Michael Gieseckes "Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel" (SH): Unterschied zwischen den Versionen

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(Die unzeitgemäße >Sprache< der Sprachwissenschaft)
 
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== '''Einführung: Die Sprachwissenschaft im Zeitalter der elektronischen Medien''' ==
 
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=== Die unzeitgemäße >Sprache< der Sprachwissenschaft ===
 
=== Die unzeitgemäße >Sprache< der Sprachwissenschaft ===
Giesecke stellt zu Beginn seiner Ausführungen fest, dass wir es in der Computerlinguistik mit einem Reduktionismus der Sprachenwissenschaft zu tun haben, denn die „''Komplexität des menschlichen Verhaltens wird auf die Möglichkeit des Computers reduziert''“ (Giesecke 1998, S. 7). Es handelt sich hierbei um eine noch intensivere Anbindung der Sprachwissenschaft an „''das typographische Medium''“, als sie bereits Ferdinand de Saussure eingefordert und praktiziert hat (vgl. Saussures Zeichensystem: parole/langue) (Giesecke 1998, S. 8). Es herrscht ein Primat einer hochselektiven typographischen Semantik und die Erfassung aller zwischenmenschlichen Gesprächsaspekte erfolgt gar nicht oder wenn, dann nur zufällig (vgl. Giesecke 1998, S. 8f). De Saussures Sprachbegriff „''ist ein nach dem Vorbild des Setzkasten gedachtes Zeichensystem, ein mechanisches Werkzeug''“ (Giesecke 1998, 8. 9). Die Computerlinguistik geht noch einen Schritt weiter als es de Saussure in seinem Konzept einer strukturalistische Linguistik und in seinem Begriff der „langue“ getan hat: der Begriff der Sprache, der „langue“ wandelt sich zu einem Begriff der „''>Programme<''“ (Giesecke 1998, S. 9). Kennzeichnend ist eine „''Verschiebung der sprachwissenschaftlichen Terminologie''“, eine Veränderung der „''informativen Merkmale''“ und der „''Vorstellungen über Kommunikation, Wissen und Information''“ (Giesecke 1998, S. 10). Eine positive Auswirkung dieses Bedeutungswandels würde die voranschreitende Offenlegung der genetischen Wurzeln des Sprachbegriffs unseres Jahrhunderts darstellen, so Giesecke (vgl. Giesecke 1998, S. 10).
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Giesecke stellt zu Beginn seiner Ausführungen fest, dass wir es in der Computerlinguistik mit einem Reduktionismus der Sprachenwissenschaft zu tun haben, denn die „''Komplexität des menschlichen Verhaltens wird auf die Möglichkeit des Computers reduziert''“ (Giesecke 1998, S. 7). Es handelt sich hierbei um eine noch intensivere Anbindung der Sprachwissenschaft an „''das typographische Medium''“, als sie bereits Ferdinand de Saussure eingefordert und praktiziert hat (vgl. Saussures Zeichensystem: parole/langue) (Giesecke 1998, S. 8). Es herrscht ein Primat einer hochselektiven typographischen Semantik und die Erfassung aller zwischenmenschlichen Gesprächsaspekte erfolgt gar nicht oder wenn, dann nur zufällig (vgl. Giesecke 1998, S. 8f). De Saussures Sprachbegriff „''ist ein nach dem Vorbild des Setzkasten gedachtes Zeichensystem, ein mechanisches Werkzeug''“ (Giesecke 1998, S. 9). Die Computerlinguistik geht noch einen Schritt weiter als es de Saussure in seinem Konzept einer strukturalistische Linguistik und in seinem Begriff der „langue“ getan hat: der Begriff der Sprache, der „langue“ wandelt sich zu einem Begriff der „''>Programme<''“ (Giesecke 1998, S. 9). Kennzeichnend ist eine „''Verschiebung der sprachwissenschaftlichen Terminologie''“, eine Veränderung der „''informativen Merkmale''“ und der „''Vorstellungen über Kommunikation, Wissen und Information''“ (Giesecke 1998, S. 10). Eine positive Auswirkung dieses Bedeutungswandels würde die voranschreitende Offenlegung der genetischen Wurzeln des Sprachbegriffs unseres Jahrhunderts darstellen, so Giesecke (vgl. Giesecke 1998, S. 10).
  
