Benutzer:Pieva/WS10-Cypl-03-22 10 10: Unterschied zwischen den Versionen

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(Trompe-l'oeil: Manipulation der menschlichen Sinnesfähigkeiten)
(Verständnis von Cyberplatonismus)
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Was ich aber kommentieren möchte, ist etwas, das als Kommentar und Erläuterung zum Michael Heim-Text, den ich Ihnen letztes Mal vorgestellt habe, geschrieben worden ist. Das passt sehr gut in den Duktus dessen, was ich sagen wollte, obwohl ich es mir in den Konsequenzen etwas aufgespart habe. Der Kommentar beginnt mit einem Zitat von Michael Heim, welches von mir gewählt wurde, um genau die Relevanz für diese Lehrveranstaltung deutlich zu machen. Der Kommentar ist sehr Slogan-artig – „Cyberspace is platonism as a working product“ – also geradewegs die Verbindung zwischen dem, was wir mit Cyberspace und Platonismus assoziieren. Nun stellen sich natürlich die Fragen: Was sind diese Assoziationen, wie können wir damit arbeiten und wie können wir das philosophisch auswickeln? Ich habe Ihnen in den letzten beiden Stunden ein paar Materialien dafür angeboten, wie Platonismus in diese Beschreibung hineinkommt, wie man auf die Idee kommen kann, dass es sich um eine sozusagen altehrwürdige philosophische Richtung handelt, die an dieser Stelle in der Verteilung zwischen Körper und Geist, zwischen Fähigkeiten des Menschen, die auf Wahrnehmung, Vernunft und Entwicklung angelegt sind, und auf der anderen Seite, diese Fähigkeiten, die in Körperlichkeit verwickelt sind, eine Rolle spielt. Was noch nicht so deutlich geworden ist, ist, was man sich unter „Cyberplatonismus“ vorstellen sollte. Hier gibt Michael Heim eine standardmäßige Beschreibung, wie das in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die Diskussion hineingeraten ist. Das sind die berühmten Datenhandschuhe, Kopfaufsätze und Brillen, auf die etwas projiziert wird, was die Personen in eine andere Sinnesmodalität hinüberführt, also eine maschinelle Konstruktion, die davon ausgeht, dass der Cybernaut – die Versuchsperson, wenn Sie so wollen – in seinem Körper einigermaßen fixiert ist. Weil wenn diese Person zu diesem Zeitpunkt etwas nervös ist und aufgeregt im Raum hin und her marschiert, dann reisst sie die Kabel durch (Funksignale waren an der Stelle noch nicht so praktikabel). Das heißt, es muss eine einigermaßen Ruhigstellung des Körpers der Person stattfinden. Wenn diese Person etwa Durchfall haben sollte, dann wird die Cyberspace-Effekt-Welt nicht so wirken. Ich sage Ihnen das nur als markanten Hinweis darauf, dass der Körper an dieser Stelle einigermaßen ruhig gestellt werden muss, um einen anderen Effekt möglich zu machen und zu verstärken – und das ist der Effekt der Wahrnehmung. Und zwar nicht einfach der gewöhnlichen Wahrnehmung, sondern einer „Enhanced Perception“, einer durch verschiedene Kunststücke, technische Instrumentarien angereicherten Wahrnehmung. Die ersten diesbezüglichen Instrumente waren eben Brillen und Handschuhe. Wie es hier eben sehr plastisch steht:
 
Was ich aber kommentieren möchte, ist etwas, das als Kommentar und Erläuterung zum Michael Heim-Text, den ich Ihnen letztes Mal vorgestellt habe, geschrieben worden ist. Das passt sehr gut in den Duktus dessen, was ich sagen wollte, obwohl ich es mir in den Konsequenzen etwas aufgespart habe. Der Kommentar beginnt mit einem Zitat von Michael Heim, welches von mir gewählt wurde, um genau die Relevanz für diese Lehrveranstaltung deutlich zu machen. Der Kommentar ist sehr Slogan-artig – „Cyberspace is platonism as a working product“ – also geradewegs die Verbindung zwischen dem, was wir mit Cyberspace und Platonismus assoziieren. Nun stellen sich natürlich die Fragen: Was sind diese Assoziationen, wie können wir damit arbeiten und wie können wir das philosophisch auswickeln? Ich habe Ihnen in den letzten beiden Stunden ein paar Materialien dafür angeboten, wie Platonismus in diese Beschreibung hineinkommt, wie man auf die Idee kommen kann, dass es sich um eine sozusagen altehrwürdige philosophische Richtung handelt, die an dieser Stelle in der Verteilung zwischen Körper und Geist, zwischen Fähigkeiten des Menschen, die auf Wahrnehmung, Vernunft und Entwicklung angelegt sind, und auf der anderen Seite, diese Fähigkeiten, die in Körperlichkeit verwickelt sind, eine Rolle spielt. Was noch nicht so deutlich geworden ist, ist, was man sich unter „Cyberplatonismus“ vorstellen sollte. Hier gibt Michael Heim eine standardmäßige Beschreibung, wie das in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die Diskussion hineingeraten ist. Das sind die berühmten Datenhandschuhe, Kopfaufsätze und Brillen, auf die etwas projiziert wird, was die Personen in eine andere Sinnesmodalität hinüberführt, also eine maschinelle Konstruktion, die davon ausgeht, dass der Cybernaut – die Versuchsperson, wenn Sie so wollen – in seinem Körper einigermaßen fixiert ist. Weil wenn diese Person zu diesem Zeitpunkt etwas nervös ist und aufgeregt im Raum hin und her marschiert, dann reisst sie die Kabel durch (Funksignale waren an der Stelle noch nicht so praktikabel). Das heißt, es muss eine einigermaßen Ruhigstellung des Körpers der Person stattfinden. Wenn diese Person etwa Durchfall haben sollte, dann wird die Cyberspace-Effekt-Welt nicht so wirken. Ich sage Ihnen das nur als markanten Hinweis darauf, dass der Körper an dieser Stelle einigermaßen ruhig gestellt werden muss, um einen anderen Effekt möglich zu machen und zu verstärken – und das ist der Effekt der Wahrnehmung. Und zwar nicht einfach der gewöhnlichen Wahrnehmung, sondern einer „Enhanced Perception“, einer durch verschiedene Kunststücke, technische Instrumentarien angereicherten Wahrnehmung. Die ersten diesbezüglichen Instrumente waren eben Brillen und Handschuhe. Wie es hier eben sehr plastisch steht:
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<i>Mithilfe technischer Hilfsmittel( Brillen, Handschuhe,…) wird man also in eine Welt von Vorstellungen hinein gesaugt, die von Daten induziert wurde. Eine Maschine greift in die Sinnesmechanismen eines Menschen ein, der dann Sinneswahrnehmungen hat, die keine normalen Sinneswahrnehmungen sind, da sie berechnet wurden.</i></p>
 
<i>Mithilfe technischer Hilfsmittel( Brillen, Handschuhe,…) wird man also in eine Welt von Vorstellungen hinein gesaugt, die von Daten induziert wurde. Eine Maschine greift in die Sinnesmechanismen eines Menschen ein, der dann Sinneswahrnehmungen hat, die keine normalen Sinneswahrnehmungen sind, da sie berechnet wurden.</i></p>
  
