Ilan Samson: Freier Wille: Unterschied zwischen den Versionen
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1. Der Konflikt zwischen den Begriffen selbst | 1. Der Konflikt zwischen den Begriffen selbst |
Aktuelle Version vom 29. März 2007, 19:40 Uhr
- 05/2005 Deutsche Zeitschrift für Philosophie
„Es gibt drei Bereiche, in denen der Widerspruch zwischen Willensfreiheit und Determinismus von Bedeutung sein könnte: 1. Der Konflikt zwischen den Begriffen selbst 2. Die Konsequenzen für unsere Einstellung zu zukünftigen Handlungen 3. die Betrachtung im Nachhinein, besonders wenn es um Verantwortlichkeit geht Ich möchte nun für diese Bereiche zeigen, dass der Widerspruch zwischen Willensfreiheit und Determinismus nicht von Bedeutung ist.“
Inhaltsverzeichnis
Der Konflikt selbst
Eine Weise, wie der Konflikt zwischen Determinismus und Willensfreiheit eine äußerst große und beunruhigende Bedeutung erlangen könnte, wäre, wenn es uns gelänge, den Determinismus dafür einzusetzen, Entscheidungen vorauszusagen oder vorauszuberechnen, und dann zu entdecken, dass noch so viel ‚freies Wollen’ in der Zwischenzeit nie ein anderes Ergebnis bewirkt hat. Wir werden zeigen, dass dies nicht geschehen kann. (...) Aus Unschärfe bzw. Unvorhersagbarkeit folgt jedoch keine Nicht-Kausalität. Unschärfe bedeutet nicht, dass es keinen Grund gibt, warum das Ereignis eintritt oder nicht. Alles hat eine Ursache, es ist bloß so, dass wir sie nicht kennen, bzw. nicht dazu in der Lage sind, aus ihr den Endzustand zu berechnen, bevor er eintritt. (...)“
Ist uns der Endzustand nicht bekannt bezeichnen wir ihn als Zufälligkeit „aber diese Zufälligkeit ist nur eine scheinbare“ denn alles geschieht „durch eine Abfolge von ganz bestimmten physikalischen Ursachen“ Wir allerdings sind nicht dazu in der Lage, das Ergebnis vorher zu sagen bzw. zu berechnen weil zu viele Faktoren eine Rolle spielen und dass „die Vorhersage des Ergebnisses dieser Faktoren in bestimmten Situationen davon abhängt, dass ihre „Anfangszustände“ mit einem Grad an Genauigkeit bekannt sind, der in der Praxis unmöglich zu erreichen ist.“
Hier spricht Samson auf das an, was wir mit „Chaos“ bezeichnen. Ein Vorgang, der möglichst exakt wiederholt werden soll, bei dem ein möglichst ähnlicher Anfangszustand wiederhergestellt werden soll um ein möglichst ähnliches Ergebnis zu erhalten, führt zu einem vollkommen anderen Ergebnis. „Es gibt keine Wunder: Hätten wir den Durchlauf mit genau dem gleichen Anfangszustand wiederholt, erhielten wir in der Tat wieder das gleiche Ergebnis. (...) Da es natürlich in der Praxis unmöglich ist, den Anfangspunkt mit unendlicher Genauigkeit zu messen und festzuhalten, gibt es also keinen Weg, den Endzustand solcher ‚chaotischen’ Prozesse zuverlässig vorherzusagen.“
„Wir [brauchen] auch dann, wenn die Dinge für immer ungewiss und unvorhersagbar sein mögen, keinen Mystizismus, um zu erklären, warum sie sich uns entziehen. Situationen ergeben sich auf eine vollkommen kausale Art und Weise. Es sind bloß wir, die nicht mithalten können und an der Aufgabe scheitern, Situationen vorherzusagen, nicht nur weil die erforderliche Menge an Daten und Berechnungen unsere praktischen Fähigkeiten übersteigt, sondern weil sich die erforderliche Genauigkeit sogar allem entzieht, wozu wir theoretisch im Stande wären. Das Auseinanderklaffen von vorausberechneter und tatsächlicher Entscheidung kann also nicht die Grundlage für eine Unterscheidung zwischen Freiheit des Willens und Ungenauigkeit der Vorausberechnung bilden. Willensfreiheit und Unausweichlichkeit der Kausalität sind mithin nicht widersprechende Vorstellungen, aber der Widerspruch kann sich niemals zeigen.“
eine 'Komme was wolle'-Option?
