Kartographie des Freiheitsbegriffs (FiK)

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Determiniert, oder ein Leben hinter dem Spiegel

Sind wir in der Hand der Naturgesetze?

Wenn man den Vertretern eines strengen Determinismus glauben schenkt, sind es nicht wir die handeln, sondern es handelt in uns. Daher ist das Gefühl der Willensfreiheit, ein solches wird meistens doch zugestanden, eine Chimäre und was wir als freie Willensentscheidung betrachten, ist bloß eine Illusion. Demnach wären wir Spielfiguren in einem für uns nicht erkennbaren Spiel. Gezogen von Naturgesetzen, die im 20. Jahrhundert an Stelle eines lenkenden Gottes getreten sind, jedoch mit vergleichbaren Attributen. Lewis Carroll setzt in folgender Szene, aus seinem

Buch "Trough the Looking Glass. And What Alice found there", Alice als diese allumfassende und allmächtige Entität. Die "aufgeklärten" Spielfiguren geben erstaunlich naturwissenschaftlich plausible Antworten auf "unerklärliche" Ergeignisse.

Zur Handlung: Alice ist durch den Spiegel in den Raum dahinter gestiegen und sieht sich mit lebenden Schachfiguren konfrontiert. Auf einem Tisch schreit Lily, die Tochter der Weißen Königin, und Alice versucht zu helfen. Wie sich im Verlauf der Szene herausstellt, ist Alice unsichtbar, überdimensional gross und damit "allmächtig", allerdings ist sie für die Spielfiguren nicht wahrnehmbar. Attribute, die man gewöhnlich Gott zuspricht und den Naturgesetzten. Hier die Originalstelle:

"Alice was very anxious to be of use, and, as the poor little Lily was nearly screaming herself into a fit, she hastily picked up the Queen and set her on the table by the side of her noisy little daughter.

The Queen gasped, and sat down: the rapid journey through the air had quite taken away her breath and for a minute or two she could do nothing but hug the little Lily in silence. As soon as she had recovered her breath a little, she called out to the White King, who was sitting sulkily among the ashes, 'Mind the volcano!'

'What volcano?' said the King, looking up anxiously into the fire, as if he thought that was the most likely place to find one.

'Blew--me--up,' panted the Queen, who was still a little out of breath. 'Mind you come up--the regular way--don't get blown up!'

Alice watched the White King as he slowly struggled up from bar to bar, till at last she said, 'Why, you'll be hours and hours getting to the table, at that rate. I'd far better help you, hadn't I?' But the King took no notice of the question: it was quite clear that he could neither hear her nor see her.

So Alice picked him up very gently, and lifted him across more slowly than she had lifted the Queen, that she mightn't take his breath away: but, before she put him on the table, she thought she might as well dust him a little, he was so covered with ashes.

The King was saying, 'I assure, you my dear, I turned cold to the very ends of my whiskers!'

To which the Queen replied, 'You haven't got any whiskers.'

'The horror of that moment,' the King went on, 'I shall never, NEVER forget!'

'You will, though,' the Queen said, 'if you don't make a memorandum of it.'

Alice looked on with great interest as the King took an enormous memorandum-book out of his pocket, and began writing. A sudden thought struck her, and she took hold of the end of the pencil, which came some way over his shoulder, and began writing for him.

The poor King looked puzzled and unhappy, and struggled with the pencil for some time without saying anything; but Alice was too strong for him, and at last he panted out, 'My dear! I really MUST get a thinner pencil. I can't manage this one a bit; it writes all manner of things that I don't intend--'

'What manner of things?' said the Queen, looking over the book (in which Alice had put 'THE WHITE KNIGHT IS SLIDING DOWN THE POKER. HE BALANCES VERY BADLY') 'That's not a memorandum of YOUR feelings!'"

Der kategoriale Denkfehler liegt in der Annahme, dass der "Determinist" die Position außerhalb des Spiegel einnehmen und auf die "Indeterminierten" hinter dem Spiegel blicken könnte. Der scheinbar wissenschaftliche Skeptiszismus dem "Freien Willen" gegenüber entpuppt sich daher als strenger Fatalismus mit einer gehörigen Portion Metaphysik. Der Illusion eines "Freien Willens" begegnen sie mit der Illusion, das derjenige, der zuerst "Illusion" behauptet recht behält.

