Zweitens (RM)

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Eine Konzeption des Mediums im Sinn der mit ihm gegebenen Möglichkeiten lässt sich, vielleicht überraschend, auch in Jacques Derridas frühen Arbeiten zum schriftlichen Zeichen finden. So griff Derrida in seiner ersten Veröffentlichung nicht zufällig Husserls Fragestellung, inwiefern Sprache und Schrift als Bedingungen für die Möglichkeit der Objektivität von Erkenntnis und Wissenschaft angesehen werden können, auf und verfogte sie selbständig weiter.12 Während Husserl dabei vorrangig die Dimension des inneren Mediums behandelt,12 entwickelt Derrida weiterführend Dimensionen des Medialen, die auf allgemeine Möglichkeitsbedingungen hinzielen.

So verwendet er beispielsweise im französischen Original dieses Textes nicht nur die erwartbare Vokabel >médium<,13 sondern auch >milieu<14 und >élément<15. Vorschnell ließen sich die beiden letzteren mit “Mitte” übersetzen oder im Sinn des konstitutiven Bestandteils als Element interpretieren. Derridas Formulierungen deuten allerdings auch auf die naturwissenschaftlichen Konnotation der Wörter hin. Diese verweist auf das Mittel im Sinn der Vermittlung von Wirkungen16 und impliziert eine Vorstellung von Medium, die als Unhintergehbarkeit zu verstehen ist. Von einem Medium in diesem Sinn ist anzunehmen, dass bestimmte Effekte von ihm abhängen und dass es gegebenenfalls nur über die Effekte zungänglich ist.

Der Gedanke eines vorgängigen Mediums, das nurmehr über seine Effekte, nur reflexiv zu erschließen ist, lässt sich weiter verfolgen an den medienpilosophischen Motiven, die Derridas Grammatologie durchziehen. Dies geschieht unter der Voraussetzung, dass der Ausdruck >Schrift< nicht ausschließlich zeichentheoretisch interpretiert wird.17 Unter dieser Prämisse lässt sich erinnern an Derridas kritische Auseinandersetzung mit dem Modellcharakter, den das alphabetische Schriftzeichen für die Konzeption des sprachlichen Zeichens bei Saussure einnimmt,18 in deren Zusammenhang dieser vom “Schriftfonds”19 des gesprochenen Wortes spricht. Hierunter fällt aber auch die unter dem Stichwort >Urschrift< vollzogene Kritik an der strukturalen Anthropologie von Claude Lévi-Strauss. Diese lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass Derrida unter Urschrift phylogenetisch die generelle Befähigung der Gattung Mensch zu graphischen Artikulationen versteht. Das phonetische Vorurteil von Lévi-Strauss besteht deshalb nach Derrida darin, dass dieser andere graphisch-schriftliche Artikulationen als phonetische Schriften nicht gelten lässt und deshalb den von ihm erforschten Völkern Schriftlosigkeit vorwerfen kann. Mit dem Ausdruck >Urschrift< führt Derrida somit Medialität im Sinne einer allgemeinen Ermöglichung ein, die sowohl als Befähigung zu bestimmten Typen von Handlungen als auch als vorgängige, systemische Strukturen aufzufassen ist.

Die wissenschaftstheoretische Dimension des Ausdrucks >Medium< erweist sich allerdings nicht nur in dem Modellcharakter eines vorhandenen Zeichenrepertoires. Edmund Husserl behandelte in der Krisis-Schrift auch Zirkel und Lineal als Mittel zur Konstruktion geometrischer Gegenstände ebenso wie wissenschaftliche Methoden. In diese Tradition philosophischer Mittelreflexion ist dann auch eine der ersten, im engeren Sinn medienphilosophischen Arbeiten einzuordnen, Sybille Krämers Untersuchung der wissenschaftlichen Relevanz algebraischer Schriftsysteme für die Entwicklung der methodischen Verfahren der Philosophie der Neuzeit.20 In ihr zeichnet sich eine Bedeutung des Medienbegriffs ab, die darunter die Einheit von materiell-gegenständlichen resp. immateriell-elektronischen Mittel und den seinen Gebrauch regelnden Praktiken resp. methodischen Verfahren versteht. Mit ihr wird der Bereich einer im engeren Sinn verstandenen Medienphilosophie überschritten in Richtung auf aktuelle Diskussionen im Bereich der Technikphilosophie.

