Quellen des Wissens

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Die folgenden Exzerpte stammen aus: Andrea Kern Quellen des Wissens. Zum Begriff vernünftiger Erkenntnisfähigkeiten. Frankfurt/M. 2006, S. 44ff, 74ff.


Die Standardauffassung, der Gettier-Einwand

Die Idee, daß Wahrheit und Rechtfertigung in diesem Sinn voneinander unabhängig sind, werde ich im folgenden das Dogma der Erkenntnistheorie nennen. Ein Großteil der erkenntnistheoretischen Diskussion, so wird sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen, ist von dem Gedanken bestimmt, daß man dieses Dogma nicht aufgeben kann. Ich werde zeigen, daß der Grund für das erkenntnistheoretische Dogma der skeptische Zweifel ist, den man mit diesem Dogma zu beseitigen versucht. Meine These wird indes sein, daß diese Antwort auf den skeptischen Zweifel nichts anderes als eine Reformulierung des skeptischen Zweifels ist. Um diesen Zusammenhang zwischen Skeptizismus und dem Dogma der Erkenntnistheorie sichtbar zu machen, werde ich zunächst negativ vorgehen und anhand der Diskussion eines verunglückten Versuchs, das Dogma aufzugeben, nämlich der Position von Robert Fogelin, zeigen, daß man das Dogma so lange nicht aufgeben kann, solange man das skeptische Problem nicht versteht, das dieses Dogma motiviert. Fogelins Versuch ist deswegen so erhellend, weil Fogelin zu den wenigen Autoren gehört, die dieses Dogma als die eigentlich falsche Voraussetzung der sogenannten Gettier-Fälle identifiziert haben vor deren Hintergrund die gesamte zeitgenössische erkenntnistheoretische Diskussion seit Gettiers Aufsatz »Is Justified True Belief Knowledge?« aus dem Jahr 1963 stattgefunden hat. Die Absicht Gettiers in diesem Aufsatz war es, durch Gegenbeispiele zu zeigen, daß Wissen nicht als wahre gerechtfertigte Meinung verstanden werden kann. Eines der beiden Gegenbeispiele, mit denen Gettier zu zeigen versuchte, daß Wissen nicht als wahre gerechtfertigte Meinung analysiert werden kann, ist folgendes:

Stellen wir uns einen Mann namens Smith vor. Smith hat starke Evidenz für folgende verknüpfte Behauptung: (d) Jones ist der Mann, der den Job bekommen wird und Jones hat 10 Pfennig in seiner Jackentasche. Smith' Evidenz für diese Behauptung ist etwa die, daß der Präsident seiner Firma ihm versichert hat, daß Jones gewählt werden würde und daß er, Smith, vor zehn Minuten die Pfennige in Jones' Jackentasche gezählt hat. Behauptung (d) impliziert also die folgende Behauptung: (e) Der Mann, der den Job bekommen wird, hat 10 Pfennig in seiner Jackentasche. Stellen wir uns nun vor, daß Smith sieht, daß die Behauptung (d) die Behauptung (e) impliziert. Und stellen wir uns weiter vor, daß Smith (e) auf der Basis von (d), für die er starke Evidenz hat, akzeptiert. »In diesem Fall«, so Gettier, »ist Smith offensichtlich darin gerechtfertigt zu glauben, daß (e) wahr ist« Doch nun stellen wir uns weiter vor, daß, ohne daß Smith das weiß, nicht Jones den Job bekommen wird, sondern er selbst. Und stellen wir uns weiter vor, daß, ebenfalls ohne daß Smith das weiß, er selbst 10 Pfennig in seiner Jackentasche hat. In diesem Fall ist klar, daß Smith nicht weiß , daß die Behauptung (e) wahr ist; denn (e) ist wahr aufgrund der Pfennigzahl in Smith' Jackentasche, während Smith nicht weiß, wieviel Pfennige in Smith' Jackentasche sind, sondern seine Überzeugung, daß (e) wahr ist, darin gründet, daß er die Pfennige in Jones' Jackentasche gezählt hat, von dem er fälschlicherweise glaubt, er würde den Job bekommen.