 
=== Die Vorzüge des informationstheoretischen Paradigmas ===
 
=== Die Vorzüge des informationstheoretischen Paradigmas ===
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=== Revolutionen in der Informationsverarbeitung ===
 
=== Revolutionen in der Informationsverarbeitung ===
Paradigmatisch für die Differenzierung von Informations- und Kommunikationssystemen ist grundsätzlich die Unterscheidung zwischen natürlich und artifiziell, wobei angestammte Medien und Systeme und ihre Kodierungen der Information üblicherweise als natürlich und neue als artifiziell gelten (Giesecke 1998, S. 36). Eine weitere Unterscheidung trifft Giesecke „''zwischen den tierischen, biogenen und den menschlichen psychischen informations- und Kommunikationssystemen''“ (Giesecke 1998, S. 37). Die Verkünstlichung der Systeme und Medien und ihrer Kodes vollzieht bzw. vollzog sich in mehreren Schritten. Zunächst tauchten durch die konsequente Nutzung des Lufthauchs und der Schallwellen eine neue Sequenzierung der Laute, eine „''Domestizierung des Artikulationskodes''“ und damit ein neues Niveau mit einer anderen sequenziellen Struktur auf (Giesecke 1998, S. 37). Mit dieser Verkünstlichung, die als Sozialisierung bezeichnet werden kann, war nun tierische und menschliche Informationsverarbeitung separierbar, es entstand also die menschliche Sprache. Die zweite Medienrevolution folgte durch die „''Einführung der skriptographischen Datenverarbeitung''“. Neben den psychischen Medien (d.i. der Mensch) kamen nun auch materielle Gegenstände (Steine, Papier etc.) als Datenspeicher in Frage und bestimmte Leistungen der Datenspeicherung wurden (teilweise) technisiert und „''externalisiert''“ (Giesecke 1998, S. 37). Es entwickelte sich also die menschliche Schrift. Dabei bleiben die Prozessoren aber immer nur psychische Systeme (mit „''externen skriptographischen Speichern''“) (Giesecke 1998, S. 38). Der Grad der Ver- und Anwendung der technischen Medien ist ausschlaggebend für die Identitätsbestimmung von Kulturen und für die Opposition von alten, natürlichen Sprachen gegenüber neuen, künstlichen. Eine dritte grundlegende Neuerung fand mit der Einführung des Buchdrucks statt, da dieser nicht mehr bloß „''als eine technische Expansion psychischer Systeme''“, also quasi als Werkzeug, sondern als Werk anzusehen ist (Giesecke 1998, S. 38). Giesecke erläutert, dass gedruckte Bücher in Europa als eigenständige Informationssysteme verstanden worden wären und wir hier, bei der Zuhilfenahme von Büchern, die erste Form der „''Mensch->Maschine<-Kommunikation''“ vorfinden könnten (Giesecke 1998, S. 39). Eine Folge daraus war die partielle Substituierung psychischer Systeme durch technische; d.h. der Mensch wurde durch die Technik sukzessive ersetzt und durch diesen Rückgriff auf typographische Datenverarbeitung trat eine grundlegende Veränderung im kommunikativen Netzwerk ein (Giesecke 1998, S. 39). Es kristallisierte sich immer mehr ein Primat der neuen Technologie heraus und eine andere, abwertende Einschätzung z.B. der skriptographischen Datenverarbeitung und des Handwerks kam auf. Die vierte Umwälzung kommunikativer und informativer Strukturen erfahren wir gemäß Giesecke „''durch die Entwicklung und den Gebrauch der elektrischen und elektronischen Medien''“ (Giesecke 1998, S. 40). Geprägt ist dieser Vorgang einerseits von der „''Einführung von neuen Formen Kommunikativer Vernetzung von psychischen Informationssystemen''“ (neue Informationsübertragung: Telefon; neue Informationsspeicherung: Videos, Disketten; neue Informationsgewinnung: Fotoapparat, Kamera usw.) und andererseits von der Technisierung kompletter Kommunikationssystem durch den Ausbau der Computertechnologie (Giesecke 1998, S. 40).  Letzteres macht den eigentlichen qualitativen Sprung aus, weil jetzt nicht nur psychische sondern auch soziale Systeme substituiert werden. Die Technik bricht in Kommunikationsprozesse ein, die vorher nur vom Mensch beherrscht wurden. Die Sprache hat sich sozusagen einen neuen Wirt gesucht (vgl. These: Die Sprache bedient sich des Menschen und nicht umgekehrt). Eine gravierende Konsequenz dieser vierten Verschiebung von natürlicher und künstlicher Sprache - die deutsche Standardsprache als eigentlich hochartifizielles Konstrukt wird in der Opposition zu den Programmiersprachen plötzlich zu einer sogenannten natürlichen Sprache - ist die Entwertung der „''traditionellen Geltungskriterien wissenschaftlicher Informationen, Wahrheitskriterien, die sich in der Neuzeit im Zuge der typgraphischen Medienrevolution entwickelt haben''“ (Giesecke 1998, S. 41f). Die Digitalisierung des Outputs wissenschaftlicher Arbeit und ihre Einbettung in neue technische Kommunikationsnetze führen neben einer moralischen zu einer „''faktischen Umschichtung der Disziplinen und Fachrichtunge''n“ (vgl. überproportionale Bevorzugung der Computerlinguistik vor anderen Forschungsrichtungen) (Giesecke 1998, S. 41). Ein weiteres wichtiges Faktum hält Giesecke wie folgt fest: „''Wenn einmal Kommunikationssysteme technisiert sind, dann gelten für die Vernetzungsmöglichkeiten im Prinzip technische und keine sozialen Kriterien mehr.''“ (Giesecke 1998, S. 42) Adressat ist oft nicht mehr direkt der Mensch und es entstehen bestimmte Zwischenformen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Überprüfung der  Information nicht mehr wie zuvor „''an das psychische System des Benutzers gebunden ist''“ und  „''die Darstellungsnotwendigkeiten, die sich aus dem Kodesystem der Computer ergeben, auf die natürliche Sprache ihrer menschlichen Benutzer abfärben''“ (Giesecke 1998, S. 42). Es sei ebenso absehbar, dass das Englische immer mehr zum Vermittlungsmedium zwischen der Standardsprache und der Programmiersprache und dadurch immer einflussreicher werden würde, erklärt Giesecke (Giesecke 1998, S. 42).
