Das 'Erkennen als solches': Unterschied zwischen den Versionen

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Für unsere Fragestellung relevant sind hier lediglich (I) die allgemeine Problemstellung, die sich auf allen Stufen der Idee durchhält, und (II) der Grund dafür, dass diese innerhalb des Lebens eben nicht befriedigend gelöst werden kann. ''Erstere'' besteht darin, ein stabiles Verhältnis von ''Begriff'' und ''Realität'' zu finden - die Struktur, in der sich die Realität vollständig als Ausdruck ihres Begriffs verstehen lässt, definiert ja gerade, wie wir oben gesehen haben, die ''Idee''. ''Letzterer'' ist darin zu sehen, dass die ''Realität'' auf der Ebene des ''Lebens'' zwar dem ''Begriff'' mehr oder minder angemessen sein kann, diese Angemessenheit epistemisch jedoch nur für den äußeren Betrachter erkennbar ist, der basale natürliche Prozesse als Ausdruck der Spannungen zwischen beiden zu deuten vermag: »die objektive Realität ist dem Begriffe zwar angemessen, aber noch nicht zum Begriffe befreit, und er existiert nicht ''für sich als der Begriff''< (468).
 
Für unsere Fragestellung relevant sind hier lediglich (I) die allgemeine Problemstellung, die sich auf allen Stufen der Idee durchhält, und (II) der Grund dafür, dass diese innerhalb des Lebens eben nicht befriedigend gelöst werden kann. ''Erstere'' besteht darin, ein stabiles Verhältnis von ''Begriff'' und ''Realität'' zu finden - die Struktur, in der sich die Realität vollständig als Ausdruck ihres Begriffs verstehen lässt, definiert ja gerade, wie wir oben gesehen haben, die ''Idee''. ''Letzterer'' ist darin zu sehen, dass die ''Realität'' auf der Ebene des ''Lebens'' zwar dem ''Begriff'' mehr oder minder angemessen sein kann, diese Angemessenheit epistemisch jedoch nur für den äußeren Betrachter erkennbar ist, der basale natürliche Prozesse als Ausdruck der Spannungen zwischen beiden zu deuten vermag: »die objektive Realität ist dem Begriffe zwar angemessen, aber noch nicht zum Begriffe befreit, und er existiert nicht ''für sich als der Begriff''< (468).
  