So macht Gerhard Gamm den medialen Charakter von Technik an der Unbestimmtheit des Computers als universeller Maschine fest. Zu dessen Charakteristika gehöre, dass mit ihm eindeutige Zweck-Mittel-Relationen, wie sie den klassischen Werkzeugen zugeschrieben werden, aufgegeben sind. Technik sei weniger als Instrument, vielmehr als materielles Dispositiv oder Medium zu verstehen, das dynamische Vermittlungszusammenhänge im Sinn vernetzter Systeme ebenso ermöglicht wie den Umgang mit Virtuellem.21 Der transformative Charakter von Technik wird daran deutlich, dass nicht nur neue Räume für neue Zwecksetzungen eröffnet werden, sondern dass sich Technik “... in ein Etwas verwandelt, in das sich (nahezu) alles übersetzen läßt.”22

Unbestimmtheit lässt sich aber auch im Sinn der “... Nichtwahrnehmbarkeit von Wirkmechanismen, hingergründigen Steuerungs- und Regulierungsprozessen, verdeckt gezeitigten (erwünschten oder unerwünschten) Effekten ...”23 verstehen. In diesem Sinn bieten auch für Christoph Hubig neueste Technologien den Anlass für eine erneute, medialitätsphilosophisch orientierte Reflexion von Technik. Allerdings schätzt er die mediale Dimension von Technik als hervorstechendes Merkmal nicht nur der neuesten Entwicklungen ein, sondern als Charakteristikum jedes technischen Typs von Artefakten: “Ein gebautes Haus ist Mittel zum Schutz vor der Witterung und zugleich Medium bestimmter Weisen des Wohnens.”24 Mittel werden dann zu Medien, wenn sie als äußere, gegenständliche Mittel, die zu einem bestimmten Zweck eingesetzt werden, zugleich Möglichkeitsräume erschließen, die erlauben, völlig neue Zwecke zu bestimmen. Sie sind einerseits in Möglichkeitsräume eingebunden, die als “vorausliegende Rahmenordnung” begriffen werden müssen, “... innerhalb deren konkrete Mittel realisiert und eingesetzt werden können.”25 Zugleich aber erfahren diese Möglichkeitsräume eine Strukturierung und Ausdifferenzierung über die in ihnen verwendeten technisch-kulturellen Mittel sowie die kulturell etablierten Praktiken ihrer Verwendung.26

Demnach wäre Medialität als ein Möglichkeits- (Hubig) oder Transformationsraum (Gamm) zu begreifen, der sich noch einmal untergliedern lässt in eine äußere Medialität, verstanden als “Welt äußerer Mittel” und in die innere Medialität, charakterisiert als eine “... reine Struktur des Organisierens von Raum, Zeit, Zeichengebrauch, Information, Kommunikation ...”27 Letzere bildet den Rahmen, innerhalb dessen jeder konkrete Mitteleinsatz realisiert, etablierte Handlungstypen aktualisiert werden.



Anmerkungen:

(11) Eine genaue Analyse von Derridas diesbezüglicher Husserl-Lektüre habe ich im zweiten Kapitel meiner Dissertation Ramming, Ulrike 2006: Mit den Worten rechnen. Ansätze zu einem philosophischen Medienbegriff Bielefeld: transcript, entwickelt.

(12) Husserl, Edmund 1987: "Der Ursprung der Geometrie". In: Derrida, Jacques 1987: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie. Ein Kommentar zur Beilage III der »Krisis«. München: Fink. 204-232.

(13) Derrida, Jacques 1974: Edmund Husserl, l'origine de la géometrie. Traduction et introduction par Jacques Derrida. 2., verb. Auflage. Paris. 69.

(14) Ebd.: 91.

(15) Ebd.: 72.

(16) Brockhaus Enzyklopädie 1991, Bd. 6: 381, Sp. 2.

(17) Vgl. Kimmerle, Heinz 2000: Jacques Derrida zur Einführung. 5., verb. Auflage. Hamburg. 32.

(18) Derrida, Jacques 1990: Grammatologie. 3. Auflage. Frankfurt/M. 90 ff.

(19) Ebd. 92.

(20) Krämer, Sybille (1991): Berechenbare Vernunft. Kalkül und Rationalismus im 17. Jahrhundert . Berlin/New York. Zur Diskussion der von Krämer entwickelten Position vgl. Ramming 2006, Kap. 1.

(21) Gamm, Gerhard 2005: “Unbestimmtheitssignaturen der Technik”. In: Ders./Andreas Hetzel (Hg.): Unbestimmtheitssignaturen der Technik. Eine neue Deutung der technisierten Welt. Bielefeld. 19/20.

(22) Ebd.: 102.

(23) Hubig, Christoph 2005: “>Wirkliche Virtualität<. Medialitätsveränderungen der Technik und der Verlust der Spuren.” In: Gerhard Gamm/Andreas Hetzel (Hg.): Unbestimmtheitssignaturen der Technik. Eine neue Deutung der technisierten Welt. Bielefeld. 39.

(24) Ders 2006: Die Kunst des Möglichen I. Technikphilosophie als Reflexion der Medialität. Bielefeld. 158.

(25) Ebd.: 156.

(26) Ebd.

(27) Ders. 2002: Mittel. Bielefeld. 20.