Ein Beispiel, auf welches Rebecca R. diesbezüglich hier hinweist. Ich habe den Link hier ergänzt (http://science.orf.at/stories/1629498/). Die Versuchsanordnung, Sie können es hier lesen, hat eine sehr greifbare Ausrichtung, nämlich herauszufinden, wie sich diese experimentellen und maschinellen Eingriffe in das Wahrnehmungsgeschehen, mit dem wir aufgewachsen sind,  auf unser Bewusstsein auswirken. Das hier ist schon eine relativ raffinierte Geschichte, die einfacheren Szenarien sind diejenigen, in denen ganz allgemein gesprochen im menschlichen Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen, im Bewusstsein Dinge und Wahrnehmungskonstellationen auftreten, von denen wir sagen, wenn wir uns die Sache anschauen: Das ist doch gar nicht da, das ist doch nicht eine bloße Halluzination, sondern das tritt in das Bewusstseinserleben der Person durch eine geeignete Manipulation des Wahrnehmungsvermögens ein. Um die Welt zu erkennen und mit ihr umgehen zu können, haben wir als erste und letzte Instanz nichts anderes als das Wahrnehmungsvermögen, in welchem nun plötzlich – und das ist das Faszinierende und Schockierende gleichzeitig – Momente auftreten, die wir, so wie wir die Sache kennen, auf gezielte Manipulation unseres Wahrnehmungsvermögens zurückführen können. Nun ist es so, dass wir nicht gänzlich neu in dieser Situation sind, wenn Sie ein, zwei Pillen oder ein paar Gläser einer bestimmten Flüssigkeit zu sich nehmen, dann treten in Ihrem „Wahrnehmungsvermögen“ eine Reihe von Effekten auf, die Sie, wenn Sie wieder nüchtern sind oder mit jemandem reden, der die Sache von außen sieht, als „das hat es doch gar nicht gegeben und trotzdem habe ich geglaubt, ich sehe es“ qualifizieren müssen. Das sind Phänomene, die ganz vor dem Cyberspace liegen und etwas damit zu tun haben, dass menschliche Wesen mit Bewusstsein in der Welt auf eine ganz bestimmte Art und Weise ausgestattet sind. Davon möchte ich Ihnen jetzt ein bisschen erzählen, sowohl im Anschluss an diese Bemerkung und dann auch in der nächsten Sequenz über Spiegel und Virtualität.  
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Ein Beispiel, auf welches Rebecca R. diesbezüglich hier hinweist. Ich habe den Link hier ergänzt (http://science.orf.at/stories/1629498/). Die Versuchsanordnung, Sie können es hier lesen, hat eine sehr greifbare Ausrichtung, nämlich herauszufinden, wie sich diese experimentellen und maschinellen Eingriffe in das Wahrnehmungsgeschehen, mit dem wir aufgewachsen sind,  auf unser Bewusstsein auswirken. Das hier ist schon eine relativ raffinierte Geschichte, die einfacheren Szenarien sind diejenigen, in denen ganz allgemein gesprochen im menschlichen Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen, im Bewusstsein Dinge und Wahrnehmungskonstellationen auftreten, von denen wir sagen, wenn wir uns die Sache anschauen: Das ist doch gar nicht da, das ist doch nicht eine bloße Halluzination, sondern das tritt in das Bewusstseinserleben der Person durch eine geeignete Manipulation des Wahrnehmungsvermögens ein. Um die Welt zu erkennen und mit ihr umgehen zu können, haben wir als erste und letzte Instanz nichts anderes als das Wahrnehmungsvermögen, in welchem nun plötzlich – und das ist das Faszinierende und Schockierende gleichzeitig – Momente auftreten, die wir, so wie wir die Sache kennen, auf gezielte Manipulation unseres Wahrnehmungsvermögens zurückführen können. Nun ist es so, dass wir nicht gänzlich neu in dieser Situation sind, wenn Sie ein, zwei Pillen oder ein paar Gläser einer bestimmten Flüssigkeit zu sich nehmen, dann treten in Ihrem „Wahrnehmungsvermögen“ eine Reihe von Effekten auf, die Sie, wenn Sie wieder nüchtern sind oder mit jemandem reden, der die Sache von außen sieht, als „das hat es doch gar nicht gegeben und trotzdem habe ich geglaubt, ich sehe es“ qualifizieren müssen. Das sind Phänomene, die ganz vor dem Cyberspace liegen und etwas damit zu tun haben, dass menschliche Wesen mit Bewusstsein in der Welt auf eine ganz bestimmte Art und Weise ausgestattet sind. Davon möchte ich Ihnen jetzt ein bisschen erzählen, sowohl im Anschluss an diese Bemerkung und dann auch in der nächsten Sequenz über Spiegel und Virtualität.
  
 
= Spiegel und Virtualität =
 
= Spiegel und Virtualität =

Version vom 6. Januar 2011, 01:48 Uhr

Einführung

Verständnis von Cyberplatonismus

Ich begrüße Sie. Letzthin hatte ich geglaubt, mit dem Bild, welches ich Ihnen projiziert habe, einen frischen Start setzen zu können, aber wie die Entwicklung in den Diskussionszusammenhängen geht, hat sich das jetzt wieder ein bisschen verschoben. Dies wegen einem Beitrag im Wiki, den ich aufgreifen möchte, weil er sich in der Logik unserer Überlegungen an dieser Stelle sehr anbietet, sozusagen ein bisschen vorgezogen über Dinge handelt, die sowieso schon vorgesehen waren. Ich möchte Sie auch darauf aufmerksam machen, dass es zusätzlich zu dem, was ich Ihnen hier noch ein bisschen kommentieren möchte, eine Diskussion über Programmiersprachen und die Rolle, die Platon und Wittgenstein in diesem Zusammenhang spielen, gibt. Sie können diese Diskussion hier weiterverfolgen, ich werde das jetzt aber nicht weiter kommentieren, weil ich später unter dem Titel „Programmiersprachen“ darauf zurückkomme.

Was ich aber kommentieren möchte, ist etwas, das als Kommentar und Erläuterung zum Michael Heim-Text, den ich Ihnen letztes Mal vorgestellt habe, geschrieben worden ist. Das passt sehr gut in den Duktus dessen, was ich sagen wollte, obwohl ich es mir in den Konsequenzen etwas aufgespart habe. Der Kommentar beginnt mit einem Zitat von Michael Heim, welches von mir gewählt wurde, um genau die Relevanz für diese Lehrveranstaltung deutlich zu machen. Der Kommentar ist sehr Slogan-artig – „Cyberspace is platonism as a working product“ – also geradewegs die Verbindung zwischen dem, was wir mit Cyberspace und Platonismus assoziieren. Nun stellen sich natürlich die Fragen: Was sind diese Assoziationen, wie können wir damit arbeiten und wie können wir das philosophisch auswickeln? Ich habe Ihnen in den letzten beiden Stunden ein paar Materialien dafür angeboten, wie Platonismus in diese Beschreibung hineinkommt, wie man auf die Idee kommen kann, dass es sich um eine sozusagen altehrwürdige philosophische Richtung handelt, die an dieser Stelle in der Verteilung zwischen Körper und Geist, zwischen Fähigkeiten des Menschen, die auf Wahrnehmung, Vernunft und Entwicklung angelegt sind, und auf der anderen Seite, diese Fähigkeiten, die in Körperlichkeit verwickelt sind, eine Rolle spielt. Was noch nicht so deutlich geworden ist, ist, was man sich unter „Cyberplatonismus“ vorstellen sollte. Hier gibt Michael Heim eine standardmäßige Beschreibung, wie das in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die Diskussion hineingeraten ist. Das sind die berühmten Datenhandschuhe, Kopfaufsätze und Brillen, auf die etwas projiziert wird, was die Personen in eine andere Sinnesmodalität hinüberführt, also eine maschinelle Konstruktion, die davon ausgeht, dass der Cybernaut – die Versuchsperson, wenn Sie so wollen – in seinem Körper einigermaßen fixiert ist. Weil wenn diese Person zu diesem Zeitpunkt etwas nervös ist und aufgeregt im Raum hin und her marschiert, dann reisst sie die Kabel durch (Funksignale waren an der Stelle noch nicht so praktikabel). Das heißt, es muss eine einigermaßen Ruhigstellung des Körpers der Person stattfinden. Wenn diese Person etwa Durchfall haben sollte, dann wird die Cyberspace-Effekt-Welt nicht so wirken. Ich sage Ihnen das nur als markanten Hinweis darauf, dass der Körper an dieser Stelle einigermaßen ruhig gestellt werden muss, um einen anderen Effekt möglich zu machen und zu verstärken – und das ist der Effekt der Wahrnehmung. Und zwar nicht einfach der gewöhnlichen Wahrnehmung, sondern einer „Enhanced Perception“, einer durch verschiedene Kunststücke, technische Instrumentarien angereicherten Wahrnehmung. Die ersten diesbezüglichen Instrumente waren eben Brillen und Handschuhe. Wie es hier eben sehr plastisch steht: Mithilfe technischer Hilfsmittel( Brillen, Handschuhe,…) wird man also in eine Welt von Vorstellungen hinein gesaugt, die von Daten induziert wurde. Eine Maschine greift in die Sinnesmechanismen eines Menschen ein, der dann Sinneswahrnehmungen hat, die keine normalen Sinneswahrnehmungen sind, da sie berechnet wurden.

Ein Beispiel, auf welches Rebecca R. diesbezüglich hier hinweist. Ich habe den Link hier ergänzt (http://science.orf.at/stories/1629498/). Die Versuchsanordnung, Sie können es hier lesen, hat eine sehr greifbare Ausrichtung, nämlich herauszufinden, wie sich diese experimentellen und maschinellen Eingriffe in das Wahrnehmungsgeschehen, mit dem wir aufgewachsen sind, auf unser Bewusstsein auswirken. Das hier ist schon eine relativ raffinierte Geschichte, die einfacheren Szenarien sind diejenigen, in denen ganz allgemein gesprochen im menschlichen Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen, im Bewusstsein Dinge und Wahrnehmungskonstellationen auftreten, von denen wir sagen, wenn wir uns die Sache anschauen: Das ist doch gar nicht da, das ist doch nicht eine bloße Halluzination, sondern das tritt in das Bewusstseinserleben der Person durch eine geeignete Manipulation des Wahrnehmungsvermögens ein. Um die Welt zu erkennen und mit ihr umgehen zu können, haben wir als erste und letzte Instanz nichts anderes als das Wahrnehmungsvermögen, in welchem nun plötzlich – und das ist das Faszinierende und Schockierende gleichzeitig – Momente auftreten, die wir, so wie wir die Sache kennen, auf gezielte Manipulation unseres Wahrnehmungsvermögens zurückführen können. Nun ist es so, dass wir nicht gänzlich neu in dieser Situation sind, wenn Sie ein, zwei Pillen oder ein paar Gläser einer bestimmten Flüssigkeit zu sich nehmen, dann treten in Ihrem „Wahrnehmungsvermögen“ eine Reihe von Effekten auf, die Sie, wenn Sie wieder nüchtern sind oder mit jemandem reden, der die Sache von außen sieht, als „das hat es doch gar nicht gegeben und trotzdem habe ich geglaubt, ich sehe es“ qualifizieren müssen. Das sind Phänomene, die ganz vor dem Cyberspace liegen und etwas damit zu tun haben, dass menschliche Wesen mit Bewusstsein in der Welt auf eine ganz bestimmte Art und Weise ausgestattet sind. Davon möchte ich Ihnen jetzt ein bisschen erzählen, sowohl im Anschluss an diese Bemerkung und dann auch in der nächsten Sequenz über Spiegel und Virtualität.

