Benutzer:Andyka/Mitschriften/SS08-Code2-02 05 08

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Fragmentarische Mitschrift der VO Code(2) am 02.05.08

  • Vortragender: Herbert Hrachovec

Einleitung

Überlegungen zum Verhältnis Husserl-Heidegger zu Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit: Das klingt nach detailverliebter philologischer Untersuchung. Aber das, was dahinter steht, kann als zentrale Entwicklung in der Philosophie des 20. Jh. in Hinblick auf Zeichensysteme / Kalkülen und Code angesehen werden.

Skizze zur philosophiegeschichtlichen Landschaft

Mit Beginn des 20. Jahrhundert (Husserl): am Formalismus / Mathematik orientierte Betrachtungsweise von Zeichensystemen. In der weiteren phänomenologischen Tradition hat mit Heidegger ein massiver Schwenk, ein Umbruch stattgefunden – der zwar durchaus auf Husserl aufbaut, aber die Diskussion um Eigentlichkeit / Uneigentlichkeit in eine ganz andere Richtung bringt, die damals populär/verständlich/wirksam gewesen ist. Sie hat zu tun mit Existentialismus, Technikkritik, europäische Geistesgeschichte und dgl. Das kann man alles bei Heideggers Eigentlichkeitsbegriff beobachten. Dabei sind die Rolle der Technikorientierung und der Versuch, daraus philosophische Instruktionen zu gewinnen - aus der Phänomenologie ausgewandert und in die Nachfolge des Wiener Kreises gekommen. (Wittgenstein - Quine, ...). Das waren zwei gegeneinander stark abgegrenzte philosophische Positionen - gerade im Umgang mit Technik / Code.

Das ist nicht mehr der letzte Stand der Dinge. Hauptsächlich von französischen Philosophen (Derrida, Deleuze) wurden Momente des Kalküldenkens in die Heideggerianische Tradition eingebracht. Damit entstand eine eigene Hybridbildung, die Momente des Formalen/Mathematischen Zeichenbegriffes (und den Umgang mit Computern) konfrontiert mit seinsgeschichtlichen Überlegungen aus der anderen Traditionslinie. Das möchte ich heute vordemonstrieren, um damit eine Orientierung geschaffen zu haben im Zusammenhang mit einer nochmals neuen Problemstellung rund um Code: Code als Sourcecode, als Resultat produktiver Arbeit von InformatikerInnen am Thema / Aufgabe: Was kann ich mit Software tun? In einer Wissensgesellschaft wird sich die Frage stellen: Welche Rolle hat dieser Sourcecode im Aufbau / in der Entwicklung / in der Kritik und in der Veränderung von Wissensbeständen ?

Welchen Sitz hat das Zeichen im Leben?

Ich komme zur Fortsetzung vom letzten Mal. Ich habe Ihnen das Beispiel von Heidegger mit dem Winker vorgestellt. Der Winker gibt eine Zeichenstruktur vor:

An den Kraftwagen ist neuerdings ein roter, drehbarer Pfeil angebracht, dessen Stellung jeweils, zum Beispiel an einer Wegkreuzung, zeigt, welchen Weg der Wagen nehmen wird. Die Pfeilstellung wird durch den Wagenführer geregelt. Dieses Zeichen ist ein Zeug, das nicht nur im Besorgen (Lenken) des Wagenführers zuhanden ist. Auch die nicht Mitfahrenden — und gerade sie — machen von diesem Zeug Gebrauch und zwar in der Weise des Ausweichens nach der entsprechenden Seite oder des Stehenbleibens

Heidegger weist auf eine ganz praktische Erfahrung hin. Wo uns dieses Zeichen, der Autowinker das erste Mal begegnet ist nicht so wie er uns in diesem Fall heute begegnet. Denn wir begegnen diesem Zeichen allenfalls im Automobilmuseum. Dort sehen wir Vorkehrungen. Stellen Sie sich einen Boy/ ein Girl vor, dass sich begeistert in den Oldtimer reinsetzt und an den Knöpfen herumdrückt. Plötzlich klappt so ein Ding heraus und der Boy/ das Girl fragt: „Wozu ist das gut?“ und man erklärt ihm/ihr: „Wenn das Auto im Verkehr ist, muss es deutlich machen, dass es abbiegt und damals hat man noch keinen Blinker gehabt“. Damit erklärt man den Winker von außen - aus der nostalgischen Sicht. Doch Heidegger sagt: Das ist nicht die Art und Weise, wie wir zunächst einmal mit diesem Zeichen umgehen. Man könnte fragen: Wo ist der Sitz im Leben dieses Zeichens? Wo begegnet man dem Zeichen? Ein anderes schräges Beispiel: Es ist natürlich möglich, eine Flasche Sekt zu trinken, bevor Sie in diese Vorlesung gehen. Der Sekt kommt aber in diesem Zusammenhang nicht üblicherweise vor - im Normalen Leben - als ein Vollzug/Zeichen. Normalerweise kommt der Sekt vor: Wenn man eine Prüfung bestanden hat / wenn man Geburtstag hat / zu Silvester. Der Sitz im Leben des Sekts (wo man versteht, was das spezifische, eigentlich ist) ist in bestimmen Situationen eingebettet. Man kann den Sekt rausnehmen und anderswo verwenden.

