Laches Ausschnitt (PJS)

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SOKRATES: Wir werden wohl, o Nikias und Laches, dem Lysimachos und Melesias gehorchen müssen. Was wir nun so eben uns vorsetzten zu untersuchen, wer nämlich unsere Lehrer gewesen sind in dieser Kunst, oder welche Andere wir schon besser gemacht haben, auch darüber uns selbst zu prüfen wäre gewiß nicht übel; aber ich glaube die folgende Untersuchung wird uns zu demselbigen Ziele führen, und fängt eher fast noch etwas höher hinauf an. Wenn wir nämlich von irgend etwas wissen, daß es einem andern einwohnend dieses besser macht dem es einwohnt, und zugleich im Stande sind zu bewirken, daß es jenem einwohne: so kennen wir doch offenbar eben dieses, worüber wir Rat geben sollen, wie Jemand es am leichtesten und besten erwerben könne. Vielleicht indes versteht ihr noch nicht was ich meine, so aber werdet ihr es besser verstehen. [190 St.] Wenn wir wissen, das Sehen, den Augen einwohnend, mache die besser denen es einwohnt, und zugleich vermögen zu bewirken, daß es den Augen einwohne: so kennen wir doch offenbar das Sehen selbst, was es ist, über welches wir Rat geben sollen, wie Jemand es am leichtesten und besten erwerben möge. Denn wenn wir auch dieses nicht einmal wüßten, was das Sehen ist oder das Hören, so könnten wir schwerlich taugliche Ratgeber und Ärzte sein für Augen und Ohren, auf welche Weise jemand Gehör und Gesicht am besten erlangen könnte.

LACHES: Richtig ist, was du sagst, o Sokrates.

SOKRATES: Haben nun nicht, o Laches, auch jetzt diese beiden uns zur Beratung gerufen, auf welche Weise wohl den Seelen ihrer Söhne Tugend beigebracht werden und sie besser machen möge?

LACHES: Freilich.

SOKRATES: Muß also nicht dieses wenigstens sich bei uns finden, daß wir wissen was die Tugend ist? Denn wenn wir etwa ganz und gar nicht wüßten von der Tugend, was sie eigentlich ist, wie könnten wir wohl Jemanden Rat darüber erteilen, auf welche Weise er sie am besten erwerben möge?

LACHES: Wir könnten es ganz und gar nicht, wie mich wenigstens dünkt, o Sokrates.

SOKRATES: Behaupten wir also, o Laches, daß wir wissen, was sie ist?

LACHES: Freilich wollen wir das.

SOKRATES: Wovon wir aber wissen, davon müssen wir doch auch sagen können was es ist?

LACHES: Wie sollten wir nicht.

SOKRATES: Laß uns aber nicht, o Bester, nach der ganzen Tugend sogleich fragen, denn vielleicht wäre dies Geschäft zu groß, sondern von einem Teile derselben zuerst sehen, ob wir tüchtig sind ihn zu verstehen, so wird uns wahrscheinlich die Untersuchung leichter sein.

LACHES: Wohl, o Sokrates, laß es uns so machen, wie du willst.

SOKRATES: Welchen also sollen wir wählen von den Teilen der Tugend? Oder nicht wahr den gewiß, auf welchen diese Kunst des Fechtens abzuzwecken scheint? Und das scheint sie doch den Leuten auf die Tapferkeit?

LACHES: Allerdings so scheint es ihnen.

SOKRATES: Dieses also wollen wir zuerst versuchen zu erklären was die Tapferkeit ist; dann aber nach diesem auch überlegen, auf welche Art sie den Jünglingen beizubringen wäre, so weit es nämlich möglich ist sie durch Übung und Unterricht beizubringen. Also versuche nun, wie ich sage, zu beschreiben was die Tapferkeit ist.

LACHES: Dieses, o Sokrates, ist beim Zeus nicht schwer zu sagen. Denn wenn jemand pflegt in Reihe und Glied Stand haltend die Feinde abzuwehren und nicht zu fliehen, so wisse daß ein solcher tapfer ist.

SOKRATES: Sehr wohl zwar gesprochen, o Laches; vielleicht aber bin ich, weil ich mich nicht deutlich erklärt, Schuld daran, daß du nicht dasjenige geantwortet hast, was ich im Sinne hatte bei meiner Frage, sondern etwas anderes.

LACHES: Wie meinst du dieses, o Sokrates?

[191 St.] SOKRATES: Ich will es dir erklären, wenn ich es nur werde im Stande sein. Tapfer freilich ist auch der, den du beschreibst, der im Gliede Stand haltend gegen die Feinde ficht.

LACHES: So wenigstens behaupte ich.

SOKRATES: Ich gewiß auch. Aber was ist doch der, welcher fliehend gegen die Feinde ficht, und nicht Stand haltend?

LACHES: Wie doch fliehend?