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Paradigmatisch für die Differenzierung von Informations- und Kommunikationssystemen ist grundsätzlich die Unterscheidung zwischen natürlich und artifiziell, wobei angestammte Medien und Systeme und ihre Kodierungen der Information üblicherweise als natürlich und neue als artifiziell gelten (Giesecke 1998, S. 36). Eine weitere Unterscheidung trifft Giesecke „''zwischen den tierischen, biogenen und den menschlichen psychischen informations- und Kommunikationssystemen''“ (Giesecke 1998, S. 37). Die Verkünstlichung der Systeme und Medien und ihrer Kodes vollzieht bzw. vollzog sich in mehreren Schritten. Zunächst tauchte durch die konsequente Nutzung des Lufthauchs und der Schallwellen eine neue Sequenzierung der Laute, eine „''Domestizierung des Artikulationskodes''“ und damit ein neues Niveau mit einer anderen sequenziellen Struktur auf (Giesecke 1998, S. 37). Mit dieser Verkünstlichung, die als Sozialisierung bezeichnet werden kann, war nun tierische und menschliche Informationsverarbeitung separierbar, es entstand also die menschliche Sprache. Die zweite Medienrevolution folgte durch die „''Einführung der skriptographischen Datenverarbeitung''“. Neben den psychischen Medien (d.i. der Mensch) kamen nun auch materielle Gegenstände (Steine, Papier etc.) als Datenspeicher in Frage und bestimmte Leistungen der Datenspeicherung wurden (teilweise) technisiert und „''externalisiert''“ (Giesecke 1998, S. 37). Es entwickelte sich also die menschliche Schrift. Dabei bleiben die Prozessoren aber immer nur psychische Systeme (mit „''externen skriptographischen Speichern''“) (Giesecke 1998, S. 38). Der Grad der Ver- und Anwendung der technischen Medien ist ausschlaggebend für die Identitätsbestimmung von Kulturen und für die Opposition von alten, natürlichen Sprachen gegenüber neuen, künstlichen. Eine dritte grundlegende Neuerung fand mit der Einführung des Buchdrucks statt, da dieser nicht mehr bloß „''als eine technische Expansion psychischer Systeme''“, also quasi als Werkzeug, sondern als Werk anzusehen ist (Giesecke 1998, S. 38). Giesecke erläutert, dass gedruckte Bücher in Europa als eigenständige Informationssysteme verstanden worden wären und wir hier, bei der Zuhilfenahme von Büchern, die erste Form der „''Mensch->Maschine<-Kommunikation''“ vorfinden könnten (Giesecke 1998, S. 39). Eine Folge daraus war die partielle Substituierung psychischer Systeme durch technische; d.h. der Mensch wurde durch die Technik sukzessive ersetzt und durch diesen Rückgriff auf typographische Datenverarbeitung trat eine grundlegende Veränderung im kommunikativen Netzwerk ein (Giesecke 1998, S. 39). Es kristallisierte sich immer mehr ein Primat der neuen Technologie heraus und eine andere, abwertende Einschätzung z.B. der skriptographischen Datenverarbeitung und des Handwerks kam auf. Die vierte Umwälzung kommunikativer und informativer Strukturen erfahren wir gemäß Giesecke „''durch die Entwicklung und den Gebrauch der elektrischen und elektronischen Medien''“ (Giesecke 1998, S. 40). Geprägt ist dieser Vorgang einerseits von der „''Einführung von neuen Formen Kommunikativer Vernetzung von psychischen Informationssystemen''“ (neue Informationsübertragung: Telefon; neue Informationsspeicherung: Videos, Disketten; neue Informationsgewinnung: Fotoapparat, Kamera usw.) und andererseits von der Technisierung kompletter Kommunikationssystem durch den Ausbau der Computertechnologie (Giesecke 1998, S. 40).  Letzteres macht den eigentlichen qualitativen Sprung aus, weil jetzt nicht nur psychische sondern auch soziale Systeme substituiert werden. Die Technik bricht in Kommunikationsprozesse ein, die vorher nur vom Mensch beherrscht wurden. Die Sprache hat sich sozusagen einen neuen Wirt gesucht (vgl. These: Die Sprache bedient sich des Menschen und nicht umgekehrt). Eine gravierende Konsequenz dieser vierten Verschiebung von natürlicher und künstlicher Sprache - die deutsche Standardsprache als eigentlich hochartifizielles Konstrukt wird in der Opposition zu den Programmiersprachen plötzlich zu einer sogenannten natürlichen Sprache - ist die Entwertung der „''traditionellen Geltungskriterien wissenschaftlicher Informationen, Wahrheitskriterien, die sich in der Neuzeit im Zuge der typgraphischen Medienrevolution entwickelt haben''“ (Giesecke 1998, S. 41f). Die Digitalisierung des Outputs wissenschaftlicher Arbeit und ihre Einbettung in neue technische Kommunikationsnetze führen neben einer moralischen zu einer „''faktischen Umschichtung der Disziplinen und Fachrichtunge''n“ (vgl. überproportionale Bevorzugung der Computerlinguistik vor anderen Forschungsrichtungen) (Giesecke 1998, S. 41). Ein weiteres wichtiges Faktum hält Giesecke wie folgt fest: „''Wenn einmal Kommunikationssysteme technisiert sind, dann gelten für die Vernetzungsmöglichkeiten im Prinzip technische und keine sozialen Kriterien mehr.''“ (Giesecke 1998, S. 42) Adressat ist oft nicht mehr direkt der Mensch und es entstehen bestimmte Zwischenformen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Überprüfung der  Information nicht mehr wie zuvor „''an das psychische System des Benutzers gebunden ist''“ und  „''die Darstellungsnotwendigkeiten, die sich aus dem Kodesystem der Computer ergeben, auf die natürliche Sprache ihrer menschlichen Benutzer abfärben''“ (Giesecke 1998, S. 42). Es sei ebenso absehbar, dass das Englische immer mehr zum Vermittlungsmedium zwischen der Standardsprache und der Programmiersprache und dadurch immer einflussreicher werden würde, erklärt Giesecke (Giesecke 1998, S. 42).
  
