Migrationshintergrund und Berufsausbildung (JsB - Migration): Unterschied zwischen den Versionen

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== Ist-Situation in Deutschland im Jahr 2004 ==
  
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                                                                   Autor: Michael Hölzle (2007)
 
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Version vom 9. Juni 2007, 11:21 Uhr

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Ist-Situation in Deutschland im Jahr 2004

Statistiken wie z.B. die Berufsbildungsstatistik berücksichtigen nicht den Migrationshintergrund, sondern lediglich die Staatszugehörigkeit. Das bedeutet, dass Personen mit deutschem Pass und Migrationshintergrund nicht als Migranten berücksichtigt werden. Somit erfasst die amtliche Statistik nur einen Teil der Einwohner mit Migrationshintergrund. Tatsächlich haben schätzungsweise rund ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland einen Migrationshintergrund, doch nur rund 12% eine ausländische Staatsangehörigkeit.
20% aller bei der Bundesagentur gemeldeten Lehrstellenbewerber haben einen Migrationshintergrund.
2004 begannen zwar 40% der deutschen Bewerber, aber nur 29% derjenigen mit Migrationshintergrund eine betriebliche Lehre. Während 21% aller bei der Bundesagentur gemeldeten Bewerberinnen einen Migrationshintergrund haben, sind sie bei den Bewerberinnen, die in eine Ausbildung einmünden mit 17% unterproportional vertreten. Noch deutlicher ist der Unterschied bei den jungen Männern (20% zu 13%).
Jeder vierte Bewerber mit Migrationshintergrund mündet in Bildungsgängen des „Chancenverbesserungssystems“, d.h. in beruflicher oder schulischer Grundbildung bzw. in ein Praktikum. Im Vergleich zu Lehrstellensuchenden ohne Migrationshintergrund sind sie hier überproportional vertreten (26% zu 22%).
Jeder vierte bzw. knapp jeder fünfte Lehrstellenbewerber mit Migrationshintergrund mündet 2004 nicht in eine Grundbildung ein, sondern ist arbeitslos oder jobbt – häufiger als junge Männer und Frauen ohne Migrationshintergrund auf Lehrstellensuche (15%). 2004 befinden sich 25% aller ausländischen Jugendlichen in einer dualen Ausbildung (im Vgl. zu 59% bei deutschen Jugendlichen).

Rückwärtstrends zwischen 1993 und 2004

Die Ausbildungsbeteiligungsquote (Anteil der ausländischen Azubis an allen ausländischen Jugendlichen) schon 1994 mit 34% niedrig, so sinkt sie bis 2004 auf 25%.
Zwischen 1993 & 2004 ist die deutsche Wohnbevölkerung im Alter von 18 bis 21 Jahren, die zur Berechnung der Ausbildungsquote als Vergleichsgruppe herangezogen wird, um 18% gestiegen, die Zahl der deutschen Auszubildenden hingegen um knapp 1% gesunken. Die ausländische Wohnbevölkerung hat hier – zum Teil wegen Einbürgerungen – einen Rückgang von 26% zu verzeichnen, die Zahl der ausländischen Azubis sinkt im Vergleichszeitraum mit 43% jedoch überproportional.
Einen Rückwärtstrend gibt es besonders bei weiblichen Azubis: Die Zahl aller Azubis ist zwischen 1995 und 2003 insgesamt um ca. 5% gestiegen, aber bei denen ausländischer Nationalität um knapp 20% gesunken.
Der Anteil männlicher Jugendlichen ausländischer Nationalität an allen männlichen Azubis ging zwischen 1995 und 2005 „lediglich“ von 11% auf 6% zurück.
Die Zahl aller männlichen Azubis im Handwerk beispielsweise sinkt zwar um 16%, die der Azubis ausländischer Nationalität aber um 52%. Die Zahl aller männlichen Azubis in Industrie und Handel steigt zwar um 22%, die derjenigen ausländischer Nationalität sinkt dagegen um 33%.