Soweit der Fall. Der Fall soll zeigen, daß die Standardanalyse von Wissen falsch sein muß, weil in diesem Fall jemand eine gerechtfertigte wahre Meinung hat, die kein Wissen ist. Gettier stellt seinem Fall die beiden folgenden Prämissen voran:

(1) Die Rechtfertigungsbedingung für Wissen stellt eine notwendige Bedingung für Wissen dar, jedoch keine hinreichende. Jemand kann daher eine in diesem Sinn gerechtfertigte, jedoch gleichwohl falsche Überzeugung haben.
(2) Wenn ein Subjekt S gerechtfertigt glaubt, daß p, und p q impliziert und S q aus p ableitet, dann ist S gerechtfertigt zu glauben, daß q.

Ein Großteil der Literatur hat seither versucht, die zweite Prämisse zu attackieren und damit die Analyse von Wissen als wahre, gerechtfertigte Überzeugung gegen Gettiers Fälle zu retten, die zeigen sollen, daß die traditionelle Analyse des Wissensbegriffs nicht richtig sein kann. Fogelin erkennt dagegen, daß das Gettier-Problem nur gelöst werden kann, wenn wir die erste Prämisse in Frage stellen, also genau jene Prämisse, die wir das Dogma der Erkenntnistheorie genannt haben. Fogelin fragt sich zunächst, weshalb Gettier - und damit all diejenigen, die sich seither mit dem Gettier-Problem implizit oder explizit beschäftigt haben - glaubt, daß eine Person eine gerechtfertigte Überzeugung haben kann, die falsch ist. (Ein quasi falsches Wissen. anna 09:19, 10. Nov 2006 (CET)) Weder Gettier noch sonst jemand hat eine Begründung dieser Prämisse jemals für nötig gehalten, woran sich nachdrücklich zeigt, daß diese Prämisse den Status eines Dogmas hat. Fogelin rekonstruiert nun folgende implizite Begründung: Würden wir diese Prämisse bestreiten, dann, so scheint es, müßten wir behaupten, daß jemandes Überzeugung nur dann gerechtfertigt ist, wenn er Gründe für sie hat, die deren Wahrheit implizieren. Die Konsequenz dieser Behauptung wäre, daß sogenannte »induktive Gründe« niemals eine für Wissen hinreichende Rechtfertigung liefern könnten, wenn wir darunter Gründe verstehen, die so sind, daß sie die Wahrheit der fraglichen Überzeugung nicht implizieren. Fogelin hingegen teilt mit den Vertretern des Dogmas den Gedanken, daß wir »induktive Gründe« in diesem Sinn zulassen müssen, wenn wir nicht von vornherein ausschließen wollen, daß es so etwas wie empirisches Wissen gibt. Denn wenn es so etwas wie Wissen von empirischen Tatsachen gibt, so argumentiert Fogelin, dann kann dieses nicht das Resultat von deduktiven Gründen sein. Wenn es aber nicht das Resultat von deduktiven Gründen sein kann, dann, so glaubt Fogelin folgern zu müssen, besteht die einzige Weise, wie man empirische Tatsachen zum Bereich des Wißbaren zulassen kann, darin, daß man induktive Gründe zuläßt. Fogelins Strategie folglich ist es, eine Position zu suchen, die es uns erlaubt, das Dogma aufzugeben, d. h. (i) zurück-zuweisen, und zugleich induktive Gründe zuzulassen.

Fogelin kommt zu seiner Position in zwei Schritten. Sein erster Schritt besteht in dem Vorschlag, daß wir eine begriffliche Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen des Rechtfertigungsbegriffs einführen müssen. Wir müssen, so Fogelin, zwischen einem deontologischen und einem epistemischen Sinn des Rechtfertigungsbegriffs unterscheiden. Dann nämlich läßt sich sagen, daß das Gettier-Problem auf dem Mißverständnis beruht, daß Rechtfertigung im deontologischen Sinn ausreichend für Wissen sei, doch in Wahrheit jemand nur dann etwas weiß, wenn er in beiden Hinsichten gerechtfertigt ist.


