Diskussion:Wikis im Lehrbetrieb (BD14): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 3. November 2014, 18:01 Uhr
<root> <div class="toc"> Bildung und Datenbanken (Vorlesung Hrachovec, WS 2014)
<br /> </div></root>
Autorität
Ich würde gerne eine Hypothese zur Diskussion stellen: Ein in der Diskussion um Wikis formulierter Vorwurf ist, dass „jeder irgendetwas“ in diese Wikis schreiben könne. Es liegt hier nahe, sich die Alternative anzusehen, nämlich kommerzielle Bereitsteller von Inhalten in lexikalischem, hypertextuellem Format. Dort ist die Anzahl der Editoren (peer-reviewer) entscheidend geringer (ohne hier mit einer Statistik aufwarten zu können bleibt das allerdings nur eine Behauptung), als die Zahl jener, die in Wikis Inhalte auf ihre Tauglichkeit prüfen. Bei analogen Ausgaben von lexikalischen Werken wird der Unterschied noch deutlicher: bei einem (gedruckten) Lexikon z. B. umfasst die Liste der mitwirkenden Autoren zwar eine beeindruckende Menge an anerkannten Experten, allerdings wird kein Herausgeber eines Lexikons und wohl auch kein Anbieter von digitalem lexikalischen Inhalten mit der Anzahl der peer-reviewer bei Wikis mithalten können, sofern diese nicht nur innerhalb der Grenzen eines „esoterischen Zirkels“ (so wie etwa einem registrierungspflichtigen Forum) genutzt werden können.
Durch die quantitative Anzahl allein ist allerdings die Qualität noch nicht gewährleistet, die eine peer-review aufweisen sollte. Qualität meint hier so etwas wie „Richtigkeit“, oder „Zutreffendes“. Hier muss anscheinend die durch die Erweiterung der Qunatität vorgenommene „Öffnung“, die Relativierung wieder relativiert werden, indem, wie es z. B. bei Wikipedia der Fall ist, eine gewisse Anzahl an „professionellen“ peer-reviewern engagiert wird, welche die Versionsgeschichten der Inhalte überblicken sollen. Stehen wir damit nicht wieder am Anfang? Wie bei der Autorenliste des gedruckten Lexikons stehen wieder nur wenige Akteure im Hintergrund, die dafür bezahlt werden um dafür Sorge zu tragen, dass die „Richtigkeit“ der Inhalte gewährleistet ist. Aufgrund der ständigen Bewegung im „symbolischen“ Bereich der Menschheit (Produktion/Transformation von Symbolen im Diskurs), aber auch im technologischen Bereich, der Geschwindigkeit, mit der sich Informationen bewegen und dabei transformiert werden, ist kaum erwartbar, dass ein Team von bezahlten Experten Schritt halten kann. Alleine schon, weil z. B. wissenschaftliche Kontroversen in mehr oder weniger rasantem Tempo vor sich gehen und im Allgemeinen niemals ein Ende finden, es immer Gegenpositionen gibt, die im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte mal weniger Einfluss haben, mal die Kontrolle übernehmen. Wie sollte es ein noch so gut ausgebildetes Team von Experten schaffen können, die Übersicht zu bewahren? Wenn die Anzahl der an der Evaluation der „Richtigkeit“ beteiligten Akteure zunimmt, dann kann dieses Problem angegangen werden, indem die betreffenden Akteure, die am nächsten an den Mittelpunkten der Kontroversen stehenden Experten, wie sie den Ansprüchen des Herausgebers eines gedruckten Lexikons und auch dem Anbieter eines digitalen Lexikons entsprechen würden, auch Teil dieser erweiterten Anzahl der geforderten ausreichend professionellen reviewer sind. Somit kann in einer quantitativen Erweiterung ein Vorteil liegen, wenn dabei darauf geachtet wird, dass immer eine gewisse Form von „Nähe“ zum Inhalt gewährleistet ist, die durch "ausreichendes" Wissen um die (aktuellen) Kontroversen erreicht wird.
