Kartographie des Freiheitsbegriffs (FiK): Unterschied zwischen den Versionen
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+ | |[http://timaios.philo.at/wiki/index.php/Glossar_%28FiK%29#W Willensfreiheit] | ||
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− | + | ==Selbst, Selbstbewusstsein, Subjektivität== | |
+ | nach Michael Pauen: ''Grundprobleme der Philosophie des Geistes, Eine Einführung'', ³2002. III. Subjektivität und Willensfreiheit, S. 236-297 | ||
− | + | Der Begriff Subjektivität dient in der wissenschaftlichen Diskussion als Oberbegriff für alle jene Begriffe, welche das Selbst und das Selbstbewusstsein betreffen. Er umfasst also einzelne Akte des Selbstbewusstseins ebenso wie ein über einen gewissen Zeitraum stabiles Selbst oder Selbstkonzept. Nimmt ein Individuum Bezug auf seine eigenen geistigen oder körperlichen Vorgänge, so spricht man von einem Akt des Selbstbewusstseins. Die Gesamtheit der zeitlich stabilen Selbstzuschreibungen bezeichnet man als Selbst, Selbstkonzept oder empirisches Ich. | |
− | + | VertreterInnen skeptischer Positionen halten die Vorstellung von einem monolithischen, substanziellen Selbst für eine Illusion. Ihrer Ansicht nach liegen dem fertigen kohärenten Bild, das unserem Bewusstsein zugänglich ist, viele unbewusste, vorgeschaltete Prozesse zugrunde. Diese Prozesse stammen in der Regel nicht aus einer einheitlichen Quelle, sondern widersprechen sich oft genug. Das Selbst wäre dann das Ergebnis der widerstreitenden und Koalitionen bildenden unbewussten "Agenten" - der Ausdruck stammt von Marvin Minsky. Daniel Dennett sieht das Ich sehr stark durch die kulturelle und soziale Situation bedingt, in der wir leben, während Thomas Metzinger von mentalen Modellen spricht. Die Einwände dieser Denker stürzen die traditionelle Vorstellung vom Selbst als selbstständiger Entität in eine tiefe Krise. Das Hauptargument ist, dass es ein Objekt mit den Eigenschaften, die dem Selbst klassischerweise zugesprochen werden, in der Welt nicht geben kann. | |
− | + | Dieter Henrich und Manfred Frank, zwei Vertreter der Heidelberger Schule, widersprechen dieser Konzeption. Ihnen zufolge ist die Konstitution des Selbst durch Selbstzuschreibungen logisch widersprüchlich, weil man dazu immer schon eine zumindest rudimentäre Vorstellung des Selbst haben muss. | |
+ | Ernst Tugendhat wiederum versucht überhaupt vom Begriff des Selbst als einem Substantiv abzusehen. In der Praxis geht es stets darum, Aussagen über sich selbst zu machen. Die Beziehung des Ich zu seinen Zuständen ist dabei immer unmittelbar. Das von den Vertretern der Heidelberger Schule angesprochene Problem tritt daher bei Tugendhat erst gar nicht auf. | ||
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− | + | ==Willensfreiheit== | |
− | + | Wesentlich für Freiheit sind zwei Prinzipien: das Autonomieprinzip und das Urheberprinzip. Autonom zu sein bedeutet für ein Individuum, dass es unabhängig von äußeren (und je nach Fassung auch inneren) Faktoren sein muss. Das Urheberprinzip besagt, dass eine jede Handlung, die als frei gelten soll, auf ein handelndes Individuum mit dessen Charaktereigenschaften zurückführbar sein muss. Durch das Autonomiepostulat wird die Handlung vom Zwang und durch das Urheberprinzip vom bloßen Zufall abgegrenzt. | |
− | + | Weiters wird zwischen Handlungs- und Willensfreiheit unterschieden. Handlungsfreiheit bedeutet, in der Lage zu sein, von außen uneingeschränkt zwischen definierten Optionen zu wählen. Dabei bleibt offen, unter welchen Umständen eine solche Wahl getroffen wird. Kann die Person autonom über die eigenen Willensakte entscheiden, spricht man von Willensfreiheit. Dies ist unserem Alltagsverständnis nach bei diversen neurotischen Erkrankungen (z. B. Zwangshandlungen wie Waschzwang, Tourette-Syndrom, Spielsucht, etc.) nicht der Fall. In diesen Fällen wird das Individuum nicht durch äußere, sondern durch innere Faktoren in seiner Autonomie beschränkt. | |