Gesamtbilanz

Männliche Auszubildende verzeichnen zwischen 1995 und 2003 insgesamt zwar einen leichten Zuwachs von einem Prozent, die Zahl derjenigen mit ausländischer Nationalität jedoch sinkt um 44%. Die Zahl aller weiblichen Azubis steigt sogar um 5% an, jedoch sinkt die Zahl der jungen Frauen ausländischer Nationalität mit Lehrstelle um 20%. Also liegen die Verluste an Ausbildungsmöglichkeiten für junge Männer ausländischer Nationalität zwar doppelt so hoch wie die der Frauen, die Ausbildungsquote ist aber 2003 mit 30% noch um 5% höher als die der Frauen.

Diskussion

Eine Reihe von Untersuchungen (z.B. Pisa-Studie) zeigen, dass Bildungschancen in Deutschland in erster Linie sozial und nicht nach ethnischen Gruppen unterschiedlich verteilt sind. Andererseits belegt PISA aber auch, dass Schüler mit Migrationshintergrund ein höheres Risiko haben, zu denjenigen mit schwacher Lesekompetenz zu gehören. Dieses ist vemutlich ein Item, das die mangelnhaften schulischen Bildungsvoraussetzungen der Schüler mit Migrationshintergrund als Begründung für Nichteinstellung aus Sicht mancher Fachmänner begründet.
Doch selbst bei gleichen Schulabschlüssen liegen die Erfolgsaussichten von Bewerbern mit Migrationshintergrund deutlich niedriger als die von deutschen Jugendlichen. Bei den Hauptschülern ist dieses Verhältnis 25% zu 29%, bei Realschülern 34% zu 47%. Dies bedeutet, dass die Ausbildungschancen für Bewerber ohne Migrationshintergrund mit einem besseren Schulabschluß stärker ansteigen als die derjenigen mit Migrationshintergrund.
Weitere immer wieder angeführte Erklärungen für die ungünstige Ausbildungslage von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, wie z.B. mangelndes Interesse und Engagement werden durch wissenschaftliche Untersuchungen beständig widerlegt.

Bibliographie

Granato, M. (2005). Junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund: Ausbildung ade. Frankfurt, Berlin

Granato, M.& Soja, E. (2005). Qualifizierung junger Menschen mit Migrationshintergrund - integraler Bestandteil im Bildungsbereich? Wirtschaft und Berufserziehung, 5

Ulrich, J. G. (2005). Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ergebnisse aus der BIBB-Berufsbildungsforschung. In INBAS(Ed.), Werkstattbericht 2005. Frankfurt, Berlin


Bestandsaufnahme

Gesamtsituation

Differenziert nach Art des Migrationshintergrundes ergeben sich für 2002 folgende Daten (Troltsch/Ulrich 2003):

  • Deutsche, im Ausland geboren haben eine Ausbildungsquote von 37,7%
  • Ausländer, in Deutschland geboren haben eine Ausbildungsquote von 38,0%
  • Ausländer, im Ausland geboren haben eine Ausbildungsquote von 25,9%

(zum Vgl.: Deutsche, in Deutschland geboren haben eine Ausbildungsquote von 56,7%.)
Mit der Art des Schulabschlusses als Unterscheidungskriterium ergeben sich, dass Deutsche Jugendliche mit Haupt- oder Sonderschulabschluss in 43,4% der Fälle eine Lehrstelle erhalten, doch von der ausländischen Vergleichsgruppe schaffen es nur 22,8%. Auch eine mittlere Reife verbessert die Chancen der ausländischen Jugendlichen nur marginal auf 23,9% (Deutsche 60,5%). Und auch die Fachhochschul- oder Hochschulreife ermöglicht nur 34,4% der Migranten die gewünschte Lehre (Deutsche 63,6%).
Nach Alter gestaffelt ergeben die Daten von Troltsch & Ulrich (2003), dass Migranten im Alter von 20 Jahren nur noch zu 9,2% eine Chance auf Ausbildungsverträge haben (Deutsche 41,2%), während ihre Chancen zwischen 17 und 18 am besten sind (31,6%).
2004 beginnen 40% der deutschen, aber nur 29% der Bewerber mit Migrationshintergrund eine betriebliche Lehre. 21% aller Bewerberinnen für einen Ausbildungsplatz haben einen Migrationshintergrund, sie können 17% der Ausbildungsplätze antreten. Diese Situation ist bei den männlichen jugendlichen Bewerbern mit Migrationshintergrund schlechter (20% zu 13%). (Granato 2005:2f)

