Platon setzt Ideen voraus (CP): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 21. Januar 2011, 10:11 Uhr

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Zur Erinnerung:

Durch digitale Technologien entstehen virtuelle Welten. Sie simulieren Realitäten und können sie in Grenzfällen ersetzen. Dann hat ein informatisches Konstrukt die greifbare Körperlichkeit ersetzt. (Der "Brief" ist nicht mehr aus Papier; das "Foto" nicht mehr aus Chemie.) "Die Matrix" gibt es in euphorischer und deprimierter Ausfertigung. Erhalten bleibt die Frage, was die erfahrbare Umgebung bestimmt.

"αἰτίας τὸ εἶδος": Wie sehen die Gründe der Dinge aus?

Es begegnen uns kleine Tiere und große Maschinen, viele dieser Tiere und dieser Maschinen sehen ähnlich aus. Es gibt auch verschiedene Maschinen, die verschiedenen Tieren ähnlich sehen. Was soll man dazu sagen? Es gibt wohl Gründe dafür. Aber was für eine Art von Gründen? Platon hat ein Erklärungsschema vorgeschlagen.

Zur Welt des Anscheins gibt es eine wahre Welt. Sie ist der philosophischen Erkenntnis zugänglich. Dazu muss man die Körperlichkeit abstreifen. So gelangt man zur Welt der Ideen. Damit verbinden sich Probleme.

  • Wie kommt der Bildungsprozess in Gang? Wer ist dazu qualifiziert?
  • Die strahlenden Ideen: Wie sind wir ihnen gewachsen?
  • Eben diese Ideen: Warum geben sie sich mit uns ab?

"Man könnte sagen: Wenn es eine Logik gäbe, auch wenn es keine Welt gäbe, wie könnte es dann eine Logik geben, da es eine Welt gibt?" (Ludwig Wittgenstein, Tractatus 5.5521)

Ursache, Muster, Paradigma

Exzerpt aus Hrachovec, Herbert (2010) Heilige, Übermenschen, Avatare. In: Religion und Mediengesellschaft. Tyrolia, Innsbruck, pp. 27-40.

Drei verschiedenartige Begriffe sind zu unterscheiden: die Ursache (im Sinn von Kausalgesetzen), das Muster und das Paradigma. Ursachen sind logisch und methodologisch von ihren Wirkungen abgehoben, aber sie teilen deren physische Umgebung. Eine Regenfront ist Ursache der Überschwemmung, doch auf beiden Seiten dieses Verhältnisses geht es um Wasser. Ein Zeugungsakt hält sich in einem genetischen Kontinuum, obwohl er die Beteiligten kategorial voneinander abhebt. Eine musikalische Erfindung (um über Kausalität im engeren Sinn hinauszugehen) kann Ursache zahlreicher weiterer Musikstücke sein.

Anders verhält es sich mit Mustern, in unseren Beispielen etwa mit einer Berechnung hydrodynamischer Verhältnisse, dem genetischen Code oder einer Partitur. Das Computermodell der Regenfront erzeugt keine Überschwemmung. Man sagt, dass ein Schnittmuster die Form des Stoffes vorschreibt und wenn es sich um eine entsprechend eingerichtete Maschine handelt, ist die Matrize tatsächlich die materiale Ursache der Beschaffenheit der zugeschnittenen Stücke. Doch das ist eine unscharfe Ausdrucksweise. Mit “Muster” ist zunächst die abstrakte Vorgabe gemeint, die sich in mehreren Maschinen, in divergenten Technologien, auswirken kann. Solche Muster greifen nicht “handfest” in die Welt ein; es sind Abstraktionsprodukte, die in Einzelfällen angewandt werden. Im Vergleich mit Ursachen lösen sie unmittelbar keine physischen Effekte aus.

Es gibt Ursachen ohne Ähnlichkeit und Ähnlichkeiten ohne Kausalwirkung. Hier interessiert dagegen gerade die Überlagerung. Wir sprechen von einem maßgeblichen Leben, das zur Nachfolge anregt. Eine solche Existenz wirkt durch das Muster, das in ihr gesehen wird. “Ursache” für Nachahmerinnen ist sie nur in dem abgeleiteten Sinn, dass eine Lebensform "attraktiv erscheint". Nicht der physische Kontakt, sondern ein entsprechend gestaltetes Ensembel von Verhaltensweisen löst die Wirkung aus. (Diese Konstellation steht im Kontrast zum Reliquienkult, in dem die physischen Überreste ausserkörperliche Wirkungen auslösen sollen.)