  

Aktuelle Version vom 30. Juni 2010, 08:31 Uhr

Michael Gieseckes "Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel" - Eine Zusammenfassung der ersten drei Kapitel

Einführung: Die Sprachwissenschaft im Zeitalter der elektronischen Medien

Die unzeitgemäße >Sprache< der Sprachwissenschaft

Giesecke stellt zu Beginn seiner Ausführungen fest, dass wir es in der Computerlinguistik mit einem Reduktionismus der Sprachenwissenschaft zu tun haben, denn die „Komplexität des menschlichen Verhaltens wird auf die Möglichkeit des Computers reduziert“ (Giesecke 1998, S. 7). Es handelt sich hierbei um eine noch intensivere Anbindung der Sprachwissenschaft an „das typographische Medium“, als sie bereits Ferdinand de Saussure eingefordert und praktiziert hat (vgl. Saussures Zeichensystem: parole/langue) (Giesecke 1998, S. 8). Es herrscht ein Primat einer hochselektiven typographischen Semantik und die Erfassung aller zwischenmenschlichen Gesprächsaspekte erfolgt gar nicht oder wenn, dann nur zufällig (vgl. Giesecke 1998, S. 8f). De Saussures Sprachbegriff „ist ein nach dem Vorbild des Setzkasten gedachtes Zeichensystem, ein mechanisches Werkzeug“ (Giesecke 1998, S. 9). Die Computerlinguistik geht noch einen Schritt weiter als es de Saussure in seinem Konzept einer strukturalistische Linguistik und in seinem Begriff der „langue“ getan hat: der Begriff der Sprache, der „langue“ wandelt sich zu einem Begriff der „>Programme<“ (Giesecke 1998, S. 9). Kennzeichnend ist eine „Verschiebung der sprachwissenschaftlichen Terminologie“, eine Veränderung der „informativen Merkmale“ und der „Vorstellungen über Kommunikation, Wissen und Information“ (Giesecke 1998, S. 10). Eine positive Auswirkung dieses Bedeutungswandels würde die voranschreitende Offenlegung der genetischen Wurzeln des Sprachbegriffs unseres Jahrhunderts darstellen, so Giesecke (vgl. Giesecke 1998, S. 10).