Spiegel und Virtualität

Begrifflichkeiten des Alltages und platonische Grundfiguren

Ich möchte dabei noch nicht voll in eine Diskussion darüber, was im sogenannten „Cyberspace“ passiert, hineingehen. Sondern, ich möchte mit begrifflichen Voraussetzungen, dem begrifflichen Instrumentarium dessen wir uns bedienen, um mit bestimmten, in der Welt auftretenden Erfahrungen, die zum Teil faszinierend und irritierend sind, beginnen. Es zeigt sich, dass, um mit solchen Erfahrungen umzugehen, es uns geradezu unausweichlich erscheint, eine gewisse platonische Typologie zu verwenden, um uns selbst darüber zu verständigen, was da passiert. Ich nenne also einen einfachen Ausdruck, den Sie alle kennen und den ich in diesem Zusammenhang verwenden will: „geistesabwesend" Der Grund warum ich so eine einfache Weise wähle, warum ich in dem speziellen Fall einen Ausdruck, unter dem Sie sich glaube ich alle etwas vorstellen können, verwende, und nicht ein platonisches Muster, besteht darin, dass ich darauf hinweisen möchte, dass in einem so harmlosen Ausdruck wie „geistesabwesend“ gehörig viel an theoretischer Investition drinsteckt. Denn, die erste Frage in dem Zusammenhang ist: „Geistesabwesend“, was ist das? Ist das etwas, wo der Geist abwesend sein kann? Eine Person kann abwesend sein, indem sie etwa hier verhindert ist oder indem sie gerade im Stau steckt und nicht rechtzeitig irgendwohin kommen kann. Aber was passiert eigentlich, wenn wir sagen: Du sitzt zwar hier, aber du bist ein bisschen geistesabwesend? Was passiert an dieser Stelle?
Wir nehmen ein Erlebnis, eine Beobachtung und bearbeiten diese Beobachtung auf der Grundlage von dem, wie wir normalerweise zum Beispiel mit Personen umgehen. Wenn es kalt ist, gehen wir mit Beobachtungen, die in dem Fall Sinneswahrnehmungen auf der Haut sind, automatisch um, indem wir uns in der Regel warm anziehen. Mit Personen gehen wir in der Regel so um, dass wir mit Folgendem rechnen: Wir rechnen damit, dass diese Person, wenn wir mit ihr reden, uns ansieht; es sei denn, sie will etwas demonstrieren oder Ähnliches. Und wir rechnen damit, dass wir, wenn wir dieser Person etwas sagen, eine Response dafür bekommen – auf diese Art und Weise funktioniert menschliche Gemeinschaft. Nun tritt in dieser funktionierenden, menschlichen Gemeinschaft ein Zustand ein, der so zu beschreiben ist, dass diese Person greifbar da, aber nicht ansprechbar ist. Sie ist nicht ansprechbar, aber sie ist auch nicht bewusstlos oder in Ohnmacht gefallen. Was passiert an der Stelle von ganz außen? Das ist eine wirklich eindringliche Frage, wenn man sich das vorstellt. Wie soll man beschreiben, was da passier? Die Person hört mich nicht. Das Trommelfell ist nicht geplatzt, ich spreche zu ihr und sie reagiert nicht. Die Art und Weise, wie wir uns das zurecht gelegt haben, wie wir darauf im Alltag reagieren und dann natürlich auch verstärkt in der Philosophie, ist, zu sagen: Irgendetwas fehlt an dieser Person. Aber was fehlt? Der Körper ist es nicht. Es ist etwas anderes, die Aufmerksamkeit fehlt.

Was ist die "Aufmerksamkeit"? Die Aufmerksamkeit ist mit Sicherheit nicht irgendetwas, das neben der Person sitzt, wie die Nachbarin. Die Aufmerksamkeit ist etwas, das ich jetzt im Nachhinein, nachdem ich mir die Frage vorstelle „was ist denn da jetzt verschwunden?“, zurecht lege als einen Terminus für einen Komplex von Erfahrungen und Beobachtungen, nämlich den Komplex, der so beschrieben wird, dass man sagt: Die Person sitzt nicht nur da, sie vollzieht das, was in ihrer Umgebung ist mit. Und dieses Mitvollziehen ist einerseits etwas, wozu sie den Körper braucht. Zweitens aber reicht der Körper nicht aus. Da gibt es die Reaktionsmöglichkeit, die Auffassungsgabe, die Ansprechbarkeit der Person. All das das sind abstrakte Begriffe, die nicht in derselben Art und Weise funktionieren, wie die körperlichen Gegebenheiten. Ich könnte jetzt endlos Beispiele dafür bringen, dass man über Aufmerksamkeit nicht so reden kann wie über die Person, die aufmerksam ist. Was ich Ihnen aber nahebringen möchte, ist, wie selbstverständlich und nahtlos in unsere Erfahrungen das eingreift, dass wir sagen: Der Person fehlt etwas. Wir sagen z.B. dann – und das ist der nächste Punkt: Sie ist mit ihren Gedanke wo anders. Vermutlich haben Sie das schon einmal gehört, aber nicht dabei überlegt, dass das eine platonische Grundfigur ist. Wenn man dies wörtlich zu nehmen versucht und nicht einfach als Floskel nimmt, sondern als etwas, womit wir eine bestimmte Erfahrung zu artikulieren versuchen, diese Person ist mit ihren Gedanken wo anders, heißt, es gibt eine Qualität dieser Person, die wir als Gedanken beschreiben können. Als etwas, das in ihrem Bewusstsein produziert ist. Und diese Gedanken sind quasi auf Reisen gegangen, die sind im Moment nicht antreffbar. Das ist also ein anthropologischer Befund. Auf diesen anthropologischen Befund, den ich Ihnen jetzt vorgestellt und leicht platonisierend interpretiert habe, setzen jetzt weiter Beobachtungen und Experimente. Ich mache jetzt einen kleinen weiteren Schritt von dieser Alltagsbeobachtung zu etwas, wo es schon ein wenig deutlicher wird, wie das mit Sinneswahrnehmungen zusammenhängt und spreche über spreche über Trompe-l'oeil – also gezielte, in Bildern realisierte Täuschungen des menschlichen Sehvermögens.