Kurz gesagt: Dem Leben fehlt Subjektivität, diese erst ermöglicht eine adäquatere Realisierung der Idee-Struktur, deren Charakterisierung den Gegenstand des >Erkennen-überhaupt>-Kapitels bilden wird. Ihm liegt die »Beziehung der fürsichseienden Subjektivität des einfachen Begriffs und seiner davon unterschiedenen Objektivität» (467) zugrunde. Die Subjektivität zeichnet sich mithin durch die Reflexivität des Selbstbewusstseins aus (fürsichseienden Subjektivität), die gleichwohl nicht für sich bestehen kann, sondern immer über einen Objektbezug vermittelt sein muss. In einem subjektivitätstheoretischen Exkurs in der Einleitung zur >Idee des Erkennens< akzentuiert Hegel in expliziter Wendung gegen die kantische Theorie der transzendentalen Synthesis diese »Untrennbarkeit der zwei Formen, in denen es [sc. das Ich] sich sich selbst entgegensetzt«, nämlich der Form der Einheit des >Ich denke< einerseits, die des diese vermitteln-den Objektbezugs andererseits (»das Ich denkt etwas, sich oder etwas anderes« [4911).
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Kurz gesagt: Dem Leben fehlt Subjektivität, diese erst ermöglicht eine adäquatere Realisierung der Idee-Struktur, deren Charakterisierung den Gegenstand des >Erkennen-überhaupt<-Kapitels bilden wird. Ihm liegt die »Beziehung der fürsichseienden Subjektivität des einfachen Begriffs und seiner davon unterschiedenen Objektivität» (467) zugrunde. Die Subjektivität zeichnet sich mithin durch die Reflexivität des Selbstbewusstseins aus (fürsichseienden Subjektivität), die gleichwohl nicht für sich bestehen kann, sondern immer über einen Objektbezug vermittelt sein muss. In einem subjektivitätstheoretischen Exkurs in der Einleitung zur >Idee des Erkennens< akzentuiert Hegel in expliziter Wendung gegen die kantische Theorie der transzendentalen Synthesis diese »Untrennbarkeit der zwei Formen, in denen es [sc. das Ich] sich sich selbst entgegensetzt«, nämlich der Form der Einheit des >Ich denke< einerseits, die des diese vermittelnden Objektbezugs andererseits (»das Ich denkt ''etwas'', sich oder etwas anderes« [491]).
Den Ausgangspunkt der >Idee des Erkennens> bildet zunächst die »Trennung» (467) von Subjektivität und Objektivität, die einander scheinbar »gleichgültig» (ebd.) gegenüberstehen. Natürlich folgt schon aus Hegels Subjektivitätstheorie, dass es sich bei dieser Opposition in der Tat um einen bloßen Anschein handeln muss; sowohl der Bereich der theoretischen Erkenntnis wie der des praktischen Handelns werden von Hegel gerade als Modi der Uberwindung dieser Opposition betrachtet. Der prima facie erhebliche ontologische Unterschied zwischen beiden Bereichen kann bei Hegel deshalb überraschenderweise zurücktreten. Er fasst den Unterschied zwischen beiden durchgängig in epistemischen Termini, die nahe legen, dass er sich lediglich der gewählten epistemischen Perspektive auf nur einen fundamentalen Prozess verdankt. Hegel charakterisiert diesen selbst nur an einer einzigen Stelle, zudem in denkbar knapper Form: »der Prozeß dieses endlichen Erkennens und [!] Handelns macht die zunächst abstrakte Allgemeinheit zur Totalität, wodurch sie vollkommene Objektivität wird» (468 f.).
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Aus der Perspektive einer solch allgemeinen Bestimmung erweist sich der Unterschied zwischen Erkennen und Wollen nun in der Tat als von nachgeordneter Bedeutung: Im Erkennen liegt die Abstraktion zunächst auf der Seite des Subjekts — es sieht sich selbst gleichsam als »tabula rasa» (§ 232) der Vielfalt der Wirklichkeit gegenüber, die es bloß passiv in sich aufzunehmen hat. Im Wollen hingegen liegt die Abstraktion auf der Seite der Objektivität, die das Subjekt als Feld der Verwirklichung von selbst gesetzten Zwecken betrachtet, die es von außen an diese Objektivität heranträgt. Bereits hier ist deutlich, dass es sich bei dieser Rekonstruktion der beiden Richtungen des »Triebs, diese Trennung [sc. die von Subjektivität und Objektivität] aufzuheben» (467), um bloße idealtypische Extrapolationen handelt, die in einer reinen Form nirgends realisiert sein können; es wäre mithin verfehlt, für sie nach realphilosophischen Äquivalenten zu suchen. Weiter unten wird eingehender gezeigt, dass Hegel die Vorstellung des Geistes als einer leeren Tafel, auf der die Objektivität buchstäblich ihre Eindrücke hinterlässt, für ein grundsätzlich inkohärentes Modell des Erkennens hält. Dasselbe ließe sich auch im Bereich des Praktischen zeigen; die genannte Struktur in ihrer Reinform entspräche einer vulgär-humeanischen Theorie praktischer Vernunft (wie sie etwa vielen Formen der Rational-Choice-Theorie zugrunde liegt), der zufolge Wünsche schlicht gegeben sind und praktische Rationalität sich auf die nur instrumentelle Rolle beschränkt findet, Mittel für die Realisierung dieser Wünsche in der Wirklichkeit zu finden, aber unfähig ist, die Wünsche selbst kritisch zu prüfen und nach anderen als bloßen Kriterien ihrer gemeinsamen Realisierbarkeit zu modifizieren.
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Den Ausgangspunkt der >Idee des Erkennens< bildet zunächst die »Trennung» (467) von Subjektivität und Objektivität, die einander scheinbar »gleichgültig» (ebd.) gegenüberstehen. Natürlich folgt schon aus Hegels Subjektivitätstheorie, dass es sich bei dieser Opposition in der Tat um einen bloßen Anschein handeln muss; sowohl der Bereich der theoretischen Erkenntnis wie der des praktischen Handelns werden von Hegel gerade als Modi der Uberwindung dieser Opposition betrachtet. Der ''prima facie'' erhebliche ontologische Unterschied zwischen beiden Bereichen kann bei Hegel deshalb überraschenderweise zurücktreten. Er fasst den Unterschied zwischen beiden durchgängig in epistemischen Termini, die nahe legen, dass er sich lediglich der gewählten epistemischen Perspektive auf nur einen fundamentalen Prozess verdankt. Hegel charakterisiert diesen selbst nur an einer einzigen Stelle, zudem in denkbar knapper Form: »der Prozeß dieses endlichen Erkennens und [!] Handelns macht die zunächst abstrakte Allgemeinheit zur Totalität, wodurch sie ''vollkommene Objektivität'' wird» (468 f.).
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Aus der Perspektive einer solch allgemeinen Bestimmung erweist sich der Unterschied zwischen ''Erkennen'' und ''Wollen'' nun in der Tat als von nachgeordneter Bedeutung: Im ''Erkennen'' liegt die Abstraktion zunächst auf der Seite des Subjekts - es sieht sich selbst gleichsam als »tabula rasa» (§ 232) der Vielfalt der Wirklichkeit gegenüber, die es bloß passiv in sich aufzunehmen hat. Im Wollen hingegen liegt die Abstraktion auf der Seite der Objektivität, die das Subjekt als Feld der Verwirklichung von selbst gesetzten Zwecken betrachtet, die es von außen an diese Objektivität heranträgt. Bereits hier ist deutlich, dass es sich bei dieser Rekonstruktion der beiden Richtungen des »Triebs, diese Trennung [sc. die von Subjektivität und Objektivität] aufzuheben» (467), um bloße idealtypische Extrapolationen handelt, die in einer reinen Form nirgends realisiert sein können; es wäre mithin verfehlt, für sie nach realphilosophischen Äquivalenten zu suchen. Weiter unten wird eingehender gezeigt, dass Hegel die Vorstellung des Geistes als einer leeren Tafel, auf der die Objektivität buchstäblich ihre Eindrücke hinterlässt, für ein grundsätzlich inkohärentes Modell des Erkennens hält. Dasselbe ließe sich auch im Bereich des Praktischen zeigen; die genannte Struktur in ihrer Reinform entspräche einer vulgär-humeanischen Theorie praktischer Vernunft (wie sie etwa vielen Formen der Rational-Choice-Theorie zugrunde liegt), der zufolge Wünsche schlicht gegeben sind und praktische Rationalität sich auf die nur instrumentelle Rolle beschränkt findet, Mittel für die Realisierung dieser Wünsche in der Wirklichkeit zu finden, aber unfähig ist, die Wünsche selbst kritisch zu prüfen und nach anderen als bloßen Kriterien ihrer gemeinsamen Realisierbarkeit zu modifizieren.
 