Branchenspezifische Situation

2003 lag die größte Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit ausländischem Pass in der Branche der freien Berufe. Hier herrscht allerdings ein Frauenanteil von 95,7%. Gefolgt wird sie vom Handwerk mit 7%. In dieser Branche ist der Männeranteil unter den ausländischen Jugendlichen bei fast 75%. In Industrie und Handel stellen ausländische Jugendliche 6% (Granato 2005:6).
Genauere Daten liefert Granato (2003:477) für das Jahr 2001:

Granato 2003.jpg

Granato 2003 2.jpg

Geschlechterspezifische Situation

Trotz besserer Schulabschlüsse im Vergleich zu den männlichen Bewerbern mit ausländischem Pass (30%) sind 2003 lediglich 25% der jungen nicht-deutschen Frauen in einer Ausbildung im dualen System (Granato 2005:5). „Dies wird u.a. darauf zurückgeführt, dass insbesondere im Dienstleistungsbereich, einem Gebiet mit überproportional hohem Frauenanteil, die Ausbildungsquote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund besonders niedrig ist und es zu einer Konkurrenzsituation zu den jungen deutschen Frauen mit qualitativ besseren Schulabschlüssen kommt.“ (Stomporowski 2004:8)
2003 machen die Ausländerinnen einen Anteil von 7% an allen weiblichen Auszubildenden aus. Ihre männliche Vergleichsgruppe entspricht mit 42.300 Azubis im gleichen Jahr nur 6% aller männlichen Auszubildenden (Granato 2005:5ff).

Sonderfall Ausbildungsabbruch & Vertragslösungen

37% der jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund ohne Berufsabschluss haben eine Ausbildung begonnen und diese wieder abgebrochen. (Troltsch 1999)
In den alten Bundesländern wurden im Jahr 2001 25% aller Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Die Quoten sind besonders hoch in den Wirtschaftsbereichen, zu denen Jugendliche mit Migrationshintergrund am ehesten Zugang haben (Handwerk 34%, Freie Berufe 29%, Arzthelferin/Zahnarzthelferin 26%/33%). Im Handwerk betrifft dies besonders Maler & Lackierer (43%), Gas- & Wasserinstallateure (37%), Elektroinstallateure (33%), Zentralheizungslüftungsbauer (32%) und KFZ-Mechaniker (28%). Auch in den kaufmännischen Bereichen, in die Jugendliche ausländischer Herkunft stärker einmünden, liegt die Quote über dem Durchschnitt: Verkäufer 29% und Kaufleute im Einzelhandel 28%. (Granato 2003:479f)
Eine Untersuchung aus dem Jahr 1992 (Beer 1992) zufolge lässt die Tendenz erkennen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund ihre Ausbildungen besonders häufig in Betrieben mit bis zu neun Beschäftigten abbrechen (33%), wogegen es in Betrieben mit über 500 Mitarbeitern nur 13% waren. Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch eine Umfrage des BIBB aus dem Jahr 2003 (Schöngen 2003).
Gründe für Vertragslösungen waren im Jahr 2001/2002 (Doppelnennungen waren bei der Umfrage möglich)

  • Betriebliche Gründe (70%)
  • Persönliche Gründe, d.h. Familie, Gesundheit, etc. (46%)
  • Gründe im Zusammenhang mit der Berufsorientierung (33%)

Bibliographie

Granato, Mona (2003): Jugendliche mit Migrationshintergrund in der beruflichen Bildung. In: WSI Mitteilungen Heft 8

Granato, Mona (2005): Junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund: Ausbildung adé. In: INBAS (Hrsg.): Werkstattbericht 2005. Frankurt, Berlin

Schöngen, Klaus (2003): Ausbildungsvertrag gelöst = Ausbildung abgebrochen? (Arbeitstitel), in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 5