Die Vorzüge des informationstheoretischen Paradigmas

Die Konzepte der Computerlinguistik sind gemäß Giesecke gut für den Bereich der neuen Medien geeignet und im Gegensatz zu de Saussures Konzeptionen, bei welchen der Begriff der „langue“ über aller Natur und Technik schwebe, seien sie sich „ihrer Einbettung in ein voraussetzungsreiches, komplexes technisches System durchaus im klaren“ (Giesecke 1998, S. 11). De Saussure habe versucht eine Standardsprache für die Bedürfnisse der typographischen Kommunikation zu entwickeln, aber gleichzeitig habe er durch die Entwicklung eines Dualsystems, welches sich aus dem Gespräch von Angesicht zu Angesicht ergibt und von de Saussure bewusst so konzipiert wurde, die Standardsprache aus dem Kontext der hochtechnisierten gesellschaftlichen Kommunikationssysteme herausgelöst (Giesecke 1998, S. 11). De Saussure würde zwar dem Universalitätsanspruch der Standardsprache gerecht werden, jedoch auf Kosten einer konstitutiven Kommunikationssituation und unter Vernachlässigung der konstitutiven materiellen Medien; aus beiden würde er die „langue“ herauslösen (vgl. Giesecke 1998, S. 12). Anders verhält es sich mit dem Modell der Computerlinguistik. Es ist im Stande alle Beziehungen (Mensch-Program-Maschine) zu erfassen, da es „von komplexen soziotechnischen Kommunikations- und Informationssystemen“ ausgeht (Giesecke 1998, S. 12). Die postmoderne Sprachwissenschaft sei in der Lage „die Welt als eine Ansammlung von informationsverarbeitenden Systemen zu betrachten, die über Medien miteinander kommunizieren“, und der Mensch könne mit Hilfe dieser lernen, „sich als Element in komplexen, umweltoffenen und selbstbeschreibenden Systemen“ zu verstehen. (Giesecke 1998, S. 13).

Aufbau des Buches

Giesecke betont, dass es ihm nachfolgend vor allem um „die Untersuchung der Entstehung der typographischen Informationssysteme und der in diesen gebrauchten Standardsprachen“ geht. (Giesecke 1998, S. 14). Alle seine Ausführungen gehen von der Hypothese aus, dass Medienwandel, Sinnenwandel, Kulturwandel und letztendlich der Sprachwandel Hand in Hand gehen (vgl. Giesecke 1998, S. 13).

Was kommt nach der >langue<? Eine informations- und medientheoretische Antwort auf de Saussure

Von der >menschlichen Rede< zur >langue<

Die postmoderne Gesellschaft ist von den Sprachwissenschaften geprägt. So ist z.B. die Information in allen fortgeschrittenen Industrienationen eine wesentliche Produktivkraft und die „Leistungsfähigkeit sozialer Systeme“ hängt nicht zuletzt von den kommunikativen Prozessen ab (Giesecke 1998, S. 18). Giesecke konstatiert, dass es aufgrund eines wissenschaftlichen Begriffsinstrumentariums, in dem wir keinen geeigneten Sprachbegriff „für die Beschreibung kommunikativer Prozesse und deren Abhängigkeit von den materiellen Medien“ vorfinden könnten, eine „Einschränkung der Aussagekraft der Kategorien“ vorherrsche (Giesecke 1998, S. 19). Zurückzuführen ist dieser Umstand auf de Saussures Konzeption einer Sprachwissenschaft als exakte Disziplin, in welcher medientheoretische Überlegungen im heutigen Sinn des Medienbegriffs vernachlässigt werden. De Saussure Erkenntnis lässt sich mit folgendem Zitat zusammenfassen, nämlich, „daß die >>alles zusammenfassende Gesamtheit der menschlichen Rede sich der Erkenntnis widersetzt, weil sie nicht gleichartig ist ...<<“ (Giesecke 1998, S. 19). Im Vordergrund bei seiner Modellbildung steht ein überkomplexer Ausgangspunkt, bei dem die „>menschliche Rede< als unmittelbare Verbindung zwischen zwei Individuen“ („face-to-face-Gesprächssituation“) anzusehen ist (Giesecke 1998, S. 19f). Giesecke identifiziert einen dreistufigen Prozess, in welchem de Saussure „Oppositionen auf drei Abstraktionsebenen“ konstruiert, „um schließlich einen Pol der Opposition auf der dritten Ebene als eigentlichen Gegenstand der Sprachwissenschaft auszuzeichnen“ (Giesecke 1998, S. 21). In dem System würde er aber weder Modellierungen über die „>>Sprachgemeinschaft<<“ und über die „>>Zeit<<“, noch über deren reziproken Beziehungen entwickeln, und darüber hinaus sogar soziale Erscheinungen ausschalten. (Giesecke 1998, S. 20f). Es handelt sich um eine „innere Sprachwissenschaft“ - die diachrone (Genese des Systems) wie die äußere Sprachwissenschaft (System-Umwelt-Beziehung) bleiben undefiniert -, in dem die Einheiten ein geschlossenes System ergeben, weiters „die Letztelemente als Relationen, nämlich zwischen signifiant und signifié“ definiert werden und ausschließlich Beziehungen in diesem System artikuliert werden (Giesecke 1998, S. 22). „Die Bedeutung der Letztelemente ergibt sich aber nicht >substantiell< aus der Bedeutung der Pole, sondern der Position der Elemente im System.“ (Giesecke 1998, S. 22)