− | + | Für den Deterministen sind seine Handlungen und Gedanken entweder an sein Gehirn und damit an Naturgesetze geknüpft oder aus anderen Gründen unabänderlich vorbestimmt, das Verhalten somit vollständig determiniert. Freiheitsspielräume verbleiben als Zufall, wenn man, wie die moderne Physik, annimmt, dass die Naturgesetze nur innerhalb gewisser Wahrscheinlichkeiten gelten. So betrachtet kann es keine freien, intentionalen Handlungen geben. Kompatibilisten fordern jedoch genau diese Verbindung zwischen Kausalität und Willensfreiheit ein und belegen dies mit teilweise eindrucksvollen Beispielen. | |
− | + | Kompatibilistische Ansätze verfolgen etwa G. E. Moore, Harry Frankfurt und Ernst Tugendhat. Die beiden Ersteren werden im Überblick dargestellt, Tugendhat ist eine eigene Seite gewidmet. Moores Idee besteht kurz gesagt darin, zu sagen: "Ich hätte mich anders verhalten können, wenn ich mich anders entschieden hätte." Zwar konnte ich mich möglicherweise nicht anders entscheiden, weil meine Entscheidung ein Produkt einer Unzahl vorangegangener Faktoren war, aber wenn ich mich anders entscheiden hätte können, dann ... Frankfurt argumentiert mit seiner Theorie von Volitionen höherer Ordnung auf ähnliche Weise. Er meint, es gäbe so etwas wie höherrangige Wünsche. Das bedeutet, ich kann wollen, dass ich etwas will. | |
− | + | Die Frage ist nun, wie stark man Urheberpostulat und Autonomiepostulat fassen soll und kann. Thomas Nagel und Galen Strawson haben gezeigt, dass sich eine zu strenge Fassung beider widerspricht. Nach Pauen wäre es daher sinnvoll, die Voraussetzungen etwas abzuschwächen und lediglich personale Freiheit zu verlangen. | |
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Aktuelle Version vom 4. Juni 2007, 13:53 Uhr
Dieser Abschnitt soll einen kurzen Aufriss über verschiedene Konstruktionen, Konzeptionen, Einwände und Positionen zum Thema Willensfreiheit geben. Er soll eine erste Orientierung ermöglichen. Da der Begriff Willensfreiheit traditionell und in der Sache mit den Begriffen Selbst, Selbstbewusstsein und Subjektivität verbunden ist, wird zunächst auf diese eingegangen.
Grundbegriffe (alphabetisch von links nach rechts) | ||
---|---|---|
Autonomieprinzip | Determinismus | Handlungsfreiheit |
Indeterminismus | Inkompatibilismus | Kompatibilismus |
Subjektivität | Urheberprinzip | Willensfreiheit |
Selbst, Selbstbewusstsein, Subjektivität
nach Michael Pauen: Grundprobleme der Philosophie des Geistes, Eine Einführung, ³2002. III. Subjektivität und Willensfreiheit, S. 236-297
Der Begriff Subjektivität dient in der wissenschaftlichen Diskussion als Oberbegriff für alle jene Begriffe, welche das Selbst und das Selbstbewusstsein betreffen. Er umfasst also einzelne Akte des Selbstbewusstseins ebenso wie ein über einen gewissen Zeitraum stabiles Selbst oder Selbstkonzept. Nimmt ein Individuum Bezug auf seine eigenen geistigen oder körperlichen Vorgänge, so spricht man von einem Akt des Selbstbewusstseins. Die Gesamtheit der zeitlich stabilen Selbstzuschreibungen bezeichnet man als Selbst, Selbstkonzept oder empirisches Ich.
VertreterInnen skeptischer Positionen halten die Vorstellung von einem monolithischen, substanziellen Selbst für eine Illusion. Ihrer Ansicht nach liegen dem fertigen kohärenten Bild, das unserem Bewusstsein zugänglich ist, viele unbewusste, vorgeschaltete Prozesse zugrunde. Diese Prozesse stammen in der Regel nicht aus einer einheitlichen Quelle, sondern widersprechen sich oft genug. Das Selbst wäre dann das Ergebnis der widerstreitenden und Koalitionen bildenden unbewussten "Agenten" - der Ausdruck stammt von Marvin Minsky. Daniel Dennett sieht das Ich sehr stark durch die kulturelle und soziale Situation bedingt, in der wir leben, während Thomas Metzinger von mentalen Modellen spricht. Die Einwände dieser Denker stürzen die traditionelle Vorstellung vom Selbst als selbstständiger Entität in eine tiefe Krise. Das Hauptargument ist, dass es ein Objekt mit den Eigenschaften, die dem Selbst klassischerweise zugesprochen werden, in der Welt nicht geben kann.