Worauf ich hinaus will: Ein entscheidender Faktor in der phänomenologischen Gedankenentwicklung besteht darin, darauf aufmerksam zu machen, dass philosophische Untersuchungen dort beginnen sollten, wo Lebenszusammenhänge vorhanden sind. Das heißt im Falle des Zeichens: Nicht dabei beginnen, dass man bei einem Oldtimer die Vorkehrung des Winkers deuten kann als: „Das war damals der Hinweis, dass das Auto nach rechts/links abgebogen ist“. Nein. Wirklich versteht man, was ein Zeichen ist, indem man sich danach verhält! Die originäre Begegnungsart beim Beispiel des Sekts ist: man feiert etwas. Man kann Sekt auch ohne Feiern trinken aber da hat man eigentlich verpasst, worum es geht.

Das ist eine der Hauptideen der Phänomenologie, so wie es Husserl und der frühe Heidegger beschrieben haben: Die Dinge so aufnehmen, wie sie sich von sich selbst her zeigen. Nicht mit Konstruktionen zu kommen, sondern Sich einlassen in Zusammenhänge, in denen die Dinge drinnen stehen, sozusagen in ihrer besten Kleidung.

Heideggers Pfade weg von Husserl

Warum sage ich das an dieser Stelle? Die Art und Weise, wie Heidegger mit dem Zeichen umgeht, ist deutlich unterschieden von der von uns besprochenen Husserlianischen Zeichenanalyse:

  • Husserl geht davon aus, dass es eine Möglichkeit der Zertifizierung / Bestätigung von Zeichen im eigentlichen Zusammenhang gibt. Der eigentliche Zusammenhang ist: Wenn man als sehendes / hörendes / sich bewegende Lebewesen das wovon die Zeichen sind sehen, hören, nachvollziehen kann, sodass der direkte Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetes durchgeschaltet wird. Typisches Beispiel: Das Zeichen des Feuers: der Rauch oder der Brandgeruch sind eigentliche Zeichen, weil man hier einen direkten sinnlichen Kontakt zwischen Zeichen und Bezeichnetem hat. Die Uneigentlichkeit kommt dort ins Spiel, wo man abstrakte Merkmale/Merkzeichen hat, die zum Teil gar nicht mehr sinnlich umgesetzt werden können. Das ist die Richtung, mit der es zum Kalkül und zur Arithmetik geht.
  • Heidegger - das ist der entscheidende Wendepunkt - sagt etwas, was zwar mit Husserl zu tun hat, was aber den Eigentlichkeitsbegriff verlagert: Die Eigentlichkeit, von der wir im Zusammenhang mit Zeichen reden, besteht im Umgang mit Zeichen: Besteht in dem Wissen, wie die Zeichen funktionieren:
In der Orientierung an dem genannten Beispiel (Pfeil) muß gesagt werden: Das entsprechende Verhalten (Sein) zu dem begegnenden Zeichen ist das »Ausweichen« oder »Stehenbleiben« gegenüber dem ankommenden Wagen, der den Pfeil mit sich führt. […] Eigentlich »erfaßt« wird das Zeichen gerade dann nicht, wenn wir es anstarren, als vorkommendes Zeigding feststellen. Selbst wenn wir der Zeigrichtung des Pfeils mit dem Blick folgen und auf etwas hinsehen, was innerhalb der Gegend vorhanden ist, in die der Pfeil zeigt, auch dann begegnet das Zeichen nicht eigentlich. Es wendet sich an die Umsicht des besorgenden Umgangs, so zwar, daß die seiner Weisung folgende Umsicht in solchem Mitgehen das jeweilige Um-hafte der Umwelt in eine ausdrückliche »Ubersicht« bringt. Das umsichtige Übersehen erfaßt nicht das Zuhandene; es gewinnt vielmehr eine Orientierung innerhalb der Umwelt.

Wenn sie das vergleichen mit Husserl: Er macht einen großen Sprung an eine Stelle, die bei Husserl nicht die Stelle der Eigentlichkeit ist.

  • Husserl: Es gibt sinnlich Verbürgte Zeichen und es gibt uneigentliche Zeichen. Darüber hinaus gibt eine Argumentation die verständlich macht, warum uneigentliche Zeichen in der Verwendung in der Wissenschaft ausgesprochen hilfreich und wichtig, sogar wunderbar sein können. Weil die Argumentation klärt, wieso das in der Wissenschaft so gut funktioniert - ist diese heimgeholt – zurück gebunden in den Bereich, wo wir direkt etwas mit Zeichen anfangen können.
  • Bei Heidegger geht es nicht um diese Form von Uneigentlichkeit. Hier beginnt die Debatte um das Zeichen damit, dass man mit ihm im Leben etwas anfangen kann. Das ist ein von Heidegger entscheidend veränderter Ansatz im Zusammenhang mit Husserls Vorgaben. Husserls Vorgaben sind im Wesentlichen noch immer erkenntnistheoretisch: Man hat ein Subjekt, das Wahrnehmungen verarbeitet und Urteile produzieren kann, das diese Urteile auf die Welt bezieht und sich fragt: Unter welchen Umständen treffen diese Urteile auf die Welt zu (sind also wahr)? Von dort kommt Husserl her. Die dramatisch andere Einstiegsmöglichkeit, die Heidegger nimmt ist: Vergiss die Sache mit dem Subjekt/Objekt: Wir müssen - durchaus unter Berufung auf die Idee: „die Dinge so beschreiben, wie sie sich zeigen“ - ausgehen von Lebens- und Sinnzusammenhängen.