Solche Paradigmen verbinden Körperlichkeit und Formvorgabe. Sie müssen instantiiert sein; ein Kodex oder ein Rezept reichen nicht. Gleichzeitig greift ihre Funktion über die Materialwirkung hinaus. Paradigmatisch ist der gebackene Kuchen, weil er Anweisungen so realisiert, dass eine Vorgabe für weitere Kuchen entsteht. Eine solche Wirksamkeit besitzen weder einfache Herstellungsprozesse, noch Blaupausen oder Gebrauchsanweisungen. Im Paradigma sind Instanz und Muster wie in Doppelbelichtung übereinan­dergeblendet. Ein attraktives Gesicht ist ein Vorzeigebild für Attraktivität. Das ist auch der Modus der Heiligen. Die Umsetzung ihres Glaubens unter spezifischen Bedingungen bezieht ihre Ausstrahlungskraft daher, dass sie tangibel und von allgemeiner Bedeutung sind. Vorbilder sind eine Konstella­tion aus Norm und Anteil am Ungenormten. Wären Heilige vom gewöhn­lichen Leben ausgeschlossen, könnte ihre Besonderheit keinen Maßstab bieten.


Höhle_(CP)


Platon: Phaidon 99ff

flüchten

Es bedünkte mich nämlich nach diesem, da ich aufgegeben, die Dinge zu betrachten, ich müsse mich hüten, daß mir nicht begegne, was denen begegnet, welche die Sonnenfinsternis betrachten und anschauen: Viele nämlich verderben sich die Augen, wenn sie nicht im Wasser oder sonst worin nur das Bild der Sonne anschauen. So etwas merkte ich auch und befürchtete, ich möchte ganz und gar an der Seele geblendet werden, wenn ich mit den Augen nach den Gegenständen sähe und mit jedem Sinne versuchte, sie zu treffen. Sondern mich dünkt, ich müsse zu den Gedanken meine Zuflucht nehmen und in diesen das wahre Wesen der Dinge anschauen. Doch vielleicht ähnelt das Bild auf gewisse Weise nicht so, wie ich es aufgestellt habe. [100 St.] Denn das möchte ich gar nicht zugeben, daß, wer das Seiende in Gedanken betrachtet, es mehr in Bildern betrachte, als wer es in den Dingen betrachtet. Also dahin wendete ich mich, und indem ich jedesmal den Gedanken zum Grunde lege, den ich für den stärksten halte, so setze ich, was mir mit diesem übereinzustimmen scheint, als wahr, es mag nun von Ursachen die Rede sein oder von was nur sonst; was aber nicht, setze ich als nicht wahr. Ich will dir aber noch deutlicher sagen, wie ich es meine; denn ich glaube, daß du es jetzt nicht verstehst.

τινι τοιούτῳ σκοπῶνται τὴν εἰκόνα αὐτοῦ. τοιοῦτόν τι καὶ ἐγὼ διενοήθην, καὶ ἔδεισα μὴ παντάπασι τὴν ψυχὴν τυφλωθείην βλέπων πρὸς τὰ πράγματα τοῖς ὄμμασι καὶ ἑκάστῃ τῶν αἰσθήσεων ἐπιχειρῶν ἅπτεσθαι αὐτῶν. ἔδοξε δή μοι χρῆναι εἰς τοὺς λόγους καταφυγόντα ἐν ἐκείνοις σκοπεῖν τῶν ὄντων τὴν ἀλήθειαν. ἴσως μὲν οὖν ᾧ εἰκάζω τρόπον

Nein, beim Zeus, sagte Kebes, nicht eben sonderlich.


vorausgesetzt

Ich meine es eben so, fuhr er fort, gar nichts Neues, sondern was ich schon sonst immer und so auch in der eben durchgeführten Rede gar nicht aufgehört habe zu sagen: Ich will nämlich gleich versuchen, dir den Begriff der Ursache aufzuzeigen, womit ich mich beschäftigt habe, und komme wiederum auf jenes Abgedroschene zurück und fange davon an, daß ich voraussetze, es gebe ein Schönes an und für sich und ein Gutes und Großes und so alles andere, woraus, wenn du mir zugibst und einräumst, daß es sei, ich dann hoffe, dir die Ursache zu zeigen und nachzuweisen, daß die Seele unsterblich ist.