Methodologisch sollte aus dieser Beobachtung die Konsequenz gezogen werden, die einzelnen Bestimmungen, die Hegel im Laufe seiner Ableitung des Begriffs des >Erkennens als solchem< gibt, gleichsam synoptisch als Momente eines einzigen, basalen Modells zu betrachten, deren Verselbständigung zu inkohärenten epistemologischen Ansätzen führen muss.9 Nach diesem unverzichtbaren Durchgang durch die begriffliche und systematische Rärmenstrul
 
Methodologisch sollte aus dieser Beobachtung die Konsequenz gezogen werden, die einzelnen Bestimmungen, die Hegel im Laufe seiner Ableitung des Begriffs des >Erkennens als solchem< gibt, gleichsam synoptisch als Momente eines einzigen, basalen Modells zu betrachten, deren Verselbständigung zu inkohärenten epistemologischen Ansätzen führen muss.9 Nach diesem unverzichtbaren Durchgang durch die begriffliche und systematische Rärmenstrul
 
tur, in die Hegels epistemologische Grundgrammatik eingebettet isT, wird mithin nunmehr der Frage nachgegangen werden müssen, durch welche Merkmale sich dieses Modell auszeichnet. Itf beiden Logiken charakterisiert Hegel sein Modell als Schluss weier Urteile beziehungsweise Extreme. Beide Extreme bilden Momente der Idee-Struktur;10 Relata beider Urteile sind jeweils subjektiver und objektiver Begriff (vgl. 487, 497), also die erkennende Subjektivität einerseits, die zu erkennende Objektivität anderer seits.
 
tur, in die Hegels epistemologische Grundgrammatik eingebettet isT, wird mithin nunmehr der Frage nachgegangen werden müssen, durch welche Merkmale sich dieses Modell auszeichnet. Itf beiden Logiken charakterisiert Hegel sein Modell als Schluss weier Urteile beziehungsweise Extreme. Beide Extreme bilden Momente der Idee-Struktur;10 Relata beider Urteile sind jeweils subjektiver und objektiver Begriff (vgl. 487, 497), also die erkennende Subjektivität einerseits, die zu erkennende Objektivität anderer seits.

Version vom 3. November 2006, 00:14 Uhr

Aus Christoph Halbig: Das 'Erkennen als solches' in: Ch. Halbig, M. Quante und L. Siep (Hrsgg.): Hegels Erbe. Frankfurt/M 2004

2. >Das Erkennen als solches< - zur Grundgrammatik von Hegels Epistemologie

Die Grundgrammatik von Hegels Epistemologie wird, so die hier vertretene These, innerhalb des ersten Teils, zweites Kapitel, dritter Abschnitt der Begriffslogik, >Die Idee des Wahren<, beziehungsweise in dem korrespondierenden Abschnitt der enzyklopädischen Logik, >Das Erkennen< (§§ 226-232), entwickelt. Das gesamte zweite Kapitel der Wissenschaft der Logik ist überschrieben mit >Die Idee des Erkennens<; es umfasst indes nicht nur theoretische Leistungen, wie sie im unterminologischen Gebrauch mit dem Begriff des Erkennens verbunden sind, sondern auch praktische Leistungen der handelnden Transformation der Wirklichkeit, die unter dem Titel >Die Idee des Guten< beziehungsweise, in der enzyklopädischen Logik, unter dem des >Wollens< diskutiert werden. In der enzyklopädischen Logik ergibt sich aus diesem Umstand die unschöne terminologische Doppelung, dass das entsprechende Kapitel denselben Titel trägt wie der erste seiner Teile, nämlich >das Erkennen<. In der Wissenschaft der Logik vermeidet Hegel diese Schwierigkeit, indem er den ersten Teil des Kapitels >Die Idee der Erkenntnis< überschreibt mit >Die Idee des Wahren<, dessen Gegenstand aber eben das Erkennen in seiner theoretischen Bedeutung bildet. Um einer Konfundierung der Theorieebenen vorzubeugen, spricht Hegel in beiden Texten daher vom »Erkennen als solchem« (497; vgl. § 225), wenn er das Erkennen als epistemologische Kategorie im Blick hat. Im Folgenden wird der Begriff des Erkennens, sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, ausschließlich in diesem Sinne verwendet.

