„Der Wille zur Macht als Wille zur Form: Nietzsche“

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Markus Karner über einen Text von Eugenio Mazzarella


Der Text bezieht sich nicht unmittelbar auf umweltethische bzw. umwelttheoretische Gedanken, es können jedoch Argumentation daraus abgeleitet werden.

Nietzsches Ontologie ist eine metaphysische. Dem Sein am nächsten ist das Leben. Nietzsche setzt den Begriff Sein und Leben gleich. Alles Leben ist Sein. Das Leben, das Lebendige ist immer im Begriff zu wollen und zu werden. Daher ist für Nietzsche der Wille das Grundlegende am Sein. Der Wille zur Form, alles was ist, ist aus einer Willensbekundung hervorgegangen. Der Wille als Schöpfer aller Dinge. Der Wille ist die Triebfeder, Dinge vom Nicht-Sein ins Sein zu drängen. Er ist Künstler im weiten Sinne, der seine Kreationen auf der Plattform des Seins präsentiert. Die Kunst in dieser Kunst, also jene im allgemein verstandenem Sinne, macht dieses Machtverhältnis sichtbar. Der Künstler gießt seinen Willen in eine von ihm gewählte Form und verwirklicht diese im wahrsten Sinne des Wortes.

Alles Seiende was jetzt ist hatte genug Willen, um zu existieren. Jedem Seienden wird so ein Wille unterstellt, der die Dinge im Sein erschafft.

Von den absoluten Wahrheiten hält dieser Wille nichts, vielmehr werden Wahrheiten durch das Hineindrängen ins Sein miterschaffen und die Wahrheiten ändern sich sooft wie sich das Erschaffene verändert. Nietzsche unterscheidet zwei unterschiedliche Wahrheitsauffassungen die sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. Wahrheiten im Bezug auf das Sein sind solche, die allen Seienden Dingen gemeinsam sind, der Wille. Wahrheiten innerhalb dieses Seins lassen sich nicht ein für allemal aufstellen, denn diese sind dem willentlichen Fluss der Veränderung untergeordnet. Erkenntnistheoretische Aussagen beziehen sich auf Zweites und müssen sich ständig neu beweisen, um nicht ins abseits des Nicht-Seins gedrängt zu werden.

Nietzsche führt die christliche Tradition des subjektiven Bewusstseins radikal zu Ende. Der Geist bzw. das Bewusstsein erhebt sich zu sich selbst, wird sich selbst bewusst und gelangt so zu einer Objektivität die keiner äußeren Umstände bedarf. Der Geist ist jedoch nur innerhalb des Seins aktiv, er ist an die Lebenszeit des Körpers gebunden und kann sich nach dem Tod dem Körper nicht entledigen, sondern geht gemeinsam mit ihm zu Grunde.

Der Wille als Künstler, als jenes Urelement dem Schöpfer gleich, herrscht über alle seienden Dinge. Bei Nietzsche verdankt das Ur-Sein Dionysos sein „Leben“ und aus dem folgen alle weiteren Dinge. Dionysos´ Wille spaltete sich bei jeder neuen Schöpfung und so besitzt jedes Seiende seinen eigenen Willen. Jeder Wille ist sich seiner selbst bewusst, besitzt also ein Vermögen sich von Innen heraus von sich selbst zu entfernen und verlangt, über sich selbst herrschen zu dürfen. Gott muss tot sein, damit jedes Quantum Willen ein sich selbst – gesetzgebender Künstler ist und sich nach seinem Willen gestalten kann. Die Freiheit der einzelnen Willen kostet dem Allmächtigen, der überall die Finger im Spiel haben will, den Tod. Anstatt eines Alleinherrschers stehen unzählige Herrscher nebeneinander, jeder mit seinem eigenen Territorium.

Das Widersprüchliche an Nietzsches´ Willensontologie liegt daran, dass er in seiner Konzeption den Willen über das endliche Leben hinaus gehen läßt. Einerseits sucht er den Willen im Lebendigen, findet ihn dort, und trägt ihn dann jedoch über das endliche Lebendige hinaus. Der Willensbegriff entsteht im begrenzten, lebendigen Diesseits, seine Wirkung und seine Lebenszeit ist jedoch ewig und entledigt sich diesseitiger Grenzen.