SOKRATES: Wie ja von den Skythen gesagt wird, daß sie nicht minder fliehend als verfolgend den Feind bekriegen. Und auch Homer, indem er irgendwo die Pferde des Aeneias lobt, sagt: Dort zu sprengen und dort, verständen sie, in Verfolgungen und in Entfliehung. Ja auch den Aeneias selbst lobt er in dieser Hinsicht daß er sich auf die Furcht verstände, und nennt ihn Meister des Schreckens.

LACHES: Und das sehr richtig, o Sokrates, denn er spricht von Wagen, und so auch du meinst das von den Skythen in Beziehung auf die Reiter; denn die Reiter bei ihnen fechten so, das Fußvolk der Hellenen aber so wie ich sage.

SOKRATES: Ausgenommen doch wohl, o Laches, das der Lakedaimonier; denn von diesem wird erzählt, als es bei Plataiai auf die Schildträger gestoßen, habe es nicht Stand haltend fechten gewollt, sondern sei geflohen, nachdem aber die Reihen der Perser sich aufgelöst, habe es, wie Reiter umkehrend, gefochten, und dadurch in jener Schlacht gesiegt.

LACHES: Richtig.

SOKRATES: Das ist nun eben was ich meinte, ich wäre Schuld daran, daß du nicht recht geantwortet hast, weil ich dich nicht recht gefragt habe; denn ich wollte nicht nur erfahren, welches die Tapfern im Fußvolke wären, sondern auch in der Reiterei, und in Allem was zum Kriege gehört; und nicht nur die im Kriege, sondern auch die Tapfern in den Gefahren zur See, ferner auch die, welche in Krankheiten und in Armut und in der Staatsverwaltung tapfer sind, ja noch mehr nicht nur die gegen den Schmerz tapfer sind und gegen die Furcht, sondern auch die gegen Begierden und Lust stark sind zu fechten, und sowohl Stand haltend als umwendend. Denn es sind doch Einige, o Laches, auch in diesen Dingen tapfer?

LACHES: Gar sehr, o Sokrates.

SOKRATES: Tapfer also sind alle diese, aber Einige beweisen in der Lust, Einige in der Unlust, Einige in der Begierde, Einige in der Furcht ihre Tapferkeit: Andere aber dagegen, meine ich, Feigheit eben hierin?

LACHES: Allerdings.

SOKRATES: Was ist wohl jede von diesen? Darnach fragte ich. Noch einmal also versuche zuerst die Tapferkeit zu erklären, was doch seiend sie in allem diesem dasselbige ist. Oder verstehst du noch nicht, was ich meine?

LACHES: Noch nicht recht.

[192 St.] SOKRATES: Ich meine es so, als wenn ich fragte, was wohl die Geschwindigkeit ist, was sie nämlich sowohl im Laufen ist, als in der Musik, im Reden, im Lernen und in vielen andern Dingen, und fast haben wir sie ja in allem wovon nur der Mühe lohnt zu reden sowohl in den Verrichtungen der Hände als der Füße, des Mundes und der Stimme oder auch des Verstandes. Oder meinst du nicht auch so?

LACHES: Allerdings.

SOKRATES: Wenn nun jemand mich fragte, wie erklärst du dieses, o Sokrates, was du in allen Dingen Geschwindigkeit nennst, so würde ich sagen, daß ich die in kurzer Zeit vieles vollbringende Kraft Geschwindigkeit nenne, sowohl in der Stimme als im Lauf und in allen andern Dingen.

LACHES: Sehr gut wäre dieses erklärt.

SOKRATES: Versuche also auch du, o Laches, so die Tapferkeit zu erklären, welche Kraft wohl seiend dieselbe in der Lust und Unlust und allen andern Dingen, worin wir sagten, daß sie statt habe, sie Tapferkeit genannt wird.

LACHES: So dünkt sie mich denn eine gewisse Beharrlichkeit der Seele zu sein, wenn ich doch das in allem sich findende von der Tapferkeit sagen soll.

SOKRATES: Das mußt du allerdings, wenn wir uns die Frage wirklich beantworten wollen. Dieses ist mir indes deutlich, daß doch nicht jede Beharrlichkeit, glaube ich, dir als Tapferkeit erscheint. Ich schließe es aber hieraus, das nämlich weiß ich doch, daß du die Tapferkeit unter die vortrefflichen Dinge rechnest.

LACHES: Davon halte dich überzeugt, unter die allervortrefflichsten.

SOKRATES: Also ist die Beharrlichkeit mit Verstand wohl gut und vortrefflich?

LACHES: Allerdings.

SOKRATES: Wie aber die mit Unverstand? Ist diese nicht im Gegensatz von jener schädlich und verderblich?

LACHES: Ja.

SOKRATES: Vortrefflich also, wolltest du behaupten, wäre was so schädlich ist und verderblich?

LACHES: Keineswegs wäre das recht, o Sokrates.

SOKRATES: Also wirst du auch nicht zugeben, daß eine solche Beharrlichkeit Tapferkeit ist, da sie ja nicht vortrefflich ist, die Tapferkeit aber etwas vortreffliches.

LACHES: Richtig.