Bereits mit den Kapitelüberschriften sind entscheidende Hinweise für den theoretischen Rahmen gegeben, in dem Hegel die Grammatik seiner Epistemologie entwickelt. Dieser wird nämlich, wie ich zeigen möchte, durch die beiden Kategorie >Idee< und >Wahrheit< bestimmt. Entscheidend ist, dass es sich bei beiden um ontologische Kategorien handelt. Aus einer modernen Perspektive, in der Wahrheit als Eigenschaft von Sätzen beziehungsweise propositionalen Gehalten betrachtet wird, mag dies überraschen. Hegel selbst verwendet den Wahrheitsbegriff zwar auch in diesem Sinne, hält ihn aber für derivativ gegenüber dem ontologischen Wahrheitsbegriff. Wahrheit im ontologischen Sinne ist definiert als »Einheit des Begriffs und der Objektivität« (464). Eine Entität ist für Hegel in dem Maße wahr, wie sie ihren Begriff adäquat realisiert. Seinem Wahrheitsbegriff eignet damit eine normative Komponente: Eine Entität, die ihren Begriff verfehlt, wie etwa ein diktatorisches Regime den Begriff der Freiheit, ist in dem Maße schlecht, wie sie unwahr ist - sie bleibt hinter dem in ihrem Begriff gesetzten Anspruch zurück. Auch eine Entität, die dem normativen Anspruch ihres Begriffs gerecht wird, kann indes simpliciter nicht wahr sein. Diese Folgerung ergibt sich aus Hegels ontologischem Holismus, den Hegel selbst im Zusammenhang seiner Erörterung der Idee-Struktur in Erinnerung ruft. Nach Hegel nämlich ist jede Entität bereits qua endliche falsch:

»Das einzelne Sein ist irgendeine Seite der Idee, für dieses bedarf es daher noch anderer Wirklichkeiten, die gleichfalls als besonders für sich bestehende erscheinen; in ihnen zusammen und in ihrer Beziehung ist allein der Begriff realisiert. Das Einzelne für sich entspricht seinem Begriffe nicht; diese Beschränktheit seines Daseins macht seine Endlichkeit und seinen Untergang aus« (§§ 213).

Eine einzelne Entität mag zwar ihren Begriff realisieren, dieser selbst lässt sich indes nicht explizieren, ohne dabei auf andere Begriffe zu rekurrieren, die insgesamt den Begriff, wie er in dem Zitat im Singular verwendet ist, als das System kategorialer Bestimmungen konstituieren, das in der Wissenschaft der Logik expliziert wird. Ohne Einschränkung wahr im ontologischen Sinne kann mithin nur eine Entität sein, die in dem doppelten Sinne unendlich ist, dass sie selbst die Totalität aller semantischen Bestimmungen bildet, mithin keine Aussenperspektive zulässt, die sie als Ganze >einklammern< könnte, eine Totalität, die zugleich gemäß dem Kriterium der Übereinstimmung von Begriff und Realität vollständig realisiert sein muss. Diese Entität ist aber eben keine andere als die Idee beziehungsweise das Absolute (vgl. § 213) selbst.

Bei der Idee handelt es sich mithin um eine ontologische, nicht um eine epistemologische Kategorie. Hegel selbst wehrt ausdrücklich das Missverständnis ab, das sich aus dem umgangssprachlichen Gebrauch von Idee im Sinne einer >Idee von oder über etwas< ergeben könnte: »Die Idee selbst ist nicht zu nehmen als eine Idee von irgend etwas [...]« (g 213). Wenn die Idee aber den Titel für die Gesamtstruktur der Wirklichkeit bildet, ist klar, dass es kein Außerhalb der Idee geben kann, von dem aus diese selbst durch einen außenstehenden Beobachter gleichsam >from nowhere< in den Blick genommen werden könnte. Epistemische Perspektiven ergeben sich vielmehr nur innerhalb des metaphysischen Prozesses der Selbstentfaltung der Idee und müssen sich als notwendige Momente des Prozesses verständlich machen lassen. Der Versuch, die Idee selbst als Titel für ein Kategorienschema zu lesen, dem ein zu schematisierender, bloß gegebener Input gegenüberstände, verfehlt mithin bereits den Ausgangspunkt von Hegels Diskussion des Erkennen-Begriffs.

Natürlich ergeben sich aus der Idee-Struktur epistemologische Konsequenzen: Hegel selbst hebt hervor, dass die Idee nicht ein äußeres Kriterium darstellt, das an etwas ontisch Gegebenes als Maßstab angelegt wird und mit ihm dann entweder in Übereinstimmung steht oder nicht, sondern dass sie selbst das Kriterium dafür bildet, was es im ontologisch emphatischen Sinne des Wortes wirklich gibt. Darin Iiegt der Kern seiner normativen Ontologie. Adäquate Erkenntnis muss entsprechend unterscheiden können, ob ein Gegenstand wirklich ist im Sinne einer angemessenen Realisation seines Begriffs oder bloßer Schein. Hier handelt es sich jedoch nur um den epistemologischen Nachvollzug ontologischer Ebenen. Im Zusammenhang der Fragestellung dieses Beitrags wird es hingegen darum gehen, die fundamentalere Frage zu klären, inwieweit sich die Möglichkeit des Erkennens, also der epistemischen Perspektivität überhaupt, aus der Idee-Struktur heraus verständlich machen lässt.