Folgen der Objektbereichsbestimmung für die Reflexion über Kommunikation und >Sprache<

De Saussures Konzeption ist auch heute noch für den Wissenschaftsbetrieb (Linguistik, neue sprachwissenschaftliche Ansätze etc.) konstitutiv und „die Trennung zwischen der >Sprache< und den Gegenständen der äußeren Sprachwissenschaft (...) bleibt erhalten“ (Giesecke 1998, S. 23). Im Unterschied zur „>>weichen<< Linguistik“ (äußere Sprachwissenschaft) ist die „>>harte<<“ (innere Sprachwissenschaft) auch jene, deren Ergebnisse sich technologisch umsetzen lassen und für die Computerlinguistik von großer Bedeutung sind (Giesecke 1998, S. 24). Die menschliche Rede als langue ist heutzutage Gemeingut und Alltagswissen und ganz im Sinne de Saussures wird sie „aus ihrem Zusammenhang mit der Ganzheit des Menschen“ herausgelöst und „zum Einzelgegenstand der Forschung“ (Giesecke 1998, S. 25). Man muss sich die Frage stellen und untersuchen, ob de Saussures Abstraktion ein, „der Schöpfung gegebenes Phänomen ist“, oder diese angenommene Einheit nicht vielmehr „eine künstliche, historisch recht junge Erfindung, eine soziale Konstruktion“ ist (Giesecke 1998, S. 24f).

Kosten und Nutzen der modernen Sprachwissenschaft

Unbestritten ist das positive Resultat der Festlegung bzw. Formierung einer eigenständigen Wissenschaft mit „der >langue< als ideosynchronem Zeichensystem, und mit eigenen harten Methoden“ (Giesecke 1998, S. 26). Ein negativer Aspekt ist die Auslagerung der „Beschäftigung mit der >Rede<, der Konversation, den sprachlichen Varietäten (...), den Medien (...) in die >weichen< Randzonen der Sprachwissenschaft (...) oder gar in andere Disziplinen, vor allem in die Psychologie und in die Soziologie“ (Giesecke 1998, S. 26f). Der modernen sozialen Abstraktion ist es schließlich zu verdanken, dass sich die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von der ursprünglichen Frage de Saussures: „>>Wie ist eine Systematisierung der menschlichen Rede möglich?<<“ hin zu der Grundfrage: „>>Wie ist eine systematische Beschreibung des Gebrauchs von Sprache (bzw. ihres Verstehens und Produzierens), der Veränderung von Sprache, der verschiedenen Existenzformen von Sprache möglich?<<“ gewandelt hat (Giesecke 1998, S. 27).