Die Umsetzung dessen, was ich als phänomenologische Basisvoraussetzung beschrieben habe ist: Wenn wir beschreiben, wie Menschen auf der Welt unterwegs sind, dann ist es einfach eine blöde Idee zu sagen: Da gibt es Subjekte und da gibt es Objekte. Die Subjekte: Das sind wir - und die Objekte: Das sind die Dinge. Die Subjekte haben bestimmte Fähigkeiten und Wahrnehmungen. Und dann stellen wir fest: Diese Wahrnehmungen und diese subjektiven Vorstellungen haben doch ein bestimmtes Verhältnis zu den Objekten. Wie konstruieren wir dieses Verhältnis? Wir stehen vor der Frage, wie das Ding in unser Urteil kommt, sodass wir eine Vorstellung von dem Ding haben und z.B. beurteilen können, was rechts oder links von uns ist.

Das ist nach Meinung Heideggers alles Konstruktion. Es ist die berüchtigte Subjekt-Objekt-Konstruktion der Erkenntnis, mit der man Jahrhunderte lang mit der Philosophie operiert hat. Die Phänomenologische Reaktion darauf ist: Wen ich mich darauf einlasse, was da wirklich passiert, anstatt dass ich etwas konstruiere (Subjekt-Objekt-Schema) ist, was Heidegger in-der-Welt-sein nennt. Ich bin in-der-Welt zusammen mit "Objekten", mit Erscheinungen/Phänomenen, die nicht von der Art sind wie ich, die bestimmte andere Qualifizierungen haben. Und mit diesen anderen Phänomenen bin ich immer schon und von Anfang an zusammen. In dieser besorgenden Umsicht mit Dingen in der Welt, die ich verwenden kann (Heidegger sagt: Zuhandenes) gibt es auch Zeichen. Ich gehe auf der Straße und weiche einer Passantin aus, und ich stolpere über einen Stein und ich höre das Hupen eines Autos. Das ist die Art und Weise, wie Zeichen begegnen.

Das ist genug um deutlich zu machen, dass dieser Heideggerianische Gebrauch von Zeichen an Husserl anknüpfenden, aber Husserl in die Richtung in die Lebenswelt uminterpretierenden Analyse des Menschs. Ganz wichtig ist an der Stelle, dass Heidegger über Husserl hinaus etwas sagt: Zeichenzeug ist etwas, das wir dazu verwenden , um jemanden auf etwas aufmerksam zu machen. (Zeug ist ein Terminus Technicus für alles was man brauchen kann, nicht abwertend gemeint) Dieses Zeigzeug können wir zwar nach Heidegger so analysieren, dass wir uns fragen: wo weist der Winker hin, aber das wichtige: Bevor wir fragen können: Biegt das Auto links oder rechts ab, verstehen wir das Zeigzeug als etwas in einem Sinnzusammenhang funktionierendes. Der Sinnzusammenhang ist der Sinnzusammenhang des Daseins, das heißt: des Menschen, der in der Welt zusammen mit dem, was ihm sonst begegnet, in bestimmter Richtung unterwegs ist.

Nivellierung von natürlichen und technischen Zeichen

Es ist noch etwas dazuzusagen, was von ausgesprochen zentraler systematischer Bedeutung ist.: Was an diesem Beispiel von Heidegger schön zu sehen ist: Er macht zwischen Zeigzeug von natürlicher und technischer Art an dieser Stelle keinen Unterschied. Der Winker ist genauso gut wie eine Kerbe in dem Baum ritzen, um sich zu erinnern, wo der Weg hinführt. Oder eine Fußspur, der ich folge. Eine Fußspur ist eindeutig etwas, was natürlich entstanden ist. Es ist in dieser Analyse des Zeichens nicht wichtig, auf welche Art und Weise dieses Zeichen hergestellt worden ist, und as ist gerade eine Folge des Switches von Heidegger.

Für Husserl ist die Unterscheidung von natürlichen/technischen Zeichen eine sehr wichtige, weil er das Ding verankert in einer direkten sinnlichen Erfahrung von Subjekten. In dem Moment, indem man die Verankerung hinüber schiebt in einen Zusammenhang von Leuten, die etwas mit Dingen tun, ist es nicht mehr wichtig, ob das Zeichen natürlich oder technisch entstanden ist. Das ist deswegen von Bedeutung, weil aus dieser Analyse keine Konsequenzen gegen Technik folgen. Man kann durchaus, und Heidegger setzt es ja selbst so an, der Auffassung sein, die Technischen Geräte als Hilfsmittel zu verwenden. Nochmal: Aus dieser Analyse geht nichts gegen die Technik hervor. Doch durch eine Reihe von kritischen Übergängen, die Heidegger in SZ durchführt, kommt man dann dazu (und das ist der große Schwenk), dass das Uneigentliche das Technische ist und dass die technischen Verfahrensweisen, dass das, was Husserl uneigentliche Zeichen genannt, hat, die technischen Zeichen sind, und dass das ursprüngliche, eigentliche nicht die technischen sondern lebensweltlich primären (lebensweltlich besonders ausgezeichnete) Zusammenhänge wären. Doch das Beispiel mit dem er anfängt ist das Auto. Anders gesagt: Hier beklagt sich Heidegger noch nicht, dass zu viele Autos auf der Straße sind und das Denken unterbrechen. Hier haben Autos noch eine neutrale Funktion.