Aber ist damit, so könnte man hier einwenden, nicht der Wahrheitsbegriff gerade wegen seiner ontologischen Überfrachtung für die Erhellung epistemologischer Problemstellungen gleichsam neutralisiert? Ein solcher Einwand übersieht, dass Hegel neben seinem ontologischen auch einen propositionalen Wahrheitsbegriff vertritt, der nicht wie Ersterer als Ubereinstimmung von Begriff und Realität, sondern als der von Vorstellungen und äußeren Dingen (vgl. § 213) definiert wird; es handelt sich hier mithin eindeutig um eine epistemologische Relation. Zur Vermeidung terminologischer Konfusionen gebraucht Hegel, um den propositionalen Wahrheitsbegriff zu kennzeichnen, zumeist - den Begriff der Richtigkeit, während der der Wahrheit ontologischen Kontexten vorbehalten bleibt. Zu beachten ist, dass es natürlich richtige Urteile über im ontologischen Sinne falsche Entitäten geben kann, zum Beispiel wenn jemand urteilt, dass eine diktatorische Staatsform schlecht sei. Dieses Urteil ist gerade deshalb wahr - oder, in Hegels terminologischem Sinne des Wortes, richtig - weil sein Gegenstand, die diktatorische Staatsform, ontologisch falsch ist. Gegenstand des uns hier beschäftigenden erstens Teils des Erkennen-Kapitels ist eben, wie bereits sein Titel >Die Idee des Wahren< anzeigt, die Rekonstruktion der Struktur unserer epistemischen Leistungen aus dem Zusammenspiel beider Wahrheitsbegriffe vor dem Hintergrund der sie gleichermaßen fundierenden Idee-Struktur.

Zunächst bleibt hier noch, gleichsam eine Gliederungsebene höher, zu klären, unter welchem Gesichtspunkt Hegel eigentlich theoretische und praktische Leistungen, das Wahre wie das Gute, unter dem Titel des >Erkennens überhaupt< (487) zusammenordnen kann. Erst wenn diese allgemeine Struktur analysiert worden ist, kann nach der differentia specifica gefragt werden, die das >Erkennen als solches<, also unsere spezifisch theoretischen Leistungen, ausmacht.

Als systematisch wenig hilfreich erweist sich die Herleitung der Idee des Erkennens aus der ihr vorgeordneten Stufe der Idee, der des Lebens. Formal beschreibt Hegel das Verhältnis der beiden Stufen nach dem Modell der Unmittelbarkeit (Idee des Lebens), die durch ein Urteil im Sinne von Hölderlins Ur-teilung aufgehoben wird (Idee des Erkennens überhaupt), bevor dieses Urteil wiederum zu einer Einheit auf höherer Ebene (absolute Idee) zusammengeführt wird. Die Hierarchisierung der drei Stufen ergibt sich daraus, dass in ihnen die Struktur der Idee zunehmend adäquater realisiert wird. Die Defizienz des Lebens in der Realisierung der Struktur liegt im Kern darin, dass in ihr eine instabile Identität von Begriff und Objektivität vorliegt: Der Begriff wird hier repräsentiert durch das Allgemeine der Spezies, die gleichwohl nicht als platonische Entität außerhalb, sondern nur innerhalb der Individuen existiert, die dieser Spezies zugehören, ohne jedoch mit einem einzelnen dieser Individuen identisch zu sein. Darin aber sieht Hegel einen Widerspruch (vgl. § 221): Die Allgemeinheit der Spezies muss ausdrücklich gesetzt werden, also eine Weise finden, sich innerhalb der Individuen zu manifestieren, ohne jedoch zu einer von diesen unabhängigen Seinsweise finden zu können. Aus dieser Spannung leitet Hegel die Prozesse der Fortpflanzung und des Todes des individuellen Organismus ab, in denen sich die »Gattung als Macht über die unmittelbare Einzelheit» (§ 221) erweist: Der individuelle Organismus stirbt, garantiert aber zugleich im Prozess der Fortpflanzung das Weiterbestehen seiner Spezies.

Für unsere Fragestellung relevant sind hier lediglich (I) die allgemeine Problemstellung, die sich auf allen Stufen der Idee durchhält, und (II) der Grund dafür, dass diese innerhalb des Lebens eben nicht befriedigend gelöst werden kann. Erstere besteht darin, ein stabiles Verhältnis von Begriff und Realität zu finden - die Struktur, in der sich die Realität vollständig als Ausdruck ihres Begriffs verstehen lässt, definiert ja gerade, wie wir oben gesehen haben, die Idee. Letzterer ist darin zu sehen, dass die Realität auf der Ebene des Lebens zwar dem Begriff mehr oder minder angemessen sein kann, diese Angemessenheit epistemisch jedoch nur für den äußeren Betrachter erkennbar ist, der basale natürliche Prozesse als Ausdruck der Spannungen zwischen beiden zu deuten vermag: »die objektive Realität ist dem Begriffe zwar angemessen, aber noch nicht zum Begriffe befreit, und er existiert nicht für sich als der Begriff< (468).

Kurz gesagt: Dem Leben fehlt Subjektivität, diese erst ermöglicht eine adäquatere Realisierung der Idee-Struktur, deren Charakterisierung den Gegenstand des >Erkennen-überhaupt<-Kapitels bilden wird. Ihm liegt die »Beziehung der fürsichseienden Subjektivität des einfachen Begriffs und seiner davon unterschiedenen Objektivität» (467) zugrunde. Die Subjektivität zeichnet sich mithin durch die Reflexivität des Selbstbewusstseins aus (fürsichseienden Subjektivität), die gleichwohl nicht für sich bestehen kann, sondern immer über einen Objektbezug vermittelt sein muss. In einem subjektivitätstheoretischen Exkurs in der Einleitung zur >Idee des Erkennens< akzentuiert Hegel in expliziter Wendung gegen die kantische Theorie der transzendentalen Synthesis diese »Untrennbarkeit der zwei Formen, in denen es [sc. das Ich] sich sich selbst entgegensetzt«, nämlich der Form der Einheit des >Ich denke< einerseits, die des diese vermittelnden Objektbezugs andererseits (»das Ich denkt etwas, sich oder etwas anderes« [491]).