SOKRATES: Die verständige Beharrlichkeit also wäre nach deiner Rede Tapferkeit?

LACHES: So sieht es aus.

SOKRATES: Laß uns also sehen, ist es die in etwas gewissem oder die in allen Dingen verständige, sie seien groß oder klein. Wie wenn Jemand im Geldausgeben verständig beharrte, wohl wissend, daß er durch das Ausgeben gewinnen wird, möchtest du diesen tapfer nennen?

LACHES: Beim Zeus, ich nicht.

SOKRATES: Wie aber wenn ein Arzt, den sein Sohn oder sonst ein mit der Lungenentzündung behafteter bäte, er solle ihm zu essen oder zu trinken geben, sich doch nicht erweichen ließe, sondern auf der Weigerung beharrte?

[193 St.] LACHES: Keineswegs, auch nicht diese.

SOKRATES: Aber einen im Kriege beharrlichen und zum Streite Mut behaltenden, welcher es verständig berechnete, weil er wüßte, daß nicht nur Andere ihm zu Hülfe kommen werden; sondern auch, daß er gegen Wenigere und Schlechtere zu fechten hat, als die zu denen er selbst gehört, und überdies noch mehr durch seinen Standort begünstiget ist, würdest du diesen mit solcher Kenntnis und solchen Hilfsmitteln beharrenden für tapfer erklären, oder den der in dem entgegenstehenden Heere noch Lust hätte Stand zu halten und auszudauern?

LACHES: Mich dünkt den im entgegenstehenden Lager, o Sokrates.

SOKRATES: Aber dessen Beharrlichkeit ist ja doch unverständiger als die des Andern.

LACHES: Das ist wahr.

SOKRATES: Und wirst du wohl den mit der Reitkunst in einem Reitergefecht aushaltenden weniger für tapfer erklären als den ohne diese Kunst?

LACHES: Mich wenigstens dünkt es so.

SOKRATES: Also auch den der nicht mit der Fertigkeit des Schleuderns oder des Bogenschießens oder irgend einer andern beharrt?

LACHES: Freilich.

SOKRATES: Und welche in den Brunnen springen und im Untertauchen auszuharren denken, oder in sonst etwas dergleichen, wiewohl sie in der Sache nicht stark sind, die, behauptest du, wären tapferer als die, welche stark darin sind?

LACHES: Was wollte Einer denn anders behaupten, o Sokrates?

SOKRATES: Nichts, wenn er es wirklich so meint.

LACHES: Aber ich meine es freilich so.

SOKRATES: Doch aber, o Laches, gefährden sich diese und beharren unverständiger als die dasselbe mit der Kunst tun.

LACHES: So scheinen sie.

SOKRATES: Und hatte sich nicht die unverständige Kühnheit und Beharrung in dem vorigen als schlecht und verderblich gezeigt?

LACHES: Freilich wohl.

SOKRATES: Die Tapferkeit aber waren wir übereingekommen sei etwas vortreffliches?

LACHES: Darin waren wir übereingekommen.

SOKRATES: Nun aber behaupten wir wieder, jenes schlechte, die unverständige Beharrung, sei Tapferkeit?

LACHES: Das behaupten wir offenbar.

SOKRATES: Dünkt dich also, daß wir etwas richtiges sagen?

LACHES: Beim Zeus, o Sokrates, mich nicht.

SOKRATES: Wir beide sind also wohl nicht, deiner Rede zufolge, dorisch gestimmt, ich und du, o Laches; die Taten nämlich sind uns nicht im Einklang mit den Reden. Denn in den Taten möchte Einer wohl sagen, wie es scheint, daß wir die Tapferkeit besäßen, in den Reden aber glaube ich wohl nicht, wenn er jetzt unser Gespräch hörte.

LACHES: Sehr wahr ist dieses.

SOKRATES: Wie also? Dünkt es dich gut zu sein, daß es so um uns steht?

LACHES: Auch nicht im geringsten.

SOKRATES: Willst du also, daß wir dem, was wir behaupten, wenigstens so weit gehorchen?

LACHES: Wie weit doch, und welchem?

[194 St.] SOKRATES: Der Behauptung, welche zu beharren befiehlt. Wenn du nämlich willst, so wollen auch wir der Untersuchung Stand halten und beharren, damit doch grade die Tapferkeit uns nicht auslache, daß wir sie nicht tapfer suchen, wenn doch vielleicht eben die Beharrung Tapferkeit ist.

LACHES: Ich wenigstens bin bereit, o Sokrates, nicht eher abzulassen, ob schon ich ungewohnt bin solcher Reden. Aber es hat mich ordentlich ein Eifer ergriffen über das gesagte, und ich bin ganz unwillig, wie ich, was ich in Gedanken habe, so gar nicht im Stande bin zu sagen. Denn in Gedanken glaube ich es doch zu haben, was die Tapferkeit ist; ich weiß aber nicht, wie sie mir jetzt entgangen ist, daß ich sie nicht ergreifen konnte in der Rede, und heraussagen, was sie ist.



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