Trompe-l'oeil: Manipulation der menschlichen Sinnesfähigkeiten

Was ich im ersten Absatz nicht erwähnt habe: Diese Geistesabwesenheit, dieses in-Anspruch-genommen-Sein von einem anderen Bereich, von diesem anderen, wohin die Person ihre Aufmerksamkeit lenkt, das können wir natürlich realisieren. Im Theater, im Film, in der Musik ist es zum Beispiel ein gerne verwendeter und ausgenützter Effekt, abzulenken. Also der ganz simple Trick: Wenn sich ein Kind irgendwo angeschlagen hat und körperlich darüber klagt und schmerzt, dass die Hand wehtut, wird diese Situation dadurch beantwortet, dass man das Kind ablenkt, ihm eine Geschichte erzählt und die Aufmerksamkeit von dem körperlichen Schmerz auf eine andere Geschichte shiftet, in der man von einem Schmerz abgelenkt wird. Das Ganze kann auch technisch verstärkt werden. Das ist jetzt sozusagen ein „Shiften“, ein Schieben der Aufmerksamkeit.
Worum es als nächstes geht, ist, dass man die Aufmerksamkeit nicht einfach ablenkt und verschiebt, sondern dass man die menschlichen Sinnesfähigkeiten aktiv gestaltet und aktiv in einer Form manipuliert. Die Sinne werden also aktiv manipuliert, um normabweichende Vorstellungswelten zu erzielen. Das heißt, der Sehsinn wird auf eine Art und Weise induziert. Wissend, welche Beschaffenheit der Sehsinn hat, gibt es in der Malerei bestimmte Techniken, die das, was wir sehen und wie wir das verarbeiten, auf eine Art und Weise herausfordern, unseren Sehsinn auf eine Art und Weise reizen, unsere körperlichen Fähigkeiten auf eine Art und Weise ansprechen, die sich unterscheidet von dem, wie sie normalerweise angesprochen werden, sodass wir andere Effekte haben. Die simpelste Geschichte ist, wenn Sie eine Brille aufsetzen. Wenn Sie eine Brille aufsetzen, manipulieren Sie Ihren Sehsinn auf eine Art und Weise, dass Sie möglicherweise Sachen sehen, die Sie sonst nicht gesehen haben. Die Frage „was ist jetzt wirklich?“ ist an dieser Stelle – ich komme nochmal darauf zurück – nicht günstig gestellt. Das ist eine Frage, die eher ablenkt von dem, was da stattfindet. Was stattfindet, ist, dass wir mithilfe unserer Sinne bestimmte, standardmäßige Verarbeitungen unseres Sinnesinputs haben, und dass wir in der Lage sind, unsere standardmäßigen Sinnesinputs modifizieren und experimentell verschalten zu können. Die Trompe-l'oeils sind ein besonders schönes Beispiel.
Sie kennen die Trompe-l'oeil-Effekte. Sie gehen in eine Kirche, Sie schauen auf die Decke, sehen dort eine Kuppel, die nicht dort ist. An der Stelle gibt es viele Beispiele; ich werde mir das jetzt sparen, dies in Youtube aufzurufen. Die Sache ist einfach die, dass der sinnliche Input auf eine Art und Weise gestaltet wird, der Ihnen, wie man sagt, vorspielt, dass die Welt auf eine Weise beschaffen ist, wie sie in einem zweiten Durchgang herausfinden, dass sie nicht ist. Die Erkenntnissituation an der Stelle ist relativ einfach: Es gibt Sinnestäuschungen ganz ohne Trompe-l'oeil-Effekte, wo Sie glauben, etwas da und dort zu sehen. Die simpelsten psychologischen Effekte, etwas zu sehen oder einen bestimmten Umstand auf eine Art und Weise zu sehen, der sich unter einer anderen Betrachtungsweise als inkorrekt erweist, sind die berühmten basisartigen Experimente. Zum Beispiel wenn zwei Linien, die Sie, wenn Sie sie mit dem Zentimetermaß abmessen, als gleich lang betrachten, Ihnen unterschiedlich erscheinen, je nachdem welche Ecken am jeweiligen Rand der Linien angebracht sind. Dies ist ein typischer Fall dafür, dass wir auf der einen Seite nicht anders können, als aufgrund der Beschaffenheit unseres Wahrnehmungsvermögens bestimmte, sinnliche Verarbeitungen zu leisten. Dass wir zweitens aber wohl anders könnten, aber nicht anders tun und wollen, als diese Art der Fixiertheit auf die Beschaffenheit unseres Wahrnehmungsvermögens auch zu konteragieren, auch dagegen zu arbeiten, indem wir Methoden anwenden, mit deren Hilfe wir quasi hinter die Funktionsweise unseres Wahrnehmungsvermögens kommen und eine zweite Betrachtungsweise wählen, die zu dem in einem Kontrast steht.

In Trompe-l'oeil ist es klar, wenn Sie auf einer Straße oder auf einem Gehsteig – das wäre bei diesen Beispielen sehr schön zu zeigen – einen offenen Kanalschacht sehen und instinktiv an diesem vorbeigehen. Oder jemand stößt Sie in den Kanalschacht, in das, was Sie glauben, dass ein Kanalschacht ist, und Sie stellen fest: Sie fallen da gar nicht runter, weil da kein Kanalschacht ist. Dann haben Sie eine solche Widersprüchlichkeit zwischen unterschiedlichen Verarbeitungsweisen Ihres sinnlichen Inputs. Das sind Situationen, die ich jetzt nicht wirklich neu ausdiskutieren muss. Warum ich Ihnen dies alles gesagt habe, ist aber nun – und erst an dieser Stelle sind wir im Bereich des Cyberspace und in einer Welt, in der wir sozusagen erst seit 20, 30 Jahren unsere Erfahrungen machen: Wir haben zwar allgemein die Kenntnis von Manipulation von sinnlicher Erfahrung durch gezielte Techniken, aber etwas, das wir, bevor die digitale Revolution stattgefunden hat nicht konnten, ist, dass wir diese Manipulation der sinnlichen Eindrücke in Echtzeit an die Wahrnehmung selbst zurückkoppeln können. Also: Die Trompe-l'oeils sind eine Täuschung in der Art und Weise, wie ich sie Ihnen beschrieben habe, aber die Trompe-l'oeils sitzen dort, und lassen sich untersuchen. Wenn Sie sich einmal umdrehen und an der Stelle mit den gewöhnlichen Strategien reagieren, die wir haben, das Bild verschieben oder so etwas, dann ist ein Trompe-l-oeil quasi hilflos. Das funktioniert in einer bestimmten Beleuchtung unter bestimmten Umständen, ist aber gegen die Bewegung und die Auffassungsgabe des menschlichen Normalsubjektes einigermaßen passiv.
Das ist zum Beispiel die berühmte Fliege, die ein griechischer Maler, der besonders fotorealistisch und perfekt gemalt hat, auf ein Bild gemalt hat. Dies ist so realistisch gewesen, dass jemand, der das Bild gesehen hat, die Fliege wegscheuchen wollte und erst dann darauf gekommen ist, dass die Fliege nicht wegfliegt. Das ist ein typisches Trompe-l'oeil. Und jetzt stellen Sie sich vor: Die Fliege fliegt weg, aber es ist keine Fliege – das ist der neue Effekt, der prinzipiell im Cyberspace möglich ist.

Was steckt hinter dem, was ich so kurz gesagt habe? Dahinter steckt das, was unsere Wahrnehmungsfähigkeit so anspricht, dass wir in unserer Erkenntnis der Welt, wie wir sie normalerweise kennen – wir kennen Fliegen, wie sie sich verhalten, wie sie uns ärgern und so – das als Fliege auffassen. Und wir können normalerweise aus der Entwicklungsgeschichte her zwischen einer Fliege, die da herumfliegt, und einer Darstellung einer Fliege, die auf einem Bild drauf sitzt und zwar genauso aussieht, wie eine Fliege, unterscheiden. Jetzt können wir die Darstellung einer Fliege so mit der menschlichen Fähigkeit, Datenmaterial, Sinnesmaterial aufzufassen und zu verarbeiten, als Fliege so zurückkoppeln, dass die Darstellung der Fliege nicht nur einfach von uns als Darstellung einer Fliege wahrgenommen wird, sondern dass das, was wir tun, wenn wir das Ding als Fliege interpretieren, zurückgespeist wird und zurückgerechnet wird in diese Darstellung und die Darstellung sich danach richtet, was wir mit der Darstellung machen. Dies ist ein klassischer, kybernetischer Regelkreis, der nicht mit Fliegen, sondern erstmals mit Geschossen ausprobiert worden ist. Im klassischen Cyberplatonismus sollte ich auch ein bisschen auf Kybernetik eingehen; Claus Pias, der darüber Bücher herausgegeben hat und der Experte ist, ist uns leider verloren gegangen.

Kybernetik, Rückkoppelung, Interaktivität

Ich sage Ihnen mal das Stichwort "Kybernetik". Kybernetik ist wesentlich entstanden in einem militärischen Kontext, der dadurch geprägt war, dass man, um feindliche Geschosse aufzufangen, nicht einfach mehr damit das Auslangen gefunden hat, dass man sagt: Ok, da gibt es ein feindliches Geschoss. Dieses feindliche Geschoss läuft nach einer bestimmten Flugbahn, läuft quasi mathematisch errechenbar in einer Kurve. Wenn ich jetzt, sei es per Hand oder mechanisch, eine zweite mathematische Kurve berechne und versuche, mit der von mir errechneten Kurve diese erste mathematische Kurve zu schneiden, sprich das Geschoss und das Flugobjekt zu treffen, dann habe ich quasi die experimentelle Situation, dass ich versuche, Kurven mit unabhängig voneinander erstellten und errechneten Kurven zum Schneiden zu bringen. Das kann ganz schön erfolgreich und effektvoll sein. Aber, die Schwierigkeit damit ist die: Was machen wir, wenn sich dieses unbekannte Flugobjekt ein bisschen unberechenbar verhält und dieses Flugobjekt zum Beispiel nicht nur einfach die eine Kurve, die es durch die Gravitationsgesetze kriegt, eingebaut hat, sondern einen kleinen Antrieb, dass es seine Flugrichtung oder Fluggeschwindigkeit ändert? Dann bin ich mit meinen Versuchen hilflos, das auch überhaupt nur quasi in meinem Fokus zu halten. Und von daher ist Folgendes in diesem Aggressions- und Verteidigungszusammenhang notwendig gewesen und war eine wichtige Erkenntnis: das Rückkoppeln der Information über das unbekannte Flugobjekt auf die Maschinen, die das unbekannte Flugobjekt im Visier haben, sodass man adaptieren kann, was die Informationen von diesem Objekt sind – also diese Rückkoppelungsschleifen.
An vieler Stelle ist das dann, ausgehend von diesen kybernetischen Grunderfahrungen, auch in den menschlichen Sozialbeziehungen aufgegriffen worden. Das hat man immer schon gekannt, hat aber nicht „Rückkoppelung“ geheißen. Ein klassischer Fall von Rückkoppelung, der bis zur gegenseitigen Lähmung stattfinden kann, ist, wenn Sie auf dem Gehsteig einer Person entgegenkommen und sie Ihnen rechts ausweichen will und Sie auch rechts ausweichen. Das ist ein klassischer Rückkoppelungsvorgang, der an dieser Stelle falsch geht. Der positive Fall der Rückkoppelung ist, wenn Sie sehen, dass diese Person nach rechts abbiegt und sie biegen nach links ab. Das ist Ihre Rückkoppelung an das, was Sie sehen, was diese Person in ihrem weiteren Pfad vorhat. Auf diese Art und Weise sind die meisten emotionalen und auch kognitiven Aktionen zwischen Menschen am Gehsteig durch dieses „Ich sehe, dass Du mich siehst“ gekennzeichnet und durch die Phänomene, die sich damit anschließen. Das will ich nur in Klammern sagen.