Für die weitere Erörterung folgen verschiedenen Position zur Willensfreiheit, sowie eine Erläuterung häufiger Begriffe in der Debatte.

Selbst, Selbstbewusstsein, Subjektivität

nach Michael Pauen: Grundprobleme der Philosophie des Geistes, Eine Einführung,³2002. III. Subjektivität und Willensfreiheit, Seite 236-297

Selbst in der einschlägigen wissenschaftlichen Diskussion werden Kernbegriffe oft unterschiedlich gebraucht, daher vorweg eine kurze Vorklärung der mit dem Begriff Subjektivität im Zusammenhang stehender Begriffe. Fürderhin soll der Begriff Subjektivität als Oberbegriff für alle jene Begriffe dienen, welche das Selbst und das Selbstbewusstsein betreffen. Es „umfasst also einzelne Akte des Selbstbewusstseins ebenso wie ein über einen gewissen Zeitraum stabiles Selbst oder Selbstkonzept.“ Ein Akt des Selbstbewusstseins ist zu verstehen als eine Bezugnahme eines Individuums auf seine eigenen geistigen oder körperlichen Vorgänge. Dabei ist das Bewusstsein des Individuums, sich auf sich selbst und nicht etwa auf etwas anderes zu beziehen wesentlich. Eine diffuse Vorstellung von Empfindungen ist also nicht ausreichend; der eigene Zustand muss vielmehr auch als eigener erkannt werden. Beispiele für Akte des Selbstbewusstseins sind die Erinnerung an einen eigenen Schmerz, die Irritation über die eigene Ungeduld oder auch die Selbstvergewisserung bezüglich einer eigenen Überzeugung. Wird bei einer solchen reflexiven Bezugnahme Wissen über sich selbst erworben, so spricht man von Selbsterkenntnis. „Die Gesamtheit von zeitlich stabilen Selbstzuschreibungen, die von solchen momentanen Akten des Selbstbewusstseins oder der Selbsterkenntnis herrühren“ bezeichnet Pauen als Selbst, Selbstkonzept oder empirisches Ich. So kann beispielsweise Nervosität, wenn sie in verschiedenen Situationen immer wieder (und in Abgrenzung zu anderen) erlebt wird, ein Bestandteil des Selbstkonzeptes sein. Beim Selbstkonzept handelt es sich also um einen ganzen Komplex von Merkmalen, den sich die betreffende Person selbst zuschreibt. Soviel zur begrifflichen Konvention – damit ist noch keine Aussage getroffen, ob ein solches Objekt wie das Selbst überhaupt existiert.

Selbstbewusstsein

  • basiert auf dem direkten Zugang eines intelligenten, bewusstseinsfähigen Wesens oder Systems zu seinen eigenen mentalen Zuständen (1)
  • setzt voraus (2)
    • a) die Fähigkeit, die eigenen Zuständen de facto von fremden zu unterscheiden und die eigenen als eigene zu erkennen
    • b) langfristige stabile Selbstzuschreibungen bestimmter Eigenschaften (Selbstkonzept)

