Graz Präsentation (FiK)

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Freiheit im Kopf. Ein Studienprojekt

Herbert Hrachovec


Wer sich zum Ziel setzt, philosophische Gruppenarbeit im Internet zu initiieren, muss sich vor seinen Freunden hüten. Die Fürsprecher diskreditieren sich nicht selten durch leere Wortkaskaden.

Der kognitiven, sozialen und organisatorischen Komplexität Tribut zollend, müssen kooperative Wissensprozesse strukturiert werden. Die Strukturierung muss durch geeignete Prozesse und Medien operationalisiert werden. Tendenziell sollen Lehrende oder Experten zu Gunsten von Lernenden oder Laien aus dem Mittelpunkt heraustreten; sie sollen zu Moderatoren werden. Hierzu bedarf es einer geeigneten Moderationsunterstützung. Idealiter soll Wissensteilung reziprok und alternierend zwischen Lehrenden und Lernenden stattfinden. 1

Mit einem Stoßseufzer möchte man dem Fachkollegen recht geben: „... die Aneignung von Wissen kann nicht spielerisch erfolgen, weil es ohne die Mühe des Denkens schlicht und einfach nicht geht.“2 Welche Philosophin (m/w) will sich vorwerfen lassen, sie hätte die Anstrengung des Begriffs zugunsten publicity-wirksamer Teamarbeit aufgegeben?

Das Unternehmen, in einem Projektseminar gemeinschaftlich die aktuelle Auseinandersetzung über Gehirnprozesse und Freiheit aufzugreifen und im Internet darzustellen, muss sich gegen den Vorwurf wehren, substanzlose Vernetzungen zu produzieren. Die Bedenken werden dadurch verschärft, dass sich das Projekt – neben herkömmlichen Seminarsitzungen – zur Kommunikation derselben Software bedient, welche die Wikipedia benutzt. Das ruft die Kulturapostel auf den Plan. Stefan Weber fragt Konrad Liessmann: „Herbert Hrachovec, gleichzeitig ihr Kollege am Philosophischen Institut in Wien, macht sich ... auch sehr für Wikis in der Philosophie stark. Wie sehen sie das?“ Darauf antwortet mein Kollege:

Solche Versuche hat es auch schon vor der Verbreitung des Computers gegeben. Schreibkollektive waren etwa eine große Errungenschaft der DDR-Wissenschaft. Das vergisst man heute alles. Ich besitze selbst Bücher aus dieser Zeit, in denen keine Namen von Autorinnen und Autoren genannt wurden, sondern nur etwa „Schreibkollektiv des Instituts XY der Universität Jena“ oder so. Das ist also keine originäre Idee der neuen Medien, sondern war früher ein gesellschaftspolitisches Konzept – mit wenig Erfolg. Die Frage ist: Warum sollten heute solche Formen kollektiven Arbeitens erfolgreicher sein, nur weil sich die Mediensituation verbessert hat? 3

Sehen wir vom maliziösen Verweis auf die DDR-Wissenschaft und von der Tatsache ab, dass sich Kollege Hrachovec vom Kollegen Liessmann im genannten Punkt nicht unterscheidet, weil er niemals derart naiv wäre, computerunterstütztes Schreiben als „fortschrittlicher“ zu bezeichnen. Dann bleibt die Frage, wieso der Wissenschaftler des Jahres 2006 so unbeholfen danebengreift und in seiner Stellungnahme alle interessanten Perspektiven ausläßt, die durch Wiki-Webs eröffnet werden.

„Schreibkollektiv“ ist kein neutraler Ausdruck. Er suggeriert Persönlichkeitsverlust durch Gruppenzwang. Wie immer sich das in der DDR verhalten haben mag, wer nur ein wenig hinter die Kulissen eines Wikipedia-Artikels schaut, findet dort (wenn sie es wollen) die Namen der Autorinnen (m/w), zusammen mit der minutiösen Protokollierung des gesamten Prozesses der Texterstellung. Im Bestreben, den neuen Medien nur ja keine „originäre Idee“ zuzugestehen, übersieht der Kommentator, dass er es mit einem technischen Design zu tun hat, welches eine bestehende Idee auf bisher unerhörte Weise weiterführt. Wikis erlauben es einer größeren Anzahl von global verteilten Personen in Echtzeit und unter Wahrung ihrer Identität an einem gemeinsamen Schreibprojekt zu partizipieren. Dass DDR-Kollektive den Untergang des Arbeiter- und Bauernstaates nicht überlebt haben, ist ein unfairer Rempler gegen die Wikipedia. Das second hand Geschäft mit Schallplatten und Tonbändern ist auch kein gesellschaftlicher Erfolg mehr. Das heißt nicht, dass der Austausch von Musik zurückgeht; im Gegenteil. Neue Techniken haben ihn sprunghaft gefördert.

