Benutzer:Andyka/Mitschriften/WS08-OSP-E02-10 10 08

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Open Source Philosophie – Einheit2: 10.10.2008

gelebte Open-Source-Philosophie

Es freut mich zu berichten, dass die Wiki-Idee schon im ersten Durchgang auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ich werde die Gelegenheit wahrnehmen, ein paar Worte dazu zu sagen und auch gleich inhaltlich in unser Thema einzuflechten. Wir haben hier einen eklatanten Fall von „Nicht nur über eine Sache reden, sondern sie gleichzeitig machen“ im Zusammenhang von OSP. Ich habe das letzte Mal schon angekündigt, dass wir diese LV auch streamen und in der Philosophischen Audiothek als Download zur Verfügung stellen. Es ist etwas Zweites passiert, was mich ehrlich gesagt ein bisschen sprachlos macht. Es hat Andreas Kirchner, mit dem ich bisher nur Kontakt übers Netz hatte, den ich aber sonst nicht kenne, die Vorlesung vom letzten Mal transkribiert, ich nehme an, mit einer gewissen Software. (AKA: Auf die Idee, eine bestimmte Software zu verwenden, bin ich bisher noch gar nicht gekommen – verwende also zur Zeit nur einen Audioplayer, ein Office-Programm und meine Fähigkeit, schnell zu tippen ;))

Darüber hinaus hat er meinen Redefluss intern organisiert und in eine Struktur gebracht. Auf diese Weise hat er einen inhaltlichen Beitrag zu dem geleistet, was ich hier gesagt habe. Der ist noch gar nicht von der Sache her dominiert, sondern es handelt sich darum, eine Sache, die jemand produziert, auf eine Art und Weise zu überarbeiten.


(Wie) Kann die Verfügbarkeit von (Lehrveranstaltungs-)Inhalten die Qualität verbessern?

Es handelt sich darum, eine Sache, die jemand produziert, auf eine Art und Weise zu remixen; es ist nicht so sehr ein Remixing, sondern eine digitale Überarbeitung (wie wenn man die Qualität von Audioaufnahmen durch Technologien verbessern kann). Dies ist nur so zu verstehen, dass man wechselseitig etwas davon hat, wenn man in zur Verfügung stehende Materialen Arbeit investiert. Und das möchte ich gleich einmal sagen als eine extemporierte Polemik gegen Kolleginnen und Kollegen in der Philosophie, die immer wieder sagen: „Mit diesem ganzen elektronischen Zeug, mit dem Web, mit diesen Lernunterstützungen möchte ich nichts zu tun haben. Ich will denken, Ich will Bücher lesen, usw.“ Alle diese Worte kenne ich und kenne Sie womöglich auch sehr gut oder werden es in diesem Institut noch kennenlernen. Denen möchte ich entgegenhalten, dass die Verfügbarkeit der Quelle, die Verfügbarkeit dessen, was ich hier spreche, dazu führt, dass innerhalb von einer Woche spontan die inhaltliche Qualität von dem, was sich hier ereignet hat, sich um mindestens 1/3 vermehrt. Das hoffe ich, halten Sie im Auge, wenn Sie sich mit dieser Sache beschäftigen.

ad Gedankenremix in einer unbekannten Welt.Oder: Die Stärke des Open Source

Herr oder Frau Enibas hat die Gelegenheit wahrgenommen, auf der Diskussionsseite zum Transkript einige Gedanken mitzuteilen. Die Gedanken beginnen mit „Bin etwas verwirrt“ und das ist wahrscheinlich eine korrekte Formulierung. Diese Kollegin oder dieser Kollege hat offensichtlich einmal so einen Beitrag eingetippt, hat dann aber anscheinend nicht mehr gewusst, wo der Beitrag zu finden ist, und hat dann den Beitrag ein zweites Mal reingestellt. Das sind Live-Erfahrungen mit einem solchen E-Learning-Tool, in der folgenden Art und Weise:

Wiki ist eine Open Source, bedeutet, dass jeder an jedem Artikel mitschreiben kann. Das wird irgendwo im Quellcode dann auch mitprotokolliert (so genau kenne ich mich da nicht aus – wer tut´s). Jeder kann sein „Wissen“ einbringen, und all die grauen Lemminge, die abrufen, glauben es - oder verbessern/verändern den Eintrag. So lange bis eine Art intersubjektive Wahrheit entsteht. Wikis sind (scheinbar) Konsens-betont. Reicht das?

Das ist eine sehr lockere und vermutlich korrekte Darstellung von dem, was man sich so denkt und an Möglichkeiten im Auge hat, wenn man von dieser Sache noch gar nichts gehört hat. Es ist ein erster Einstieg und ich verwende diesen Einstieg, um Ihnen noch eine zweite Themenstellung nahe zu bringen, die ebenfalls deutlich etwas mit OS zu tun hat. Im Falle der überarbeiteten Vorlesungsmitschrift handelt es sich offensichtlich um jemanden, der weiß wovon er redet und der auch weiß, wie man mit dem Wiki umgeht. Außerdem hat er zu allem Überfluss zu der „Ich bin etwas verwirrt“-Botschaft einige Abschnitte dazugeschrieben, die zeigen, wie man damit umgeht. Das erscheint mir deswegen Speziell interessant, weil jedes Mal, wenn eine „elektronische Angebotssituation“ da ist, wo Leute aufgefordert werden, teilzunehmen, kommt sofort der Widerstand: Das ist zeitaufwendig, das ist für Viele nicht ganz intuitiv, das muss man erklären, dazu braucht man eine Einschulung, usw“. Auf der anderen Seite gibt es Leute die sagen: „Bitte lass mich in Frieden mit dieser Einschulung, ich kann damit schon selbst umgehen“. Das ist einer der Gründe, warum ich normalerweise etwas lécher mit den entsprechenden Einschulungen umgehe. Zugegebenermaßen habe ich diesmal etwas versäumt, Ihnen mit dem Rotstift vorzuzeichnen, wie sie da vorgehen sollen. Was hier passiert, und das ist nach meiner Auffassung die günstigere Art und Weise: Wenn jemand nicht weiter weiß, kann man „on demand“, also während es sich ergibt, den Hinweis machen: „Schau dort und dort und dort hin, wenn du mehr wissen willst“. Das kostet vielleicht 10 Minuten. Und wieder mache ich denselben Punkt wie vorher: In der bisherigen Philosophie –und Lehrsituation an Universitäten schaut es so aus, dass jemand, wenn er sich bei einer Mitschrift nicht auskennt, den Nachbarn fragt: „Kennst du dich da aus? Was hat er da gemeint?“. Das wird geflüstert oder gesprochen von 1 zu 1 oder von 1 zu 3. Was an dieser Stelle der Effekt ist, ist dass Sie es alle lesen können. Alle die möglicherweise auch „etwas verwirrt“ sind, können sich danach orientieren. Der Punkt, auf den ich hinaus will ist der, dass in einer solchen Kooperationsumgebung, die Differenzen von Kompetenzniveau, die man normalerweise ansetzt, sozusagen nicht in derselben Weise funktionieren. Ich werde mich hüten, Sie aufzufordern, einen ähnlichen Gedankenmix zu produzieren wie das, was Sie in diesem Beitrag lesen können. Das entspricht nicht dem, was hier meine Aufgabe ist. Meine Aufgabe ist, auch wenn ich Gedanken mixe, eine nachprüfbare, halbwegs vertretbare, stabile Struktur vorzulegen und nicht, mich aus 25 Textquellen inspirieren zu lassen. Das würde Sie wahrscheinlich relativ bald langweilen.