ἀλλ᾽, ἦ δ᾽ ὅς, ὧδε λέγω, οὐδὲν καινόν, ἀλλ᾽ ἅπερ ἀεί τε ἄλλοτε καὶ ἐν τῷ παρεληλυθότι λόγῳ οὐδὲν πέπαυμαι λέγων. ἔρχομαι [γὰρ] δὴ ἐπιχειρῶν σοι ἐπιδείξασθαι τῆς αἰτίας τὸ εἶδος ὃ πεπραγμάτευμαι, καὶ εἶμι πάλιν ἐπ᾽ ἐκεῖνα τὰ πολυθρύλητα καὶ ἄρχομαι ἀπ᾽ ἐκείνων, ὑποθέμενος εἶναί τι καλὸν αὐτὸ καθ᾽ αὑτὸ καὶ ἀγαθὸν καὶ μέγα καὶ τἆλλα πάντα: ἃ εἴ μοι δίδως τε καὶ συγχωρεῖς εἶναι ταῦτα, ἐλπίζω σοι ἐκ τούτων τὴν αἰτίαν ἐπιδείξειν καὶ ἀνευρήσειν ὡς ἀθάνατον [ἡ] ψυχή.

So säume nur ja nicht, sprach Kebes, es durchzuführen, als hätte ich dir dies längst zugegeben!

etwas mitbekommen

So betrachte denn, fuhr er fort, was daran hängt, ob dir das ebenso vorkommt wie mir: Mir scheint nämlich, wenn irgend etwas anderes schön ist außer jenem Schönen an sich, daß es wegen gar nichts anderem schön sei, als weil es teil habe an jenem Schönen, und ebenso sage ich von allem. Räumst du diese Ursache ein?

σκόπει δή, ἔφη, τὰ ἑξῆς ἐκείνοις ἐάν σοι συνδοκῇ ὥσπερ ἐμοί. φαίνεται γάρ μοι, εἴ τί ἐστιν ἄλλο καλὸν πλὴν αὐτὸ τὸ καλόν, οὐδὲ δι᾽ ἓν ἄλλο καλὸν εἶναι ἢ διότι μετέχει ἐκείνου τοῦ καλοῦ: καὶ πάντα δὴ οὕτως λέγω. τῇ τοιᾷδε αἰτίᾳ συγχωρεῖς;

Die räume ich ein, sprach er.
Und so verstehe ich denn gar nicht mehr und begreife nicht jene andern gelehrten Gründe; sondern wenn mir jemand sagt, daß irgend etwas schön ist, entweder weil es eine blühende Farbe hat oder Gestalt oder sonst etwas dieser Art, so lasse ich das andere, denn durch alles übrige werde ich nur verwirrt gemacht, und halte mich ganz einfach und kunstlos und vielleicht einfältig bei mir selbst daran, daß nichts anderes es schön macht als eben jenes Schöne, nenne es nun Anwesenheit oder Gemeinschaft, wie nur und woher sie auch komme, denn darüber möchte ich nichts weiter behaupten, sondern nur, daß vermöge des Schönen alle schönen Dinge schön werden. Denn dies dünkt mich das Allersicherste zu antworten, für mich und für jeden andern; und wenn ich mich daran halte, glaube ich, daß ich gewiß niemals straucheln werde, sondern daß es für mich und jeden andern sicher ist zu antworten, daß vermöge des Schönen die schönen Dinge schön werden. Oder dünkt dich das nicht auch?