Was ist, abgesehen von den kleinen Bosheiten, mit denen unser Gewährsmann seine Assoziationen garniert, der Grund dafür, dass sich Philosophinnen (m/w) so häufig gegen die neuen Möglichkeiten sperren? Einen Hinweis enthält Liessmanns rhetorische Frage: „Warum sollten heute solche Formen kollektiven Arbeitens erfolgreicher sein, nur weil sich die Mediensituation verbessert hat?“ Die banale Replik ist: Aus demselben Grund, aus dem Gruppenreisen erfolgreicher sind, seit es Autobusse gibt. Aber Liessmann will natürlich etwas anderes sagen. Er wirft das Problem auf, dass technische Hilfsmittel nichts mit der Qualität geistiger Tätigkeit zu tun haben. Die Verlängerung des Arbeitstages durch elektrisches Licht hat die Anzahl philosophischer Meisterwerke nicht vermehrt. Analog – so führt dieser Exkurs zur computer-unterstützten Projektarbeit zurück – verbessern weder Ethernet-Kabeln, noch Webserver die Denkarbeit der Beteiligten. Hier liegt der Kern der Skepsis gegen großsprecherische (und auch bescheidene) Befürworter (m/w) des „digital turn“. Als Propädeutik zur Erläuterung der Ergebnisse des Studienprojekts sind einige Bemerkungen zum vermeintlichen Kategorienfehler, der „fortschrittlicheres Denken in Wiki-Webs“ anpreist, am Platz.

Äußere Umstände sind keine Argumente innerhalb der Philosophie. Wohl aber können sie die philosophische Entwicklung in eine Richtung drängen, die direkt an die Sache geht. Die Wiederentdeckung aristotelischer Schriften zu Beginn des Hochmittelalters, die Zimmerbelegung im Tübinger Stift 1790 oder die Machtübernahme Hitlers in Deutschland und Österreich haben sich maßgeblich auf die philosophische Agenda ausgewirkt. Ich spreche, um beim letzten Beispiel zu bleiben, nicht vom Rassegedanken, der schnell wieder aus der Disziplin verschwunden ist, sondern von der nachhaltigen Verlagerung der Schwerpunkte denkerischer Produktivität in der Nachkriegszeit. Ähnlich sollte das Aufkommen des Internets gesehen werden. Der Knackpunkt ist nicht die Beschäftigung mit aktuellen Themen der Medienphilosophie. Diesbezüglich herrscht ein gewisses Gedränge und die korrelative instinktive Abwehr. Von Bedeutung ist die Frage, inwiefern diese speziellen äußeren Umstände Philosophie, wie sie im Moment betrieben wird, affizieren werden. Dazu ist das Projektseminar auf der Basis des Media-Wikis ein kleiner Beitrag.

Drei technisch induzierte, organisatorisch-inhaltliche Akzente sind besonders erwähnenswert. Die Initiative der Neurophysiologen ging von einer Interessensgruppe aus. Auch in der Philosophie sind solche Konstellationen nicht unbekannt, man denke an den „Wiener Kreis“, sowie die Frankfurter oder Erlanger Schule. Teamarbeit, wie in naturwissenschaftlichen Arbeitszusammenhängen, wird in Zukunft auch in den Geisteswissenschaften, wenn es um Interdisziplinarität und die Gestaltung gedanklicher Zusammenhänge in digitalen Medien geht, stärker als bisher gefragt sein. Zweitens wird dabei eine Einstellung forciert werden, die in der Wikipedia unter dem Stickwort Neutralität auftaucht. Es geht in solchen Kollaborationen nicht primär darum, individuelle Gesichtspunkte in den Vordergrund zu rücken. Philosophie lebt unter anderem davon, gesellschaftliche Konfliktfelder durchsichtig aufzubereiten und Gelegenheit zu bieten, den Spielraum möglicher Methoden und Positionen zu entfalten. Drittens werden im Kontext multimedial vernetzter kultureller Produktion das Buch und der Zeitschriftenartikel die Monopolstellung verlieren, die ihnen in den letzten Jahrhunderten zugekommen ist. In allen drei genannten Punkten liefert das Projekt „Freiheit im Kopf“ Denkanstöße. Es ist nicht als ein Forschungsprogramm konzipiert worden, aber es deutet in die Richtung einer veränderten Orientierung auch der philosophischen Kernarbeit.