Dieter Henrich und Manfred Frank, zwei Vertreter der Heidelberger Schule, widersprechen dieser Konzeption. Ihnen zufolge ist die Konstitution des Selbst durch Selbstzuschreibungen logisch widersprüchlich, weil man dazu immer schon eine zumindest rudimentäre Vorstellung des Selbst haben muss.
Ernst Tugendhat wiederum versucht überhaupt vom Begriff des Selbst als einem Substantiv abzusehen. In der Praxis geht es stets darum, Aussagen über sich selbst zu machen. Die Beziehung des Ich zu seinen Zuständen ist dabei immer unmittelbar. Das von den Vertretern der Heidelberger Schule angesprochene Problem tritt daher bei Tugendhat erst gar nicht auf.
Zwischenspiel - Determiniert oder ein Leben hinter dem Spiegel
Lewis Carroll gibt in seiner Nonsense-Satire Through the Looking Glass. And what Alice found there eine eingängige Beschreibung des Phänomens einer streng determinierten Welt, mit Alice als allmächtiger, etwas unbeholfenen und vorschnellen (ersten) Bewegerin.
Willensfreiheit
Wesentlich für Freiheit sind zwei Prinzipien: das Autonomieprinzip und das Urheberprinzip. Autonom zu sein bedeutet für ein Individuum, dass es unabhängig von äußeren (und je nach Fassung auch inneren) Faktoren sein muss. Das Urheberprinzip besagt, dass eine jede Handlung, die als frei gelten soll, auf ein handelndes Individuum mit dessen Charaktereigenschaften zurückführbar sein muss. Durch das Autonomiepostulat wird die Handlung vom Zwang und durch das Urheberprinzip vom bloßen Zufall abgegrenzt.
Weiters wird zwischen Handlungs- und Willensfreiheit unterschieden. Handlungsfreiheit bedeutet, in der Lage zu sein, von außen uneingeschränkt zwischen definierten Optionen zu wählen. Dabei bleibt offen, unter welchen Umständen eine solche Wahl getroffen wird. Kann die Person autonom über die eigenen Willensakte entscheiden, spricht man von Willensfreiheit. Dies ist unserem Alltagsverständnis nach bei diversen neurotischen Erkrankungen (z. B. Zwangshandlungen wie Waschzwang, Tourette-Syndrom, Spielsucht, etc.) nicht der Fall. In diesen Fällen wird das Individuum nicht durch äußere, sondern durch innere Faktoren in seiner Autonomie beschränkt.
Für den Deterministen sind seine Handlungen und Gedanken entweder an sein Gehirn und damit an Naturgesetze geknüpft oder aus anderen Gründen unabänderlich vorbestimmt, das Verhalten somit vollständig determiniert. Freiheitsspielräume verbleiben als Zufall, wenn man, wie die moderne Physik, annimmt, dass die Naturgesetze nur innerhalb gewisser Wahrscheinlichkeiten gelten. So betrachtet kann es keine freien, intentionalen Handlungen geben. Kompatibilisten fordern jedoch genau diese Verbindung zwischen Kausalität und Willensfreiheit ein und belegen dies mit teilweise eindrucksvollen Beispielen.
Kompatibilistische Ansätze verfolgen etwa G. E. Moore, Harry Frankfurt und Ernst Tugendhat. Die beiden Ersteren werden im Überblick dargestellt, Tugendhat ist eine eigene Seite gewidmet. Moores Idee besteht kurz gesagt darin, zu sagen: "Ich hätte mich anders verhalten können, wenn ich mich anders entschieden hätte." Zwar konnte ich mich möglicherweise nicht anders entscheiden, weil meine Entscheidung ein Produkt einer Unzahl vorangegangener Faktoren war, aber wenn ich mich anders entscheiden hätte können, dann ... Frankfurt argumentiert mit seiner Theorie von Volitionen höherer Ordnung auf ähnliche Weise. Er meint, es gäbe so etwas wie höherrangige Wünsche. Das bedeutet, ich kann wollen, dass ich etwas will.
Die Frage ist nun, wie stark man Urheberpostulat und Autonomiepostulat fassen soll und kann. Thomas Nagel und Galen Strawson haben gezeigt, dass sich eine zu strenge Fassung beider widerspricht. Nach Pauen wäre es daher sinnvoll, die Voraussetzungen etwas abzuschwächen und lediglich personale Freiheit zu verlangen.
<root><br /> <h level="2" i="1">== Kontext ==</h>
Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)
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