Das zweite Schlagwort, das da reinkommt, ist die "Interaktivität", die da schon drin war, in dem, was ich jetzt beschrieben habe. Indem, dass die vorgemachte Fliege, wenn ich sie verscheuchen will, weil meine Handbewegung vom kybernetischen Apparat als ein die-Fliege-verscheuchen-Wollen interpretiert wird, dazu führt, dass diese Darstellung der Fliege auffliegt und woanders hinkommt, das enthält ja auch das Moment der Interaktivität. Die Interaktivität, die darin auf eine ganz simple Art und Weise besteht, dass reale, körperliche Bewegungen zu einer Interventionsmöglichkeit werden – in einer Welt, die jetzt nicht einfach Bildwelt ist, nicht die Ölbildwelt, die ich habe, wenn ich ein klassisches Ölbild habe, sondern was passiert, wenn in dieser Darstellung eine Fliege auf die Art und Weise zurückgekoppelt ist. Ich kann mit meinem realen Körper in dieser Darstellung etwas bewirken; das will ich mal jetzt so dastehen lassen. Interessant ist natürlich die Frage: Wer erlaubt mir das? Aufgrund welcher Basis kann ich da etwas bewirken? Die Schnittstelle zwischen einer Welt, in der so etwas möglich ist, und einer Welt zum Beispiel eines klassischen Bildes, ist aber ziemlich klar. Wenn Sie im Museum vor einem klassischen Bild stehen, können Sie sich in dieses Bild in Ihrer Vorstellung hinein bewegen. Das Bild kann genau diese Funktion haben, dass es Ihre Aufmerksamkeit erweckt, wie das auch ein Roman oder ein Film haben kann. Sie sind dorthin weggetragen, Sie lassen sich auf das Spiel, das Ihnen das Bild offeriert, ein. Aber indem Sie sich dort einlassen, so wie Sie sich einlassen, ist das eine Sache der Phantasie, der Vorstellungsgabe. Sie nehmen diese Momente auf und spielen mit ihnen weiter. Wenn Sie mit dem Finger an dem Bild ankommen, weil Sie diese Bäuerin in dem Brueghel-Bild an eine andere Stelle schieben wollen, dann wird der Museumswärter kommen und sagen „lassen's das in Ruh!“. Das ist sozusagen eine Schnittstelle, eine Form von Schnittstelle – nicht wirklich eine Schnittstelle – sondern Schnittstelle in diesem Sinn, in dem ich jetzt unterwegs bin, ist diese Schnittstelle, in der Sie, wenn Sie mit dem Finger an der Stelle die Darstellung verschieben, tatsächlich in der Darstellung etwas bewirken.

Zwischenmeldung von einem Studenten: Es gibt doch diese Bilder, die vortäuschen, dass mir eine Person, wenn ich an dem Bild vorbeigehe, nachsieht.

Sie meinen jetzt: In der Mitte des Ganges ist ein Bild einer Person. Sie kommen den Gang entlang und die Person sieht Sie an, Sie gehen an dem Bild vorbei, schauen zurück und sie sieht Sie noch immer an, so wie wenn sie Sie mit dem Blick verfolgen würde. Das ist ein Trompe-l'oeil, ein besonderes Beispiel von Trompe-l'oeil, das würde ich nicht anders bewerten, als wenn Sie auf der Straße gehen und glauben, es ist ein Kanalschacht offen. Es ist eine Vortäuschung. Der eine kleine Unterschied ist, dass Ihnen der Kanalschacht nicht nachsieht. Der Kanalschacht produziert bei Ihnen eine Täuschung. Dass Sie sagen „das ist eine Täuschung“ kommt schon dadurch, dass Sie auf zwei verschiedenen Ebene operieren und diese Täuschung ist an der Stelle vom Kanalschacht einfach damit verbunden, dass der sozusagen wie eine Grube aussieht. Die besondere Pointe von der Person ist, dass sie kein Kanalschacht ist, sondern etwas, wo Sie noch mehr dazu machen können. Beim Kanalschacht haben Sie nicht die Tendenz zu sagen „dieses Pflasterstück hat mich getäuscht“. Das Pflasterstück hat mich getäuscht, indem es aussieht, als wäre es ein Kanalschacht, weil Pflasterstücke täuschen einen normalerweise nicht, aber Personen schon. Und wenn Sie jetzt eine Darstellung von etwas haben, das wie eine Person aussieht, und diese Darstellung einer Person ist so konstruiert, dass Sie auf bestimmte Effekte reinfallen, dann legt sich quasi als nächster Schritt nahe, zu sagen „ich bin jetzt nicht vom Sinneseindruck getäuscht worden, sondern davon, dass diese Person mir nachschaut.“ Das ist sozusagen eine zweite Interpretationsebene, die wir in diesem Fall noch drüberlegen. Das reicht jetzt glaube ich mal dazu.

Werbungs-Analyse

Wir gehen weiter. Ich habe in der letzten Sitzung mit einem liebenswerten Beispiel einer vollkommen veralteten Werbung geschlossen, die aber – weil die Symbolkunde, sozusagen das Unterwegs-Sein, die Analyse von Symbolgehalten wie Menschen sich Zusammenhänge mit Hilfe von Bildern zurechtlegen – wertvoll und wirksam ist, ganz ohne dass das immer auf dem neuesten Stand sein muss:

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Das ist wie gesagt ein Laptop, der nicht mehr auf dem neuesten Stand ist, den ich bei meinem Versuch verwende, ein bisschen buchstabierend über einige Phänomene zu reden, die notwendig sind, damit wir das weiter aufarbeiten, was ich Ihnen jetzt alles über Momente des Cyberspace dargestellt habe. Sie sehen hier, worüber ich reden möchte Spiegel, virtuelle Haustiere und Durchbrüche.
Was fasziniert mich an dem hier? Ich habe Ihnen übrigens den Link auf den ursprünglichen Artikel zu Verfügung gestellt. Was ich Ihnen hier bringe, sind Ausschnitte von etwas, das ich vor fast schon 15 Jahren geschrieben habe. Was mir daran prima vista ins Auge fällt ist der Kontrast zwischen der alten Buchwelt. Diese Bibliotheksexemplare, die da aufgeführt werden, die alle dazu – so gehört das natürlich in eine Werbung – respektable Werke sind, Hawthorne ist da dabei, Shakespeare und Goethe kommen da drinnen vor. Das ist also die Welt der klassischen Literatur, die Welt der Bildung, die Welt des Abendlandes. Und dann haben wir da etwas, was im Gebrauch von heute „Notebook“ heißt. „Notebook“ ist ja an dieser Stelle sehr markant und ist von den Dimensionen her, ähnlich wie die Bücher hier, es scheint sich mit den Büchern in einer freundlichen Gemeinsamkeit zu befinden. Aber eine ganze Reihe von eingrenzenden, sehr wichtigen anderen Beobachtungen sind zu machen. Wenn ich schon beim Buch bin, das ist auch nur eine ästhetische Bemerkung: Besonders attraktiv für diese Analyse ist, dass der Text des Inserates, der quasi die Nutzanwendung und die positiven Effekte erzeugen soll, indem er z.B. technische Details angibt, dass dieser Text in ein Buch eingeblendet ist. Ein Buch der komplett alten Art und Weise – also sie sehen die Notwendigkeit, die Möglichkeit, diese neuen Technologien durch Verweise auf klassisches Material anschlussfähig zu machen. Mittlerweile ist es ein bisschen anders. Wenn Sie damals bestimmte Textverarbeitungsprogramme angesehen haben und auch heute noch ansehen, ist es so, dass der Tintentiegel und die Feder, die darin steckt, auf eine faszinierende Art und Weise ein beliebtes Motiv für das Logo einer elektronischen Textverarbeitung ist. Das ist so ähnlich, wie dass Sensen, Dreschflegel und Wagenräder, die auf den Hauswänden in österreichischen Bundesländern zu sehen sind, als Bekenntnis zu der guten alten Welt, zu den Werten des bäuerlichen Familienlebens verwendet werden. Es gibt eine bestimmte Dynamik, ein Recyceln kultureller Symbole an der Stelle, an der Dreschflegel, Sensen und Wagenräder, nicht mehr gebraucht werden und von der einen Fraktion einfach zerstört werden. Da stehen diese wieder zur Aufladung durch Symbole zu Verfügung, die nun eine andere Symbolik ist, nicht mehr die Symbolik des Arbeitslebens der damaligen Leute, sondern die Symbolik der guten alten Zeit, die an der Stelle nicht mehr stattfindet. Also: Die Symbolik der guten alten Zeit sehen Sie hier an dieser Werbung auch. Ich sage Ihnen das deswegen, weil der Terminus „Cyberplatonismus“ alleine schon auch so etwas von der guten alten Zeit hat, die an der Stelle evoziert wird, um gänzlich neue Zusammenhänge deutlich zu machen. Hier ist eben auch diese gute alte Zeit. Und diese gute alte Zeit der Bücher befindet sich in einer besonderen Lage – und das ist jetzt das, was hier als erstes auffällt: In diesem Notebook gibt es einen Monitor und in diesen Monitor gibt es ein „Space“. Damals hat es eigentlich auch schon Apple gegeben, aber die haben Apple nicht unterstützt, AST hat offensichtlich PCs produziert und Windows 3.1. war noch nicht so gut, deswegen mussten sie dorthin ein Bild machen, nämlich ein Bild eines Globus mit einem sehr suggestiven Sonnenaufgang-Motiv, dass Ihnen an der Stelle eine Ganzheit suggeriert. Woran das am ehesten erinnert, ist die Encyclopedia Britannica, die auch diese Art von Globus hat. „Globus“ steht an der Stelle für „komprehensiv“, für „alles zusammen“, „alles in einem runden Kreis des Wissens“. Was hier suggeriert ist, ist nicht einfach das, was damals auch schon sehr deutlich war – nämlich dass alle die Schriften, alle die Bücher, die da stehen könnten, alles das, was da meterlang in den Bibliotheken als Kanon des klassischen Erbes steht, alles das, wenn du es digitalisierst, auf der Festplatte einfach Platz hat, genau umstandslos und nicht so schön wie diese verschmuddelten Buchrücken sind. Aber, der Inhalt ist da, auf der Festplatte. Das kommt nicht so gut rüber, für die Werbung. Was für die Werbung so gut rüberkommt, ist, dass man sagt: Es gibt dieses Ganze.

Das hier ist das Symbol für das Wissen, für das alles, was ein Computer digitalisiert erfassen kann, platziert in einem Monitor, der im Prinzip dazu da ist, Ihnen dieses ganze Wissen zu Verfügung zu stellen. Die Suggestion ist: Wenn Sie einen digitalen Text lesen, zum Beispiel ein Shakespeare-Drama, gehen Sie ein in eine neue Welt, in diese Cyberspace-Welt. Und das, was ich Ihnen vorher über Schnittstellen gesagt habe, das habe ich mit der Fliege dargestellt. Aber – und da komme ich jetzt zu dem, was ich schon vor 14 Tagen gesagt habe – in Wirklichkeit ist es heute unsere Realität in der Behandlung der Maus, diese Schnittstelle, die zwischen dem Computerbildschirm und mir als greifbare Persönlichkeit besteht, die es mir möglich macht, die Darstellung hier in bestimmter Art und Weise interaktiv zu manipulieren und zu verändern. Das ist ein mittlerweile völlig alltägliches Eintreten in eine Welt, in eine Darstellungswelt – ich enthalte mich jetzt mal der genaueren Beschreibung – der wir nachgehen wollen. Und das finde ich doch recht attraktiv an diesem Bild, wo man sieht: Da hat sich wirklich jemand viele Gedanken gemacht. Was man daran merkt, ist, dass es hier Brillen gibt.

Brillen

Ich habe Ihnen Brillen schon als ein erstes und einfaches Beispiel der Manipulation des Sehvermögens, um andere Effekte im Hinblick auf die Welt zu erzeugen, genannt. Die Besonderheit dieser Brillen ist es, dass es nicht Brillen sind, die auf die Welt gehen, sondern das Brillen, die einen Monitor zeigen, den es da gar nicht geben kann. In dieser Bildwelt gibt es keinen Monitor, der genauso steht, würde ich mal behaupten. Sie haben also drei Phänomene gleichzeitig, die da drinnen sind: 1.Die Brillen, die normalerweise die Durchsichtigkeit sind. Durchsichtigkeit auf die Welt, wenn auch eine Manipulation für und von dieser Durchsichtigkeit. 2.Sie haben die Spiegelfunktion, von der ich noch gar nicht geredet habe und die jetzt gleich kommt. 3.Und sie haben zur Spiegelfunktion die Monitorfunktion.
Bei den Brillen, von denen vorher die Rede war, haben Sie eine Cyberspacekonstruktion auf. Auf Ihren Brillen wird etwas eingespielt, eine Videoeinspielung, die Sie sozusagen in ein sichtbares Geschehen verhaftet und involvier , das jetzt über Brillen-Spiegel Videos in Ihre Bewusstseinsverarbeitung geht und die in Wirklichkeit dazu führen, dass das, was Sie glauben, das Brillen sind, ein Monitor ist, in dem sich etwas abspielt, was für Sie gerechnet wird. Das sind die Dinge, die hier schon angedeutet sind. So viel zur Werbungsanalyse.

Die Spiegelsituation

Damit bin ich auch schon bei der Spiegelsituation, in der Situation des Spiegels.Ich habe Ihnen zur Illustration zwei Fotos hier rein gestellt, die deutlich machen können, worum es hier geht und was die wichtigsten Punkte sind. Worum es mir geht, werden sie selbst relativ leicht sehen.

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Fenster

Das ist ein Fenster. Wodurch sind Fenster gekennzeichnet? Fenster haben den wesentlichen Charakter, dass sie einen Rahmen besitzen. Das ist an der Stelle ein wirklich wesentlicher Charakter, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas anderes, als das, was ich Ihnen jetzt sage, überhaupt ein Fenster sein kann – ein schönes Beispiel für Wesen. Fenster sind eine Aussparung einer Wand, wir haben die Möglichkeit, durchzublicken. Fenster geben einen Durchblick, sind etwas, das frei und nicht blockiert ist. Um diesen Durchblick zu gewähren, brauchen Sie etwas, das in der Regel den Durchblick verwehrt – Sie brauchen eine Wand. Fenster sind aus irgendeiner Gegebenheit ausgeschnitten und das wichtige, was sich damit verbindet, ist, dass Fenster Ihnen eine Freiheit geben, neue Informationen geben, aber mit Grenzen! Fenster haben notwendig Grenzen. Wenn Sie in die Landschaft gehen und einen Spaziergang im Wienerwald machen, dann haben Sie keine Fenster dort, Sie können sich also überall hin bewegen. Das ist nicht die Erfahrung des Fensters, denn die Erfahrung des Fensters ist vom Begriff her wesentlich die: Du kriegst schon was zu sehen, du hast einen Zugang dazu, aber dieser Zugang geht nach den Bedingungen dessen, was das Fenster definiert, nach dem Fensterrahmen. Das heißt, das hier ist immer, sobald du es durch ein Fenster siehst, ein Landschaftsausschnitt. Und das ist deswegen wichtig, weil man an der Stelle aus der normalen Alltagserfahrung mitbekommt, dass es Situationen gibt, in denen man sich daran gewöhnt und akzeptiert, dass das eigene Wahrnehmungsvermögen bestimmte Grenzen hat.
Es ist einfach so: Solange ich in diesem Raum sitze und dieses wunderschöne Abendessen konsumiere, das hier angedeutet ist (im Bild oben, Anm. d. Autorin), habe ich mich auch bereit erklärt, nicht sehen zu können und zu wollen, was da rechts hinten auf der anderen Seite ist. Ich sehe es nicht. Das Fenster ist definiert als die Zumutung, das, und nur das, zu sehen. Das ist sozusagen eine Zumutung an eine Chance. Sie kennen das alle beim Fotografieren: Sie können eine 360 Grad-Aufnahme machen, dann haben sie alles, dann haben Sie in dem Sinn eine gewisse Freizügigkeit von all dem, was Sie sehen konnten, wenn Sie sich einmal um Ihre eigene Achse umgedreht haben. Aber was dabei verloren geht, ist die Auswahlsituation, die Wahl, die Kontrolle, die in einem Foto mindestens genauso interessant ist, nämlich, dass man einer Person sagt: Ich habe diesen Ausschnitt der Welt gemacht, auf diesen Ausschnitt möchte ich dich hinweisen, den kontrolliere ich. Das ist etwas, das man sieht, das ist ein Ausschnitt, den ich kontrollieren kann und den ich genauso arrangiere, dass du das siehst und dass du in dem, was ich dir zeige, das siehst, auf was du deine entsprechenden Aufmerksamkeiten hinlenkst.

