Motivationen (Hegelprojekt): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 22. Juli 2006, 12:03 Uhr

Sophie und Otto

Hegels Doktrin läßt sich in einen Dialog zwischen Sophie und Otto komprimieren. (Philosophie und Otto Normalverbrauer.) Sie ist nichts anderes, als die systematische Entfaltung und Aufarbeitung der Wissensdifferenz der beiden Positionen.

Sophie ist etwas ganz besonderes, unvergleichbar mit Otto. Und spricht auf ihn ein, das heißt, sie verständigt sich mit ihm. Hegel hält beides fest, den Anspruch einer Denkelite und das Recht Ottos. Er darf sich nicht überfahren lassen, denn für sein Wissen ist jeder selbst verantwortlich.

Der Dialog heißt "Darstellung des erscheinenden Wissens", einfacher gesagt "Bildung". Das sollte der Prozeß sein, in dem Otto zu Sophie aufrückt. Ob das gut geht?

Werkzeuge

Erkenntnis benötigt Werkzeuge, wörtlich und metaphorisch. Ein unentbehrliches Werkzeug ist der Begriff. Wie faßt ihn Hegel? Ist seine Fassung brauchbar?

Nominell verwendet die Wissenschaftstheorie dieselben Worte, die sich bei Hegel finden: "Begriff", "Satz", "Urteil". Handelt es sich um dieselben Begriffe? Die Frage ist keine Spitzfindigkeit. Ein Wort wird erst durch eine bestimmte Verwendung zum Begriff.

Und wofür steht "Begriff"? Das ist wiederum keine Haarspalterei, sondern eine Schlüsselfrage, an der die Philosophie sich bewährt oder auseinanderbricht. Die Urteilslehre des deutschen Idealismus ist so überholt, wie die ästhetischen Traktate der Goethezeit. Das Fachgebiet ist im Gefolge Freges revolutioniert worden. Die alte Lehre hat noch immer eine gewisse Attraktivität. Wer entscheidet darüber, wie Erkenntnis konzeptualisiert wird?

Klassisch ist der Begriff eine allgemeine Vorstellung; Urteile erheben den Anspruch, daß ein Subjekt unter ein Prädikat fällt. Das hat Frege umgekrempelt. Begriffe sind Satzteile, deren Verwendung man sich als funktional geregelt vorstellen kann. Eine Sollbruchstelle der harmonisierenden Philosophiegeschichtsschreibung.

Bewusstseinsleistungen

Personen erkennen. Wie tun sie das? Die traditionelle Antwort besteht in einer Systematik von Bewußtseinsleistungen. Vom deutschen Idealismus wurde diese Tendenz auf die Spitze getrieben. Die Entwicklung wurde weithin als Sackgasse gesehen und lange ignoriert. Das ändert sich im Moment.

Erkennen gilt als begriffliche Tätigkeit. Es beruht auf der Abstraktionsfähigkeit und der Fertigkeit, allgemeine Vorstellungen (Begriffe) produktiv zur Organisation der Daten einzusetzen, welche die Umwelt liefert. Dafür verantwortlich ist eine Kapazität von Menschen, die Verstand, Intelligenz oder Geist genannt wurde.

Verstand wiederum ist ein "Seelenvermögen" wie Gefühl oder Wille. Dies sind Zustände "des Bewußtseins". Blutdruck oder Verkehrsopfer sind Zustände ohne die spezifische Differenz, welche im ersten Fall festzustellen ist. In der Regel verbindet sich mit dem Gefühl für die Person die Kenntnis des Gefühls. Etwas zu wollen heißt: sich selbst als jemand zu erfahren, der etwas will. Begriffe sind als Vorstellungen betrachtet worden. Mit ihrer Hilfe richtet sich ein Individuum an die Wirklichkeit, die jenseits seiner konzeptuellen Leistung ist.

Bewußtsein ist in der deutschen Philosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts ungemein populär gewesen. Hochfliegende Spekulationen haben aus dem angedeuteten Charakteristikum menschlicher Individuen ein Prinzip zur Erklärung der Welt und des Verhältnisses der Welt zum Menschen gemacht. Hegel geht aufs Ganze: Substanz ist wesentlich Subjekt und das Absolute ist der Geist. Für diese Thesen ist das Bewußtsein Pate gestanden. In ihm fällt (angeblich) Gegenstand und Begriff zusammen.

Klassiker

Für Philosophinnen (m/w) im kontinental-europäischen Raum ist die aufmerksame Lektüre der Klassiker ein Weg, Sachfragen zu beantworten. Sie denken oft, Probleme ließen sich z.B. durch Hegel-Studien lösen. So wird nachvollziehendes Verstehen inhaltlich verbindlich. Aber was weiß Hegel von den Dingen, die uns heute beschäftigen?

Die Themenbereiche Bildung, Wissenschaft und Subjektivität sind jeder für sich kaum überschaubar und zusammen ultrakomplex. Wer sich Klärungen erhofft, braucht einen Leitfaden, mit dessen Hilfe sich die Zusammenhänge einigermaßen geordnet erforschen lassen. Die Liste eines "Wunschkonzertes" ist nicht geeignet, weiterzuhelfen.

Eine Versuchung liegt nahe. Der Zweck der Liste war es ja, Impulse der Hegelschen "Phänomenologie des Geistes" zusammenzustellen. Dort laufen sie doch wohl zusammen. Dann liegt der Schlüssel zum Verständnis der Zusammenhänge in diesem Buch. Tatsächlich tritt Hegel mit dem Anspruch auf, das Wahre = Ganze = System zu explizieren. Sehr praktisch. Die aufmerksame Lektüre eines philosophischen Klassikers bringt Ordnung in die irritierende Komplexität.

Vor lauter Skepsis kann man einen Schritt zu weit gehen und Hegels systematische Absichten mit Bausch und Bogen ablehenen. Diese glatte Gegenreaktion ist nicht sehr phantasievoll. Aber es ist ziemlich mühsam, Distanz zu wahren und zugleich die Berechtigung des Hegelschen Anliegens nicht zu übersehen. Vor allem, weil die Themenfülle, die sich der Philosoph leistet, von ihm nur mittels eines ausgeprägten Raster-Denkens in Schach gehalten wird.



graphische Veranschaulichung: Erkennen und Einsicht: Anwendungsfall



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