Toleranz im liberalen Rechtsstaat: Unterschied zwischen den Versionen
H.A.L. (Diskussion | Beiträge) |
Anna (Diskussion | Beiträge) |
||
(12 dazwischenliegende Versionen von 3 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 67: | Zeile 67: | ||
<font color=brown> ich werde mich darum bemühen, ein fallbeispiel als veranschaulichung meines verdachts, dass unter gewissen umständen individuen in einem rechtsstaat nur ''als tolerierte'' zu rechtssubjekten werden, zu finden. </br> falls sich der verdacht als unbegründet herausstellt, halte ich die frage, ob partizipative demokratie das ethos der toleranz sublimiert und den toleranten akt damit aus dem reich der politischen gestaltung des gemeinwesens verbannt, für unumgänglich. </font> lukas, 10. 11. 2005, 22:45 | <font color=brown> ich werde mich darum bemühen, ein fallbeispiel als veranschaulichung meines verdachts, dass unter gewissen umständen individuen in einem rechtsstaat nur ''als tolerierte'' zu rechtssubjekten werden, zu finden. </br> falls sich der verdacht als unbegründet herausstellt, halte ich die frage, ob partizipative demokratie das ethos der toleranz sublimiert und den toleranten akt damit aus dem reich der politischen gestaltung des gemeinwesens verbannt, für unumgänglich. </font> lukas, 10. 11. 2005, 22:45 | ||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
− | |||
<br> | <br> | ||
zurück zu '''[[Diskussion:Annäherungen (T)]]''' | zurück zu '''[[Diskussion:Annäherungen (T)]]''' |
Aktuelle Version vom 29. Januar 2006, 16:31 Uhr
- Muss eine Überzeugung zu haben schon intolerant sein? Stellt sich die Frage der Toleranz nicht erst dann, wenn ich mit meiner Überzeugung anderen ins Gehege komme, also wenn meine Überzeugung nicht nur Anforderungen an mich, sondern auch an andere stellt und daher meine Toleranz gefordert ist, wenn diese anderen diesen Anforderung nicht folgen?
- Inwiefern nähern wir uns mit dem juridischen Paradigma der Frage an, wie mit der Unvereinbarkeit unter den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen umzugehen ist? Durch den Gesellschaftsvertrag wird Toleranz nur institutionalisiert. Aber die Frage wer was warum zu tolieren hat, oder wer oder was ein Recht auf Toleranz hat, geht dem Gesellschaftsvertrag voraus und kann daher nicht durch ihn beantwortet, sondern nur die Antwort darauf durch ihn fixiert werden. Die liberalistische Gesellschaftsauffassung ist auch nur Ausfluss des bei jenen, die sie vertreten, auftretenden "Phänomens" der Toleranz. Jene, die universelle Gültigkeit ihrer Überzeugungen beanspruchen, können eine solche Gesellschaftsauffassung nicht annehmen. Damit wären wir wieder bei dem Problem der Intoleranz gegenüber der Intoleranz.
Ich weiß auch nicht, ob eine liberalistische Gesellschaftsauffassung wirklich etwas mit Toleranz zu tun hat. Ist es nicht das Wesen des Liberalismus das zu "tolerieren", wo es einem gleichgültig ist, was andere machen? Zum Beispiel der Streit um die wahre Religion aus der Ringparabel: Wenn wir kein Problem mit anderen Religionen haben, dann ist das doch nicht deshalb, weil wir so tolerant wären, sondern weil wir mit Religion überhaupt nichts am Hut haben oder das alles zumindest nicht so eng sehen und uns denken: "Soll doch jeder spintisieren wie er will, solange er uns andere in Ruhe lässt." Wäre also so ein liberalistischer Gesellschaftsvertrag nicht die Intoleranz derjenigen, denen es einfach wurscht ist, gegenüber jenen, denen es nicht wurscht ist?--Anton 20:21, 5. Nov 2005 (CET)
Überzeugungen sind keineswegs das Gegenteil von Toleranz, sie sind deren Bedingung. Nur wenn jemand von einer Sache überzeugt ist, ist er anderen diesbezüglichen Positionen gegenüber nicht gleichgültig, sondern irritiert.