Stomporowski; Stephan (2004): Die misslungene berufliche Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund. In: Kipp; Martin, Seyd, Wolfgang (Hrsg.): Förderung benachteiligter und behinderter Jugendlicher, bwp@ Ausgabe Nr. 6, Juni 2004

Troltsch, Klaus (1999): Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Struktur und Biographiemerkmale, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 5

Troltsch, Klaus & Ulrich, Joachim Gerd (2003): Problemgruppen unter den Ausbildungsstellenbewerbern 2002. In: Nutzung und Nutzen des Internets bei der Berufswahl und bei der Lehrstellensuche. Ergebnisse der BA/BIBB-Lehrstellenbewerberbefragung 2002/2003. - Nürnberg, 2003. - S. 1725 - 1734


Entwicklung der Situation und Tendenzen

Gesamtsituation

1994 lag die Ausbildungsbeteiligungsquote von Nichtdeutschen in Deutschland bei 34%, doch sie hat sich um 26% auf 25% im Jahr 2004 verschlechtert. Anzumerken ist hier allerdings, dass sich die Bevölkerungsgruppe, die zur Berechnung herangezogen wird in genau diesem Zeitraum stark verändert hat: Die Zahl der Deutschen zwischen 18 und 21 ist u.A. aufgrund von Einbürgerungen um 18% gestiegen, die der ausländischen 18 bis 21-jährigen aus gleichen Gründen um 26% gesunken. Die Zahl der deutschen Azubis sank im gleichen Zeitraum um 1%, die derjenigen mit ausländischem Pass sank um 43%. (Granato 2005:2ff)

Branchenspezifische Situation

Von 1995 bis 2003 sank die Ausbildungsbeteiligung der Ausländer im Bereich Industrie und Handel von 9% auf 6%. Auch im Handwerk war der stärkste Rückgang, nämlich um 5 Prozentpunkte von 12 auf 7% zu verzeichnen. Der Anteil ausländischer Jugendlicher im öffentlichen Dienst fiel leicht von 4% auf 3% und der Anteil bei den freien Berufen blieb konstant bei 9% (Granato 2005:6).

Geschlechterspezifische Tendenzen

Tendenzen w-m.jpg

1993 lag die Ausbildungsquote bei deutschen Männern bei 80,5% und bei den Frauen bei 58,2%. Diese Quoten fielen bis 2003 auf Werte von 69,9% und 49,7%. Die Ausbildungsquote bei den ausländischen Männern sank von 40,3% auf 29,7%, die der ausländischen Frauen von 24,6% auf 24,5%. Während die Zahl aller weiblichen Azubis zwischen 1995 und 2003 um 5% gestiegen ist, ist die der weiblichen Auszubildenden ausländischer Nationalität um 20% gesunken. Im gleichen Zeitraum steigt die Zahl aller männlichen Azubis um 1%, doch die der ausländischen männlichen Azubis verringert sich um 44% (von 11% auf 6%). Zwar liegen die Verluste der männlichen ausländischen Azubis mit 44% deutlich höher als die der weiblichen, jedoch ist die Ausbildungsquote der ausländischen Männer im Jahr 2003 mit 30% noch höher als die der weiblichen Vergleichsgruppe mit 25% (Granato 2005:4ff). Es lässt sich festhalten dass sich – wie auch bei der deutschen Vergleichsgruppe – die Ausbildungsquoten ausländischer Frauen und Männer einander annähern (Stomporowski 2004:8).

Ausbildungsabbruch

Seit 1997 steigt die Zahl der Ausbildungsabbrüche wieder an. (Granato 2003)

Bibliographie

Granato, Mona (2003): Jugendliche mit Migrationshintergrund in der beruflichen Bildung. In: WSI Mitteilungen Heft 8

Granato, Mona (2005): Junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund: Ausbildung adé. In: INBAS (Hrsg.): Werkstattbericht 2005. Frankurt, Berlin

Stomporowski; Stephan (2004): Die misslungene berufliche Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund. In: Kipp; Martin, Seyd, Wolfgang (Hrsg.): Förderung benachteiligter und behinderter Jugendlicher, bwp@ Ausgabe Nr. 6, Juni 2004