Gewiss wäre die Unverträglichkeit zwischen Determinismus und Willensfreiheit von größter Bedeutung wenn der Determinismus eine Rechtfertigung für den Fatalismus wäre. (...) Es gibt keinen Weg für uns, in Erfahrung zu bringen, was der ‚Plan’ enthält (...) In einer solchen Situation hat die Vorherbestimmtheit keinerlei Auswirkung, sie ist einfach bedeutungslos.“
Die Betrachtung im Nachhinein, Verantwortlichkeit
Hier geht es wieder um den Konflikt im Rechtssystem, dass Menschen, die so zusagen aus dem Affekt heraus gehandelt haben, anders bestraft werden, als Menschen, die ihre „Taten“ lange geplant haben und sozusagen vorsätzlich vorgegangen sind. Immer wieder wird hier das Argument gebracht, dass in beiden Fällen eine Entscheidung des Gehirns vorliegt, dass der Unterschied lediglich darin läge, dass der eine seine Entscheidung unbewusst getroffen hat (das Gehirn wägt unbewusst ab und bezieht Genetik, Erfahrungen und Gelerntes aus frühester Kindheit – Wissen, welches nicht mehr erinnert werden kann und deswegen im allgemeinen als unbewusst gilt –, Erfahrungen, die uns nicht bewusst geworden sind, dennoch im Hirn gespeichert wurden etc. Wolf Singer) und der andere bewusste Argumente gegeneinander abgewogen hat (und dabei gar nicht merkt, dass das Gehirn natürlich auch unbewusste Daten verarbeitet). Auch hier geht es wieder um die Vorherbestimmung, um Kausalität: alles was getan wird, ob aus Berechnung oder aus dem Affekt heraus entspricht einer Kette von kausalitätsbedingten Unausweichlichkeiten. Samson schlägt nun eine neue Art und Weise vor, mit dem Thema umzugehen: „Strafen gibt es nicht für die Taten, sondern als gerechten Ausgleich für das, was man sowieso ertragen hätte – auch wenn man sich zurückgehalten hätte. Belohnungen werden nicht für die Leistungen verteilt, sondern als gerechter Ausgleich für das, was man sowieso genossen hätte – auch wenn man sich der Mühe entzogen hätte.“ Als Beispiel für die Strafe nennt er einen Jugendlichen, der mit einer 50 Pfund Geldstrafe dafür bestraft wird, dass er die Zeitung ‚aus einem Kasten für Zeitungen mit einer Dose für Münzen’ mitgehen lässt, ohne dafür zu bezahlen. Das Argument des Jugendlichen, das Geld nicht bezahlen zu müssen: „Wir beide (...) wissen doch, dass ich keine wirkliche Wahlfreiheit hatte.“ Das Argument des Polizisten, warum das Geld doch zu bezahlen sei: „All die anderen, die – unbeaufsichtigt – vor dem Kasten standen, wussten auch, dass sie die Zeitung einfach mitgehen lassen könnten. Um das nicht zu tun, mussten sie der Verlockung widerstehen. Das tut weh, das ‚kostet“. Daher hätten Sie in irgendeiner Form sowieso bezahlt – selbst wenn Sie das Geld eingeworfen hätten.“ Die Belohnung als gerechter Ausgleich beschreibt er hier mit einem Angestellten, der nicht um 17 Uhr seinen Arbeitsplatz verlässt um nach Hause zu gehen, sondern sich die ganze Nacht mit einem Problem beschäftigt, einen Durchbruch erlangt und dafür mit einer Auszeichnung belohnt wird. „Die Belohnung gibt es nicht für die Leistung. Sie wird als ein gerechter Akt des Ausgleichs für den großen Preis ausgeteilt, den alle anderen sich dadurch verschaffen konnten, dass sie um fünf Uhr gegangen sind.“
„Zusammengefasst heißt dies: Dadurch, dass Belohnung und Bestrafung mit Fragen der Gleichheit verbunden werden – das heißt: „’Verlockung widerstehen’ vorher = Strafe nachher“ und „’Sich Belastungen entziehen’ vorher = Belohnung nachher“ – anstatt mit den Handlungen, hat die Frage ob sie „frei“ sind oder nicht, keine Auswirkung auf die Haltbarkeit des Belohnens oder Bestrafens.“
- Wie sähe das Verfahren dann angewandt auf einen Mord aus? Wäre dann die Gefängnisstrafe doppelt so hoch mit dem Argument, dass der Täter, hätte er sich zurück gehalten, noch länger unter der Last des noch Lebenden zu leiden gehabt?
Was hieße das, angewandt auf unser Rechtssystem? Ließe sich diese Art und Weise zu verfahren überhaupt durchsetzen, ohne dass man in den Menschen das Gefühl weckt, immer alles nur falsch machen zu können? Mal angenommen, es wäre so, dass Belohnung und Bestrafung sich genau ausgleichen, egal was man tut – wäre es nicht verdammt unklug, das den Menschen innerhalb einer Rechtslage vor Augen zu führen? Wäre es überhaupt möglich, Menschen unter „Kontrolle“ zu haben, würde man ihnen das Gefühl geben, es wäre egal, es käme sowieso aufs gleiche heraus? Menschen halten sich doch nur an Gesetze, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen dieses Verhalten einen Vorteil verschafft.
Konklusion
Anstatt danach zu suchen, wie die offensichtlich unverträglichen Vorstellungen Determinismus und Willensfreiheit doch zu vereinbaren sind, wird stattdessen das Beunruhigende an dem Widerspruch in seine Schranken verwiesen – dadurch, dass gezeigt wird, dass er nicht notwendigerweise Auswirkungen für die Praxis hat. Anders gesagt: Die Frage ist nicht, ob Determinismus und Willensfreiheit unverträglich sind – natürlich sind sie das (...) –, sondern ob es von Bedeutung ist, dass sie unverträglich sind. Es wurde gezeigt, dass dem nicht so ist: die Anerkennung einer völligen kausalitätsbedingten Unausweichlichkeit (Determinismus) muss nichts an der Art und Weise ändern, wie wir unter dem Eindruck von Willensfreiheit handeln (ausgenommen ein paar Anpassungen im Vokabular von Anwälten).“