Ich sage Ihnen das deswegen in dieser Ausführlichkeit, weil die Manipulierbarkeit des Sehinputs durch jemanden, der Ihnen die Seh-Angebote macht, durch diese Rahmensituation entsteht. Kurz und ein bisschen vorweg-blickend gesagt: Eine wichtige Fragestellung im Cyberspace ist: Ist es nicht so, dass Cyberspace-Effekte immer nur in einem gewissen Sinn in Fenstern vorkommen, obwohl man diese Fenster vielleicht gar nicht bemerkt? Die Situation von der Fliege, die ich Ihnen dargestellt habe, und auch die Situation von dem Gang, von dem wir geredet haben, vom Trompe-l'oeil, ist dadurch gekennzeichnet, dass die Person, die diesen Erfahrungen, Täuschungen, Erweiterungen ausgesetzt ist, gleichzeitig bereit sein muss, bestimmte Bedingungen anzuerkennen, in denen ihre Wahrnehmung auf geeignete Weise manipuliert werden kann. Der Feedback-Mechanismus, den ich beschrieben habe, ist kein natürlicher Feedback-Mechanismus, sondern ein zusätzlich implementierter Feedback-Mechanismus, in den hinein man sich begeben muss, damit das Ding funktioniert. Die Grenze dieser Beobachtung, auf die ich auch hinsteuere – ich denke das nächste oder übernächste Mal werde ich länger darauf zu sprechen kommen – ist das Stichwort „die Matrix“. Ich werde mich dann auch länger mit diesem Film beschäftigen. In diesem Film ist die Problemstellung die, dass die Kontrolle, das Bewusstsein darüber verloren gegangen ist, dass wir in so einem begrenzten Zusammenhang drinnen sind. Wir unterliegen ständig diesen Feedback-Mechanismen, wissen aber gar nicht mehr, dass wir in einer Situation sind, in der wir in Wirklichkeit nur mehr in diesen Feedback mit hinein verschaltet sind. Das ist verloren gegangen. Das, was ich bei der Fliege auf simple Art und Weise dargestellt habe als etwas, wo man in die eine oder andere Situation switchen kann, ist in dem Gedankenexperiment und im Film der Matrix verschwunden und ich bin ganz Teil in diesem Feedback.

Die Virtualität der Spiegelwelt

Also das ist der gerahmte Durchblick durch das Fenster und das hier gibt nun den nächsten interessanten Aspekt, wo der gerahmte Durchblick nicht ein Durchblick auf etwas ist, wo wir sagen: Da kann ich hinausgehen und teilnehmen an dem, was mir an der Stelle körperlich untersagt ist. Aber wenn ich die richtigen Schritte unternehme, aus dem Fenster steige oder so etwas, dann komme ich in eine Welt, die genau denselben Regeln entspricht, die genauso ist, wie die Welt dessen, der hier drinnen sitzt. Das ist die bekannte Virtualität der Spiegelwelt, dass Sie einen Rahmen haben, Sie auf diesen Rahmen schauen, von der Grundeinstellung her durchschauen – das ist ein Fenster, ja, deswegen finde ich es spaßig, das in dieser Stelle zu verwenden – Sie sehen, das ist ein Fenster und dieses Fenster ist etwas, wo ich durchschaue, weil Fenster haben in der Regel durchsichtige Glasscheiben. Und was passiert Ihnen? Sie sehen etwas, was dort, wo Sie es sehen, gar nicht ist. Sie sehen etwas, das hinter Ihnen ist und Sie müssen das überhaupt erst einmal verarbeiten. Als erwachsene Leute können wir das gut, das lernen wir und das hängt natürlich damit zusammen – das ist an der Stelle wichtig und interessant – dass die Welt so gebaut ist, dass bestimmte Materialien so interagieren; da braucht man keine Menschen dazu, dass Lichtstrahlen zurückgeworfen werden – und das ist überhaupt keine Zauberei, sondern Optik. Dass man da drinnen etwas sieht, dass man da in dem Fenster einen Turm oder ein Fenster sieht, dazu braucht man schon Menschen. Aber dass zum Beispiel ein Steinschlag ein Echo erzeugt oder sich in einem See ein Berg spiegelt, funktioniert ganz ohne Mensch (da kommen wir gleich dazu, eine Kollegin hat einen See mit Spiegelung zu Verfügung gestellt). Das Spiegeln wiederum geht auch nicht ohne Mensch, aber die physikalischen Vorgänge der Lichtbrechung finden an dieser Stelle ganz ohne den Menschen statt. Und das ist nun ein darum sehr bemerkenswertes Phänomen, weil wir etwas haben, das so wie etwas ist, das ich etwa mit dem Feuer vergleichen würde. Feuer ist ein Naturphänomen, es kann ausbrechen, es entsteht an bestimmten Stellen und hat gleichzeitig eine sowohl symbolische als auch lebenserhaltende Funktion für Menschen. Dass Menschen dieses Entstehen des Feuers für sich wahrnehmen, darüber Mythen schreiben, wie die Götter den Menschen das Feuer gebracht haben, das Naturphänomen des Feuers zur Erstellung und Entwicklung menschlicher Kulturen mit hinein nehmen. Und so ähnlich ist der Spiegel.

Was ist wirklich?

Das optische Phänomen der Spiegelung ist eine elementare und zentrale Herausforderung für das menschliche Verarbeitungsvermögen. Warum? Ich sehe in dem Spiegel etwas, von dem ich weiß – das kann ich sozusagen ausprobieren – dass es dort nicht ist, das ich aber identifizieren kann. Ich kann das, was ich sehe, identifizieren aber ich weiß, es ist nicht dort, wo es ist. Was ich dort drin sehe, obwohl ich weiß, dass es dort nicht drin sein kann, das ist etwas, was so aussieht wie ich, wenn ich mich in den Spiegel schaue.
Ich habe den Artikel, woraus ich Ihnen eben Momente vortrage, „Das Spiegelstudium - Schlüssel zum Cyberspace“ genannt. Ich bin gerade dabei, Ihnen das darzustellen. Kleine Nebenbemerkung: Besonders wohlmeinende, aufmerksame Personen haben auch schon unternommen, diesen Titel als Druckfehler zu charakterisieren. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was die stattdessen haben wollen. Nämlich: „Spiegelstadion“. Also es ist so, der Titel des Artikels ist ein Verweis auf Lacan und die Psychoanalyse. Es gibt einen ganz berühmten Vortrag-Aufsatz von Lacan: „Das Spiegelstadion in seiner Wichtigkeit für die Genese des heranwachsenden Kindes“. Was er dort als Grundlage nimmt, ist genau das, was ich Ihnen eben beschrieben habe. In einem frühen Stadium, als das Kind noch herumkrabbelt, ist es nicht in der Lage, die Erfahrung zu machen, die ich Ihnen gerade gesagt habe – nämlich was es dort sieht, zu identifizieren mit sich selbst. Das ist nach Lacan das Spiegelstadium, ich mache daraus sozusagen das „Spiegelstudium“. „Studium“ in dem Sinn, dass man an dieser Stelle genau untersuchen kann – Sie können das ein bisschen nachlesen, ich habe es ausbuchstabiert im Wiki – was eigentlich an Vorstellung und Begrifflichkeit dabei eine Rolle spielt, dass ich dazu komme, zu sagen: Ich erkenne mich im Spiegel wieder. Das klingt zwar gänzlich selbstverständlich, ist aber alles andere als das. Denn: Schließlich und endlich sind es nicht Sie da drin im Spiegel. Ich meine, wer Sie sind, ist noch immer das, was gespiegelt wird. Wieso können Sie sich im Spiegel erkennen, wo Sie genau wissen, dass dieses Ding im Spiegel kein Bauchweh hat und auch keine Zahnschmerzen? Ich nehme zumindest an, dass Sie das glauben. Wie kann das also „Sie“ sein? Unter welchen Voraussetzungen entsteht das? Ich deute das nur kurz an, um Ihnen den Rahmen des Problems zu beschreiben.