Alternativen, die von unversorgten Lehrstellenbewerbern genutzt werden

Daten für 2005

Im Jahr 2005 nutzt knapp jeder zweite nicht vermittelte Bewerber mit Migrationshintergrund die schulische Nach- oder Weiterbildung als Alternative zur dualen Ausbildung. Jeder vierte dieser Bewerber begab sich auf Arbeitssuche nach Tätigkeiten für Ungelernte (bei Bewerbern ohne Migrationshintergrund war es lediglich jeder fünfte). Dies betraf in besonderem Maße die männlichen Bewerber, wogegen die weiblichen Bewerber stärker bildungsorientiert waren. (Engelbrech/Ebner 2006:5)

Genutzte Alternativen 1.jpg

Bibliographie

Engelbrech, Gerhard; Ebner, Christian (2006): Lehrstellenmangel: Alternativen müssen Lücken schließen. Nürnberg: 6 S.; 699 KB Reihe / Serie: IAB-Kurzbericht Nr. 28/2006


Ursachen

Geringere schulische Vorbildung

Genutzte Alternativen 1.jpg

Unter den Bewerbern mit Migrationshintergrund befinden sich im Jahr 2005 mehr Hauptschulabsolventen (49%) als bei deutschen Bewerbern (38%), und weniger mit mittleren Bildungsabschlüssen (32% im Vgl. Zu 49%). Diese Situation hat Anteil daran, dass ausländische Jugendliche insgesamt seltener vermittelt werden. Jedoch haben junge Ausländer trotz formal gleichem Bildungsgrad schlechtere Chancen: Mit Hauptschulabschluß bekommen 31% von ihnen eine Ausbildung (Deutsche: 44%), mit mittlerem Bildungsabschluß 34% (im Vgl. Zu 55%). (Engelbrech/Ebner 2006:3-4)
Granato (2003:478) sieht eine Untersuchung an Bielefelder Schulen von Gomalla/Radtke (2001) als Beleg dafür an, dass der mangelnde Schulerfolg von Migrantenkindern überwiegend auf institutionelle Diskriminierung zurückführen lässt. Des Weiteren nennt sie sprachliche Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang. Auch Stomporowski (2004) führt eine Aussage der Integrationsbeauftragten des Bundes an, dass Lehrer häufig mangelnde Deutschkenntnisse zu „Generellen Lernschwierigkeiten“ umdefinieren.

Ausbildungsplatzmangel

Granato (2003:478) sieht als eine weitere Ursache für den Rückgang der Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein im Durchschnitt der letzten Jahre rückläufiges Ausbildungsangebot. Er trifft in besonderem Maße Jugendliche aus Migrantenfamilien, da ihnen Ausweichmöglichkeiten wie Studium aufgrund ihrer Bildungsabschlüsse seltener offen stehen. Im Jahr 200 studierten 18% der 20-25-jährigen Deutschen an einer Hochschule, aber nur 4% der gleichaltrigen Bildungsinländer mit ausländischem Pass (Jeschek 2002). Daher sind Jugendliche mit Migrationshintergrund stärker auf eine duale Ausbildung angewiesen, wo sie jedoch mit schulisch besser vorgebildeten Bewerbern mit deutschem Familienhintergrund konkurrieren, was ihre Chancen zusätzlich mindert. Der Mangel an Ausbildungsplätzen und –Nachfrage variiert jedoch regional stark.