Um hier nun doch ein Schlagwort einzuführen, könnte von einer „parlamentarischen Philosophie“ im Sinne des „Parlaments der Dinge“ gesprochen werden, das Bruno Latour vorgestellt hat.4 Dirk Baecker sieht es als Gelegenheit für eine Wiederbelebung des akademischen Ideals. Die Universität

kann beginnen, ihre bewährten und neue Formen von Arbeitsgruppen, Seminaren und Vorlesungen dazu zu nutzen, auszukundschaften und vorzuführen, wie Menschen und Dinge, Verhältnisse und Ideen miteinander ins Gespräch zu bringen und zu handlungs- und evolutionsfähigen Gemeinschaften (...) entwickelt werden können.5

Der Gedanke führt zurück zur anfangs hypertroph empfohlenen Wissenskommunikation in Gruppen.

Das Modell für diese Verbände sind die Wissenschaften selber, die sich von der Idee eines mehr oder minder begnadeten Subjekts, das einem stillhaltenden Objekt gegenübersteht, verabschiedet haben und statt dessen zu experimentellen scientific communities geworden sind, denen nicht nur die Weißkittel, sondern auch die Instrumente und Techniken, nicht nur die Fachartikel, sondern auch die Substanzen, Prozesse und Elemente, von denen sie handeln, angehören.6


Mit entsprechendem Augenmaß gelingt es eventuell, den unabdingbaren Forscherpersönlichkeiten und den unvermeidlichen Medienstars eine neue Kategorie philosophischer Dienstleistung an die Seite zu stellen. Wie soll sie heißen? Schreibkooperative?

Christian Filk: Mediengestütze Wissenskommunikation in Gruppen. Theoretische Ansätze und praktische Umsetzungen. In: Medienerziehung. S. 62 Zugänglich als elektronisches Dokument unter http://www.mediamanual.at/mediamanual/themen/pdf/diverse/57_Filk-Mediengestuetzte_Wissenskommunikation_in_Gruppen.pdf

Konrad P. Liessmann: Theorie der Unbildung. Wien 2006. S. 31

„Die besten Kopisten konnten nicht lesen“ Der Philosoph Konrad Paul Liessmann über Wikis, die Zukunft der Schrift und das Ende der Bildungsidee. Elektronisches Dokument: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24927/1.html. Letzter Zugriff 5.6.2007

Bruno Latour: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Frankfurt/Main 2001

Dirk Baecker: Der Kulturdialog. Was leisten die (Kultur-)Wissenschaften und worin besteht die mögliche Rolle der Universitäten? In: Berliner Debatte Initial 15 (2004). S. 100

a.a.O.

Die Entstehung eines Zwischenspiels

Stefan Köstenbauer

Kleine Änderungen, da im Originaltext auf Abbildungen verwiesen wird.

Vorerst soll an die vorangegangenen Ausführungen angeschlossen werden, mit der Frage wieviel Struktur ein Projekt-Seminar benötigt? Aus der Sicht eines mehrmaligen Teilnehmers bringt eine zu rigide Struktur wenig Innovation, eine zu offene tendiert hingegen zu Chaos und Unabgeschlossenheit. Beides führt zu Unzufriedenheit.

Unser Seminar gliederte sich in zwei Phasen, einen Erarbeitung und Diskussionsteil, der hauptsächlich im Wintersemester stattfand und einen Verarbeitungs- und Aufbereitungsteil. Der Aufbereitungsteil wurde dabei nicht durch Abfassung einer Seminararbeit erledigt, sondern durch kooperative Erstellung eines Lernobjekts. Die Struktur war durch den Verweis auf eine, schon erwähnte, neutrale, wikipediaartige Beschreibung vorgegeben, dazu gab es eine Basisauswahl an Texten, die bei Bedarf noch erweitert werden konnten. Von der Genese und vom Verlauf einer dieser Erweiterungen sollen meine Ausführungen handeln.

Diese Erweiterung ist eine Szene aus Lewis Carroll´s Meisterwerk "Trough the Looking-Glass. And what Alice found there.", in der einige klassische Position zu unserer Debatte festzumachen wären, wenn man/frau denn will. Das erste mal erscheint Alice, dies ist der interne Codename für diesen Abschnitt, in den Ausführungen meines Erarbeitungsteiles, den ich mit " Mein letzter Wille-Ein Freier Wille", im folgenden Letzter Wille genannt, überschrieb. Die Idee, dass man Alice hilfreich einsetzen konnte, entstand während der Erarbeitung meiner Präsentation zur Erläuterung des Freiheitsbegriffes von Ernst Tugendhat. Das Konzept meiner Präsentation beruhte schließlich auf einer aktuellen Problemstellung, Ausführungen von Moritz Schlick und dem Alice-Beispiel als Vorbereitung der Gedanken Ernst Tugendhats. Die Genese ist mit etwas Aufwand aus der Versionstabelle der Seite ersichtlich. Geburtstermin war der 6. Februar, 2007 um 15.40.