Ich komme jetzt zu diesem Experiment hier, dass uns eine Kollegin/ein Kollege zu Verfügung gestellt hat, das passt eben auch sehr gut zum Spiegelphänomen. Ist die Person da und will vielleicht etwas dazu sagen? Nicht? Dann muss ich es machen. Oder vielleicht fällt Ihnen etwas ein. Das Bild ist vertikal gespiegelt, sodass das, was die Spiegelung im See vorzugeben scheint, tatsächlich der Original-Himmel ist. Ich habe kurz mit der Idee gespielt, das Bild zu nehmen und 180 Grad zu drehen und daneben zu stellen. Da kann man Experimente machen, was wie wahrgenommen wird. Aber wozu ich das Bild verwenden möchte, ist, das noch einmal ein bisschen auszuführen, was ich Ihnen im Prinzip schon gesagt habe. Nämlich, auf die verschiedenen Wahrnehmungs- und Sprachstufen einzugehen, die in dieser klugen Konstruktion mit drin verborgen sind. Der Grund, warum ich das an der Stelle noch mache, ist, um Sie darauf aufmerksam zu machen, dass man angesichts solcher zuerst einmal verblüffender und verunsichernderer Sinneserfahrungen lernen sollte, Schritt für Schritt heraus zu analysieren, welche verschiedenen Einsichten und Erfahrungen denn eigentlich zusammengetragen werden, damit es am Ende diesen verblüffenden Effekt gibt. Das habe ich Ihnen an der Stelle versuchsweise ausformuliert. Also, zunächst einmal die „natürliche“ Wahrnehmung, das, womit wir in das Spiel einsteigen. Das, womit wir einsteigen, ist, dass Menschen die Augen dort oben haben, und nicht hinten im Kopf sondern vorne haben und darum eine Ordnung von oben und unten stattfindet, die bestimmte Erfahrungen automatisch nach oben hin orientiert. Wenn Sie nicht auf dem Kopf stehen, ist der Himmel oben. Das ist sozusagen eine anthropologische Gegebenheit und nach dieser Erfahrung verarbeiten Sie auch die Bilder vom Himmel. Ganz abgesehen davon, was jetzt wie aussieht an der Stelle – die etwas schlechte Qualität des Bildes macht die Sache noch einfacher – vollkommen abgesehen davon, wie Sie untersuchen, wie der untere und der obere Teil dargestellt wird, haben Sie eine erste instinktive Meinung zu sagen: Was immer der Spiegel ist, der Himmel ist oben, also muss der auch im Bild oben sein. Das ist zweistufig. Einerseits habe ich Ihnen etwas über die Wahrnehmung gesagt, und zweitens aber ist es nicht nur diese instinktive Wahrnehmung, sondern es ist auch die Behauptung. Es sind auch die Sätze und Erkenntnisse, die Sie formulieren, die über Ihre Wahrnehmung orientiert an dieser menschlichen Normalverfassung sind. Das sind schon mal die Schritte 1 und 2.
Und nun ist es aber so, dass nicht verhindert werden kann – das ist eben möglich und auch das Faszinierende daran – dass diese gewöhnliche Ausrichtung des Menschen auf oben und unten in dieser Asymmetrie ganz einfach 180 Grad gedreht wird. „Kopfstand“ habe ich schon gesagt, bei einer Bilddarstellung geht es natürlich noch einfacher: Sie nehmen einfach das Grafikprogramm, ein Bild und drehen es um. Dann haben Sie einen Effekt der jetzt – und da wird’s spannend, da interferieren jetzt die unterschiedlichen Betrachtungsweisen – dadurch einsteht, dass Sie Ihre natürliche Einteilung der Dinge und Herangehensweise über die Hilfe dessen, dass Sie ein Bild haben, das Sie manipulieren können, zurück spiegeln, zurück anwenden an Ihr natürliches Bewusstsein und jetzt in der Lage sind, jemandem zu sagen: Auf der einen Seite siehst du dieses Bild doch auch so, dass der Himmel da oben ist; auf der anderen Seite sage ich dir, das ist ein Bild eines Himmels und eines Sees und das habe ich hier umgedreht. Was soll man dazu sagen? Im ganz einfachen Sinn: Etwas, das hier zuerst einmal herauszufinden ist, ist, dass diese beiden Betrachtungsweisen im Widerspruch zueinander stehen. Es ist ein klarer Widerspruch, wenn man sagt: Das ist der Himmel oder das ist der Himmel.

Ich arbeite hier sozusagen auch schon an Matrix vor. Wenn Sie dann Morpheus sagen hören „was ist die Wirklichkeit? Wer sagt mir, was die Wirklichkeit ist?“ – ganz ohne Matrix kann man hier quasi schon experimentell ein Wenig herausfinden, dass man in einen Zustand kommen kann, wo jemand sagt: Na, was ist denn jetzt wirklich – das Eine oder das Andere? Ist die Welt der Natürlichkeit oder die Welt des Bildes richtig? Was ist wirklich? Und diese Form von Frage wird gerne verwendet, um mit Hilfe von Motiven des Cyberspace das Realitätsbewusstsein und die Realitätserfahrung infrage zu stellen. Die Argumentation geht so, dass gesagt wird: Wie kriegen wir die Realität, wie kriegen wir eine Erfahrung der Welt so, dass wir über unsere Sinne verarbeiten, was die Welt an Informationen zu Verfügung stellt?
Wenn nun das – und das war der Duktus meines heutigen Vortrages –, was unseren Sinnen an der Stelle zu Verfügung gestellt wird, manipulierbar ist, sodass wir es nicht mehr unterscheiden können von dem, was normalerweise die Wirklichkeit ist, dann scheint sich die Wirklichkeit an der Stelle zugunsten von Virtualität aufzulösen. Darüber ist im Zusammenhang mit diesem Bild noch mehr zu sagen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass jemand, der im Zusammenhang mit diesem Bild fragt „und was ist jetzt wirklich?“, einen sehr raffinierten Trick macht. Der raffinierte Trick besteht darin, dass er so tut, als würde es eine einfache Antwort auf eine einfache Frage geben, die in Wirklichkeit aber vierfach kompliziert ist. Damit Sie verstehen, worüber wir hier reden, müssen sie im Prinzip diese vier Ebenen hier mit drinnen haben. Wenn Sie diese vier Ebenen nicht drinnen haben, dann können Sie die Pointe nicht verstehen von jemanden, der sagt „aber was ist jetzt wirklich?“. Wenn Sie das alles vergessen, was ich Ihnen gesagt habe, und jemand fragt Sie, was da wirklich ist, dann sagen Sie: Hm, wirklich, naja, das ist der See und das ist der Himmel und der Himmel spiegelt sich im See. Ende des Problems. Damit Sie aber die Frage verunsichern kann, müssen Sie diese anderen Schritte schon ansatzweise kennen und in der Frage „was ist jetzt wirklich?“ wird die Kenntnis dieser vier verschiedenen Schritte wieder ausgeblendet, so als müsste ich das jetzt alles vergessen und müsste, ohne zu wissen, was ich weiß, nämlich dass das so ein raffiniertes Konstrukt ist, eine Antwort darauf machen, was jetzt wirklich ist. Das ist ein gewisser Trick, den man von Philosophinnen und Philosophen bei der Wirksamkeit und Bedeutung von virtueller Realität, wie mir scheint, gerne überbetonen sieht.

Alice im Wunderland

Vergnügung zum Ende der Vorlesung. Zusätzlich zum Spiegel kommen wir jetzt in den Bereich, den ich vorhin mit „Interaktion“ und mit „Virtualität“ angesprochen habe. Eine sehr schöne und bekannte Verbildlichung davon ist Alice im Wunderland. Es gibt zwei Versionnen davon, die an der Stelle sehr günstig dafür sind. Das eine ist „Alice steigt in den Spiegel“. Alice steigt in die Spiegelwelt hinein, das ist der erste Punkt, das ist das Bild des Kamins und über dem Kamin ist ein Spiegel. Alice steht davor, steigt durch den Spiegel und kommt in die zweite Welt dessen, wo die Schachfiguren sind und sie mit ihnen spricht. Sie kann in dieser Welt der Spiegel interessante neue Erfahrungen machen. Das ist im Lewis Carroll-Zusammenhang eine literarische Fiktion. Aber ich muss Ihnen jetzt nicht extra dazu sagen, dass das, was ich Ihnen heute über interaktive Rückkopplungsschleifen gesagt habe in die Richtung geht, dass wir das realisieren können. Also ein Einstieg in die Spiegelwelt. Eine andere Art und Weise damit umzugehen ist die „rabbit hole“. Lesen Sie sich diesen Textausschnitt durch, er ist einfach wunderschön zu lesen, wie Alice auf der Wiese sitzt, ihre Schwester liest ein Buch, in dem gar keine Bilder sind; was ist das für ein Buch, indem keine Bilder sind? Alice ist langweilig und sie merkt, wie ein Hase vorbeigeht, die Uhr aus der Tasche zieht und sagt: „Ich bin schon viel zu spät.“ Und das wundert sie dann doch und sie steigt in die Grube – jetzt ist die Zeit zu Ende.