Sinnlichkeit als Quelle von Wissen

Auf diese Weise haben wir oben in allgemeiner Weise den Begriff der Überzeugung eingeführt: Überzeugungen sind spontane Akte eines »endlichen denkenden Wesens«, deren Inhalt in dem Sinn objektiv ist, daß die Welt der Maßstab seiner Wahrheit ist. Das Bilden von Überzeugungen ist nach dieser Bestimmung also das Vorrecht endlicher denkender Wesen. Weder Tiere noch Götter haben Überzeugungen über die Welt. Das Trilemma setzt nun voraus, daß wir solche Akte vollziehen können und in diesem Sinn Überzeugungen haben können. Denn nur, wenn man dies voraussetzt, kann man das Problem formulieren, dessen Unlösbarkeit das Trilemma behauptet: nämlich wie man bestimmte Akte, die dadurch definiert sind, daß sie die Frage nach ihrer Wahrheit aufwerfen können, normativ erklären kann. Denn die Frage nach der Wahrheit eines Aktes kann sich weder stellen, wenn der Akt, um den es geht, gar keinen Inhalt hat, noch, wenn die Wahrheit seines Inhalts ein Produkt dieses Aktes ist. Um also behaupten zu können, daß es unmöglich für uns ist, Überzeugungen so begründen zu können, daß wir dadurch ausschließen können, daß sie falsch sind, muß man voraussetzen, daß wir überhaupt Überzeugungen haben können. Fragen wir uns also, ob diese Voraussetzung des Trilemmas erfüllt sein kann, wenn wir zugleich an der anderen Voraussetzung des Trilemmas festhalten, der zufolge nur Überzeugungen Gründe für Überzeugungen sein können

Stellen wir uns also vor, Überzeugungen seien die einzigen geistigen Akte, die für ein Subjekt Gründe dafür sein können, genau das zu tun, was es tut, wenn es eine Überzeugung bildet: sich dazu zu entscheiden, einen bestimmten begrifflichen Inhalt als wahr zu bejahen. Dies würde bedeuten, daß die einzigen geistigen Akte, die normativ erklären können, weshalb jemand etwas glaubt, ihrerseits dadurch charakterisiert sind, daß ihr begrifflicher Inhalt das Resultat einer von der Wahrheit geleiteten Entscheidung des Subjekts ist. Indes, wenn Überzeugungen die einzigen Kandidaten für eine normative Erklärung von Überzeugungen sind, dann heißt dies, daß nichts von dem, was das Subjekt in der Bildung einer Überzeugung leiten kann, von der Art ist, daß dies reflektiert, daß die Wahrheit seiner Überzeugung abhängig davon ist, wie die Dinge in der Welt sind. Vielmehr ist alles, was es leitet, von einer Entscheidung des Subjekts abhängig. Wenn aber das so ist, dann macht dies den Gedanken unmöglich, daß ein Subjekt Akte vollziehen kann, die es als etwas versteht, dessen Wahrheit davon abhängig ist, wie die Dinge in der Welt sind. Doch dann gibt es das Problem nicht, welches das Trilemma formuliert. Denn das Trilemma beruht darauf, daß ein Subjekt Akte vollziehen kann, in denen es sich auf die Welt als ihrem Maßstab bezieht, der bestimmt, ob diese Akte wahr oder falsch sind.

Nur Überzeugungen sind Gründe für Wissen. Überzeugungen sind selbst Wissen. Wo bleibt sie Welt?

