Exkurs zur Philosophie der Nicht-Intervention (LWBT): Unterschied zwischen den Versionen

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=== Die Intervention ===
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Von vielen wird erwartet, dass sich die Philosophie kritisch mit den bestehenden Verhältnissen auseinandersetzt und dabei hilft, unvernünftige Zustände zu durchschauen und zu beseitigen. Wittgensteins Ansicht ist direkt entgegengesetzt. Die Kontroverse kann am aktuellen Senatsbeschluss über die Wiedereinführung von Studiengebühren für 15% der Studierenden an der Universität Wien illustriert werden. Auszüge aus einem Brief:
 
Von vielen wird erwartet, dass sich die Philosophie kritisch mit den bestehenden Verhältnissen auseinandersetzt und dabei hilft, unvernünftige Zustände zu durchschauen und zu beseitigen. Wittgensteins Ansicht ist direkt entgegengesetzt. Die Kontroverse kann am aktuellen Senatsbeschluss über die Wiedereinführung von Studiengebühren für 15% der Studierenden an der Universität Wien illustriert werden. Auszüge aus einem Brief:

Aktuelle Version vom 4. Mai 2012, 09:07 Uhr

Die Intervention

"Jagd"

"Stürmung"

Sturmschaden


Von vielen wird erwartet, dass sich die Philosophie kritisch mit den bestehenden Verhältnissen auseinandersetzt und dabei hilft, unvernünftige Zustände zu durchschauen und zu beseitigen. Wittgensteins Ansicht ist direkt entgegengesetzt. Die Kontroverse kann am aktuellen Senatsbeschluss über die Wiedereinführung von Studiengebühren für 15% der Studierenden an der Universität Wien illustriert werden. Auszüge aus einem Brief:

Aktionsbündnis gegen Studiengebühren

Sehr geehrte Mitglieder des Senats,

wir schreiben Ihnen bezüglich der kommenden Senatssitzung am 26. April 2012, in der über die Einführung von neuen, autonomen Studiengebühren verhandelt wird. *Mit diesem Brief möchten wir Ihnen unsere Meinung darlegen und Sie bitten, gegen jegliches Studiengebühren-Modell zu stimmen.*

...

Wir wollen daher etwas Grundsätzlicheres zum Thema Studiengebühren betonen. Mit der 2002 eingeführten „Autonomie“ ist eine jede Universität nun selbst verantwortlich Kapital zu finden, um den Forschungs- und Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten. Der staatliche Rückzug aus dem Hochschulbildungswesen und die damit einhergehenden entgangenen Gelder aus dem anteilsmäßig sinkenden staatlich bereitgestellten Budget führen und führten zur permanenten Unterfinanzierung oder zum Teil, wie im Falle der TU Wien, zum möglichen Bankrott. Eine solche „autonome“ Universität wird zwangsläufig immer um ihre Existenz kämpfen.

...

Beim in der kommenden Senatssitzung diskutierten Studiengebühren-Modell mögen diese Warnungen vielleicht übertrieben erscheinen, obwohl die beschriebenen Gefahren auch an der Universität Wien z.T. gängiger werdende Praxis sind. Diese Warnung ist daher die Anzeige einer Tendenz, der entgegen getreten werden muss. Nur eine, durch einen politisch und ideologisch zurückhaltenden Staat, ausfinanzierte Universität, kann eine Wissenschaft ermöglichen, die Reflexion über und Fortschritt der Gesellschaft bedeutet. Bildung darf nicht zur Ware verkommen, sondern muss ein gesellschaftliches Gut bleiben. Eine Universität, die den Raum für so eine Wissenschaft oder Bildung eröffnen will, wie im aktuellen Entwicklungsplan gefordert, darf sich nicht der Tendenz der Vermarktwirtschaftlichung der Forschung und Lehre ergeben, sondern muss vom Staat vehement seine Verantwortung einfordern.

In diesem Sinne appellieren wir an Sie, keinem schlechten Pragmatismus zu verfallen und für Studiengebühren zu stimmen, sondern als SchützerInnen und BewahrerInnen einer vernünftigen und autonomen Wissenschaft aufzutreten.

unwürdig der Vernunft

Aus einem Brief an "epoche at philo.at" in der anschließenden Diskussion:

Im Grunde offenbart sich hier ein Bildungs-, vielleicht auch ein Menschenverständnis. Bildung wird vom Recht zur Ware. Wie Herr Fuchs im heutigen DerStandard-Interview vorschlägt sollen pro ECTS-Punkt bspw. € 15 bezahlt werden. Wer gerade € 45 hat, setzt sich schnell mal in eine billige 3-ECTS-Vorlesung rein, konsumiert, was der/die Lehrende zu sagen hat und gibt Gesagtes - wenn es gut geht - mit eigenen Worten nach Bezahlung der Gebühr wieder ab. Ein gutes Forschungspraktikum kostet dann € 150. Das macht die Frage nach Bildung und Reflexion zur monetären. Und genau in dieser Situation steckt gerade die Universität. Sie reflektiert nicht über den Sinn und Unsinn von Studiengebühren als Steuerungselement um Bildung für die Gesellschaft eventuell demokratischer zu gestalten, nein sie fragt in erster Linie, wie müssen Studiengebühren gestaltet sein, um ausreichend Kapital in die Universität zu holen und gleichzeitig nicht alle Studierende zum massenprotestierenden Mob werden zu lassen. Und die allerwichtigste Frage, was sagt das Gesetz - das heilige absente Gesetz! Das sind Kriterien, die der Vernunft nicht würdig sind! Das ist eine pragmatisch-instrumentelle Vorgehensweise. (Michael Doblmair)

unwürdig der Vernunft, 2. Durchgang

Es stellt sich also die Frage, wie ein Philosoph in dieser hochschulpolitischen Frage entscheidet. Jedenfalls auf der Grundlage ungezwungener Diskussionen. In ihnen werden Meinungen ausgesprochen, Gründe formuliert, Widersprüche aufgezeigt, Hypothesen aufgestellt. Das alles in Sätzen, die explorativen Charakter haben. Aber es handelt sich um eine politische Auseinandersetzung, die in Demokratien durch Abstimmung entschieden wird. Damit die Entscheidung für eine Option nicht willkürlich dasteht, sollte sie begründet werden. Hier meine Überlegung:

Entscheidungsgrundlage: Der Wert einer Abstimmung für die Aufnahme von Studiengebühren in die Satzung liegt darin, dass Rechtssicherheit geschaffen wird. Der Schaden besteht darin, dass *möglicherweise* weniger als 15% der Studierenden wieder zahlen müssen. Nach meinem derzeitigen Verständnis werde ich in dieser Frage für den Vorschlag des Rektorates stimmen.

Das sind Behauptungssätze, die eine bestimmte Position begründen wollen. Nach der Argumentation des Aktionsbündnisses tragen sie dazu bei, Bildung zur Ware zu machen. Sie reflektieren die Bedingungen des Neo-Liberalismus nicht und stellen eine pragmatisch-instrumentelle Vorgehensweise dar. Sie sind eines Philosophen unwürdig. Danach kann man gegen die Entscheidungsgrundlage mit rationalen Mitteln Einspruch erheben und entsprechende Konsequenzen verlangen.

Nach Wittgenstein kann die Philosophie eine solche Formulierung nicht antasten. Solche Sätze gestalten eine Welt. Wir können andere Welten gestalten, aber eine gegebene, verständliche Welt nicht von außen umkrempeln. Das Instrumentarium der kritischen Reflexion steht ihm nicht zur Verfügung. Ist das nicht eine mutlose, quietistische Position? Wie soll denn etwas besser werden, es sei denn durch solche Interventionen? Philosophie dankt angesichts der bestehenden Verhältnisse ab. Dazu zwei Bemerkungen

  • Eine Gruppe von Demonstrantinnen hat die Argumentation und Abstimmung im Senat durch das Aufbrechen von Türen zu verhindern versucht
  • Die Integrität einer Entscheidungsgrundlage "hinzunehmen" heißt nicht, mit ihr zufrieden zu sein oder ihr nichts entgegenzustellen

Es gibt eine Verbindung zwischen der argumentativen Verwerfung eines vorgelegten Satz-Sinn und anderen Formen des Einschreitens, sei es seitens der Polizei oder der Rowdys. In einem Sitzungszimmer belagert zu werden und unter dem permanenten rhythmischen Zuschlagen eines Brechinstruments zu beraten ist eine anschauliche Situation. Sie zeigt, wie Gründe von Gewalt umgeben sind. In "zivilisierten" Umständen handelt es sich nicht um physische Gewalt, dennoch ist immer wieder versucht worden, die Integrität von Sinnzusammenhängen handgreiflich zu durchbrechen. Das kann stellenweise überhaupt nicht ausgeschlossen werden, z.B. wenn jemand in "Notwehr" viele Menschen erschießt. Aber es ist doch zumindest eine Warnung.

Wittgensteins Strategie im Umgang mit festgefahrenen Ansichten: "ein Bild hielt uns gefangen".