Historisch hat die Ansicht vom Ich als einem kohärenten Gebilde im Leben der Menschen eine große Rolle gespielt. Gefördert wurde diese Vorstellung von den meisten Weltreligionen, jedenfalls von der Mehrheit der westlichen. Dabei wurde das Selbst oder die Seele zunächst als etwas Materielles gesehen, das etwa beim Austritt aus dem Körper als „besonders feine Materie“ beobachtet werden könnte. Diese Auffassung wurde später zugunsten einer dualistischen aufgegeben, wobei das Selbst nunmehr als lediglich dem Denken, nicht aber der physischen Welt zugänglich gedacht wurde. In beiden Fällen handelt es sich um eine Vorstellung und zwar um eine Vorstellung, die sich selbst zum Gegenstand hat. Diese Vorstellung kommt erst durch die reflexive Selbstzuschreibung zustande. Das Selbstbewusstsein ist hierbei ein Spezialfall des Bewusstseins von etwas anderem. Soweit die Tradition. Moderne Auffassungen sind diesem Standpunkt gegenüber in der Regel sehr skeptisch eingestellt. Kritisiert wurden (und werden) nicht nur einzelne Aspekte der Konzeption, sondern auch und vor allem die Konzeption von einem Ich selbst. Namhafte moderne Wissenschafter und Philosophen weisen darauf hin, dass das Konzept vom Ich eine bloße Fiktion sei und dass es ein Objekt mit den oben umrissenen Eigenschaften in der objektiven Realität nicht geben kann bzw. muss. Im Lichte dieser durchaus berechtigten Kritik an der traditionellen Auffassung kann das Ich entweder ganz verworfen werden oder es kann eine Neukonzeption versucht werden. Die Unterscheidung der verschiedenen Standpunkte ist allerdings nicht so einfach und geht insbesondere weit über die Diskussion von Grundpositionen in der Gehirn-Bewusstseins-Debatte hinaus. „Tatsächlich stellt das Verhältnis von psychischen und physischen Prozessen nur einen Aspekt des Problems der Subjektivität dar. Hinzu kommen noch Fragen nach Status und Voraussetzungen von Selbsterkenntnis und Selbstzuschreibung sowie empirische Erkenntnisse über die Entstehung des Selbstbewusstseins und der ihm zugrunde liegenden Eigenschaften und Fähigkeiten.“ Diese Erklärung wird nicht von allen geteilt. Als Vertreter skeptischer Positionen seien hier Minsky, Dennett, Blackmore und Metzinger angeführt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die Vorstellung von einem monolithischen Selbst für eine Illusion halten. Ihrer Ansicht nach liegen dem fertigen kohärenten Bild, das unserem Bewusstsein zugänglich ist viele unbewusste vorgeschaltete Prozesse zugrunde. Diese Prozesse stammen in der Regel auch nicht aus einer einheitlichen Quelle, sondern widersprechen sich oft genug. Unser Selbst ist dann nichts anderes als das Ergebnis der widerstreitenden und Koalitionen bildenden unbewussten „Agenten“ – der Ausdruck stammt von Minsky. Dennett und Blackmore sehen das Ich auch sehr stark durch die kulturelle und soziale Situation bedingt, in der wir leben. Metzinger spricht von mentalen Modellen und greift seinerseits auf Arbeiten von Johnson-Laird zurück. Die Einwände die diese Denker bringen sind der Sache nach durchaus berechtigt und stürzen die traditionelle Vorstellung vom Selbst in eine tiefe Krise. Die bisherige Kritik ging in die Richtung, das es ein Objekt mit den Eigenschaften, die dem Selbst klassischerweise zugesprochen werden, in der objektiven Welt nicht geben kann. Henrich und Frank, zwei Vertreter der Heidelberger Schule stoßen in ein anderes Horn. Ihnen zufolge ist die Konzeption des Selbst durch Selbstzuschreibungen in sich widersprüchlich. Um zu erkennen, dass ein Betrachtetes mit dem Betrachteten übereinstimmt bedarf es immer schon eines zumindest rudimentären Selbstbildes, welches aber über die Selbstzuschreibung erst hergestellt gedacht wird. Um das Problem aus dem Weg zu räumen führen Henrich und Frank den Begriff eines präreflexiven Selbst ein. Dieses besteht erstens in der ursprünglichen und unmittelbaren Vertrautheit eines Ich mit sich selbst. Es ist zweitens nicht durch Wissen vermittelt und basiert drittens weder auf Kriterien noch auf einer Beziehung zu etwas anderem. Tugendhat etwa versucht überhaupt vom Begriff des Selbst als einem Substantiv abzusehen. Er weist darauf hin, dass es sich wenn immer im Alltag vom Selbst und vom Ich die Rede ist, in Wirklichkeit auf ein Personalpronomen handelt. Es geht darum, Aussagen über sich selbst zu machen und diese der Umwelt mitzuteilen. Nun ist aber die Beziehung des handelnden Subjekts zu seinen eigenen Zuständen stets eine unmittelbare. Da das Selbst bei Tugendhat nicht explizit als eigenständiger psychischer Komplex auftritt, gerät er nicht in die Verlegenheit ein präreflexives Selbst postulieren zu müssen.