Dies zeigt, daß der Gedanke, daß wir Überzeugungen im Sinne von Akten mit einem objektiven Inhalt haben, ganz gleich, ob sie nun wahr oder falsch sind, keineswegs voraussetzungslos ist. Damit dieser Gedanke überhaupt verständlich sein kann, müssen wir vielmehr über geistige Akte als Gründe für Überzeugungen verfügen, deren begrifflicher Inhalt nicht das Resultat einer Entscheidung ist, sondern der abhängig davon ist, wie die Dinge in der Welt sind. Damit wir Überzeugungen haben können, deren Wahrheit wir als abhängig von der Welt verstehen, müssen wir über Gründe für Überzeugungen verfügen, die genau diese Abhängigkeit von der Welt reflektieren. Das bedeutet, daß wir über Gründe verfügen müssen, die, Kantisch ausgedrückt, nicht dem Vermögen der Spontaneität entspringen, sondern einem Vermögen, welches durch »Rezeptivität« charakterisiert ist. Und zwar genauer einem Vermögen, dessen Rezeptivität darin besteht, daß seine Aktualisierungen einem Subjekt ebenjene Art von Gründen liefern, ohne die es nicht verstehen kann, wie es Überzeugungen haben kann, deren Wahrheit abhängig davon ist, wie die Dinge in der Welt sind. Es muß folglich geistige Akte geben, die einem Vermögen entspringen, welches nicht dadurch charakterisiert ist, »Vorstellungen selbst hervorzubringen«, sondern dadurch, »Vorstellungen zu empfangen«, wie Kant es ausdrückt. Unser Vermögen der Sinnlichkeit ist ein solch rezeptives Vermögen. Denn unsere Sinnlichkeit, so formuliert es Kant, ist die Fähigkeit, »Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen.« Ein Subjekt, das einen Grund für eine Überzeugung hat, der seiner Sinnlichkeit entspringt, hat eine Vorstellung von etwas, die das Resultat seiner Fähigkeit ist, von den Gegenständen in der Welt affiziert zu werden. Es hat folglich eine Vorstellung von etwas, die intrinsisch dadurch bestimmt ist, daß ihr begrifflicher Inhalt nicht das Resultat der Entscheidung eines Subjekts ist, sondern das Resultat einer Einwirkung der Welt auf die Sinnlichkeit eines Subjekts. Damit ein Subjekt Überzeugungen haben kann, deren Wahrheit abhängig davon ist, wie die Dinge in der Welt sind, muß es Gründe für Überzeugungen haben, die seiner Sinnlichkeit entspringen.

vide McDowell

Der rezeptive Nexus

Was zeigen uns diese Überlegungen zur Frage, wie Überzeugungen möglich sind, deren Inhalt in dem Sinn objektiv ist, daß seine Wahrheit abhängig davon ist, wie die Dinge in der Welt sind? Nun, sie zeigen uns, daß, wenn es geistige Akte geben sollte, die zur Kategorie eines wahrheitsgarantierenden Grundes gehören, wir bestimmte von ihnen von vornherein auszeichnen können: nämlich jene geistigen Akte, deren Nexus nicht nur begründend, sondern auch rezeptiv ist. Der grundlegende Fall der Begründung von Überzeugungen muß ein geistiger Akt sein, in dem ein rezeptiver Nexus zwischen dem Subjekt dieses Aktes und einem bestimmten Inhalt besteht. Denn nur, wenn es geistige Akte gibt, in denen ein sowohl begründender wie auch rezeptiver Nexus zu einem Inhalt besteht, können wir erklären, wie ein Subjekt Überzeugungen haben kann, deren Wahrheit abhängig davon ist, wie die Dinge in der Welt sind. Üm solche Überzeugungen haben zu können, müssen wir Akte vollziehen können, deren begrifflichen Inhalt wir nicht in dem Sinn selbst hervorbringen, daß er abhängig von einer Entscheidung von uns ist, sondern deren begrifflichen Inhalt wir von der Welt vermittels unserer Sinnlichkeit empfangen.