Zur Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit in Sein und Zeit

Im Verweisungskapitel hab ich Ihnen die Stellen gezeigt, wo Heidegger das Wort Eigentlichkeit auf eine methodisch gezielte Art verwendet, wo er es aber nicht definiert sondern suggeriert im Zusammenhang mit den phänomenlogishen Prinzipienfragen, nämlich: Wo ist der jeweilige Sitz des Lebens des jeweiligen Phänomens.

Heid. macht im §§9,45 prinzipiellere systematischere Aussagen über Eigentlichkeit, welche wir uns genauer ansehen wollen. Der Grund ist der: Der Animus der Husserlschen Zeichenüberlegungen besteht darin: Wie kann ich diese komplizierten abgeleiteten mechanischen Zeichen zurückbinden in einen Eigentlichkeitsbereich, in eine Nachvollziehbarkeit, eine praktische Akzeptanz. Diese Art von Zurückbindung an Husserl wird nun hier beantwortet mit einer Heideggeriansichen Theorie der Eigentlichkeit.

Bei Husserl kann man Eigentlichkeit ähnlich verstehen wie "wirklich". "Eigentlich meine ich...". So korrigiert man etwas, was vielleicht missverstanden worden ist. Man bezieht es zurück auf einen Intuitionszustand, in der man Herr/Frau von Verständniszusammenhängen ist. Bei Heidegger tritt Eigentlichkeit in eine ganz neue systematische Form hinein. Sie hängt damit zusammen, dass er das „Da-sein“ als neue Wortprägung anbietet, ohne mit Subjekt und Objekt operieren zu müssen. Menschen, die sich in der Welt zusammen mit den anderen begegnenden Elementen aufhalten sind „Da-sein“. Dieses Da-sein, das eine der Basisvoraussetzungen in SZ ist, hat eine Beschaffenheit, die sich unterscheidet von dem, was man Dinge nennt. Dinge haben Eigenschaften. Der Tisch ist braun, rechts von, usw. Im Hinblick des Heraushebens von Phänomenen und der adäquaten Deskription sagt er: Wenn man sagt: Da gibt es einen Menschen und der Mensch ist 1,75 groß dann klingt das so ähnlich wie dieser Tisch ist 1,75 breit und erzeugt den Anschein, dass es hier zwei Dinge gäbe, die sich nicht wirklich voneinander unterscheiden. Heideggers phänomenologische Deskription sagt: Wir beschreiben damit nicht wirklich, was sich abspielt. Um es richtig zu beschreiben, müssen wir sagen: Die Vorgänge, die mit mir zu tun haben, werden nicht mit Eigenschaften beschrieben. Für diese Vorgänge gilt, dass sie SIND, dass sie IN EINEM VERHÄLTNIS SIND, EINEM VERHÄLTNIS ZU SICH SIND.

„Dasein ist daher nie ontologisch zu fassen als Fall und Exemplar einer Gattung von Seiendem als Vorhandenem. Diesem Seienden ist sein Sein »gleichgültig«, genau besehen, es »ist« so, daß ihm sein Sein weder gleichgültig noch ungleichgültig sein kann. Das Ansprechen von Dasein muß gemäß dem Charakter der Jemeinigkeit dieses Seienden stets das Personalpronomen mitsagen: »ich bin«, »du bist«.“

Die Jemeinigkeit ist die Heideggeriansische Formulierung der Subjektivität. Das ist keine neue Erfindung. Er wehrt sich dagegen, hier Subjekt und Objekt gegeneinander zu stellen, aber was man mit Subjektivität traditionell verstanden hat ist: Das Merkmal einer Bestimmten Art von Lebewesen, in einer selbstbezüglichen Distanz stehen zu können, die sich verbindet mit einer Relation zu Dingen. Ich kann auf den Computer schauen und kann dabei eine Kenntnis davon haben, dass ich derjenige bin, der aus bestimmten Gründen auf den Computer schaut. Etwas, was ich als Verhältnis zu mir selber mitbringe zu einem Zweiten, zu einer Relation in die Dingwelt hinein. Die Jemeinigkeit ist der Versuch von Heidegger, dieses Thema aufzugreifen, aber nicht derart terminologisch zu prägen, dass man gezwungen ist, Subjektphilosophie zu betreiben.