Rekrutierungsstrategien und Vorbehalte von Betrieben und Verwaltungen

Laut Granato (2003:478f) erschweren Einstellungstest und Kompetenzfeststellungsverfahren, die sie als nur „angeblich kulturneutral“ bezeichnet und denen sie nur geringen prognostischen Wert im Hinblick auf den Ausbildungserfolg zuweist, MigrantInnen den Zugang zur beruflichen Ausbildung. Jedoch nennt sie auch Vorbehalte von Personalchefs speziell gegen Bewerber mit türkischem Migrationshintergrund als Grund, sagt aber auch, dass die Entscheidungen der Personalchefs von Befürchtungen ausländerfeindlicher Vorurteile bei Kunden und Mitarbeitern beeinflußt werden. In besonderem Maße gilt dies für Betriebe die bisher noch keine Erfahrung mit der Ausbildung Jugendlicher mit Migrationshintergrund haben (Schaub 1991). Eine weitere Rekrutierungsstrategie sorgt für Ungleichheit: 25% der deutschen Azubis verdanken ihre Stelle persönlichen Beziehungen der Eltern, aber nur 13% der Azubis ausländischer Nationalität. Zudem sorgen sprachlich oder kulturell bedingte Mißverständnisse zwischen Personalchefs und Bewerbern mit Migrationshintergrund für weitere Ungleichheit.
Selbst in Branchen mit Bedarf an interkulturellem und mehrsprachigen Personal (z.B. personale Dienstleistungen) und Kunden ausländischer Nationalität (Beratungsinstitutionen, Banken, Versicherungen, etc.) werden Jugendliche mit Migrationshintergrund „noch zu selten als Auszubildende und junge Fachkräfte nachgefragt“ (Granato 2003:479). Granato sieht die zumindest ansatzweise ausgebildete Zweisprachigkeit und interkulturelle Basiskompetenz in den Auswahlverfahren der Betriebe als von den Betrieben unterberücksichtigt. Dies verringert zusätzlich die Chancen für Bewerber mit Migrationshintergrund.

Informationsdefizite von Betrieben

Laut Granato (2003) nutzen Betriebe aufgrund mangelnder Information zu wenig ausbildungsbegleitende Hilfen und betriebliche Maßnahmen zur Förderung von Nachwuchskräften aus Migrantenfamilien.

Resignation

Da die Übergangschancen für Migranten mit Haupt- oder Realschulabschluss laut Troltsch (2003) bei 59,2% und 56,9% - und damit in etwa so gut wie die deutscher Bewerber ohne Schulabschluss oder lediglich mit einem Abgangszeugnis – verzichten zwischen 58-61% der Migranten ohne und mit Hauptschulabschluss von vornherein darauf, einen Arbeitsplatz zu suchen (Troltsch 2003:56, Enggruber 1997:203).

Konzentration

Ihre grundsätzlich schlechten Chancen spiegeln sich im Berufswahlverhalten der ausländischen Jugendlichen wieder: sie konzentrieren sich auf wenige, stark frequentierte Berufe. So münden z.B. im Jahr 2001 51% aller weiblichen ausländischen Bewerber in lediglich 4 Berufe (! Nicht Branchen) ein. Im Kontrast dazu seien das Banken- und Versicherungswesen sowie der öffentliche Dienst genannt, wo ausländische Jugendliche die geringsten Anteile stellen (Bethscheider/Granato/Kath/Settelmeyer 2003:34f).

Gestiegene Qualifikationsanforderungen

Laut Stomporowski (2004:11) sind sogar im Handwerksbereich die Qualifikationsanforderungen gestiegen, was neben kognitiven Leistungsvoraussetzungen auch Persönlichkeitsmerkmale voraussetzen, die gerade dieser Bevölkerungsgruppe als defizitär angelastet werden.

Verwendete Literatur

Bethscheider, M./Granato, M./Kath, F./Settelmeyer, A. (2003): Qualifikationspotenziale von Migrantinnen und Migranten erkennen und nutzen! In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Integration durch Qualifikation – Chancengleichheit für Migrantinnen und Migranten in der beruflichen Bildung. Bonn. 15-20. Wiederabdruck aus Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, H. 2/2002. Engelbrech, G. & Ebner, C. (2006): Lehrstellenmangel: Alternativen müssen Lücken schließen. Nürnberg: 6 S.; 699 KB Reihe / Serie: IAB-Kurzbericht Nr. 28/2006

Enggruber, R. (1997): Benachteiligte des dualen Systems – chancenlos? In: EULER, D./SLOANE, P. (Hrsg.): Duales System im Umbruch. Pfaffenweiler, 201-222

Gomolla, M./Radtke, F.-O. (2001): Institutionelle Diskriminierung: Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule, Opladen