οὐ τοίνυν, ἦ δ᾽ ὅς, ἔτι μανθάνω οὐδὲ δύναμαι τὰς ἄλλας αἰτίας τὰς σοφὰς ταύτας γιγνώσκειν: ἀλλ᾽ ἐάν τίς μοι λέγῃ δι᾽ ὅτι καλόν ἐστιν ὁτιοῦν, ἢ χρῶμα εὐανθὲς ἔχον ἢ σχῆμα ἢ ἄλλο ὁτιοῦν τῶν τοιούτων, τὰ μὲν ἄλλα χαίρειν ἐῶ, —ταράττομαι γὰρ ἐν τοῖς ἄλλοις πᾶσι—τοῦτο δὲ ἁπλῶς καὶ ἀτέχνως καὶ ἴσως εὐήθως ἔχω παρ᾽ ἐμαυτῷ, ὅτι οὐκ ἄλλο τι ποιεῖ αὐτὸ καλὸν ἢ ἡ ἐκείνου τοῦ καλοῦ εἴτε παρουσία εἴτε κοινωνία εἴτε ὅπῃ δὴ καὶ ὅπως †προσγενομένη: οὐ γὰρ ἔτι τοῦτο διισχυρίζομαι, ἀλλ᾽ ὅτι τῷ καλῷ πάντα τὰ καλὰ [γίγνεται] καλά. τοῦτο γάρ μοι δοκεῖ ἀσφαλέστατον εἶναι καὶ ἐμαυτῷ ἀποκρίνασθαι καὶ ἄλλῳ, καὶ τούτου ἐχόμενος ἡγοῦμαι οὐκ ἄν ποτε πεσεῖν, ἀλλ᾽ ἀσφαλὲς εἶναι καὶ ἐμοὶ καὶ ὁτῳοῦν ἄλλῳ ἀποκρίνασθαι ὅτι τῷ καλῷ τὰ καλὰ [γίγνεται] καλά: ἢ οὐ καὶ σοὶ δοκεῖ;

Das dünkt mich.

Parmenides 130 passim

gesondert

O Sokrates, wie sehr verdienst du Bewunderung um deines Forschertriebes willen! Und nun sage mir: Hast du selbst jene Sonderung gemacht, die du eben aussprachst, indem du als ein Gesondertes jenes etwas hinstellst, was du die Begriffe selbst nennst, und wiederum als ein Gesondertes die Dinge, welche an ihnen bloß Anteil haben, und scheint dir wirklich die Ähnlichkeit an sich etwas zu sein gesondert von derjenigen Ähnlichkeit, welche wir an uns tragen, und ebenso die Einheit und Vielheit und alles, was du sonst eben von Zenon hörtest?

καί μοι εἰπέ, αὐτὸς σὺ οὕτω διῄρησαι ὡς λέγεις, χωρὶς μὲν εἴδη αὐτὰ ἄττα, χωρὶς δὲ τὰ τούτων αὖ μετέχοντα; καί τί σοι δοκεῖ εἶναι αὐτὴ ὁμοιότης χωρὶς ἧς ἡμεῖς ὁμοιότητος ἔχομεν, καὶ ἓν δὴ καὶ πολλὰ καὶ πάντα ὅσα νυνδὴ Ζήνωνος ἤκουες;

Allerdings, habe Sokrates erwidert.
Und denkst du auch, habe Parmenides gefragt, über alles, was von folgender Art ist, ebenso. Nimmst du auch einen für sich den Begriff des Gerechten, des Schönen, des Guten und alles anderen an, was dahin gehört?

ἦ καὶ τὰ τοιαῦτα, εἰπεῖν τὸν Παρμενίδην, οἷον δικαίου τι εἶδος αὐτὸ καθ᾽ αὑτὸ καὶ καλοῦ καὶ ἀγαθοῦ καὶ πάντων αὖ τῶν τοιούτων;

Ja, habe Sokrates geantwortet.
Und ferner auch einen Begriff des Menschen gesondert von uns, und andere ähnliche Begriffe gesondert von allem, was unseresgleichen ist, nicht bloß einen Begriff des Menschen also, sondern z.B. auch einen Begriff des Feuers und auch des Wassers?

τί δ᾽, ἀνθρώπου εἶδος χωρὶς ἡμῶν καὶ τῶν οἷοι ἡμεῖς ἐσμεν πάντων, αὐτό τι εἶδος ἀνθρώπου ἢ πυρὸς ἢ καὶ ὕδατος;