Warum ist die Jemeinigkeit hier wichtig? Weil Heidegger an dieser Stelle eine Erläuterung von Eigentlichkeit und der eigensten Möglichkeiten einbringt. Wenn man sich das ansieht, muss man schon sagen: Was sich da in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts abgespielt hat im philosophischen Zusammenhang: Das sind Phantasieexplosionen, geniale Ansätze. Der geniale Ansatz liegt in diesem Zusammenhang darin, dass Heidegger die Husserlsche Eigentlichkeit (im Sinne von „eigentliche Zeichen“) folgendermaßen verwendet:

In der Beschreibung des Menschen, der in der Welt ein Verhältnis zu sich selber hat, taucht die Eigentlichkeit jetzt so auf: Der Mensch ist ein Lebewesen, das sich selbst zu Eigen ist. Das nicht nur ein Verhältnis zu sich hat, das man als eine der Eigenschaften des Menschens aufzählen kann, sondern das Verhältnis gibt dem Lebewesen sich selbst zum Gegenstand - es ist ihm zu Eigen:

Das Seiende, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht, verhält sich zu seinem Sein als seiner eigensten Möglichkeit. Dasein ist je seine Möglichkeit und es »hat« sie nicht nur noch eigenschaftlich als ein Vorhandenes.

Damit haben sie die Thematik des Zertifizierens von Zeichenzusammenhängen hinüber geschoben in eine Daseinsweise, also in eine im terminologischen Sinn ganz allgemeine ontologische Beschreibung dessen, was den Menschen ausmacht. Dass er sich selber gehört, wenn Sie so wollen. Dieses sich-selbst-gehören des Menschen ist schon damals eine Ausweichformulierung zu Autonomie. Dieses Selbstgehören ist der Grundbefund/ der Maßstab, dem man folgen muss, wenn man auf Eigentlichkeit geht. Das können sie jetzt verbinden:

Eigentlichkeit kann man hier zunächst parallel zur Diskussion des Zeichens nehmen: eigentliche Zeichen fungieren in einem Verweisungszusammenhang, eigentliches Menschsein verhält sich zu seinen Möglichkeiten. Das ist ein "Seinsmerkmal", das Heidegger durch das Wortspiel "sich zu eigen sein" verdeutlicht.

Das Phänomen des Menschen, das wir sind ist - so wie die Zeichen dadurch beschrieben sind, dass man sie im Verweisungszusammenhang verfolgt, dadurch gekennzeichnet dass diese Menschen „sich zu eigen“ sind. Das ist der Bereich in dem eine Neutralität gilt. Es ist beim Zeichen nicht wichtig, ob es künstliche oder natürliche Zeichen sind. Wir werden gleich sehen, was das Analoge dazu beim Menschen ist. Ganz allgemein gilt aber: Ein Seinscharakteristikum des Menschen ist dieses Sich-zu-eigen-sein.

Sich Verlieren oder sich gewinnen als Möglichkeiten des Sich-zu-eigen-seins

Der nächste Schritt enthält einen von diesen Brüchen:

Und weil Dasein wesenhaft je seine Möglichkeit ist, kann dieses Seiende in seinem Sein sich selbst »wählen«, gewinnen, es kann sich verlieren, bzw. nie und nur »scheinbar« gewinnen. Verloren haben kann es sich nur und noch nicht sich gewonnen haben kann es nur, sofern es seinem Wesen nach mögliches eigentliches, das heißt sich zueigen ist.

Das ist der eine Begriff von Eigentlichkeit, der als Seinscharakteristikum ganz drüber steht. Sie haben die Chance und Auftrag, zu sich sein Verhältnis zu haben. Um Sie geht es. Und was sie mit dem machen ist eine zweite Frage. Wichtig ist, es geht um Sie. Sie können ihr Leben verplempern oder zu höchsten Leistungen aufsteigen. In beiden Fällen steht dahinter: Sie sind von der Art, dass sie mit Ihrem Leben etwas machen können. Sie können ihr Leben wegwerfen, oder sie können es gewinnen. Das ist etwas, was ihre Art kennzeichnet zum Unterschied von einem Tisch. Jetzt geht es weiter:

Die beiden Seinsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit – diese Ausdrücke sind im strengen Wortsinne terminologisch gewählt – gründen darin, daß Dasein überhaupt durch Jemeinigkeit bestimmt ist.

Sie haben die eigenste Möglichkeit der Jemeinigkeit und zusätzlich gibt es zwei Seinsmodi: den der Eigentlichkeit und den der Uneigentlichkeit. Diese beiden Seinsmodi sind Ausgestaltungen dessen, dass Sie in jedem Fall - komme was wolle - ein Verhältnis zu sich haben. Sie entkommen dem nicht, dass sie ein Verhältnis zu sich haben. Wie sie es umsetzen - als was sie leben - kann in zwei verschiedenen Weisen geschehen. Auf die Art d. Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit. Sie können ihr Leben wegwerfen oder es gewinnen. Das ist auf die eine Sicht gesehen gleichbedeutend und beides möglich im Gegensatz dazu, dass vorhergeordnet die Erkenntnis steht: Was immer sie im Einzelnen machen, sie entkommen dem nicht, sich selbst in einer Weise zu haben. Das eigentliche ist dieses konstitutive "Sie entkommen sich selber nicht in ihrem Selbstverhältnis". Gleichzeitig tritt die Uneigentlichkeit und die Eigentlichkeit auf. Eigentlichkeit in der Realisierung des Lebens. Es gibt also eine Eigentlichkeit die vor und jenseits einzelner Verhaltensformen steht und es gibt eine Eigentlichkeit die eine der Verhaltensformen des Daseins ist. Das ist ein Anzeichen auf Schwierigkeiten, die entstehen werden. Heidegger ist an der Stelle doppelt definiert. Weil kaum wird Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit im Hinblick darauf bestimmt, wie man Leben kann, hat Eigentlichkeit nicht mehr den ontologischen Prinzipiencharakter, sondern da gibt es einen Wertunterschied. Als Heidegger merkt, dass er dadurch in der Beschreibung des menschlichen Lebens Akzente, Präferenzen setzt, macht er im nächsten Satz wieder einen Rückzieher und sagt Folgendes:

Die Uneigentlichkeit des Daseins bedeutet aber nicht etwa ein »weniger« Sein oder einen »niedrigeren« Seinsgrad. Die Uneigentlichkeit kann vielmehr das Dasein nach seiner vollsten Konkretion bestimmen in seiner Geschäftigkeit, Angeregtheit, Interessiertheit, Genußfähigkeit.

Hier haben sie eine Vergleichbare Situation wie mit dem Auto. Beim Auto sagt Heidegger: Beim Zeichen ist es wichtig zu sehen, in welchem allgemeinen Zusammenhang das Zeichen steht, abgesehen davon, ob es ein technisches oder ein natürliches Zeichen ist. Hier sagt er so etwas Ähnliches im Zusammenhang mit der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit des Menschen: Einerseits: In der Analyse des Menschen, der ein Wesen ist, das zu sich selbst ein Verhältnis hat, ist sowohl Uneigentliches als auch eigentliches Dasein in Ordnung. Das uneigentliche Dasein - die Geschäftigkeit, Interessiertheit - ist im Prinzip ganz in Ordnung - die wollen wir analysieren, denn sie kommt einfach vor als menschliches in-der-Welt-seins und des sich-in-der-welt-verhaltens. Gleichzeitig sagt ihnen die Wahl der Termini auch schon, dass er dazu einen zweite Auffassung hat, nämlich die Auffassung, dass das eine defiziente Form, eine Form der Uneigentlichkeit im zweiten Sinn ist. Er nennt es dann "Durchschnittlichkeit". Diese Durchschnittlichkeit würde es durchaus gestatten, eine an pragmatischen Lebenszusammenhängen als Basis der Philosophie festzuhalten anstatt mit einer systematisch fokussierten und konstruierten Herangehensweise zu kommen. Das heißt also: Phänomenologie der Alltagserfahrung, wo ein Verständnis von Zeichen und von Technik mit eingeschlossen ist.

Das ist ein erster Schritt, wo Heidegger die Husserlsche Zeichenlehre, die auf Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie beruht, hinüberdreht in eine Beschreibung der menschlichen Lebenszusammenhänge aus pragmatischer Sicht. Das wäre schon ein kleiner Schritt weg von Husserl.

Eigentlichkeit als Sich-Explizit-Wählen

Im berühmten Paragraph 45 bekommt das Ganze nochmals eine andere Wendung: Hier geht es kurzum darum: Wir können uns schon drauf einlassen, wie uns in der Welt die Zeichen und die Kolleginnen und Kollegen rundum im Kreis führen mit allen möglichen Verhaltensweisen. Aber was wir dafür noch nicht haben für eine respektable philosophische Untersuchung ist eine Garantie dafür, dass wir das Phänomen fest und richtig im Griff haben. Das ist jetzt wieder eine Berufung auf das Phänomen und damit verbunden mit einer Philosophie, die das was sie tut aus einem sich-begegnen-lassen von Erscheinungen und den Folgen dieser Begegnungsarten zu beziehen versucht.

Die Idee, die Alltäglichkeit als das zu nehmen, womit man Menschen zunächst einmal identifizieren kann, ist eine philosophiegeschichtlich entscheidende Bewegung. Dass man sich in einem Sinnzusammenhang bewegt, ist genau das, was in keiner Erkenntnistheorie der klassischen Tradition an den Anfang gestellt worden ist. Das ist eine philosophische Wende von ganz großer Bedeutung. Damit ist Heidegger aber noch nicht zufrieden. Die Schwierigkeit aus seiner Sicht ist: Wenn man sich auf die Analyse der Alltäglichkeit einlässt, kann man sich auch darin verlieren. Man kann sein ganzes professionelles Dasein damit verbringen, alltägliche Phänomene zu analysieren, z.B. Schaufensterpuppen, Terminplanungen oder Fernsehsprecher. Gerade wenn man von Geschäftigkeit, Interessiertheit, etc. spricht, hat man ein weites Feld, das Heidegger aber nicht als das einzige mögliche nehmen will. Heidegger deutet solche Dinge an (im ersten Teil von Sein und Zeit).