Granato, M. (2003): Jugendliche mit Migrationshintergrund in der beruflichen Bildung. In: WSI Mitteilungen Heft 8

Jeschek, W. (2002): Ausbildung junger Ausländer in Deutschland: Rückschritte bei der Berufsausbildung, in: Wochenbericht des DIW Berlin. 27

Schaub, G. (1991): Betriebliche Rekrutierungsstrategien und Selektionsmechanismen für die Ausbildung und Beschäftigung junger Ausländer. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.), Berlin

Troltsch, K. (2003): Bildungsbeteiligung und -chancen von ausländischen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund. In: BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (Hrsg.): Integration durch Qualifikation – Chancengleichheit für Migrantinnen und Migranten in der beruflichen Bildung. Bonn, 49-61


Lösungsvorschläge

Knapp ein Drittel aller Jugendlichen in Deutschland stammen aus Familien mit Migrationshintergrund. Gelingt eine weitere Integration in die Berufsausbildung nicht, wird die Abwanderung von niedrig-qualifizierten Jobs in Billiglohnländer trotz des demografischen Faktors (der nach Ansicht der OECD für keine Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt sorgen wird. Stomporowski 2004:12) für den Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme in westeuropäischen Ländern sorgen.

Wichtigste Voraussetzung für eine Lösungsfindung ist dabei, in der Forschung der großen Heterogenität der Jugendlichen mit Migrationshintergrund Rechnung zu tragen, anstatt Einwanderer als homogene Gruppe zu behandeln und damit Statistiken zu verwässern (Granato 2003:481, Reißig/Gaupp/Lex 2004:7). So mag es zwar möglich sein, dass bei Jugendlichen mit türkischem Hintergrund Sprachprobleme für Ausbildungsprobleme verantwortlich sind, doch bei Immigranten aus deutschsprachigen Ländern oder Regionen ist dies sicher kein Problem. Wie groß die Heterogenität ist zeigt die Tatsache, dass 1998 die Ausbildungsbeteiligung spanischer Jugendlicher in Deutschland bei 73% lag, während die der türkischen Jugendlichen bei 42% lag. Sie lag damit über der Ausbildungsquote der Deutschen von 66% im selben Jahr (Stomporowski 2004:8).

Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund und Schulbesuch in Deutschland benötigen zusätzliche Unterstützung im Verlauf der Berufsausbildung, um diese zu schaffen, besonders im fachtheoretischen Bereich (Beer 1992).

Späteingereiste Jugendliche benötigen ebenfalls Unterstützung um eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. „Auf der Grundlage ihrer guten muttersprachlichen Kenntnisse meistern sie, bei entsprechend kontinuierlicher sprachlicher und fachlicher Unterstützung, oftmals in kurzer Zeit die sprachlichen und theoretischen Herausforderungen einer Berufsausbildung.“ (Granato 2003:481)

Systematische Angebote zur Nachqualifizierung könnten helfen, das brachliegende Potential weiter auszunutzen. (Granato 2003:481)

Stärkere Berücksichtigung der besonderen Situation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Unternehmungen durch die Parteien ist eine Voraussetzung dafür, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei Ausbildungsplätzen eine Chance haben. Doch nicht nur die Folgen zukünftiger Konzepte auf diese spezielle Gruppe müssen bedacht werden, sondern auch bereits bestehende Reglements und Gesetze müssen von der Politik und der Wirtschaft evaluiert und gegebenenfalls überarbeitet werden. (Granato 2003:482)

Verbleib nach Sprachkompetenz.jpg

Für einen nicht unbedeutenden Teil der Ausbildungsbewerber würde eine Verbesserung ihrer Sprachkompetenz auch eine Verbesserung ihrer Chancen auf dem Ausbildungsmarkt bedeuten. Wie aus der Tabelle ersichtlich sind die Chancen auf einen Ausbildungsplatz mit deutsch als erster Sprache deutlich besser als die derjenigen mit einer anderen Muttersprache. Daher könnten Sprachkurse für Eltern mit Migrationshintergrund dazu führen, dass diese ihre Kinder mit deutsch als Muttersprache erziehen können, und Sprachkurse für die Jugendlichen selbst könnten ihre Chancen wesentlich steigern (Troltsch/Ulrich 2003).