Ich war oftmals, habe jener versetzt, in Zweifel darüber, Parmenides, ob ich auch in betreff dieser Gegenstände ebenso urteilen solle als in betreff jener oder anders.
Und gewiß bist du auch über solche Dinge, bei denen es sogar lächerlich scheinen könnte, wie z.B. über Haar, Kot, Schmutz und was sonst recht verachtet und geringfügig ist, in Verlegenheit, ob es auch von einem jeglichen unter ihnen eine für sich bestehenden Begriff gebe, die verschieden ist von diesen Gegenständen selbst, die wir mit Händen greifen können, oder aber nicht?
Keineswegs, habe Sokrates geantwortet, vielmehr meine ich, daß diese Dinge wohl eben dasselbe auch sind, wie wir sie sehen, und daß es doch allzu seltsam herauskommen würde, wenn man auch von ihnen besondere Begriffe annehmen wollte. Freilich hat mich hin und wieder schon der Gedanke beunruhigt, ob sich die Sache nicht bei allen Dingen ganz auf die gleiche Art verhalte, in der Folge aber, wenn ich bei diesen Dingen zu stehen komme, wende ich ihnen schnell wieder den Rücken, aus Furcht, hier in einen wahren Abgrund der Albernheit zu versinken und darin umzukommen, und wenn ich dagegen wieder dann bei jenen angelangt bin, von denen wir soeben behaupteten, es gebe von ihnen Begriffe, so beschäftige ich mich gern mit ihnen und verweile bei ihnen mit Freuden.

teilweise 1: das Segeltuch

Das nun aber sage mir: Scheint es dir also wirklich so, wie du sagst, daß es gewisse begriffliche Wesenheiten gebe, von denen alles andere, was wir hier wahrnehmen, [131 St.] infolge seiner Teilnahme an ihnen seinen Namen trägt, wie z.B. dasjenige, was an der Ähnlichkeit teil hat, eben dadurch auch ähnlich, und was an der Größe teil hat, groß, und was an der Gerechtigkeit und Schönheit teil hat, gerecht und schön wird?

δοκεῖ σοι, ὡς φῄς, εἶναι εἴδη ἄττα, ὧν τάδε τὰ ἄλλα μεταλαμβάνοντα τὰς ἐπωνυμίας αὐτῶν ἴσχειν, οἷον ὁμοιότητος μὲν μεταλαβόντα ὅμοια, μεγέθους δὲ μεγάλα, κάλλους δὲ καὶ δικαιοσύνης δίκαιά τε καὶ καλὰ γίγνεσθαι;

Allerdings, habe Sokrates erwidert.
Nun muß aber doch wohl alles, was auf diese Weise teilnimmt, entweder am ganzen Begriff teilnehmen oder an einem Teile derselben? Oder ist außerdem noch eine dritte Art der Teilnahme möglich?
Nein, wie wäre das denkbar? habe Sokrates geantwortet.
Scheint dir also der ganze Begriff, da er doch nur Einer ist, in jedem Einzelnen von dem Vielen zu sein? Oder wie denkst du dir die Sache?
Nun, was hindert daran, Parmenides, so habe die Erwiderung des Sokrates gelautet, daß dem also sei?
Als eine und dieselbe also soll sie in den vielen gesondert von einander Bestehenden zugleich ganz und gar enthalten sein! Wird sie denn nicht so von sich selber gesondert sein?
Das doch wohl nicht, habe Sokrates gemeint, sofern ja doch auch der Tag als einer und derselbe an vielen Orten zugleich und darum doch um nichts mehr von sich selber gesondert ist. Kann denn nicht so auch jeder besondere Begriff in allen Dingen zugleich diese eine und selbige sein?
Recht niedlich, lieber Sokrates, sei die Antwort des Parmenides gewesen, machst du das Eine zu Demselben an vielen Orten zugleich, denn auf diese Weise könntest du ja auch viele Menschen mit einem Segeltuche bedecken und dann sagen, daß dies Eine ganz über Vielen sei, oder meinst du, daß du es nicht geradeso machst?
Du magst recht haben, habe jener zugegeben.
Und nun sage einmal: Wäre wohl das Segeltuch über jedem ganz, oder vielmehr nur ein Teil desselben über den einen und ein anderer über den anderen?
Das letztere.
Teilbar also, habe Parmenides fortgefahren, lieber Sokrates, wären danach die Begriffe selbst, und das, was an ihnen teil hat, hätte nur an einem Teile von ihnen teil, und nicht mehr wäre in jedem Einzelnen der ganze Begriff, sondern nur ein Teil von einer jeden.
So kommt es allerdings heraus.
Möchtest du nun wohl behaupten, lieber Sokrates, daß uns der einheitliche Begriff in Wahrheit teilbar sei? Und wird er dann noch wirklich Eins sein?
Keineswegs, habe Sokrates geantwortet.

teilweise 2: der Zauberlehrling

Auf welche Weise also, lieber Sokrates, habe nun Parmenides gesprochen, soll an den Begriffen nach deiner Meinung das andere teil haben, wenn es doch weder an Teilen noch auch an dem Ganzen derselben teil zu haben vermag?