Wir werden im folgenden Überzeugungen, die auf einen solch rezeptiven Grund zurückgehen, empirische Überzeugungen nennen und die ihnen entsprechende Art von Wissen empirisches Wissen. Von jenen Ausdrücken, die wir vorhin als Ausdrücke für angebliche Instanzen von geistigen Akten identifiziert haben, die unter die Kategorie eines wahrheitsgarantierenden Grundes fallen, gehören die Ausdrücke »wahrnehmen, daß p« und »von einem anderen erfahren, daß p« offenkundig in die Klasse jener Ausdrücke, die genau einen solchen Nexus zu bezeichnen scheinen: einen begründenden Nexus, der rezeptiv ist. Denn wenn jemand etwas wahrnimmt, dann schließt dies ein, daß er einen sinnlichen Eindruck von etwas hat. Daß er einen sinnlichen Eindruck hat, etwa den, daß es gerade schneit, aber heißt, daß er einen geistigen Akt vollzieht, der sich dadurch von einer Überzeugung unterscheidet, daß dieser nicht als solcher schon impliziert, daß man den begrifflichen Inhalt dieses Eindrucks bejaht. Daß sinnliche Eindrücke rezeptiv sind, heißt, daß sie nicht als solche schon genau jenen Akt des Stellungnehmens implizieren, der Überzeugungen charakterisiert. Nachdrücklich zeigt sich dies etwa daran, daß man selbst dann den sinnlichen Eindruck hat, ein ins Wasser getauchter Stab sei krumm, wenn man längst weiß, daß er gerade ist. Richtig ist natürlich, daß man eine Entscheidung darüber fällen kann, ob man hier und jetzt in dieser Situation überhaupt seine Augen öffnen soll oder will, oder ob man das Licht anmachen soll oder will, etwa um besser zu sehen, oder ob man aufmerksam hinschauen soll oder will, oder nur kurz und flüchtig. Doch wenn man - nachdem man dies entschieden hat - sodann die Augen öffnet und sieht, was zu sehen ist, dann ist das, was man sieht, nicht das Resultat einer Entscheidung.

Ebenso ist es, wenn man von einem anderen etwas erfährt. Wenn man etwas von einem anderen erfährt, dann schließt dies ein, daß man die Mitteilung eines anderen versteht. Und eine Mitteilung zu verstehen heißt, daß man einen geistigen Akt vollzieht, der nicht als solcher schon impliziert, daß man den begrifflichen Inhalt dieses Aktes bejaht. Das Verstehen einer Mitteilung ist zunächst einmal ein Akt des Empfangens: Man empfängt von einem anderen eine bestimmte begriffliche Vorstellung. Natürlich ist auch hier richtig, daß ich prinzipiell eine Entscheidung darüber fällen kann, ob ich in dieser Situation hier und jetzt überhaupt die Zeitung lesen soll oder will, oder darüber, von wem ich diese Mitteilung empfangen soll oder will. Doch wenn ich - nachdem ich dies entschieden habe - die Zeitung aufschlage und lese, daß Gregor Gysi der neue Wirtschaftssenator für Berlin ist, dann ist das, was die Zeitung mir mitteilt, nicht abhängig davon, daß ich in einer bestimmten Weise dazu Stellung genommen habe. Was sich auch hier daran zeigt, daß ich selbst dann noch von der Zeitung die Mitteilung empfange, daß Gregor Gysi der neue Wirtschaftssenator für Berlin ist, wenn ich längst weiß, daß er dies nicht ist.