Verbleib nach Aufenthaltsdauer.jpg

Ein weiterer Beweis für diese These ist, dass die Chancen von jugendlichen Migranten auf einen Ausbildungsplatz steigt, je länger sie in Deutschland sind. Ulrich & Troltsch sehen dies als Zeichen für die längere Verweildauer im deutschen Schulsystem, aber auch als Ausdruck einer höheren Sprachkompetenz. Eine Studie von Nivorozhkin et. Al (2006) belegt die Wichtigkeit der einheimischen Sprachkompetenz auch in anderer Hinsicht: Deutschkenntnisse beeinflussen Suchwege und –intensität. So suchen beispielsweise 69,5% der Bewerber, die vor allem deutsch, aber noch eine weitere Sprache im Haushalt sprechen auch eine Internetrecherche durch um Arbeit zu finden. Bei den Bewerbern in deren Haushalt nie deutsch gesprochen wird, sind dies nur 54,1%. Ebenfalls um 15% liegen die Unterschiede zwischen Bewerbern, in deren Haushalt NUR deutsch gesprochen wird, im Vergleich zu denjenigen, in welchen nie deutsch gesprochen wird in den vielen Punkten. So antworten von letzteren Bewerbern nur 75,6% auf Stellenanzeigen in der Zeitung, während dies bei der ersten Gruppe 89,2% tun. Diese Studie bezieht sich allerdings auf Arbeitslose, und nicht konkret auf Bewerber für Ausbildungsstellen.

Doch die Sprachförderung allein reicht einer Untersuchung von Deeke (2007) zufolge nur selten aus, um die Berufschancen Jugendlicher mit Migrationshintergrund zu verbessern. Die Untersuchung zeigt, dass der Großteil der Teilnehmer an Sprachintegrationskursen der deutschen Bundesanstalt für Arbeit auch ein halbes Jahr nach Kursende noch arbeitslos sind. Als Grund dafür sieht Deeke, dass rund die Hälfte der durch diese Kurse geförderten Teilnehmer nicht mal einen Hauptschulabschluss besitzen. Diese Untersuchung bezog sich jedoch nicht explizit auf Jugendliche, sondern auf Migranten in der Arbeitswelt allgemein. Deeke warnt jedoch davor, die Sprachkurse als ineffektiv oder unnötig zu brandmarken, sondern sieht sie als Voraussetzung für die nötige weitere schulische/fachliche Qualifizierung an, die erst einen Ausbildungs-/Arbeitsplatz ermöglicht.

Verwendete Literatur

Granato, Mona (2003): Jugendliche mit Migrationshintergrund in der beruflichen Bildung. In: WSI Mitteilungen Heft 8

Beer, D. (1992): Lern- und Integrationsprozeße ausländischer Jugendlicher in der Berufsausbildung. Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin

Deeke, Axel (2007): Arbeitslose mit Migrationshintergrund: Sprachförderung allein greift häufig zu kurz. Nürnberg: 8 S.

Nivorozhkin, A.; L. R. Gordo, Ch. Schöll & J. Wolff (2006): Arbeitssuche von Migranten: Deutschkenntnisse beeinflussen Suchintensität und Suchwege. IAB-Kurzbericht, Nr.25, 5 S., Nürnberg

Reißig, Birgit; Gaupp, Nora; Lex, Tilly (2004): Hoffnungen und Ängste - Jugendliche aus Zuwandererfamilien an der Schwelle zur Arbeitswelt. Längsschnittstudie zum Übergang Schule - Beruf. In: DJI Bulletin, Heft 69, 4-7

Stomporowski, Stephan (2004): Die misslungene berufliche Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund. In: Kipp; Martin, Seyd, Wolfgang (Hrsg.): Förderung benachteiligter und behinderter Jugendlicher, bwp@ Ausgabe Nr. 6, Juni 2004


                                                                 Autor: Michael Hölzle (2007)

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