τίνα οὖν τρόπον, εἰπεῖν, ὦ Σώκρατες, τῶν εἰδῶν σοι τὰ ἄλλα μεταλήψεται, μήτε κατὰ μέρη μήτε κατὰ ὅλα μεταλαμβάνειν δυνάμενα;

Ja, beim Zeus, habe jener erwidert, es scheint mir keineswegs leicht, hierüber etwas Bestimmtes festzusetzen.
[132 St.] Ich denke, daß du aus folgendem Gründe annimmst, jeder Begriff sei eine Einheit. Sobald dir vielerlei Dinge groß zu sein scheinen, so dünkt es mir doch wohl, wenn du sie im ganzen überblickst, in allen eine und dieselbe Form zu sein, und deshalb nimmst du an, das Große sei nur Eines.

οἶμαί σε ἐκ τοῦ τοιοῦδε ἓν ἕκαστον εἶδος οἴεσθαι εἶναι: ὅταν πόλλ᾽ ἄττα μεγάλα σοι δόξῃ εἶναι, μία τις ἴσως δοκεῖ ἰδέα ἡ αὐτὴ εἶναι ἐπὶ πάντα ἰδόντι, ὅθεν ἓν τὸ μέγα ἡγῇ εἶναι.

Du hast ganz recht, habe Sokrates versetzt.
Wie aber ist es nun mit der Größe an sich und mit den anderen großen Dingen? Wenn du beide wiederum ebenso mit dem Auge des Geistes überblickst, wird es dir da nicht so vorkommen müssen, als gebe es andererseits ein drittes Großes, durch welches diese beiden als groß erscheinen?
So scheint es.
Noch ein anderer Begriff der Größe wird also auf diese Weise zum Vorschein kommen, neben dieser Größe an sich und den großen Dingen, die an ihr teil haben, und über diesen noch wieder eine andere, durch welche dies alles groß ist, indes wird dir auf diese Weise ein jeder von den Begriffen nicht mehr ein einziger sein, sondern unermeßlich an Vielheit.
Nein freilich, habe Sokrates zugegeben, auch das hat keinen Sinn. Aber, lieber Parmenides, eigentlich scheint es sich mir damit so zu verhalten, diese Begriffe stehen gleichsam als die Musterbilder im Bereiche des Daseins da, alles andere aber ist ihnen ähnlich und als ihre Abbilder anzusehen, und jene Teilnahme desselben an den Begriffen ist keine andere als eben die, daß es ihnen nachgebildet ist.
Wenn nun, habe Parmenides entgegnet, etwas dem Begriffe ähnlich ist, ist es da wohl möglich, daß nicht auch diese letztere jenem ihr Nachgebildeten insoweit ähnelt, als jenes ihr ähnlich gemacht worden ist? Oder gibt es irgend ein Mittel, um zu bewirken, daß etwas demjenigen ähnlich sein könne, welches nicht selbst wieder ihm ähnlich ist?
Nein.
Muß also nicht ganz notwendigerweise auf diese Art das Ähnliche mit dem Ähnlichen an einem und demselben gemeinsamen Begriffe teil haben?
Jawohl.
Nun war aber doch wohl das, woran das Ähnliche teil haben muß, um eben ähnlich zu sein, eben nichts anderes als der Begriff selber?
Allerdings.
Allein nun ist es sonach ganz unmöglich, daß etwas dem Begriffe ähnlich sei und der Begriff einem etwas, denn sonst wird stets neben dem Begriffe noch wieder ein anderer Begriff zum Vorschein kommen und, wenn dieser irgend etwas ähnlich ist, abermals eine andere. [133 St.] Und so wird unaufhörlich immer wieder ein neuer Begriff hervortreten, wenn der Begriff demjenigen, was an ihr teil hat, ähnlich ist.
Du hast ganz recht.
Also auch nicht durch Ähnlichkeit nimmt alles andere an den Begriffen teil, sondern man muß nach einer anderen Art und Weise suchen, wie es an ihnen teilnimmt.
So scheint es.
Siehst du also, Sokrates, habe Parmenides gesagt, wie groß die Schwierigkeit ist, wenn jemand Begriffe als gesonderte an und für sich seiende Wesenheiten aufstellt?