Eine alternative Antwort auf die Grundfrage der Sprachwissenschaft

Welches alternative Modell kann es zu dem de Saussures (oder auch zu dem Noam Chomskys) geben? Ein alternatives Modell sollte geeignet sein die technischen Informationssysteme (z.B. den Computer) und deren Vernetzungen (z.B. als Kommunikatoren oder als Medien) zu beschreiben („die Welt als eine Ansammlung von Informationssystemen“) (Giesecke 1998, S. 28f). Sprache müsste daher „als ein Konstrukt sozialer und/oder technischer Kommunikations- und Informationssysteme gedacht werden“, und Sprachen quasi als Medien verändernde Programme angesehen werden (Giesecke 1998, S. 28f). Wenn wir nun die Kommunikation als einen „Sonderfall der Informationsverarbeitung, bei dem mindestens zwei Prozessoren parallel arbeiten“, denken würden, so könnten wir Giesecke zufolge ein Modell aufstellen, welches die Erkenntnisse der Systemtheorie mit der Informatik und der Computerkultur verbindet (Giesecke 1998, S. 28). Dabei ist alles was zwischen den Kommunikationspartnern vermittelt (Verhalten, Schreibzeug, Fernsehen etc.) ein Informationsmedium und die Sprachen arbeiten nach einem Kode bzw. Kode-System - als Kode bezeichnet Giesecke einen „Algorithmus von Befehlen für die Verarbeitung von Informationen für Prozessoren“ (Giesecke 1998, S. 29). Bei der Kodierung und Verarbeitung von Daten sei es wiederum wichtig die Selektivität der Informationsaufnahme zu strukturieren (Informationen gehen ja immer wieder verloren). All das liegt der Hypothese zu Grunde, dass Sprachen nur für bestimmte Prozessoren und Medien entstehen würden (vgl. Giesecke 1998, S. 29). Die grundlegenden Untersuchungseinheiten sind folglich für Giesecke entweder Kommunikations- oder Informationssysteme, wobei der informationstheoretische Ansatz für ihn grundsätzlich auch ein medientheoretischer ist. Es gilt also „die Materialität der Kommunikation und die Bindung jedweder Information an das Medium“ (Giesecke 1998, S. 30). Nach dieser Konzeption, bei der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Medien nur durch Informationssysteme hergestellt werden können, würde es keine direkte Beziehung zwischen Zeichen geben, unterstreicht Giesecke (vgl. Giesecke 1998, S. 30f). Da jede Information systemabhängig ist, hat die postmoderne Sprachwissenschaft die Idee verworfen, „daß sich eine allgemeine Semantik formulieren läßt“ (Giesecke 1998, S. 31). Darüber hinaus geht Giesecke davon aus, dass ein Primat der synchronen Forschung in der Sprachwissenschaft und damit die Annahme, dass die Betrachtung der Genese der Struktur belanglos sei, nicht mehr haltbar ist. Programme und Informationswerte sind an eine „Systemzeit“ gebunden, erklärt Giesecke und bestreitet darüberhinaus, dass eine kontemporäre Sprachwissenschaft „>nicht präskriptiv, sondern [lediglich] deskriptiv<“ sei - die Sprachwissenschaften als „handlungs- und erlebnisleitendes Programme“ hätte eben eine „soziale und normative Kraft“ (Giesecke 1998, S. 31).

>Natürliche< und >künstliche< Sprachen. Medienrevolutionen und ihre Auswirkungen auf Sprachen und Sprachbegriffe

Der synchron-strukturalistischen Auffassung hält Giesecke entgegen, „daß alle Kommunikation an materielle Medien gebunden ist und diese sich im Laufe der Kulturgeschichte verändert haben“. Seine Grundthese, auf die er nachfolgend näher eingeht, besagt, dass sowohl der Sprachwandel, wie auch der „Sprachbewußtseinswandel“ auf diesen Medienwechsel zurückzuführen ist (Giesecke 1998, S. 36).