Soll man sagen, der Gesellschaftsvertrag, das juridische Paradigma, wären schon eine Folge von Toleranz? Das ist vielleicht irreführend. Vertragspartnern geht es um Wechselseitigkeit in dem Bereich, in dem sie einen Pakt abschließen, der Rest ist unwichtig. Einen Streitfall dem Gericht vorzulegen bedeutet zwar, dass eine Schlichtungsstelle akzeptiert wird und insofern Ansprüche relativiert. Aber die darin angelegte Anerkennung des Rechtssystems macht den Toleranzbegriff in der jeweiligen causa gegenstandslos. Eine Rassistin (m/w) kann verurteilt oder freigesprochen werden, und dabei intolerant sein.
Dass die Justiz blind ist, sagt etwas über ihre Unparteilichkeit. Wir haben allderdings auch schon gesagt, dass der Richter Lessings nicht unparteilich ist. :-( --anna 15:48, 6. Nov 2005 (CET)
Ich glaube nicht, dass den Vertragspartnern der Rest unwichtig ist. Der Rest, das sind die Rahmenbedingungen, unter denen sie überhaupt erst einen Pakt schließen können; Das sind die Institutionen, die garantieren, dass Pakte, sofern sie den durch die Institutionen vorgegenen Normen entsprechen, eingehalten werden. Der Pakt kann nur wirksam werden, wenn beide Seiten diese Institutionen anerkennen (müssen). Der Richter ist nicht unparteiisch insofern er natürlich wie jeder Richter auf der Seite eines Ordnungssystems steht, das er vertritt. Er ist aber unparteiisch, gegenüber denen, die Partei im Verfahren sind. Dass die das Ordnungssystem, das der Richter vertritt, anerkennen (müssen), ist Voraussetzung dafür, dass sie den Richter anrufen und sich seinem Urteil unterwerfen. Der Gesellschaftsvertrag, so er zu Toleranz führen soll, muss Toleranz schon als Bestimmung enthalten. Die Entscheidung, wer was warum tolerieren soll, wird entweder auf die Ebene des Gesellschaftsvertrages verlagert oder sie bleibt der Beliebigkeit der den Gesellschaftsvertrag vollziehenden Institutionen überlassen. In der jeweiligen Causa ist der Toleranzbegriff gegenstandslos, wenn er schon im Rahmen, in dem die Causa verhandelt wird, institutionalisiert ist. Oder übersehe ich da einen Trick?--Anton 22:42, 6. Nov 2005 (CET)
Das sind sehr viele wichtige Punkte, die ich gerne etwas auseinanderklauben würde.
- Ja, die Rahmenbedingungen für Verträge sind wichtig, aber in einer anderen Hinsicht, als die Verträge selbst.
- Auf der Metaebene ist man niemals Partei der Objektebene. Aber die Position kann auf der Metaebene selbst umstritten sein. Und man kann eine Parteilichkeit auf der Metaebene dazu ausnützen, in die Objektebene hineinzuwirken. (Freispruch für Polizistinnen.)
- Die zirkelhafte Formulierung ("zur Toleranz führen ... Toleranz schon enthalten") bringt einen Umstand auf den Punkt, der auch weniger paradox beschrieben werden kann:
- einen Vertrag zu schliessen (statt Krieg zu führen) setzt Verständigungsbereitschaft voraus
- die Regelungen des Vertrages sind von ihr geprägt
- Vertragsbereitschaft, Vertragserfüllung und Toleranz sind aber drei verschiedene Bestimmungen --anna 08:18, 7. Nov 2005 (CET)
- "das juridische paradigma":
- es ist mir schleierhaft, weshalb der liberale rechtsstaat toleranz institutionalisieren sollte.
minderheiten sind in einer demokratie auf politische interessensvertretung und lobbying angewiesen, die umsetzung ihrer anliegen ist per se weder durch verfassungen noch gesetze gewährleistet. dass allen menschen in einer republik die gleichen grundrechte zukommen, bürgt mitnichten dafür, dass interessensgruppen sich in einem parlament gehör verschaffen und ihre bedürfnisse in form von gesetzen artikulieren können. behindertengleichstellung, zivilehe für gleichgeschlechtliche paare, diskriminierungsverbote am arbeitsplatz u. dgl. sind junge errungenschaften, die auf einem interimistisch stabilisierten gesellschaftlichen konsens beruhen und keine ewigen werte repräsentieren. niemand kann in einem demokratischen staat davon abgehalten werden, für intolerante gesinnungen (solange sie verfassungskonform sind) partei zu ergreifen - der staat ist kein "embodiment of an impersonal constitutional structure which derives its validity from universalizable principles" (David Heyd). er ist keine unpersönliche, statische, invariante struktur, sondern ein historischer, gestaltbarer raum. - randgruppen bleiben in der modernen republik auf kompromissbereitschaft und toleranz von seiten der mehrheit(en) zutiefst angewiesen.