Das soll aber tendenziell nicht in jene Richtung zielen, die ich jetzt beschreibe: Diese Aufgabe, die ich als ein sozusagen Experte in dem Bereich habe, lässt sich nur allzu leicht so ergänzen: „Na gut, wenn ich der Experte bin, was sind dann Sie? Sie sind die Nicht-Expertinnen, oder jene, die erst zu Experten werden sollen. Sie sollen zuerst einmal zuhören, bis sie alles gelernt haben oder bis Sie fast so reden können wie ich. Bevor Sie das können, haben Sie kaum einen Beitrag in diesem Zusammenhang.“ Das ist eine Dualisierung zwischen Expertinnen und Laien, die Sie alle kennen und die – wie ich argumentieren werde – für die sokratische Philosophie – von großer Wichtigkeit ist. Das was Sie hier sehen, ist eine Gegenbewegung zu dem. Wir können an dieser Stelle demonstrieren, dass die Beiträge – sagen wir einmal des assoziativen Remix – eine ganze Reihe von produktiven Effekten auf die ganze Community haben – die sich mit diesem Themen beschäftigt: Zum Beispiel: Jemand hat diesen Gedankenremix geschrieben und gesagt, er kennt sich nicht aus. Darauf hat er Antwort bekommen. Damit ist man bereits unterwegs zu gemeinsamer Arbeit. Oder: Ich habe zwei Tippfehler korrigiert und darauf hingewiesen, dass der Link zu YouTube nicht mehr funktioniert, da er wegen Verstoß der Nutzungsbedingungen entfernt wurde. Was lernen wir daraus: Wenn wir solche Diskussionen führen, muss man sich vorsehen gegen diese Form von plötzlichem Ausfall. Soviel zunächst zur Diskussionssituation. Ich werde nun mit den Präliminarien fortsetzen.

Was ist der Unterschied zwischen Free Software und Open Source?

Die Videoclips vom letzten Mal haben die allgemeine Idee des Remixing illustriert, die ich bei Lev Manovich aufgenommen habe. An dieser Stelle, weil Lev Manovich das mit ins Remixing hineinnimmt, etwas über die Verbindung dieser kooperativen Neugestaltung im Audio-&Videobereich und dem Thema der SW-Entwicklung und der Open Source gesagt. Daran anschließend hat sich eine Wiki-Diskussion ergeben. Es haben 01 – wenn man über diese Sachen spricht, wird es notgedrungen so, wie wenn man über einen ScienceFiction-Zusammenhang redet – und „OpenSource“ das sind die Nicknames, den diese beiden Personen verwenden, etwas, worauf Daniel Schmied in der Vorlesung bereits hingewiesen hat, nochmals thematisiert. Und zwar wollten sie sagen, dass ich mich auf eine Weise nicht politisch nicht korrekt ausgedrückt habe. Es gibt auch an dieser Stelle politische Korrektheit, und zwar im Hinblick auf den strategischen und prinzipiellen Einsatz dessen, was in der Freien-Software oder Open-Source-Bewegung stattfindet. Der politisch korrekte Ausdruck, wo man nicht aneckt, ist FOSS (Free and Open Source Software). Worum handelt es sich kurz: Die beiden Hauptbezugspunkte, die ich in der ersten Einheit gebracht habe, waren Kernel und Lizenz. Linux und GPL. Hinter diesen beiden Hauptpunkten verstecken sich sowohl zwei unterschiedliche Personengruppen als auch politische Philosophien. Richard Stallman ist jemand, der die Sache sehr prinzipiell nimmt und der in der GPL ein Hauptinteresse daran hat, ein Maximum an Freiheit der einzelen Person zu gewährleisten. Prinzipienüberlegungen stehen bei Stallman also ganz deutlich im Zentrum. Die Entwicklung des Linux-Kernels wäre überhaupt nicht möglich gewesen, ohne die Voraussetzung der GPL, ist aber nicht in gröberer Weise von prinzipiell-philosophischen Überlegungen beeinflusst, sondern man hat kooperiert. Die Schwierigkeit, die sich in dieser Konstellation begeben hat ist, dass – wenn man so etwas extrem effektives und attraktives wie einen alternativen Betriebssystemansatz im Softwarebereich produziert bei einer Marktistuation, wo kommerzielle Systeme dominieren - man sehr schnell auf folgende Schwierigkeit kommt:

  • Was passiert mit Arbeit, von der Leute leben wollen die nicht ausschließlich im Linux-Bereich ist? Wenn Leute Geld nehmen wollen für das was sie tun, auch wenn sie diese als Open Source zur Verfügung stellen? Wenn Leute das, was sie tun, anbieten müssen oder wollen, in einem Bereich, der ebenfalls kommerziell betrachtet worden ist? Das ist ein „unsauberer“ Überschneidungs-Bereich zwischen „Du kannst mit dem, was ich dir gebe, machen was du willst“ und „Du musst für das zahlen“.
  • Als Antwort auf die Stallman-Prinzipien-Erklärung hat sich herausgestellt, dass es eine wichtige Initiative gegeben hat, die sich damit beschäftigte, welche unterschiedlichen Lizenzen, welche Zwischen-Lösungen zwischen „Frei“ und „Bezahlt“ man nehmen könnte und die den Augenmerk nicht auf die prinzipielle Freiheit gelegt haben. Das ist die Gruppe, die den Ausdruck „Open Source“ erfunden hat als einen Kontrastausdruck zu „Free Software“ und die mit diesem Term eine etwas andere Strategie verfolgt wie die von R. Stallmann.