Agrippas Trilemma

Agrippas Trilemma beruht auf der Prämisse, daß die einzigen geistigen Akte, die Überzeugungen begründen können, Überzeugungen sind. Wenn diese Voraussetzung richtig ist, dann heißt dies, so legen unsere Überlegungen nahe, daß Agrippas Trilemma ein skeptisches Problem formuliert, das tiefer geht, als es bislang den Anschein hat. Es wirft dann nicht nur ein epistemologisches, sondern auch ein transzendentales Problem auf. Denn es bedeutet, daß wir dann nicht nur nicht verstehen können, wie wir Wissen von der Welt haben können, sondern wir können dann noch nicht einmal verstehen, wie wir Überzeugungen über die Welt haben können. Wir sagen: wenn die Voraussetzung von Agrippas Trilemma richtig ist. Daß sie richtig ist, dafür liefert das Trilemma selbst kein Argument. Vielmehr haben wir gesehen, daß wir in unserem Denken Ausdrücke vorfinden, die vorgebliche Instanzen von geistigen Akten bezeichnen, die zur Kategorie eines wahrheitsgarantierenden Grundes gehören, der rezeptiv ist. Die Ausdrücke »wahrnehmen, daß p« und »von einem anderen erfahren, daß p» scheinen geistige Akte zu beschreiben, die Instanziierungen eines begründenden, rezeptiven Nexus sind. Agrippas Trilemma ist folglich abhängig davon, daß es Überlegungen gibt, die uns zeigen, daß jene beiden Ausdrücke, die wir in unserem Denken für Instanzen eines Nexus identifiziert haben, der sowohl begründend als auch rezeptiv ist, in Wahrheit keine Ausdrücke für solche Instanzen sind. Wir werden im nächsten Teil diese Überlegungen identifizieren, die zu zeigen beanspruchen, daß die Ausdrücke »wahrnehmen, daß p« und »von einem anderen erfahren, daß p« keine Ausdrücke für Instanzen eines solchen Nexus sind. Wir werden also die Frage, ob es Gründe jener Kategorie gibt, von der wir gezeigt haben, daß wir sie zur Erklärung von Wissen benötigen, anhand dieser beiden Instanzen erörtern.

Vom Hörensagen? Eine Ahnengalerie

An dieser Stelle könnte man geneigt sein, schon im Vorfeld einen Einwand gegen unsere Diskussion dieser beiden Instanzen vorzubringen. Es sei von vornherein irrig zu glauben, der Ausdruck »von einem anderen erfahren, daß p« könnte die Instanziierungen eines Grundes für Wissen beschreiben. Das Verstehen der Mitteilung eines anderen, so der Einwand, stellt keine Quelle für Wissen dar. Der Einwand will sagen, daß von den beiden vorgeblichen Quellen, die wir identifiziert und für unsere Diskussion ausgewählt haben, nur die Wahrnehmung tatsächlich eine Quelle von Wissen ist. Er will dagegen bestreiten, daß das Verstehen der Mitteilung eines anderen eine Quelle von Wissen sein kann. Auch wenn wir in unserer alltäglichen Praxis ständig so tun, als sei dies eine Quelle von Wissen und wir allerlei Dinge auf der Grundlage dessen glauben, daß wir einen anderen dies und das haben sagen hören, so sollten wir dies doch bei Licht betrachtet besser nicht tun: Etwas auf der Grundlage dessen zu glauben, daß wir einen anderen dies haben sagen hören, ist, so schreibt etwa Jonathan Barnes, nicht mehr als »a rotten way of acquiring beliefs«: »No doubt we all do pick up beliefs in that second fashion, and I fear that we often suppose such scavengings yield knowledge. But that is only a sign of our colossal credulity: [it is] a rotten way of acquiring beliefs and it is no way at all of acquiring knowledge.«

Ein großer Teil der philosophischen Tradition hingegen hat beide vorgeblichen Quellen von Wissen auf die gleiche Stufe gestellt. Wenn sinnliche Eindrücke als eine Quelle von Wissen erkannt wurden, dann in der Regel auch die Mitteilungen anderer. Wenngleich freilich unsere sinnlichen Eindrücke stets im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, unter anderem deswegen, weil man die Möglichkeit von Wahrnehmungswissen ganz offenkundig schon begreifen und ins Spiel bringen muß, um die Möglichkeit von Wissen vom Hören-sagen überhaupt thematisieren zu können. Denn damit es überhaupt die Art von Mitteilung geben kann, durch die man etwas von einem anderen über die Welt erfahren könnte, nämlich eine Mitteilung, in der dieser andere sein Wissen über die Welt zum Ausdruck bringt, muß an irgendeiner Stelle der Kette von Mitteilungen von einem zum anderen jemand gewesen sein, der das Wissen über die Welt, das er einem mitteilt, direkt von der Welt selbst erworben hat, nämlich dadurch, daß er einen sinnlichen Eindruck von ihr hatte.