Den Ausgangspunkt der >Idee des Erkennens< bildet zunächst die »Trennung» (467) von Subjektivität und Objektivität, die einander scheinbar »gleichgültig» (ebd.) gegenüberstehen. Natürlich folgt schon aus Hegels Subjektivitätstheorie, dass es sich bei dieser Opposition in der Tat um einen bloßen Anschein handeln muss; sowohl der Bereich der theoretischen Erkenntnis wie der des praktischen Handelns werden von Hegel gerade als Modi der Uberwindung dieser Opposition betrachtet. Der prima facie erhebliche ontologische Unterschied zwischen beiden Bereichen kann bei Hegel deshalb überraschenderweise zurücktreten. Er fasst den Unterschied zwischen beiden durchgängig in epistemischen Termini, die nahe legen, dass er sich lediglich der gewählten epistemischen Perspektive auf nur einen fundamentalen Prozess verdankt. Hegel charakterisiert diesen selbst nur an einer einzigen Stelle, zudem in denkbar knapper Form: »der Prozeß dieses endlichen Erkennens und [!] Handelns macht die zunächst abstrakte Allgemeinheit zur Totalität, wodurch sie vollkommene Objektivität wird» (468 f.).

Aus der Perspektive einer solch allgemeinen Bestimmung erweist sich der Unterschied zwischen Erkennen und Wollen nun in der Tat als von nachgeordneter Bedeutung: Im Erkennen liegt die Abstraktion zunächst auf der Seite des Subjekts - es sieht sich selbst gleichsam als »tabula rasa» (§ 232) der Vielfalt der Wirklichkeit gegenüber, die es bloß passiv in sich aufzunehmen hat. Im Wollen hingegen liegt die Abstraktion auf der Seite der Objektivität, die das Subjekt als Feld der Verwirklichung von selbst gesetzten Zwecken betrachtet, die es von außen an diese Objektivität heranträgt. Bereits hier ist deutlich, dass es sich bei dieser Rekonstruktion der beiden Richtungen des »Triebs, diese Trennung [sc. die von Subjektivität und Objektivität] aufzuheben» (467), um bloße idealtypische Extrapolationen handelt, die in einer reinen Form nirgends realisiert sein können; es wäre mithin verfehlt, für sie nach realphilosophischen Äquivalenten zu suchen. Weiter unten wird eingehender gezeigt, dass Hegel die Vorstellung des Geistes als einer leeren Tafel, auf der die Objektivität buchstäblich ihre Eindrücke hinterlässt, für ein grundsätzlich inkohärentes Modell des Erkennens hält. Dasselbe ließe sich auch im Bereich des Praktischen zeigen; die genannte Struktur in ihrer Reinform entspräche einer vulgär-humeanischen Theorie praktischer Vernunft (wie sie etwa vielen Formen der Rational-Choice-Theorie zugrunde liegt), der zufolge Wünsche schlicht gegeben sind und praktische Rationalität sich auf die nur instrumentelle Rolle beschränkt findet, Mittel für die Realisierung dieser Wünsche in der Wirklichkeit zu finden, aber unfähig ist, die Wünsche selbst kritisch zu prüfen und nach anderen als bloßen Kriterien ihrer gemeinsamen Realisierbarkeit zu modifizieren. Methodologisch sollte aus dieser Beobachtung die Konsequenz gezogen werden, die einzelnen Bestimmungen, die Hegel im Laufe seiner Ableitung des Begriffs des >Erkennens als solchem< gibt, gleichsam synoptisch als Momente eines einzigen, basalen Modells zu betrachten, deren Verselbständigung zu inkohärenten epistemologischen Ansätzen führen muss.9 Nach diesem unverzichtbaren Durchgang durch die begriffliche und systematische Rärmenstrul tur, in die Hegels epistemologische Grundgrammatik eingebettet isT, wird mithin nunmehr der Frage nachgegangen werden müssen, durch welche Merkmale sich dieses Modell auszeichnet. Itf beiden Logiken charakterisiert Hegel sein Modell als Schluss weier Urteile beziehungsweise Extreme. Beide Extreme bilden Momente der Idee-Struktur;10 Relata beider Urteile sind jeweils subjektiver und objektiver Begriff (vgl. 487, 497), also die erkennende Subjektivität einerseits, die zu erkennende Objektivität anderer seits. Im ersten Urteil wird lediglich der gerade erwähnte Umstand gesetzt, dass sowohl Subjektivität wie Objektivität Momente der Idee-Struktur sind; in ihnen hat der Begriff »sich selbst zum Gegenstande» (497). Beide Seiten realisieren auf unterschiedlichen ontologischen Ebenen identische begriffliche Strukturen: Die zu erkennende Natur bildet das Reich >objektiver Gedanken> (vgl. § 24), die sich selbst allerdings erst in der erkennenden Subjektivität thematisch werden können. Im zweiten Urteil wird diese Identität nun aufgebrochen durch die wesenslogische Kategorie der Voraussetzung: Die Subjektivität macht hier die Voraussetzung, dass die Objektivität ihr als ein von ihren eigenen Leistungen unabhängiges, »äußerliches Universum« (§ 223) gegenübersteht. Beide Urteile bestehen aber nicht einfach nebeneinander, sondern sie bilden Extreme eines Schlusses, der das Erkennen als solches konstituiert: Mit der Voraussetzung einer objektiven Wirklichkeit, die dem erkennenden Subjekt als von ihm unabhängig gegenübersteht, ist nämlich die im ersten Urteil enthaltene Überzeugung nicht aufgehoben, dass diese Wirklichkeit dem Subjekt nicht einfach als fremde gegenübersteht und seinen kognitiven Leistungen möglicherweise verschlossen bleiben könnte. Sie muss sich vielmehr durch dieselben Begriffe erschließen lassen, über die das Subjekt aktiv verfügen kann, die aber ihrerseits als >objektive Gedanken< im Modus des An-Sich (vgl. auch 497) ebendiese Wirklichkeit konstituieren. Das zentrale Problem einer Epistemologie besteht für He-gel darin, eine einheitliche Theorie unserer epistemischen Leistungen zu entwickeln, die beiden Prämissen gerecht zu werden vermag. Auch wenn Hegels idiosynkratische Begrifflichkeit Gefahr läuft, diesen Umstand zu verdecken, entspricht_ diese Aufgabenstellung der Sache nach genau dem Grundproblem des philosophischen Re