Und in welche Richtung schlagen Sie sich nun?

In keine. Der Grund, warum ich Open Source verwenden, ist tatsächlich ein Inner-Philosophischer und gliedert sich in zwei Teile:

  • Die von mir dargestellte Opposition zwischen Prinzipienfreiheit und Faktisch-Pragmatischer Kompromissbildung erscheint mir für die Philosophie als zu aufgelegt. Instinktiv ist man in jedem Fall für prinzipielle Freiheit und Stallmann. Man kann zwar darauf hinweisen, dass er fünfmal das Wort Philosophie in seiner Deklaration verwendet, doch das wollte ich nicht als den Einstiegspunkt nehmen.
  • Ich möchte dort beginnen, wo die Freiheit eine operative wird. Wo sie greifbar wird, und wo sie einen Bereich genauer definiert, abgesehen von dem Prinzipienbereich, wo wir sagen „Wir wollen so leben können“. Der Bereich, indem die Freiheit operativ wird (AKA: und sich zeigt) ist genau jener Bereich, wo Quellcode zur Verfügung steht und wo die Bearbeitung und Neuentwicklung zugelassen ist unter der Bedingung, dass auch diese Modifikationen wiederum unter denselben Bedingungen zur Verfügung stehen, wie der Quellcode selber. Das ist nichts anderes als die GPL, das ist schon klar. Der wichtige Punkt ist an dieser Stelle nicht: Freiheit abstrakt, sondern ist diese Form von Kooperationsmöglichkeit in Zusammenhang mit textmäßig verfassten Abschnitten von Wissen und Softwareentwicklung in Hinblick auf weitere Arbeit.

Das war mein wichtiger Punkt und ich hoffe, dass ich das nun entsprechend verständlich gemacht habe.

Alles, was ich bisher gesagt habe ist der Versuch zu verarbeiten, was sich in der letzten Woche ergeben hat. Nun geht es mit der inhaltlichen Linie weiter, wo noch viele wesentliche Anknüpfungspunkte wichtig sind, damit sie sich nicht wundern, wo wir denn stehen mit diesen Videoclips vom US-Wahlkampf.

Was soll die Sache mit dem Lippenstift im US-Wahlkampf?

Sie haben also gesehen, dass es diese Redewendung „Lipstick on a Pig“ gibt und haben sich wahrscheinlich gefragt, was diese Redewendung soll, da könnte man ja mit jedem Beliebigen beginnen. Sie werden vielleicht gemerkt haben, dass dieses Video nur ein erster Teil für eine andere Form von Remix sein soll. Dieser Remix, der auch über YouTube läuft, handelt auch von diesem „Lipstick on a Pig“-Thema, der diesmal jedoch kein meditatives kleines Stück über die Gefährdungen der Konsumentengesellschaft, sondern ein für 14 Tage sehr aktuelles, dramatisches und aggressives Unternehmen aus dem US-Wahlkampf ist. Die allgemeine Linie, die mir an dieser Stelle wichtig ist, ist: In einer TV-Werbung von McCain haben Sie einen Zusammenschnitt von einer Reihe von Ausgangsmaterialien, die frei im Internet verfügbar sind.

  • Es handelt sich erstens um einen Ausschnitt aus dem Video „Sarah Palin über Lippenstift“, wo sie fragt: „Was ist der Unterschied zwischen einem Pitbull und einer Hockey Mum?“ Sie ist die Hockey Mum. „Lipstick“, sagt sie in einer inspirierten dramatischen Weise. Warum Sie sich mit einem Kampfhund vergleicht, will ich hier nicht weiter kommentieren. Jedenfalls: Ein Unterschied zwischen Kampfhund und ihr ist: Lippenstift. Das hat als Pointe sehr gut gewirkt und ist mehrfach kommentiert worden und über die Medien gegangen.
  • 10 Tage später hat Obama in einer Wahlveranstaltung die Phrase „You can put lipstick on a pig, it’s still a pig“im Zusammenhang einer Diskussion der politischen Philosophie von McCain. Sie können sich das ansehen, er spricht ganz klar von John McCain.
  • Aus diesen beiden Cutouts dieser Inputs kommen die ersten beiden Teile dieser TV-Werbung. Im ersten Teil wird gezeigt: Sarah Palin: „Lipstick“. Im zweiten Teil wird gezeigt: Obama: „You can put a lipstick on a pig, it’s still a pig“. Der Effekt dieser beiden kurzen Szenen die nebeneinandergestellt werden wird dadurch verstärkt, dass im ersten Teil gezeigt wird „Sarah Palin on Sarah Palin“ und im zweiten Teil „Barack Obama on Sarah Palin“.
    • Sarah Palin sagt: „Lipstick“
    • Obama sagt: „Sie ist trotzdem ein Schwein“
    • Konsequenz: Er impliziert, dass Sarah Palin ein Schwein ist.
  • Um das noch zu unterstreichen, kommt im TV-Sport als dritter Teil eine Sequenz aus einem Clip von Kathy Couric, die mittlererweile berühmt ist. (Sie ist eine CBS-Journalistin, die vor 14 Tagen ein langes Interview mit Sarah Palin gemacht hat, das ziemlich desaströse Folgen gehabt hat. Sarah Palin hat sich an dieser Stelle als nicht sehr informiert über wesentliche Dinge gezeigt.) Von diesem Clip wird die Sequenz „Es gab noch nie soviel Sexismus in Werbecampagnen wie in diesem Jahr“ als dritter Teil dazugestellt. Im Ursprungstext bezieht sich dieser Satz auf Reaktionen auf die Hillary-Clinton-Kampagne.

Und was hat das mit dem Thema dieser Vorlesung zu tun?