ὁρᾷς οὖν, φάναι, ὦ Σώκρατες, ὅση ἡ ἀπορία ἐάν τις ὡς εἴδη ὄντα αὐτὰ καθ᾽ αὑτὰ διορίζηται;


unergründlich

Wisse denn, habe er fortgefahren, daß du, um es geradeheraus zu sagen, die ganze Schwierigkeit noch nicht einmal ahnst, die damit verbunden ist, wenn du jedesmal einen Begriff von den betreffenden Dingen absondern und als eine in sich geschlossene Einheit aufstellen willst.
Weil ich glaube, Sokrates, daß du und jeder andere, der einer jeden von ihnen ein an und für sich bestehendes Sein zuschreibt, zuvörderst dies zugeben muß, daß keine dieser Wesenheiten sich in und bei uns befinde.
Gewiß, denn wie könnte sonst jede an und für sich sein? habe Sokrates geantwortet.
Wohl gesprochen! habe hierauf jener bemerkt. Ferner aber haben auch diejenigen Begriffe, die nur in Wechselbeziehung auf einander dasjenige sind, was sie sind, dieses ihr Wesen lediglich unter sich, und nicht in Beziehung auf diese Abbilder hier bei uns oder wofür man sie sonst erklären will, von demjenigen, welches, je nach dem Anteile, den wir an ihm haben, uns unsere jedesmaligen Benennungen verleiht, und ebenso stehen diese ihnen gleichnamigen Gegenstände hier bei uns lediglich in Beziehung unter sich und nicht auf die Begriffe, und gehören einander und nicht Jenen an, die ihrerseits auch mit ihnen den gleichen Namen führen.

Wie meinst du das? habe Sokrates gefragt.

Wenn z.B., habe Parmenides geantwortet, hier unter uns jemand der Herr oder der Sklave eines andern ist, so ist er doch wohl nicht der Sklave des Herrn an sich, der das wahrhafte Wesen alles Herrentums in sich faßt, noch der Herr des Sklaven an sich, der das wahre Wesen des Sklaventums in sich schließt, sondern beides, Herr wie Sklave, ist er als Mensch in bezug auf einen anderen Menschen; und ebenso ist andererseits das Herrentum an sich dasjenige, was es ist, in Beziehung auf das Sklaventum an sich, und desgleichen das Sklaventum ist Sklaventum am sich in Rücksicht auf das Herrentum an sich, und nicht üben die hier bei uns bestehenden Verhältnisse in Beziehung auf die unter den Begriffen bestehenden noch die letzteren in Beziehung auf die ersteren ihre Wirksamkeit aus, sondern, wie gesagt, [134 St.] die Begriffe sind rein an und für sich und stehen nur unter sich in Verhältnis, und hier mit den Dingen bei uns geht es ebenso. Oder verstehst du nicht, was ich meine?

Jawohl, habe Sokrates erwidert, ich verstehe es durchaus.
Wird demnach, habe Parmenides fortgefahren, nicht die Erkenntnis an sich, die das wahre Wesen alles Erkennens in sich faßt, Erkenntnis derjenigen Wahrheit und Wirklichkeit, die eigentlich so zu heißen verdient, der Wahrheit und Wirklichkeit an sich sein?
Allerdings.
Und jede Sondererkenntnis, die wahrhaft so zu heißen verdient, wird demnach Erkenntnis eines besonderen von den wahrhaft wirklichen Gegenständen sein, nicht wahr?
Ja.
Unsere menschliche Erkenntnis aber, muß sich die nicht hiernach lediglich auf diese unsere Wahrheit und Wirklichkeit beziehen und ferner jede unserer Sondererkenntnisse lediglich, die Erkenntnis von irgend einem besonderen unter den Dingen unserer Welt sein?
Notwendigerweise.
Nun aber gehörten doch die Begriffe selbst, wie du zugegeben hast, nicht zu unsern Besitztümern, und es ist unmöglich, daß sie sich hier bei uns und unter den Dingen unserer Welt befinden.
So ist es.
Erkannt aber werden von dem an sich seienden Begriffe der Erkenntnis alle die an sich seienden Gattungen des Seins jede nach ihrer Besonderheit?
Ja.
Diesen Begriff aber besitzen wir nicht.
Nein.
Folglich wird von uns keiner der Begriffe erkannt, eben weil die Erkenntnis an sich uns nicht zuteil geworden ist.
So scheint es.
Unerkennbar also ist uns das wahre Wesen des Schönen an sich und des Guten und überhaupt alles dasjenige, was wir als an sich seiende Begriffe annehmen.
So scheint es.

o Gott

Und nun erwäge auch folgendes, was noch schlimmer ist!