Es lassen sich keine ethischen Forderungen in dem Text erkennen. Vielmehr konkurrieren die verschiedenen Entitäten um die Gunst des Seins. Nietzsche beschreibt hier einen sehr individuellen Zugang, in dem Natur bzw. Umwelt nicht erwähnt wird. Bezogen auf die Umwelt als die Natur die uns umgibt, lassen sich mehrere Argumentationslinien, die daraus ableitbar sind, erkennen. Alles Seiende ist verwirklichtes Wollen. Auch die Natur als ein Oberbegriff der sich aus allen Willenquanten zusammensetzt, die mächtig genug waren sich zu verwirklichen. Aus Nietzsches Gedankenmodell kann nun gefolgert werden, dass jeder Wille mit den anderen Willen konkurriert. Es findet sozusagen ein Verdrängungswettbewerb statt, bei dem der Mächtigste im Sein verweilt. In dem Sinn wäre eine Umweltzerstörung von derartiger Dimension nichts verwerfliches, weil die zerstörte Umwelt willentlich nicht stark genug war.

Die Existenz des Menschen (und auch die anderer Lebewesen) ist auf ein Ökosystem, also auf eine Umwelt angewiesen, die die Existenz erst möglich macht. Heißt das nun, dass der Wille des Menschen sich seine existentiellen Vorraussetzung gleich miterschafft, oder dass er auf andere Willen angewiesen ist?

Wenn er das tut, so besteht alles nur weil der Wille des Menschen existiert. Gott ist im Menschen wiederauferstanden. Im Bezug auf eine Umweltzerstörung zerstört der Mensch nur das, was er selbst geschaffen hat. Sein Wille hat sich verändert und hält nun von dem Zerstörten nicht mehr viel. Dieser Gedanke führt uns nicht weiter, wenn es darum geht die Umweltproblematik in den Griff zu bekommen. Nietzsche stellt hier keine normativ – ethischen Forderungen auf, sondern er beschränkt sich auf eine kreatives Gedankenmodell, indem er die Welt beschreibt wie sie ist.

Im Angesicht des Selbstbewusstsein des Willens kann aber auch argumentiert werden, dass der Wille eine Art Solidarität konstituiert, welches ein gemeinsames Leben mehrerer Willen ermöglicht, nicht aus altruistischen Gründen, sondern um die eigene Existenz und Entfaltung zu schützen. Der Wille arrangiert sich sozusagen mit den anderen Willen, weil er davon abhängig ist.

Der Mensch, kraft seiner Selbstreflexivität ist nun in der Lage, sich von seinen seienden Vorgängern, aus denen er hervorgegangen ist, sich abzunabeln und kann sich gegen sie stellen. Umgelegt auf ein Umweltverständnis lässt sich eine Entfremdung deuten, die sich in eine Verantwortungslosigkeit gegenüber der Natur, aus der wir Menschen hervorgegangen sind, verwandeln kann. Der Mensch will seine Autonomie beweisen, indem er sich gegen das wendet, was ihn groß gezogen hat. Diese radikale Selbstbezogenheit kann im Endeffekt einen selbst zerstören. Nietzsche denkt hier die Natur immer nur im Bezug zu einer nützlichen Umwelt. Eigennutz bestimmt das Verhältnis zur Natur. Alle ethischen Überlegungen und Forderungen haben nicht den Einflussbereich, um eine Änderung im Bezug zur Umweltproblematik hervorzurufen, vielmehr muss der Eigennutz der natürlichen Umwelt bewusst gemacht werden, um eine Verhaltensänderung auf breiter Basis bewirken zu können.


Literaturverzeichnis

Eugenio Mazzarella, „Der Wille zur Macht als Wille zur Form: Nietzsche“, in Harald Seubert, (Hrsg.), Natur und Kunst in Nietzsches Denken, (Köln u.a., Böhlau, 2002), S. 153-166. Fetter Text