Diese TV-Werbung stelle ich Ihnen deswegen vor, weil – das ist jetzt der Weg, den ich inhaltlich weiter beschreiben möchte – ich Ihnen nicht nur die schönen Konsequenzen einer freien Remix-Kultur vorstellen wollte, wie beim letzten Mal, sondern auch – wie ich es angedeutet habe – demonstrieren wollte, dass sich (nicht nur, aber auch) auf YouTube der ödeste und aggressivste Schrott befindet. Wir sind in einer Situation, in der wir uns auch damit auseinandersetzen müssen, nach welchen Gesetzlichkeiten diese Art von Interventionen zu behandeln sind und was wir davon halten sollen. Die Argumentation die ich im Auge habe - das sage ich gleich als den nächsten Brückenpfeiler – ist die, dass ich eine Linie ziehen möchte zwischen der Form von quasi-Regellosigkeit, die es möglich macht, dass wir in unserem politischem Diskurs diese Form von Strategien mit oder ohne Erfolg einsetzen können. Die Situation des „Free-For-All“ in der politischen Auseinandersetzung, die mich beschäftigt sowie bekümmert und die ich für eine sehr aktuelle und wichtige halte, möchte ich in Verbindung setzen mit der Situation der athenischen Polis, zu der Zeit, in der die Philosophie, so wie wir sie kennen, entstanden ist. Ich möchte plausibel machen, dass diese Art der Philosophie aus einem Entstehungskontext, aus einem politischen „Free-For-All“ in einer gewissen Weise geradezu zu erklären ist. Dadurch ergibt sich die Frage: Wie bestimmt sich die Form der freien Beschäftigung aus der Form von abstrakter Freiheit und wie kann sich – wenn wir eine Open-Source-Initiative berücksichtigen -, diese Form von Freiheit wiederum auf das politische Leben und die Philosophie auswirken.

Warum ich Ihnen auf so drastische Art den US-Wahlkampf beschreibe hängt daran, dass ich von allem Anfang an vermeiden wollte, gleichsam auf den Wolken schwebend zu sagen: „Es ist schön, dass wir diese Freiheit haben und wir sollen diese Freiheit benutzen.“ Diese Freiheit wird – wenn es sie gibt – nur zu praktizieren und zu erhalten sein in Anknüpfung an diese Art von Beispielen.

Dekontextualisierung & Rekontextualisierung im US-Wahlkampf

Bevor ich zu den Griechen komme, möchte ich den Clip von Larry King zeigen und diskutieren:Beim ersten Dialog-Gespräch zwischen Larry King und den vier Frauen gibt es ein Zitat von Marsha Blackburn, die eine republikanische Abgeordnete von Tennessee ist und die relativ gut beschreibt, was ich auch für eine Grundbedingung dieses politischen Diskurses halte und was man ironischerweise in einem gewissen Sinn als das ultimative postmoderne Statement betrachten könnte, gerade bei einer Frau, die sicherlich alles andere als postmodern ist. Aber wenn es darum geht, diese Form von Werbeeinschaltung zu produzieren, wird auch die republikanische Partei plötzlich postmodern:

"... when you take the remark in the context of the campaign and everything is taken in context in relationship to something else ..."

Das ist ja doch ein amüsantes Statement, das man Beiseiteschieben kann, das man aber auch ernst nehmen kann und das beschreibt, worin sich hier das Problem zusammenballt: Wir haben eine Situation, in der wir zwar wissen, was Kontexte sind. Wir könnten, wenn wir den ursprünglichen Clip von Obama hören und sehen, sagen: „Der spricht klarerweise über McCain“. Wir sind aber in einer Situation, wo wir diese Kontexte auch dekontextualisieren und in andere Kontexte rekontextualisieren können. Die Legitimation, die sie an dieser Stelle braucht, um jemanden zu antworten der sagt: „Schau dir mal an, der spricht doch offensichtlich von McCain und nicht von Sarah Palin“, ist: „Naja, es hängt ja alles mit allem zusammen. Damit haben wir eine Freifahrt im politischen Bereich, die möglichst effektivsten, für unsere Zwecke nützlichsten Clips zu produzieren“.

Für die, die in der Philosophie in etwa ahnen, was meine Absicht ist. Es handelt sich hier um ein Detailbeispiel einer Frage danach, was kann und darf Rhetorik? Rhetorik ist an dieser Stelle die Schnitttechnik, die ich oben beschrieben habe. Diese Form der Schnitttechnik wird eingesetzt im Zusammenhang der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahlen, des Demokratieprozesses. Die Frage, die sich an dieser Stelle leicht ergibt, ist die des „Anything Goes“: Kann man, wenn man die klügsten derartigen Remixes produziert, auch beanspruchen, dass man an das Richtige gemacht hat. Ohne aller philosophischen Untertöne kann man fragen: „Ist das in Ordnung?“. Auf diesen Punkt werde ich, wenn es um den Gorgias geht, zu sprechen kommen.

Was ist das Problem mit gleichwertigen Meinungen ohne Bewertungsinstanz? Oder: Wenn die Produktwerbung sich einschaltet.

Was ich Ihnen zeigen wollte ist das Folgende: Diese Auseinandersetzung ist so strukturiert, dass der Fernsehschirm in vier Unterfenster unterteilt ist, in der jeweils eine der Frauen gefilmt wird. Auf eine amüsante und auch irritierende Art und Weise entwickelt es sich im Laufe der Auseinandersetzung zu einem Streichquartett, wenn man es freundlich ausdrücken will. Am Ende schaut es so aus, dass alle vier Frauen gleichzeitig reden. Jede in ihrem kleinen Kasterl spricht und reagiert auf die anderen Frauen. Das hat durchaus einen musikalischen Wert. Aber es ist natürlich kaum zu verstehen für jemanden, der eine Argumentation verfolgen will. Das ganze geht so lange, bis Larry King sagt: "Ladies, stop it!". Er setzt ein und sagt, dass dieses Sendesegment zu Ende ist und dass man sich natürlich nach der Werbepause wieder treffe. Das ist eine, scheint mir, sehr greifbare und nachvollziehbare Visualisierung dessen, was passiert, wenn man im öffentlichen Raum ohne Verfahrensregeln kontroverse Stimmen entstehen lässt. Also eine Form von Ur-Zustand. Alle reden durcheinander. Jede mit ihrer verschiedenen Interessenslage. In den ORF-Gesprächen mit Ingrid Thurnher haben wir an mehreren Stellen so etwas Ähnliches gehabt. Die Schwierigkeit, die sich hier zeigt ist: Wie gehe ich um mit ent-hierarchisierter, auf gleichem Niveau befindlicher, Meinungsproduktion? Klarerweise gibt es darauf eine erste Antwort, die noch nicht allzuviel kostet und ziemlich im Allgemeinverständnis verankert ist:

  • "Es können nicht alle gleichzeitig reden. Es soll einmal der eine reden, einmal der andere." Man definiert Regeln, die für alle gelten oder zumindest gelten sollen, sodass sie jeweils einen gewissen Zeit-Slot haben, in dem sie sich ausdrücken können.
  • Das zweite ist aber - und das ist die politische Brisanz dahinter: Gibt es noch andere Strukturen? Gibt es noch zusätzliche Faktoren, die an dieser Stelle zu berücksichtigen sind als Organisation der vielen Stimmen, die alle kommen dürfen? Stellen Sie sich das unter dem Aspekt vor: "Alles hängt mit allem zusammen" und man kann mit jedem Beitrag machen, was immer man möchte. Wenn das ernsthaft vertreten wird, kommt man in eine Situation, wo man sagt: Jeder bekommt seinen entsprechenden Slot, da darf er/sie etwas sagen, aber was sie sagt, ist ihr nicht vorgeschrieben, kann dieses und jedes sein. Und wenn wir am Ende der Veranstaltung sind, haben wir dann vier Meinungen oder 40 Meinungen gehört, und alle können gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Ja und was steht dem Ansatz der gleichwertigen Meinungen entgegen?

Das kann man als erste Reaktion sehr dramatisch sagen: Wenn ich einen Wasserrohrbruch zu Hause habe, dann wird es keine günstige Gelegenheit sein, auf die Straße zu gehen, und vier Leute zu fragen: "Kommt ihr bitte bei mir rein, und sagt mir, was ihr von diesem Wasserrohrbruch haltet? Was soll ich damit machen?", sondern ich werde den Installateur um Rat bitten. Ich werde, wenn ich diesen Typus von Frage habe - und das ist ein Typus von Frage, der offensichtlich mit Expertentum zu tun hat - eine bestimmte Struktur in meiner Beratungsbedürftigkeit haben. Ich werde gewichten. Ich werde das, was der Installateur sagt, höher gewichten als das, was irgend ein Dahergelaufener dazu sagt.

Ja und sagt der Experte immer das Richtige?

Es gibt natürlich Situationen - und ich habe ja gerade am Anfang dieser Vorlesung davon geredet - in der die krasse Unterscheidung zwischen Expertenstatus und Laien nicht sinnvoll ist und ich unter den vier Leuten, die ich frage, unter Umständen tatsächlich einen besseren Rat bekomme als wenn ich den Installateur frage. Ich bitte Sie, das zunächst einmal zurückzustellen, und sich einmal auf die Struktur zu konzentrieren, die Sokrates wesentlich ist und die auch heute noch wirksam und bedeutend ist, nämlich: Dass es Kontexte gibt, in denen das wichtig ist, was griechisch gesprochen unter techné fällt. Techné ist ganz allgemein eine Fertigkeit, eine Kunst, oder die jeweilige Fachexpertise in einem bestimmten Bereich. Es gibt ab einem gewissen Entwicklungsstand von Zivilisationen - unser und schon das griechische Leben ist durchzogen davon - die Arbeitsteilung, und in dieser Arbeitsteilung gibt es Kunstfertigkeiten. Diese Kunstfertigen werden gebraucht. Eine Gesellschaft, die nicht mehr so wie die Großfamilie am Land organisiert ist, die eine Wirtschaftsform hat, wo mehr oder weniger alles in einem Produktions- und Konsumtionsverbund ist (sie produzieren das, was sie brauchen), braucht Kunstfertigkeiten, die auf einen bestimmten Bereich eingeschränkt sind. In der Marktwirtschaft ist es notwendig, dass es Leute gibt, die etwas produzieren, das sie so gut und kostengünstig produzieren, dass Leute ihnen etwas (zuerst Naturalien, dann Geld) geben dafür, dass sie dieses Produkt bekommen können. Die Fertigkeit, die Expertise im Produzieren dessen, was man gut herstellen kann, oder einem Service, den man gut anbieten kann, ist eine Grundbedingung für die Funktionsfähigkeit solcher stetigen Zusammehänge, die in der Marktwirtschaft vorliegen.

Warum komme ich da nun darauf? Es gibt Situationen, in der diese ExpertInnenmeinung selbstverständlich das Erste ist, das wir wollen und wo wir aussortieren zwischen dem, was die Einen sagen und dem, was die Anderen sagen. Wenn Sie vor der Frage stehen: "Wie schreibe ich eine Seminararbeit?", dann hören Sie sich vielleicht auch die verschiedenen Tipps an und dann werden Sie wohl auch nicht anders können, als eine Auswahl zu treffen. Und diese Auswahl basiert wahrscheinlich auf der Einschätzung, wie vertrauenswürdig, wie expertenhaft die Person ist, die Ihnen diese Tipps gibt. Das ist eine Sache, die wir sehr gut kennen und nun kommt nach langen Vorbereitungen die Pointe: Während dieses Expertentum bei den Schustern und bei den Schiffebauern und bei den Baumeistern und bei den Gerbern im athenischen Bereich überall der Fall ist, gibt es eine Situation, in der diese Regeln suspendiert sind, in der sie abstrahiert sind, in der man nicht so vorgeht. Und das ist die Situation der Volksversammlung.

Was haben die Volksversammlungen im antiken Athen mit dem Larry-King-Clip zu tun?

In der Volksversammlung in Athen wird nicht danach gefragt, ob man eine gute Schusterin oder gute Schreinerin ist, sondern jeder darf reden. Und nicht nur darf jeder (jedeR ist an dieser Stelle beabsichtigt; Frauen waren in Athen nicht miteingeschlossen) reden, sondern jeder darf entscheiden. Es hat eine Form von radikaler Demokratie geben, die - das ist jetzt mein Verbindungsbereich - ungefähr so ähnlich ist wie die Vielfältigkeit von Stimmen, die ich Ihnen im Larry-King-Clip demonstriert habe. Ich werde Ihnen an ein bis zwei Beschreibungen deutlichen machen, was ich meine und dann auf weiterführende Texte dazu verweisen.