Richtung), die Opposition von Subjektivität und Objektivität aufzuheben. Beide unterscheiden sich, wie oben bereits gezeigt, durch ihre, in moderner Terminologie, unterschiedlichen Richtungen des Passens (directions of fit). Hegel erschwert indes das Verständnis seines Argumentationsgangs gerade an dieser Stelle dadurch, dass er mit einem doppelten Objektivitätsbegriff operiert, ohne die beiden distinkten Bedeutungen von Objektivität ausdrücklich voneinander abzuheben: Zum einen spricht er von Objektivität zur Bezeichnung des dem erkennenden und wollenden Subjekt Entgegengesetzten, zum anderen verwendet er denselben Begriff, um den Umstand zu kennzeichnen, dass einer der beiden Seiten des Gegensatzes von Subjektivität und Objektivität im ersten Sinne ein normatives Primat zukommt. Beide Bestimmungen stehen also systematisch quer zueinander, wie am Beispiel des Wollens sichtbar wird: Insofern nur Subjekte etwas wollen können, gehört es der Seite der Subjektivität an; andererseits ist es an dieser Stelle aber gerade »das Innere des Subjektiven, das hier als das wahrhaft seiende Objektive gilt [...]« (g 225). Die Welt ist es, die sich nach den gegebenen Zwecken des Subjekts richten soll, die in diesem Sinne eben objektiv sind. Beim Erkennen liegt die genau umgekehrte Richtung des Passens vor. Hier kommt der zu erkennenden Wirklichkeit Objektivität in beiden der gerade unterschiedenen Bedeutungen zu: Sie ist der Subjektivität entgegengesetzt (ein Gegensatz, den das Erkennen, wie gesehen, gerade aufheben soll), und zum anderen muss es sich im normativen Sinne nach dieser Wirklichkeit richten. Elizabeth Anscombe erläutert diesen grundlegenden Unterschied in der Richtung des Passens zwischen kognitiven und konativen Einstellungen durch das berühmte Beispiel der Einkaufsliste und des Detektivs: Wenn jemand nicht die Waren einkauft, die auf seiner Liste stehen, macht diese Person einen Fehler – die Liste gibt ja vor, was sie tun soll, eine Vorgabe, der sie nicht gerecht wird. Ein Detektiv hinge-gen, der das tatsächliche Einkaufsverhalten der Person protokollieren soll, muss sich nach diesem Verhalten richten – sein Protokoll soll zur Wirklichkeit, hier dem faktischen Verhalten des Einkaufen-den, passen, nicht diese in einer bestimmten Weise umgestalten, wie dies für konative Zustände charakteristisch ist.12 Diese grundlegende Richtung des Passens zeichnet nach Hegel das Erkennen aus; sein Ausgangspunkt ist »das Vorfinden und Gegebensein seines Inhalts« (g 232). Ein solches bloß Vorgefundenes ist indes nach Hegel gerade nicht das Erkannte, sondern bestenfalls ein kausaler Reiz unserer Sinnesoberfläche. Das >Erkennen> wird von ihm ja, wie gezeigt, gerade als der Trieb formuliert, diesen Eindruck eines bloß Gegebenen abzuheben; das Subjekt kann sich mithin nicht einfach darauf beschränken, »sich gegen das Vorhandene zurückzuhalten und passiv zu machen« (5oi). Wie aber kann dies gelingen, ohne dass dabei die normative Autorität der Wirklichkeit als des zu Erkennenden unterlaufen wird und in einen subjektiven Idealismus zurückfällt? Die Hauptlast einer Antwort auf diese Frage muss mithin die interne Analyse der Kategorie des Erkennens als solchen leisten, die indes wie bereits die oben diskutierte Analyse des Erkennens im allgemeinen in der Logik äußerst knapp bleibt: »Es [sc. das Erkennende] hat an seinem Begriff die ganze Wesenheit der objektiven Welt; sein Prozeß ist, den konkreten Inhalt derselben für sich als identisch mit dem Begriffe [...] zu setzen« (497). An sich ist die Wirklichkeit gemäß Hegels normativer Ontologie bereits identisch mit dem Begriff Eine Entität ist, was sie ist, nur in dem Maße, als sie ihren Begriff realisiert. Sie kann in verschiedener Weise dahinter zurückbleiben und ist in diesem Sinne in der oben charakterisierten Weise als schlecht zu charakterisieren; für eine Entität indes, die sich nicht mehr als – gleichwie Defizienten – Realisierung ihres Begriffs verstehen lässt, gibt es in Hegels Ontologie keinen Raum Was es für sich im Erkennen zu realisieren gilt, ist diese Identität der begrifflichen Bestimmungen, über die das erkennende Subjekt aktiv verfügen kann, mit den begrifflichen Bestimmungen, die die Wirklichkeit ontologisch konstituieren. Erneut bleibt die Frage offen, wie dieses Programm epistemologisch eingelöst werden kann. An dieser Stelle könnte