Revolutionen in der Informationsverarbeitung

Paradigmatisch für die Differenzierung von Informations- und Kommunikationssystemen ist grundsätzlich die Unterscheidung zwischen natürlich und artifiziell, wobei angestammte Medien und Systeme und ihre Kodierungen der Information üblicherweise als natürlich und neue als artifiziell gelten (Giesecke 1998, S. 36). Eine weitere Unterscheidung trifft Giesecke „zwischen den tierischen, biogenen und den menschlichen psychischen informations- und Kommunikationssystemen“ (Giesecke 1998, S. 37). Die Verkünstlichung der Systeme und Medien und ihrer Kodes vollzieht bzw. vollzog sich in mehreren Schritten. Zunächst tauchte durch die konsequente Nutzung des Lufthauchs und der Schallwellen eine neue Sequenzierung der Laute, eine „Domestizierung des Artikulationskodes“ und damit ein neues Niveau mit einer anderen sequenziellen Struktur auf (Giesecke 1998, S. 37). Mit dieser Verkünstlichung, die als Sozialisierung bezeichnet werden kann, war nun tierische und menschliche Informationsverarbeitung separierbar, es entstand also die menschliche Sprache. Die zweite Medienrevolution folgte durch die „Einführung der skriptographischen Datenverarbeitung“. Neben den psychischen Medien (d.i. der Mensch) kamen nun auch materielle Gegenstände (Steine, Papier etc.) als Datenspeicher in Frage und bestimmte Leistungen der Datenspeicherung wurden (teilweise) technisiert und „externalisiert“ (Giesecke 1998, S. 37). Es entwickelte sich also die menschliche Schrift. Dabei bleiben die Prozessoren aber immer nur psychische Systeme (mit „externen skriptographischen Speichern“) (Giesecke 1998, S. 38). Der Grad der Ver- und Anwendung der technischen Medien ist ausschlaggebend für die Identitätsbestimmung von Kulturen und für die Opposition von alten, natürlichen Sprachen gegenüber neuen, künstlichen. Eine dritte grundlegende Neuerung fand mit der Einführung des Buchdrucks statt, da dieser nicht mehr bloß „als eine technische Expansion psychischer Systeme“, also quasi als Werkzeug, sondern als Werk anzusehen ist (Giesecke 1998, S. 38). Giesecke erläutert, dass gedruckte Bücher in Europa als eigenständige Informationssysteme verstanden worden wären und wir hier, bei der Zuhilfenahme von Büchern, die erste Form der „Mensch->Maschine<-Kommunikation“ vorfinden könnten (Giesecke 1998, S. 39). Eine Folge daraus war die partielle Substituierung psychischer Systeme durch technische; d.h. der Mensch wurde durch die Technik sukzessive ersetzt und durch diesen Rückgriff auf typographische Datenverarbeitung trat eine grundlegende Veränderung im kommunikativen Netzwerk ein (Giesecke 1998, S. 39). Es kristallisierte sich immer mehr ein Primat der neuen Technologie heraus und eine andere, abwertende Einschätzung z.B. der skriptographischen Datenverarbeitung und des Handwerks kam auf. Die vierte Umwälzung kommunikativer und informativer Strukturen erfahren wir gemäß Giesecke „durch die Entwicklung und den Gebrauch der elektrischen und elektronischen Medien“ (Giesecke 1998, S. 40). Geprägt ist dieser Vorgang einerseits von der „Einführung von neuen Formen Kommunikativer Vernetzung von psychischen Informationssystemen“ (neue Informationsübertragung: Telefon; neue Informationsspeicherung: Videos, Disketten; neue Informationsgewinnung: Fotoapparat, Kamera usw.) und andererseits von der Technisierung kompletter Kommunikationssystem durch den Ausbau der Computertechnologie (Giesecke 1998, S. 40). Letzteres macht den eigentlichen qualitativen Sprung aus, weil jetzt nicht nur psychische sondern auch soziale Systeme substituiert werden. Die Technik bricht in Kommunikationsprozesse ein, die vorher nur vom Mensch beherrscht wurden. Die Sprache hat sich sozusagen einen neuen Wirt gesucht (vgl. These: Die Sprache bedient sich des Menschen und nicht umgekehrt). Eine gravierende Konsequenz dieser vierten Verschiebung von natürlicher und künstlicher Sprache - die deutsche Standardsprache als eigentlich hochartifizielles Konstrukt wird in der Opposition zu den Programmiersprachen plötzlich zu einer sogenannten natürlichen Sprache - ist die Entwertung der „traditionellen Geltungskriterien wissenschaftlicher Informationen, Wahrheitskriterien, die sich in der Neuzeit im Zuge der typgraphischen Medienrevolution entwickelt haben“ (Giesecke 1998, S. 41f). Die Digitalisierung des Outputs wissenschaftlicher Arbeit und ihre Einbettung in neue technische Kommunikationsnetze führen neben einer moralischen zu einer „faktischen Umschichtung der Disziplinen und Fachrichtungen“ (vgl. überproportionale Bevorzugung der Computerlinguistik vor anderen Forschungsrichtungen) (Giesecke 1998, S. 41). Ein weiteres wichtiges Faktum hält Giesecke wie folgt fest: „Wenn einmal Kommunikationssysteme technisiert sind, dann gelten für die Vernetzungsmöglichkeiten im Prinzip technische und keine sozialen Kriterien mehr.“ (Giesecke 1998, S. 42) Adressat ist oft nicht mehr direkt der Mensch und es entstehen bestimmte Zwischenformen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Überprüfung der Information nicht mehr wie zuvor „an das psychische System des Benutzers gebunden ist“ und „die Darstellungsnotwendigkeiten, die sich aus dem Kodesystem der Computer ergeben, auf die natürliche Sprache ihrer menschlichen Benutzer abfärben“ (Giesecke 1998, S. 42). Es sei ebenso absehbar, dass das Englische immer mehr zum Vermittlungsmedium zwischen der Standardsprache und der Programmiersprache und dadurch immer einflussreicher werden würde, erklärt Giesecke (Giesecke 1998, S. 42).


Bibliographie: Giesecke, Michael: Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel. Frankfurt a. M.: Fischer, 1998.