David Johnson: Die radikale Demokratie ist furchtbar ineffizient.

Das folgende Zitat einer Vorlesung von David Johnson ist mir in diesem Zusammenhang sehr hilfreich:

Athens was a state run almost entirely by amateurs. There were no professional politicians; no professional lawyers or judges, no professional civil service. The people could do what they pleased and, during much of Athenian history, whenever they wanted to do it. The Athenian people could vote one day to raise taxes by 50%, one day to cut them by that much; they could outlaw something one day, approve it the next; give citizens of Athens a right one day, take it away the next.

Das ist eine Radikalfreiheit, die sich nicht auf die jeweiligen Expertenbereiche bezieht. Es tut mir Leid, wenn es eh schon ausgewalzt ist, aber man muss sich das bildlich vorstellen: Sie werden einfach keinen Baumeister zahlen, der an einem Tag ein Haus baut, das am nächsten zusammenfällt. Sie wollen jemanden, der qualitätsgeprüft ist. Das Problem, was hier aufgerissen wird ist: Im Zusammenhang mit der Organisation der gesamten politischen Verhältnisse in Athen hat sich eine Situation ergeben, in der die Politiker als Experten keine Rolle spielen. Es gibt keine Politik-Experten. Das ist eine Lage - sie können sich die Links dazu ansehen - die für Leute, die "Sick and Tired" sind von Politik und dem, was die Politiker machen eine ausgesprochen attraktive Situation ist. Ich sage nicht, dass man hier genauer zuschauen müsste, was dahinter steht. Das ist sehr wichtig. Aber Sie haben mit der Volksversammlung diesen politischen Amateurstatus.

Wo es ähnlich auch heute in der USA der Fall ist, ist im Zusammenhang mit Schwurgericht / Laiengerichtsbarkeit. Hier sagt man: Es gibt nicht die Experten der Gerechtigkeit; diejenigen, die das Strafgesetzbuch studiert haben und uns sagen sollen, was gerecht ist und darum wenden wir uns an die, wenn es gilt Schuld oder Unschuld festzustellen. Nein, es gibt in den USA viel stärker, und bei uns auch, dieses Moment von: Was Gerechtigkeit ist, hängt an der Reaktion von Laien - Laienrichter sagt man diesbezüglich auch. Und dieses Moment beschreibt Johnson folgendermaßen:

This all must have been terribly inefficient

Stellen Sie sich vor, ein heißes Eisen wie die Abtreibung oder Genmanipulation. Und stellen Sie sich vor, Sie unterlegen ein solches Thema einer solchen radikalen Demokratie. Sie sind dann jeweils mit einem Fuß im Gefängnis, egal was Sie tun. Denn Sie wissen nicht, dass übermorgen in der Volksversammlung das Gegengesetz beschlossen wird im Sinne einer "Parlamentarischen Spontanaktion" zum Beispiel. Mit den Studiengebühren könnte man es sich auch sehr gut vorstellen. Stellen Sie sich eine Situation vor, wo die Gültigkeit oder Nichtgültigkeit der Studiengebühren immer daran hängt, ob eine Abgeordnete gerade in Kärtnen auf Urlaub ist oder nicht auf Urlaub ist. Das ist, "terribly inefficient" in diesem Zusammenhang. Nichtdestotrotz hat es in einer Weise funktioniert. Weiter im Text:

There was no constitution to keep them in check, and no lifetime judges to tell them what to do: a right you had one day could be taken away tomorrow. All this resulted in certain problems of stability; and, as we will see, the Athenians themselves took certain steps to limit the instability of their government without compromising its direct connection with the people.

Aber er sagt dann, es ist durchaus etwas, was wir heute für uns selber im Zusammenhang zum Beispiel mit der Politikverdrossenheit sagen müssen: Um den Rückverweis auf die Videoclips zu geben: Diese Art von Videos und die explorativen Funktionen dieser Videos sind für viele Leute, die sie ansehen, genau ein Grund dafür, dass man sagt: „Also mit dieser Form von Politik will ich nichts zu tun haben. Das ist doch nicht sachlich. Das ist doch etwas, was geregelt gehört. Gewisse Gemeinheiten sollten verboten sein.“ Das ist eine Form von Reaktion, die ich zumindest auch in mir merke. Die Politiker, die sich auf so etwas einlassen, sind eigentlich weit weg von dem, was das Volk will. Das interessiert uns nicht, das ist nur mehr ein internes Hick-Hack. Diese Politikverdrossenheit ist zum Beispiel etwas, was Platon zu "Der Staat" geführt hat. Dies ist eine Linie, die sehr nahe liegend in dem Zusammenhang ist, und der gegenüber man Folgendes ernst nehmen muss: Welche Machtstrukturen meinst du denn, wenn du sagst, das sollte verboten sein. Wer soll denn das verbieten? Aufgrund von welcher Autoritäten soll das verboten sein? Sollen die Politiker beauftragt werden zu verbieten, dass sie selber beschimpft werden? Und wenn nicht die Politiker, wie schaut das ganze System aus? Auf diese Schwierigkeit möchte ich hinweisen.

William Buckley: Wir wollen nicht von Experten regiert werden.