- "muss eine überzeugung zu haben schon intolerant sein?" - die frage trifft in meinen augen etwas wesentliches: handelt es sich beim paradigma der toleranz tatsächlich um einen normativen entwurf, der ideologisch abgeschlossene denkmodelle strategisch ausschließt?
- zur analyse der universellen begründbarkeit eines toleranz-imperatives sollte sich vielleicht die frage gesellen, ob toleranz wirklich die via regia für die lösung gesellschaftlicher probleme ist, oder ob sie nicht strukturelle abhängigkeitsverhältnisse und heterogenität zementiert. lassen sich der immer wieder virulente regligionsstreit in nordirland oder der nahost-konlikt mit dem toleranz-postulat lösen?
- lukas, 6. Nov., 3:20
Minderheiten kann heissen: im politischen Prozess numerisch (momentan) schwächer oder: ethno-soziale Teilgruppen eines Staates mit abweichenden Charakteristika. Ein demokratischer Rechtsstaat sieht im ersten Fall bestimmte Regeln vor, die jenseits der Toleranz liegen. Der 2.Fall wird in den Bereich des Privaten geschoben.
Der neutrale Staat ist sicher eine Fiktion. Der Spielraum der Gerechtigkeit ist umkämpft. Es fragt sich allerdings, ob diese Auseinandersetzung auf die "Kompromissbereitschaft und Toleranz von Seiten der Mehrheit" appellieren sollten. Das Thema betrifft das Verhältnis zwischen Moral, Zivilgesellschaft und Staatswesen (wie Legalität/Legitimität).
Wie gesagt: ohne Überzeugungen keine Toleranz. Die Schwierigkeit liegt darin, konmprehensive Überzeugungen so zu fassen, dass sie in einer pluralistischen Umgebung dennoch möglich sind.
Spitzl hat auf John Rawls und den "veil of ignorance" hingewiesen. Bevor die Kontrahenten wissen, wo sie in der faktischen Gesellschaft zu stehen kommen, sind sie alternativen Positionen gegenüber nicht tolerant, sondern neutral! Daran kann man sich klar machen, wie Toleranz sich von Gleichberechtigung unterscheidet.
--anna 18:16, 6. Nov 2005 (CET)
dass ethno-soziale minderheiten an "kompromissbereitschaft und toleranz von seiten der mehrheit" appellieren sollten, wollte ich nicht ausgedrückt haben. der satz war deskriptiv gemeint und sollte allenfalls einen kritischen beigeschmack haben:
die problematik der bittsteller-position von unterpriviligierten liegt auf der hand . . .
sicherlich ist gleichbeRECHTigung keineswegs ident mit toleranz - letztere aber stellt mitunter, wie ich angedeutet habe, die möglichkeitsbedingung der emergenz von emanzipatorisch-egalitären normensystemen dar. ich stelle diese hypothese jedenfalls zur diskussion.
das problem liegt wohlgemerkt nicht in einer parteiisch-tendenziösen organisation des gemeinwesens oder in undemokratischem machtmissbrauch, sondern wurzelt im neutralen staat, der seine gestaltung weitgehend dem freien spiel der gesellschaftlichen kräfte zu überlassen gezwungen ist. -- lukas, 06. Nov. 2005, 18:45
"Möglichkeitsbedingung der Emergenz": ja, es gibt diese Voraussetzungen (siehe oben). Ich zögere aber, sie als Toleranz zu beschreiben. Bereitschaft zur Einnahme eines (reflexiven?) Metastandpunktes jedenfalls. Aber das unterscheidet sich jedenfalls von einem engeren Begriff von Toleranz. --anna 08:18, 7. Nov 2005 (CET)
ich werde mich darum bemühen, ein fallbeispiel als veranschaulichung meines verdachts, dass unter gewissen umständen individuen in einem rechtsstaat nur als tolerierte zu rechtssubjekten werden, zu finden.
falls sich der verdacht als unbegründet herausstellt, halte ich die frage, ob partizipative demokratie das ethos der toleranz sublimiert und den toleranten akt damit aus dem reich der politischen gestaltung des gemeinwesens verbannt, für unumgänglich. lukas, 10. 11. 2005, 22:45
zurück zu Diskussion:Annäherungen (T)