Leider klingt dieser Vorschlag utopisch. Wenn es keine zentralisierte (im Vorhinein „prästabilierte“) Instanz gibt, welche die Zugänge zu denjenigen Akteure, die sich in der „Nähe“ einer Kontroverse befinden, gewährleistet, wie sollen dann die Verbindungen entstehen? Hat man viele kleine, unabhängige Lexikon-Projekte, wird die Sache schnell unübersichtlich und nicht mehr ausreichend wartbar,. Eine solche zentralisierte Instanz scheint aber wieder der oben gemachten Feststellung zu entsprechen, dass eine Institutionalisierung eine Einschränkung (Vorgabe des Prozesses, innerhalb dessen sich die Inhalte bilden durch Vorgabe der Arten der Interpretation und Transformation der Kontroversen, die für die Inhalte relevant sind) bedeutet. Dies sind zwar sehr oberflächliche Gedanken, aber die Intention dieses Eintrags ist es zu fragen, wie viel Gehalt diese Darstellung einer quantitativen Erweiterung, die auch zu einer qualitativen Erweiterung führt, hat; ob der Gedanke vielleicht zu etwas führt, das eine den Wikis vorgeworfene Schwäche in eine Stärke verwandeln kann. Euphon (Diskussion) 19:51, 22. Okt. 2014 (CEST)
Die "nachtragende" Eigenschaft von Wikis und wie diese genutzt werden könnte
Eine freie Assoziation: Wenn in einem Wiki ein Eintrag generiert wird, dann wird dieser registriert. Wenn jemand eine Änderung vornimmt, kann diese in der Versionsgechichte nachvollzogen werden. Wenn der Wiki-Eintrag gelöscht wird, ist dies ebenfalls anhand der Versionshistorie nachvollziehbar, der gelöschte Eintrag geht, obwohl er gelöscht wurde, nicht verloren.
Dabei muss ich an eine Aussage von Simone Weil denken, die ich leider nur aus dem Gedächtnis zitieren kann, da ich nicht mehr genau weiß, wo ich sie gelesen habe - hätte ich doch nur einen Eintrag in den Zettelkasten gemacht! Weil sprach von der Tätigkeit des Schreibens und meinte, dass sie dem Vorsatz zu entsprechen versuche, unschöne oder fehlerhafte Formulierungen, die beim Verfassen eines Textes passieren, nicht zu löschen, sondern die Korrektur selbt in den Text einzuarbeiten. Dadurch entstehe eine besondere Art von Textfluss, der für die Autorin manchmal überraschende Wendungen ergebe. Der selbstauferlegte Anspruch, auf das Löschen von korrekturbedürftigen Formulierungen zu verzichten, werde, so Weil zu einem Merkmal ihres literarischen Stils.
Wikis können als „nachtragend“ bezeichnet werden und sie verfolgen diese Eigenschaft mit größerer Unerbittlichkeit, als Weil sich das hätte träumen lassen. Wenn sich der literarische Stil von Simone Weil durch die beschriebene Herangehensweise änderte, kann dies auch bei der Arbeit mit Wikis – im Gegensatz zum Verfassen eines abgeschlossenen Eintrags als Resultat, bei dem die vorherigen Versionen verloren gegangen sind – in ähnlicher Weise beobachtet werden? Es scheint hier ein Unterschied zwischen z. B. „Buch“ und „Wiki“ zu bestehen, den man vielleicht für die Vermittlung von Lerninhalten fruchtbar machen kann: Es ist möglich, sich nur dem Resultat zu widmen, aber es ist zudem möglich, bei Bedarf, anhand des Studierens der Versionsgeschichte die Auseinandersetzung mit der Thematik bei der Formulierung desselben sichtbar zu machen.
Dadurch scheinen sich bestimmte Aspekte des „Lernstils“ zu verändern. Etwa
- das bessere Nachvollziehenkönnen eines Gedankengangs
- das Entstehen eines Bewusstseins dafür, dass auch das Ergebnis nur ein Segment innerhalb einer Versionsgeschichte ist, die mit dem vorgelegten Resultat (in Form von z. B. einem Lehrbuch) nicht unbedingt als abgeschlossen betrachtet werden muss
- die Anregung dazu, selbst eine Fortführung dieser Versionsgeschichte vorzunehmen
--Euphon (Diskussion) 17:59, 3. Nov. 2014 (CET)