Das folgende Zitat passt für die gegenwärtigen Zwecke IMHO ganz gut und ich nehme es auch deswegen, weil es ein Moment von Andeutung von Kooperationszusammenhängen und von dem, was Open Source für eine Chance haben kann, dabei hat. Das Zitat stammt von William Buckley, der ein ausgesprochen konservativer US-amerikanischer Journalist und Meinungsmacher ist:

I am obliged to confess I should sooner live in a society governed by the first two thousand names in the Boston telephone directory than in a society governed by the two thousand faculty members of Harvard University

Hier haben Sie den Punkt, den ich im Zusammenhang mit Expertinnenkulturen machen wollte, in eine sehr griffige Formulierung gebracht. Das, was hier zunächst einmal in Frage gestellt wird, ist die Anschauung, dass wir eine Gesellschaftsordnung haben sollten, die reguliert ist von den Leuten, die sich in ihren jeweiligen Gebieten auskennen. Also die Universitätsprofessoren stehen hier genau für diejenigen, die sich am Besten in ihrem Bereich auskennen. Die ersten 2000 im Telefonbuch stehen dafür, dass wir einen Zufallsmix haben. Hier wird also die Frage gestellt: "Wollen wir von 2000 zufällig zusammengewürfelten Leuten oder von einer Gruppe von Fachleuten regiert werden?" Der Akzent ist hier auf "regiert werden". Es geht um die Frage "Wies soll unser Gemeinwesen organisiert werden?" und nicht "Wer baut die besseren Häuser?". Die implizite Antwort dieses Zitats ist: "Um unser Gemeinwesen zu regieren, ist es sinnvoller, keinen Qualitätsfilter zu haben." Sie können das auch sehr schnell auf hochschulpolitische Debatten übertragen, wo es ein Ähnliches Problem gibt.

Experten in der Hochschulpolitik der Uni Wien

Wir sind im Hochschulgesetz gerade in der Situation der 300 Fachleute. Ich will mir nur kurz den kleinen Nebenkommentar erlauben, dass der akademische Senat der Universität Wien, der abgesehen vom Rektorat das zweite große Leitungsorgan ist, nach Gesetz so zusammengesetzt ist, dass Delegierte ordentliche Professoren auf jeden Fall die absolute Mehrheit haben müssen, was an dieser Stelle 11 Personen sind. Stellvertreterinnen der 4000 anderen Hochschullehrer haben 2 Delegierte gegenüber den 11 Delegierten der 300 Professoren. Das heißt wir haben im Hochschulgesetz ein dramatisches Autoritätsstrukturgefälle, wo die Leute, die ganz oben sind, eine Bestimmungsmacht haben, die in einem geradezu lächerlichen Missverhältnis zu dem steht, wie die Leute und Qualifikationen aussehen, die an der Universität arbeiten. Was an der Stelle abgelöst worden ist, war ein Ansatz, der mehr dem radikaldemokratischen, athenischen Zugang angepasst war, dass nämlich alle Angehörigen der Universität - und die Universität besteht aus Studierenden und Lehrenden verschiedener Art und auch noch dem Support - zusammen zum Beispiel den Rektor wählen, anstatt - wie es jetzt passiert - dass nur der Senat und der Universitätsrat mit ihren Hierarchieschwerpunkten das darf. Dies nur ein Verweis auf direkte Situationen im Moment hier [in Wien].

Wie sah die Struktur der Demokratie in Athen ungefähr aus?

Folgende Skizzen können für die in Rede stehenden demokratischen Zusammenhänge noch ganz illustrativ sein.

Solon.jpg
Kleisthenes.jpg

Es gibt Ende des 6. Jahrhunderts eine Athenische Verfassung des Solon, die sehr stark demokratisch ausgebaut war. Die Volksversammlung ist von den Bürgern von Athen bestimmt, das waren in etwa 6000 Personen. Diese konnten einen Rat der 400 wählen.

Noch ein paar Informationen zur Klassengesellschaft im antiken Athen:

  • Die Theken waren besitzlose Lohnarbeiter.
  • Die Zeugiten waren diejenigen, die sich leisten konnten, eine Waffe zu kaufen und die als Fußsoldaten das Heer bildeten.
  • Die beiden oberen Klassen sind durch Vermögen charakterisiert, das teilweise auch zur Rekrutierung des Athenischen Heeres aufgewendet werden musste.
  • Das Volk war in Wahlbezirke organisiert und in diesen Wahlbezirken wurden die Listen erstellt, die die Berechtigung zur Teilnahme an den Volksversammlungen festlegten.

Entstehung der attischen Demokratie (Dadalos Bildungsserver, 2 Texte

Die attische Demokratie (Kompilation Ralph Netzker)

Perikles, volksnah

Paul Waring über das Perikleiische Staatsbürgerschaftsgesetz

Im Vergleich der Solonischen zur Kleisthenischen Verfassung werden Sie feststellen, dass der Areopag, ein Adelsgremium, das sich nur rekrutiert aus den Besitz- und Geschichtsstarken Gruppen, an die Seite gedrängt wird. Der Punkt, den ich hier besonders herausheben möchte und der etwas mit den 2000 Telefonbucheinträgen in Boston zu tun hat: Der Rat der 500, der die Geschäfte in Athen geführt hat, ist in der Volksversammlung durch Los bestimmt worden. Das ist gerade nicht das, was wir repräsentative Demokratie nennen, in der eine Schicht von Berufspolitikern sich ergibt, die Vermittlungsfunktion zwischen Volk und Ausübugn der Machtagenten zu übernehmen haben und die dann die entsprechenden Schläge, Schelte und Remunerationen bekommen. Sondern diese Demokratie war ein Konstrukt, in dem aufgrund des Loses diese Form von Berufspolitik ausgeschlossen war.

Stellen Sie sich vor, Wien wird durch Leute, die mittels Zufallsverfahren aus dem Telefonbuch ausgewählt werden, regiert. Nicht nur gilt diese Los-Ziehung für den Rat der 500 im antiken Athen, sondern diese haben dann noch einen Ausschuss in Kraft gesetzt, die Boule (der Rat), dessen Aufgabe darin bestanden hat, der Volksversammlung Gesetze vorzuschlagen. Das musste natürlich alles funktionieren - eine Geschäftsordnung musste vorhanden sein: Die Volksversammlung kann nur über das Beraten, was vom Rat vorgelegt wird. Dieser Rat war aber kein Gremium von Experten sondern der war selber mit Los aus der Volksversammlung zusammengesetzt. Der Vorsitzende dieses Rates wurde täglich von einem anderen abgelöst. Man kann sich sehr gut vorstellen, worauf das hinausgelaufen ist.