Das »Denken eines Menschen«, so schreibt etwa Hobbes, kann auf drei Weisen beginnen nämlich entweder »mit Definitionen« oder, wenn es nicht mit Definitionen beginnt, »so beginnt es entweder mit eigenen Erwägungen und wird dann immer noch Meinung genannt, oder aber es beginnt mit einer Behauptung eines an-deren, an dessen Fähigkeit, die Wahrheit zu wissen, und Ehrlichkeit man nicht zweifelt.« Ebenso bemerkt auch Hume, daß es »keine so allgemeine, so nützliche und selbst zu unserem Leben so notwendige Art der Vernunfttätigkeit gibt, wie die, welche von dem menschlichen Zeugnis und den Berichten von Augenzeugen und Zu-schauern ausgeht.« s5 Gewiß. Denn ganz alltägliche und doch gleich-wohl so wichtige Dinge sind offenkundig nur auf diese Weise zugänglich. Etwa kann ich nur wissen, wann ich geboren wurde, in-dem mir das jemand, der es weiß, mitteilt.

Thomas Reid hat nachdrücklich die Analogie hervorgehoben, die zwischen dem Empfangen sinnlicher Eindrücke und dem Empfangen der Mitteilungen anderer besteht: Beide liefern einem Subjekt »evidences« dafür, etwas über die Welt zu glauben, d. h. Gründe.s» Und zwar liefern beide Evidenzen, die in einer wichtigen Hinsicht >>analog« sind: >>There is«, so Reid, >>no doubt, an analogy between the evidence of the senses and the evidence of testimony. Hence, we find, in all languages, the analogical expression of the testimony of sense, of giving credit to our senses, and the like.« 87 Die Evidenzen, die sie uns liefern, sind nach Reid darin analog, daß sie uns eine >>immediate conviction« für das geben, wofür sie Evidenzen sind.88

Auch Kant beschreibt das Wissen, das man durch sinnliche Eindrücke erwirbt, analog zu dem, das man durch die Mitteilungen anderer erwirbt. So bestimmt er Wissen allgemein als >>Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der sowohl objektiv als subjektiv zureichend ist«."' Die Form der Gewißheit, die ein Subjekt in bezug auf die Wahrheit einer von ihm gewußten empirischen Behauptung hat, bestimmt er sodann als >>empirische Gewißheit«, weil sie sich >>auf Erfahrung« gründet, und zwar »die eigene sowohl als die fremde mitgeteilte« Die eigene Erfahrung wie auch die fremde mitgeteilte Erfahrung sind, so Kant, beides gleichermaßen »Quellen«, aus denen unsere empirische Erkenntnis »geschöpft wird«." Das heißt, es gibt nach Kant zwei verschiedene Formen empirischer Erkenntnis: nämlich »eine ursprüngliche (originarie empirica), sofern ich von etwas aus eigener Erfahrung, und eine abgeleitete (derivative empirica), sofern ich durch fremde Erfahrung wovon gewiß werde.« Nach Kant »können« wir folglich »mit derselben Gewißheit eine empirische Wahrheit auf das Zeugnis anderer annehmen, als wenn wir durch Facta der eigenen Erfahrung dazu gelangt wären.« Das bedeutet unter anderem, so Kant, daß es so etwas wie historisches Wissen geben kann. Denn dies steht offenkundig mit auf dem Spiel, wenn wir bestreiten, daß wir Wissen durch die Mitteilungen anderer erwerben können. »Der historische Glaube z. B. von dem Tode eines großen Mannes, den einige Briefe berichten,« so Kant, »kann ein Wissen werden, wenn die Obrigkeit des Orts denselben, sein Begräbnis, Testament u.s.w. meldet. Daß daher etwas historisch bloß auf Zeugnisse für wahr gehalten, d. i. geglaubt wird, z. B. daß eine Stadt Rom in der Welt sei; und doch derjenige, der niemals da gewesen, sagen kann: ich weilt und nicht bloß: ich glaube, es existiere ein Rom: das steht ganz wohl beisammen.« 