Jetzt gibt es nach Heidegger aber noch einen zweiten Punkt, den man nicht vergessen darf: Die Eigentlichkeit. Sie kommt an dieser Stelle ein zweites Mal in einer anderen Bedeutung vor. Diese Eigentlichkeit spielt eine Rolle darin, dass die Menschen nicht nur Wesen sind, die sich im Rahmen der Alltäglichkeit verlaufen, sondern dass sie auch Wesen sind, die selber sich in ihrem Verhältnis zu sich explizit wählen können. Dieses sich-Explizit-Wählen ist die Form, in der das allgemeine Sein-Können in seine Eigentlichkeit kommt. Existenz beduetet Sein-können, das heißt Sich-zu-Eigen-sein können. Es fehlt ihm aber noch ein zweiter Punkt. Der zweite Punkt des Sein-Könnens ist der der nicht umgehenden Alltäglichkeit mit den Dingen, sondern Sich-selber-Wählen. Diese existentiale Struktur des eigentlichen Sein-Könnens (das ist jetzt das Eigentliche im Verhältnis zum Uneigentlichen), muss hineingenommen werden, weil sonst kann Heideggers Interpretation von dem, was der Mensch in-der-Welt ist, nicht zu einer Ursprünglichkeit und Ganzheit führen. Das will ich nicht im Einzelnen ausdefinieren, weil hierzu gäbe es sehr viel zu sagen, was uns weit weg bringt von unserem Thema Code. Die Intention dahinter: Wenn wir uns konfrontieren mit entscheidenden Sinnabbrüchen und Herausforderungen, mit denen wir es zu tun haben im Zusammenhang mit Leben und Tod, mit Schuld und Verantwortung, dann ergibt sich eine andere Beschreibung von dem, was Menschen ausmacht: Nämlich nicht, dass sie Geld verdienen, in Urlaub fahren oder plaudern, sondern Menschen macht aus, dass sie sich zum Beispiel fragen lassen müssen und können, wozu sie eigentlich da sind. Dieses Sich-fragen-Lassen totalisiert die menschlichen Möglichkeiten auf eine Art und Weise, wie sie im Zeichengebrauch nicht vorhanden sind. Das ist jetzt eine Form der Eigentlichkeit. In der Logik des zweiten Teils von SZ steht jetzt: Eigentlichkeit rutscht von dem Bereich vom Sich-zu-eigen-sein (wie immer der Mensch sich verhält) zu: Eigentlichkeit ist das, was eine ganz besondere Auszeichnung hat: die Auszeichnung des Verantwortlichen, entscheidenden, anspruchsvollen, sich selber Rechenschaft ablegenden Verhältnisses in der Welt im Gegensatz zum Man, zum Gerede, zur Geschäftigkeit.

Wenn sie diese Verlagerung mitbekommen haben und wenn sie dann noch dazu denken, dass Heidegger diese Eingebundenheit in Alltagszusammenhänge interpretiert als Verlorenheit an die Dinge, an Orientierung an Äußeren, und dann letztlich an Dingen, die nicht die Art des Menschen haben, die nicht ein Verhältnis zu sich selber haben, sondern die letztlich extern und technisch sind, dann sind sie unterwegs in einen Bereich, in dem die Eigentlichkeit auf die Seite von Hochwertigem Vollzug fällt und die Uneigentlichkeit fällt in den Bereich des Abkünftigen, sich von fremden Bestimmungen her konstituierenden, in den Bereich des Gemachten, des Künstlichen und der Technik.

Logische Sprachanalyse und der Kalte Krieg

Um ihnen zu zeigen, welchen Weg das nimmt, hab ich ihnen noch einen dritten Text von Heidegger zur Verfügung zu stellt, auf dessen Ideen ich nicht allzu intensiv eingehen werde. Er spricht dort über die Seinsfrage.

Um Heidegger abzuschließen und das nächste Mal zu Wittgenstein zu kommen, springe ich auf das markanteste Textsegment in dem Zusammenhang, dass es mir möglich macht, Ihnen die am Anfang beschriebene philosophiegeschichtliche Entwicklung und Spaltung höchst dramatisch vor Augen zu führen. Es gibt kaum einen ärgeren Text von Heidegger der deutlicher macht, wie die Spaltung im 20. Jh. gesehen worden ist. Der Ausgangspunkt ist dieses "IST". Im Satz "Der Mensch ist um seiner selbst willen da" wird das „ist“ interpretiert als ein Wort, das ein besonderer Indikator für das Sein ist. Ein anderer Satz: "Der Hammer ist im Werkezugkasten"- Das „ist“ in diesem Satz sagt etwas darüber, welche Rolle der Hammer in der menschlichen Arbeitswelt spielt. „Der Mensch ist sich selbst gegeben und aufgegeben“ sagt etwas darüber, woher der Mensch zu verstehen ist. In diesem Zusammenhang ereugt Heidegger eine große Anzahl an Feuerwerken und eine Sammlung von brillanten oder weniger brillanten rhetorischen Kunststücken, die alle unter dem Stichwort der Seinsfrage stehen und versuchen dieses IST, das immer wieder vorkommt, philosophisch so in die Arbeit zu nehmen, dass man sagen kann: In dem, was in dem IST alles drinnen steckt, zeigt sich, was der Mensch in der Welt ist. Das ‚ist’ ist im normalen Gebrauch ein völlig unscheinbares kleines Wörtchen, von dem man glaubt, da könne nichts dahinter stecken. In Wirklichkeit muss man aber darin eine Vergessenheit einer wesentlichen Frage sehen. Man muss den bestimmenden Faktor, der in all diesen phänomenologischen Untersuchungen im Rahmen des IST auftaucht, herauskitzeln. So muss man nach Heidegger philosophieren.