Aus dem Auditorium: Die sinkende Qualität in der DJ-Szene

Beim DJing, beim Auflegen gibt es zwar Akademien, aber 99% der Leute machen das autodidaktisch und kommen quasi durch eine natürliche Entwicklung zu einer Lage, wo sie dann tatsächlich Geld damit machen können. Ein Quasi-Experte, der durch seine eigene Qualifikation dazu gemacht wird. Diese Leute dienen dann als Beisipele/Vorbild für andere, die auch auflegen und dann auf eigene Art und Weise diesen Vorbildern nacheifern. Es kommt zu dem Effekt, dadurch, dass sehr viele Leute DJing betreiben, die technische Möglichkeit haben, auch aufzulegen (Einen Track gekonnt in den anderen übergehen lassen). Wenn sehr viele Leute die Möglichkeit haben, das zu machen, sinkt die Qualität des DJing an sich. Die Leue, die dann wieder im Publikum stehen und diesen DJs nacheifern wollen, erleben dann selbst nur noch die mindere Qualität des DJing und es kommt sozusagen zu einem automatischen Teufelskreis. Je länger das passiert, desto weniger kann man dann noch gute DJs finden, da es in der Praxis keine Maßstäbe mehr gibt, die an dieser Tätigkeit angelegt werden können, außer dem einzigen Maßstab, dass viele Leute zu der Party kommen, auf der jener bestimmte DJ auflegt.

In diesem Bereich ist man dazu übergegangen - das ist auch exemplarisch für einen Übergang vom Autodidaktischen zur Wissenschaft - jene Leute, die einen guten Track produziert haben, als gute DJs zu verkaufen; und das obwohl das Auflegen eines guten Tracks nichts Wesentliches damit zu tun hat, ob dieser Jemand gut auflegen kann. Das heißt, jene Leute, die einen Track produziert haben, der sich gut verkauft, gelten als gute DJs, obwohl es mit der Fähigkeit des Auflegens eigentlich nichts zu tun hat. Man versucht in dieser sozusagen Übergangszeit Maßstäbe zu finden, die funktionieren. Das ist eine sehr interessante Dynamik.

Musik-Genres und Gender. Die Befreiung aus der Autorität ist keine Qualitätsgarantie

Ich möchte, da ich mich in der DJ-Szene nicht auskenne, an einer Stelle einsetzen, die man allgemein über die Musikindustrie sagen kann: Sie erinnern sich vielleicht noch an Zeiten, in denen die Plattenfirmen mit ihren Definitionen davon, welche Strömungen es gibt und was die Kriterien der verschiedenen Strömungen sind (Country, Blues, Jazz, usw). Es gab eine Zeit, da waren es vielleicht 20 davon. Diese Kategorien waren eingeschrieben in die Jukeboxes, in die Kommerzstruktur, in die Radiosenderstruktur und haben sich ergeben aus einer Zeit der Plattenindustrie, wo die Produktion von musikalischen Angeboten eng gebunden war an die Verfügung über Geld, Firmen und Produktionsmittel. Diejenigen, die die großen Angebote produziert haben, konnten auch sagen: „x gehört in die Kategorie y“.

Das ist eine Situation, die ungefähr vergleichbar ist mit dem, was ich in der Expertenkultur sage. Für diejenigen, die in die Musikwelt eintreten, ergibt sich die Situation, dass sie konfrontiert sind mit 20 Kategorien. 20 Präferenzen gibt es und was diese Präferenzen sind, sagen euch die Plattenfirmen, die an dieser Stelle notgedrungen als Experten auftauchen. Das ist ein Szenario, das massiv zusammengebrochen ist und es ist de facto zusammengebrochen aufgrund Open Source. Weil die Autorität der Leute, die die Produktionsmittel haben und damit Kategorien und den Markt bestimmen, unterwandert wird von der Verfügbarkeit dieses Materials und genau vom Remix. So habe ich ihren Hinweis auf die DJ-Szene auch gesehen.

Der zweite Punkt, den ich auch beleuchten möchte - und da kenn ich den Zusammenhang mit der DJ-Szene nicht - aber das Thema ist mir wichtig: Was dann passiert, wenn man von der Autorität „erlöst“ ist? Es geht um die Frage, ob das nun immer kreativere Zusammenhänge werden, wo die Leute - befreit von den vorgegebenen Kategorien - plötzlich auf 200 Kategorien kommen und in den 200 Kategorien geht es viel, viel besser, oder ob das eine Verwässerungsstrategie ist.

Ein anderes Beispiel, wo es mir sehr deutlich ist, ist im Zusammenhang mit Gender. Da sind diese fürchterlich langweiligen Unterscheidungen von männlich, weiblich, sächlich - transkulturell vielleicht noch. Ich kann mir Genderkategorien einfallen lassen soviel ich will, ich brauche mich nicht nach diesen 4 Kategorien zu richten. Es kann durchaus als eine Befreiung erfahren werden, aber es gibt auch eine deutliche Tendenz, dass man sagt: "Das ist eine Aushöhlung". Wenn ich zwischen 25 Geschlechtskategorien wählen kann, sind bestimmte Fragestellungen, die sich genau nur im Rahmen unserer bekannten Gender-Ordnungen stellen, einfach gar nicht mehr zu stellen und das ist eine traurige Geschichte. An dieser Stelle ist die Freiheit keine wünschenswerte Freiheit.

Der Punkt, den ich im Zusammenhang z.B. mit der Wiki-Kooperation am Anfang machen wollte ist der, dass ich gerne in die Richtung arbeiten und denken würde, dass sich das Sinken des Niveaus nicht ergibt, sondern dass es Szenarios gibt, wo diese Form von Freischaltung tatsächlich eine Verbesserung des Niveaus ergibt. Also in Ihrem Fall: Wo sich die DJ-Qualität tatsächlich verbessert. Nun ist es so: Das ist genau einer der Gründe, warum ich nicht von freier Software rede. Weil ich Angst habe vor der Implikation, dass man sagt: "Ok, gebt die Software frei, dann wird sie auf jeden Fall besser, wenn sie nur frei ist". Das ist, wie wir wissen, ja nicht der Fall, denn die Malware (die Viren, die Trojaner), die man sich dadurch einfängt, dass man freie Software downloadet, muss man berücksichten und das ist der Punkt, wo man sagt: "In bestimmten Bereichen sind wir durch diese Freiheit gefährdeter." Es liegt sozusagen an uns, die Sache so darzustellen, in welchen Bereichen das der Fall ist und in welchen nicht. [Wir müssen] spezifischer die Funktionalität der freien Strategien unter die Lupe nehmen.



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