Anfangs firmierte Alice noch unter dem Titel "Ein zu großer Bleistift", einem Motiv aus besagter Szene. Nach weiteren 40 Veränderungen hatte die Präsentation eine präsentable Form. Anhand dieser Vorlage wurde erstmalig diskutiert.

Nach Abschluss der Erarbeitung und inhaltlichen Diskussion wurden einzelne Kapitelverantwortliche ausgewählt. Gemeinsam mit Florian Ried übernahm ich das Kapitel Kartographie. Wir stützten uns auf Exzerpte des Kollegen Ried aus Michael Pauen´s Buch "Grundprobleme der Philosophie des Geistes" und auf einzelne Aspekte aus dem letzen Willen. Nach allgemeiner, teilweiser heftiger Diskussion sollte auch Alice verwendet werden.

Im nächsten Schritt der Kompilierung des Materials wurde eine vorläufige Reihung vorgenommen und Alice als Einleitung verwendet. Sie bekam den neuen Namen "Determiniert, oder ein Leben hinter dem Spiegel". Es entstand ein informativer, allerdings unübersichtlich langer Text. (In einer erneuten Diskussion, wurde dies ebenso thematisiert, wie eine zu starke Erläuterung der Implikationen des Alice-Beispiels, Stichwort: Neutralität. Es wurde die Aufteilung der Kartographie in drei Teile beschlossen . Die Endform begann Gestalt anzunehmen. Allerdings waren die meisten Seminarteilnehmern mit der Position des Alice-Beispiels am Beginn nicht einverstanden, da Alice in ihrem Facettenreichtum über ein einleitendes Beispiel weit hinausreicht. Als neue Position wurde ein Zwischenspiel vorgeschlagen, wenn möglich mit weiteren Illustrationen, dies wurde auch realisiert.

Der abschließenden Neutralisation und dem Lektorat durch die hervorragende Arbeit der Kollegin Christine Schindler folgte noch eine letzte Verschiebung, da der Titel noch nicht ganz elegant war, ein Beistrich war zuviel.

Bilanz: Das Kapitel Kartographie war nach 125 Versionen präsentationsreif. Dazu kommen noch 30 Versionen des Subkapitels "Selbst, Selbstbewusstsein, Subjektivität", 32 Versionen des Subkapitels "Willensfreiheit" und 20 Versionen des "Zwischenspiels". Anhand der Versionstabelle werden auch sehr schön UrheberInnen und KorrektorInnen ersichtlich.

Über die nackten Zahlen hinaus, viele Speicherungen sind nur kleine Veränderungen, ist jedoch das Commitment der Gruppe zu betrachten. Der Einzelne arbeitet für die Gruppe und die Gruppe als Korrektiv des Einzelnen, dies in Echtzeit und unabhängig von der physischen Präsenz. Dieser Prozess bringt Ergebnisse die eine neue und andere Qualität darstellen. Zu berücksichtigen und erwähnenswert ist die Überwindung beim Schreiben in einem Wiki. Die möglichst vollständige Formulierung des Textes im Wiki-Editor ist für ein lebendiges Wiki essentiell - ein Wiki ist kein Textarchiv. Ein Feature der Mediawiki-Software ist ja die minutiöse Darstellung und die Möglichkeit zur Wiederherstellung jeder beliebigen Version des Textes. Das dabei entstehende Gefühl der Nacktheit, sämtliche, auch etwaige noch nicht wohl formulierte Passagen sind "auf ewig" gespeichert, bleibt auch nach längerer Benutzung erhalten. Der Umgang damit setzt Vertrauen in die Gruppe und das Wohlwollen der Mitschreiber reziprok voraus. Die Erfahrung zeigt, das beides durch die Zusammenarbeit verstärkt wird.

Arbeiten mit und in einem Wiki schärft den Blick für wesentliches, z.B. was ist für das Verständnis des Themas notwendig und fördert offensichtliches zu Tage, denn was gespeichert ist, kann jederzeit wieder aufgerufen werde – löschen nicht möglich. Das dies manchmal ein schmerzhafter Prozess sein kann, liegt auf der Hand. Doch so entsteht die Möglichkeit eigene Prämissen zu überdenken und neu zu formulieren. Lernerfolge auf dieser zweiten Ebene und Reflexionen über das Thema wurden unter dem Kapitel "Daraus folgt..." in aller Kürze formuliert.

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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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