es scheinen, als bliebe Hegels epistemologische Argumentation in den Idee-Abschnitten der Logiken merk-würdig wenig bestimmt. Obwohl man nun in der Tat in den einschlägigen Texten der Logiken vergeblich nach Material für eine inhaltlich reichhaltigere Epistemologie suchen wird, beruht ein solcher Eindruck indes auf einem doppelten Missverständnis: Erstens bleibt festzuhalten, dass die Aufgabe der Logik in der Explizierung des semantischen Gehalts der dort untersuchten Kategorien im Gesamtzusammenhang des Begriffs (im Singular) als systematischer Totalität dieser Kategorien besteht. Die Ausarbeitung einer materialen Epistemologie würde weit über diese Aufgabe hinausweisen und den Abschnitt der Logik, der sich dem Erkennen als solchem widmet, mit Material überfrachten, das die Stellung dieser Kategorie innerhalb der Begriffslogik, insbesondere auch ihren (wie gezeigt) engen Zusammenhang mit der des Wollens, in den Hintergrund treten lassen würde. Sie bleibt Aufgabe der entsprechenden realphilosophischen Systemteile, eine Problemstellung, die dort, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden soll, tatsächlich auch aufgenommen wird. Zweitens erweist sich die gerade analysierte begriffliche Struktur der Kategorie des Erkennens als material keineswegs trivial.Aufgabe einer jeden Erkenntnistheorie muss es nämlich sein, so Hegels implizite Forderung, zu zeigen, wie Erkennen in dem in der Logik deft- nierten Sinne möglich werden kann Obwohl dort nur gleichsam die _ Grammatik dieser Kategorie skizziert wurde, erscheint diese bei näherer Prüfung als äußerst anspruchsvoll. Sie schließt nicht nur einen subjektiven Idealismus aus, der mit der Voraussetzung eines »äußerliche[n] Universum[s]« (g 223) inkompatibel wäre, sondern auch einen epistemologischen indirekten Realismus. Was im Erkennen gesetzt werden soll, ist ja eine Identität zwischen dem intentionalen Gehalt des Erkenntnisaktes und dem Erkannten. Das intentionale Objekt des Erkennens kann also, soll von Erkennen in Hegels Sinne die Rede sein, nicht ein mentales Interface (sei es im Sinne des klassischen Empirismus oder strukturell analoger, naturalisierter Theorien der Cognitive Science) sein, von dessen Daten dann auf das sie kausal verursachende äußere Objekt geschlossen werden müsste. Auch Hegel selbst erörtert, wohl zu Zwecken der Veranschaulichung genau dieses Zusammenhangs, exemplarisch eine Epistemologie, die dem in der Grammatik des Erkennens erhobenem Anspruch nicht gerecht wird, nämlich die kantische. Für Hegel scheitert sie an dem-inkohärenten Versuch, das »Verhältnis der Unwahrheit des Erkennens als das wahrhafte anzunehmen« (500). Ziel dieser Kritik ist die kantische Formulierung eines empirischen Realismus im Rahmen eines transzendentalen Idealismus. Hegel sieht darin den strukturell instabilen Versuch, gleichzeitig (I) die Reichweite des Erkennens zu beschränken, insofern eine »unbekannte Dingheit-an- sich hinter [!] dem Erkennen« sich hinter [!] dem Erkennen« (500) postuliert wird, und (II) gleich-wohl an der Möglichkeit wahrer Erkenntnis festzuhalten. Aus (I) folgt aber bereits, dass das Erkennen im kantischen Sinne nicht das sein kann, was es seinem Begriff nach, wie Hegel ihn in der Logik expliziert hat, sein soll, nämlich die Erschließung der Struktur der Wirklichkeit selbst; es ist mithin im ontologischen Sinne falsch be-al hi ngsweise unwahr. Jeder Versuch, diese fundamentale Unwahrheit auf den Bereich des Transzendentalen zu begrenzen und so den Raum für einen empirischen Realismus zu eröffnen, kommt für Hegel zu spät und muss notwendig scheitern. Auf die sachliche Berechtigung dieser Kritik, die Hegel andernorts weit ausführlicher entwickelt hat, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden Gezeigt hat sich anhand der diskutierten Beispiele jedenfalls, dass nicht nur ein epistemologischer Skeptizismus, sondern auch die meisten in der gegenwärtigen Debatte vertretenen epistemologischen Ansätze realistischer oder idealistischer Spielart die Realisierung des >Erkennens< in Hegels Sinne strukturell ausschließen. Die untersuchte logische Analyse des Erkennens erweist sich mithin trotz ihres hohen Abstraktionsgrades als denkbar anspruchsvoll – ein Anspruch, der sich natürlich auch an Hegels eigenen Ansatz richten lassen muss.





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