Minoritätenschutz?, R. Bubner (T): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. Januar 2007, 09:17 Uhr

Dieser Zustand der Vorherrschaft von Differenz, die jeden Einzelnen von jedem Anderen trennt, kann nicht in derselben Weise als Zustand der Anerkennung deklariert werden, wie der wechselseitige Respekt der Gleichen im liberalistischen Staatsmodell. Demjenigen, der anders ist als ich und meinesgleichen, kann ich mit Achselzucken und Ignoranz begegnen, ich kann aber auch Aggression mobilisieren, um die empfun­dene Irritation zu mindern oder zu beseitigen. Schließlich kann ich To­leranz üben. Taylor scheint einer Vorstellung anzuhängen, die darauf zielt, daß man Anerkennung des Gleichen zur Anerkennung des Diffe­renten umpolen könne. Er schießt aber über das Ziel hinaus. Auf Tole­ranz hat nämlich niemand irgendwie formulierbaren Anspruch. Recht­lich ist hier nichts verbürgt, es gibt weder formale Klagemöglichkeiten, noch drohen Sanktionen. Toleranz ist, wie oben erläutert, ein aus sub­jektiver Gesinnung des Wohlwollens von einer Person einer anderen Person oder Gruppe gegenüber erbrachtes Entgegenkommen, das alle Rechtstitel hinter sich läßt und freiwillig duldet, was auch hätte verwei­gert werden können.

Die Tugendkonzeption. Im Falle Bubners ist das eine Abwehrgeste.

Die alte, auf Aristoteles zurückgehende Gerechtigkeitsformel derzu­folge das Gleiche gleich zu behandeln und das Ungleiche ungleich, meint im zweiten Falle nicht minder als im ersten den Vollzug der Verallgemei­nerung. Das bedeutet, daß alle diejenigen, deren Ungleichheit im Interes­se der Gerechtigkeit zu würdigen ist, als die Ungleichen wiederum gleich angesehen werden. Was die Propagandisten einer »Politik der Differenz« aber suchen und fordern, ist das Eingehen auf jeden Einzelfall mit seiner von allen vergleichbaren Einzelfällen abweichenden besonderen Note und Qualität. Der Schlüsselbegriff lautet »Identität«. Wenn das nicht politisch auf die Bürgerrolle bezögen ist, sondern auf die im subjektiven Umfeld ausgelebte Individualität, dann passen dazu nur private Verhaltensmodi. Die Achtung vor der Einmaligkeit des Besonderen drückt sich aus in Lie­be und Zuneigung, in Bewunderung und Nachahmung, in pädagogischer Bemühung, in ästhetischer Beurteilung, in Seelenkunde oder historischer Vergegenwärtigung. Aber Recht und Politik bilden Sphären und Akti­onsformen, die auf Regelhaftigkeit, auf Weitermachen im gleichen Sinne, auf Egalität gründen.

Schließlich bietet sogar der juristisch garantierte Minoritätenschutz kei­ne Kasuistik des Singulären. Als abweichende Minderheiten zu schützen sind immer mehrere, die untereinander gleichermaßen angesehen werden müssen und entsprechend zu behandeln sind. Die autochthonen Indianer in Kanada, auf die Taylor anspielt, aber auch die Sorben im Umkreis Ber­lins, die Südtiroler im Norden Italiens usw. sind mehr oder weniger zahlreich. Und nur als solche verdienen sie rechtliche Sonderstellung. Das Gesetz, das einen einzigen Casus regelt und aufgrund dessen erlassen würde, stellt ein altes Paradox der Rechtstheorie dar.

Die Eingrenzung einer Position zur Minorität spiegelt unabdingbar die Vorordnung der Majorität. Besondere Privilegien oder Konzessionen müssen Besonderheiten bleiben, auch wenn sie eine Pluralität von Nutz­nießern betreffen. Wenn sie hingegen auf das Ganze angewendet werden sollen, – ein Totum von Minoritäten, – verlieren sie ihren rechtlich rele­vanten Status. Gerade im Interesse des Schutzes der Minderheiten liegt es nämlich, daß sie als solche identifizierbar bleiben, und der Masse aller übrigen entgegengestellt werden.

Wollte jeder Mann und jede Frau ein Minoritätenprogramm für sich allein beanspruchen, fiele die für den Rechtsschutz relevante Distinktion in sich zusammen und alle wären wieder einander gleich. Wer also die Differenz pflegt, muß sie so klein halten, daß sie im Kontrast zum Ganzen auffällt, und zugleich so groß ist, daß eine beachtliche Pluralität Partizipa­tionschancen genießt. Eine Berücksichtigung von Differenz, die sich in die unabsehbare Beschreibung aller Besonderheiten verlöre, gibt die Rechtskraft auf und degeneriert zum beliebigen rhetorischen Appell.




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