sie kann den idealen Gegenstand oder die ideale Bedeutung, die sich auf den Ge­genstand bezieht, zeigen, ohne sich auf ein Abenteuer außerhalb der Idealität, außerhalb der Innerlichkeit des selbstgegenwärtigen Lebens einzulassen. (S. 104 f)

...

Schon in der Struktur des Sprechens ist impli­ziert, daß der Sprechende sich hört, sich versteht: daß er zugleich die sinnliche Form der Phoneme wahrnimmt und seine eigene Ausdrucksintention versteht. (S. 106)

...

Die Operation des »Sich-sprechen-hörens« ist eine Selbstaffektion von einer absolut einmaligen Art. Einerseits operiert sie im Medium der Universalität; die Signifikate, die darin erscheinen, müssen Idealitäten sein, die man idealiter wiederholen oder endlos als dieselben übermitteln können muß. Andererseits kann das Subjekt sich hören oder zu sich sprechen, sich durch den Signifikanten, den es hervorbringt, ohne irgendeinen Umweg durch die Instanz der Äußerlichkeit, der Welt oder des Nicht-Eigenen im allgemeinen affizieren lassen. Jede andere Form einer Selbstaffektion muß entweder durch das Nicht-Eigene hindurchgehen oder aber auf die Universalität verzichten. Sowie ich mich sehe, sei es, weil eine begrenzte Region meines Körpers meinem Blick freigegeben ist oder sei es durch die Reflexion im Spiegel, ist das Nicht-Eigene bereits in das Feld dieser Selbstaffektion eingetreten, die von nun an nicht mehr rein ist. In der Erfahrung des Be­rührend-Berührten verhält es sich genauso. In beiden Fällen muß die Oberfläche meines Körpers als Bezug auf die Au­ßerlichkeit sich zunächst einmal in der Welt aussetzen. (S. 108)

vgl. die Bemerkungen Walter Ongs zum Hör- und Sehsinn-

...

Idealerweise, im teleologischen Wesen des Sprechens, sollte es somit mög­lich sein, daß der Signifikant dem durch die Intuition gemeinten und das Bedeuten (vouloir-dire) leitenden Signifikat ab­solut nahe ist. Der Signifikant würde eben aufgrund der absoluten Nähe zum Signifikat vollkommen durchsichtig. Diese Nähe wird durchbrochen, sobald ich mich, anstatt mich sprechen zu hören, schreiben oder durch Gesten bedeuten (signifier) sehe. (S. 109)

différance

Die Schrift ist ein Körper, der nur dann ausdrückt, wenn man den wörtlichen Ausdruck, der ihn beseelt, aktuell ausspricht, wenn sein Raum verzeitlicht wird. Das Wort ist ein Körper, der nur dann etwas bedeutet, wenn eine aktuelle Intention ihn beseelt und ihn aus dem Zustand träger Lautlichkeit (Körper*) in den Zustand des beseelten Leibes* übergehen läßt. Dieser eigene Körper des Wortes drückt nur dann aus, wenn er durch den Akt eines Bedeutens, das ihn in geistige Leiblichkeit* verwandelt, sinnbelebt wird. Doch einzig die Geistigkeit oder die Lebendigkeit* ist unabhängig und originär. Als sol­che hat sie keinerlei Signifikanten nötig, um sich selbst gegen­wärtig zu sein. Ebensosehr entgegen ihren Signifikanten wie dank ihrer erwacht sie oder hält sie sich am Leben. So sieht die traditionelle Seite des Husserlschen Diskurses aus.

Doch sowie Husserl genötigt war, die Notwendigkeit die­ser »Verkörperungen« anzuerkennen, und sei es auch als heilsame Bedrohungen, peinigte und bestritt von innen her ein tiefsitzendes Motiv die Sicherheit dieser traditionellen Unterscheidungen. Und zwar, daß die Möglichkeit der Schrift dem Drinnen des Sprechens innewohnen konnte, das selbst in der Intimität des Denkens an der Arbeit war.

Und hier stoßen wir erneut auf sämtliche Quellen einer originären Nicht-Gegenwärtigkeit, deren Zutagetreten wir bereits mehrfach vermerkt haben. Obgleich Husserl die Dif­ferenz in die Äußerlichkeit des Signifikanten verdrängte, konnte er nicht umhin, ihr Werk im Ursprung des Sinns und der Gegenwärtigkeit zu erkennen. Die Selbstaffektion als Operation der Stimme setzte voraus, daß eine reine Differenz die Selbstgegenwart teilte. In dieser reinen Differenz ist die Möglichkeit von all dem verwurzelt, was man aus der Selbst­affektion glaubt ausschließen zu können: der Raum, das Draußen, die Welt, der Körper usw. Sobald man zugesteht, daß die Selbstaffektion die Bedingung der Selbstgegenwart ist, ist eine reine transzendentale Reduktion nicht möglich. Aber man muß durch sie hindurchgehen, um sich die Diffe­renz in nächster Nähe zu ihr selbst wieder zu eigen zu ma­chen — und nicht zu ihrer Identität oder zu ihrer Reinheit oder zu ihrem Ursprung. Dergleichen hat sie nicht. Sondern in nächster Nähe zur Bewegung der différance.

Diese Bewegung der différance überfällt nicht unvermutet ein transzendentales Subjekt. Sie bringt es hervor. Die Selbstaffektion ist keine Modalität einer Erfahrung, die bezeich­nend wäre für ein Seiendes, das bereits es selbst (autos) wäre. Sie bringt das Selbe als Beziehung zu sich in der Differenz mit sich, das Selbe als das Nicht-Identische hervor. (S. 112)

Roland Barthes

Die Rauheit der Stimme

Kate Callaghan: Some thoughts on voice and modes of listening

Hartmut Winkler, Ulrike Bergermann: Singende Maschinen und resonierende Körper

Stimmlose Sprache?

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