Nun?

Wirst du behaupten oder nicht, wenn anders es einen rein an sich seienden Begriff der Erkenntnis gibt, daß dieser viel genauer als unsere Erkenntnis ist, und wird nicht jene Art von Schönheit weit vollkommener sein als die, welche sich unter uns findet, und wird es nicht mit allem anderen ebenso stehen?
Ja.
Wirst du also nicht, wofern überhaupt irgend etwas der Erkenntnis an sich teilhaftig ist, niemandem sonst als Gott selber diese allergenaueste und allervollkommenste Erkenntnis zuschreiben?
Notwendigerweise.
Wird nun aber andererseits Gott vermögen, die Dinge hier bei uns zu erkennen, wenn er die Erkenntnis an sich besitzt?
Warum denn nicht?
Weil, habe Parmenides versetzt, wir dahin übereingekommen sind, lieber Sokrates, daß weder die Begriffe in Beziehung auf die Dinge hier bei uns die ihnen eigentümliche Wirksamkeit ausüben, noch die letzteren in Beziehung auf jene, sondern jeder von beiden Teilen lediglich unter sich.
Ja freilich, das sind wir übereingekommen.
Wenn also bei Gott die an sich seiende allervollkommenste Herrschaft und die an sich seiende allervollkommenste Erkenntnis ist, so wird weder diese lediglich über jene Wesenheiten sich erstreckende Herrschaft jemals uns beherrschen können, noch diese Erkenntnis uns erkennen oder irgend ein anderes von den Dingen unserer Welt, sondern in gleicher Weise wie wir vermöge der Herrschaft hier bei uns jene nicht zu beherrschen und von dem Göttlichen nichts mit unserer Erkenntnis zu erkennen vermögen, sind andererseits jene aus dem gleichen Grunde auch nicht Herrn über uns, und als Götter vermögen sie nichts von den menschlichen Dingen und Angelegenheiten zu erkennen.
Aber, habe Sokrates bemerkt, das wäre doch wohl eine gar zu wunderliche Behauptung, wenn man die Gottheit des Wissens berauben wollte.
[135 St.] Gleichwohl, Sokrates, habe Parmenides entgegnet, muß dies und dazu noch gar vieles andere notwendig von den Begriffen gelten, wenn solche Begriffe der Dinge wirklich vorhanden sein sollen und man jede derselben als etwas für sich Bestehendes von den Dingen absondert, so daß jeder, der dies vernimmt, bedenklich und entweder dazu gebracht wird, zu bestreiten, daß es solche Wesenheiten gibt, oder aber doch anzunehmen, falls sie ja vorhanden wären, daß sie doch ganz notwendig für die menschliche Natur unerkennbar sein würden, und damit wirklich etwas vorbringt, was Erwägung verdient und, wie vorhin bemerkt, ganz gewaltig schwer zu widerlegen ist, so daß es eines gar hoch begabten Mannes dazu bedarf, um es sich begreiflich machen zu lassen, wie es wirklich einen Begriff von jeglichem geben könne und eine an und für sich bestehende Wesenheit, und eines noch bewundernswerteren Mannes, um dies selber auffinden und einem andern in gehöriger Auseinandersetzung alles, was dahin gehört, begreiflich machen zu können.
Ich stimme dir bei, Parmenides, habe da Sokrates gesagt, du sprichst ganz nach meinem Sinne.
Aber dennoch, habe Parmenides fortgefahren, wenn man andererseits wiederum keine Begriffe der Dinge zulassen will, in Berücksichtigung aller der eben gegen diese Annahme erhobenen und noch vieler anderer ähnlichen Schwierigkeiten, und nicht für jedes Besondere auch einen besonderen Begriff festsetzen will, so wird man keinen Gegenstand mehr haben, auf den man sein Nachdenken richten kann, indem man ja damit für eine jedes besondere Seiende das gemeinsame, immer gleich bleibende aufhebt. Und so wird man denn auf diese Weise alles Vermögen zu wissenschaftlicher Untersuchung vollständig zerstören. Und so etwas ähnliches scheint auch dir bei ihrer Annahme hauptsächlich vorgeschwebt zu haben.
Da hast recht, habe Sokrates erwidert.