Auch Heidegger bemerkt, daß wir auch dann, wenn wir uns nicht in »originärer Erfahrung vor das Seiende selbst [...] bringen«, wir »doch entsprechend in einem Sein zu diesem [bleiben] «, nämlich dann, wenn uns dieses »durch Hörensagen« zugetragen wird.« Und er versäumt es nicht, hinzuzufügen, daß diese Weise, zu Wissen zu kommen, äußerst häufig ist. »Die Entdecktheit«, so schreibt er, »wird in weitem Ausmaß nicht durch je eigenes Entdecken, sondern durch Hörensagen des Gesagten zugeeignet.« Austin nennt entsprechend dasjenige Wissen über die Welt, das wir nicht durch eigene Erfahrung, sondern durch fremde Erfahrung erwerben, »Wissen aus zweiter Hand Wenn ich gefragt werde, woher ich weiß, daß die Perser bei Marathon besiegt wurden und meine Antwort lautet »Herodot sagt es ausdrücklich«, dann wird, so Austin, der Ausdruck »wissen« ganz zu Recht gebracht: »Wir wissen, >aus zweiter Hand<, wenn wir eine Autorität anführen, die (möglicherweise auch nur aus zweiter Hand) zu wissen imstande ist.«

Alle diese Autoren der philosophischen Tradition anerkennen also explizit, daß es so etwas wie Wissen vom Hörensagen gibt. Doch indem wir sie hier anführen, wollen wir keineswegs behaupten, daß überall dort, wo dieses Wissen anerkannt wird, es auch begriffen und verständlich gemacht werden kann. Weder Hume noch Austin, wie sich zeigen wird, können die Möglichkeit von Wissen vom Hörensagen begreifen Vielleicht hat Barnes ja recht. Vielleicht ist das Verstehen der Mitteilungen anderer »no way at all of acquiring knowledge«. Der Skeptiker wird genau das behaupten: Die Idee, daß wir Wissen dadurch erwerben können, daß uns ein anderer etwas mitteilt, ist eine Chimäre. Ich will an dieser Stelle nicht mehr tun, als Barnes' Skepsis zu radikalisieren: Wenn es unmöglich ist, zu verstehen, wie wir Wissen dadurch erwerben können, daß uns ein anderer etwas mitteilt, dann ist es auch unmöglich, zu verstehen, wie wir Wissen dadurch erwerben können, daß wir eine sinnliche Erfahrung machen. Denn ich werde im folgenden zeigen, daß diejenige Voraussetzung, die es uns unmöglich macht, zu begreifen, daß wir Wissen durch die Mitteilung eines anderen erwerben können, genau dieselbe ist wie diejenige, die es uns unmöglich macht, zu begreifen, daß wir Wissen durch sinnliche Eindrücke erwerben können. Wer an der Möglichkeit von Wissen vom Hörensagen zweifelt, stellt damit zugleich die Möglichkeit von Wahrnehmungswissen in Frage. Wenn wir erkennen, daß es ein und dieselbe Voraussetzung ist, die es unmöglich macht, zu verstehen, wie Wahrnehmungswissen und Wissen vom Hörensagen möglich sind, dann müssen wir entweder schließen, daß wir beide Quellen nicht verstehen können, oder aber wir finden einen Weg, diese Voraussetzung aufzugeben. Um ein richtiges Verständnis der Natur von Wissen zu gewinnen, ist es daher sinnvoll, auf beide vorgeblichen Wissensquellen zugleich zu reflektieren. Denn gerade in ihrer gemeinsamen Diskussion wird jene Voraussetzung nachdrücklich sichtbar, die es uns unmöglich macht, Wissen überhaupt zu verstehen.




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