Noch weiter geht in der, in gewisser Weise seit Aristoteles vorgezeichneten Richtung, das »Seyn« aus dem »ist« des Satzes zu bestimmen und d. h. schließlich zu vernichten […]

Seyn ist Heideggers Notation für die Tiefe Dimension dessen, was hinter diesem Ist steckt. Heidegger will aus dem Verflachten „ist“ des Satzes wieder die Fülle des Seyns herausnehmen. Im Folgenden macht er jetzt einen Kontrast auf, was die Gegenposition zu seiner Einstellung ist:

eine Denkrichtung, die sich um die Zeitschrift »Erkenntnis« gesammelt hat. Hier soll die bisherige Logik mit den Mitteln der Mathematik und des mathematischen Calculs allererst streng wissenschaftlich begründet und ausgebaut werden, um so dann eine »logisch korrekte« Sprache aufzubauen, in der die Sätze der Metaphysik, die alle Scheinsätze sind, künftig unmöglich werden. So ist eine Abhandlung in dieser Zeitschrift II (1931 f.), S. 219 ff. überschrieben: »Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache.« Hier vollzieht sich die äußerste Verflachung und Entwurzelung der überlieferten Urteilslehre unter dem Schein mathematischer Wissenschaftlichkeit. Hier werden die letzten Folgerungen eines Denkens zu Ende gebracht, das mit Descartes einsetzte, für den bereits Wahrheit nicht mehr Offenbarkeit des Seienden war und demzufolge Einfügung und Gründung des Daseins in das eröffnende Seiende, sondern Wahrheit umgeleitet zur Gewißheit — zur bloßen Sicherung des Denkens, und zwar des mathematischen gegen all das von diesem nicht Denkbare. Diese Auffassung der Wahrheit als Sicherung des Denkens führte zur endgültigen Entgötterung der Welt. Die gemeinte »philosophische« Richtung des heutigen mathematischen-physikalischen Positivismus will die Begründung dieser Position liefern. Es ist kein Zufall, daß diese Art von »Philosophie« die Grundlagen liefern will zur modernen Physik, in der ja alle Bezüge zur Natur zerstört sind. Kein Zufall ist auch, daß diese Art »Philosophie« im inneren und äußeren Zusammenhang steht mit dem russischen Kommunismus. Kein Zufall ist ferner, daß diese Art des Denkens in Amerika seine Triumphe feiert. Alles dies sind nur die letzten Folgen der scheinbar nur grammatischen Angelegenheit, daß das Seyn aus dem »ist« begriffen und das »ist« je nach der Auffassung vom Satz und vom Denken ausgelegt wird.

Stärker geht’s nicht mehr! Wenn Heidegger nur so "Kalte-Kriegs-Phrasen" produzieren würde, wäre er kein Philosoph. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Kalte-Kriegs-Mentaltität das ist, was aus der Phänomenologie in Anschluss Husserls geworden ist. Erinnern Sie sich an das, was Husserl über die wunderbare Fähigkeit von mathematischen Apparaten, die unsere Erkenntnis erweitern, gesagt und dabei versucht hat, dies in einen lebensweltlichen Zusammenhang einzubauen. Erinnern Sie sich, dass dies bei Heidegger immer noch im Zusammenhang mit Technik durchaus offen bleiben könnte. Und nun gibt es eine Zeitschrift "Erkenntnis" und sie wird von ihm als die Vernichtung der Seinsfrage genommen, wobei Heidegger die Seinsfrage erfunden hat, als die Frage nach dem, was hinter all dem Ist steht. Diese Vernichtung der Seinsfrage wird parallelisiert mit der Vernichtung aller Bezüge der Natur in der modernen Physik.

Die Form der an der Mathematik orientierten Analyse von Sprachzusammenhängen ist in wundersamer Weise auch das Bindeglied zwischen Kommunismus und Kapitalismus, zwischen Moskau und Washington. Dieser weltgeschichtliche Zustand ist nach Heidegger nicht etwas, was dadurch hervorgerufen wäre, dass Hitler Europa zerstört hat, sondern es ist die letzte Folge der scheinbar problematischen Angelegenheit, „daß das Seyn aus dem »ist« begriffen und das »ist« je nach der Auffassung vom Satz und vom Denken ausgelegt wird.“

Was er an der Stelle sagt ist, dass der Versuch, eine elementare Semantik zu definieren, die sich damit beschäftigt, welche Funktion Aussagen haben und welche Funktion das Wort IST in Aussagen hat und dies auf eine Weise zu versuchen, die sich der modernen Erkenntnisse ab Frege bedient: dieser Versuch ist die Folge des Kalten Krieges. Das steht mehr oder weniger in diesem Abschnitt.

Switch zu Wittgensteins Kalkül ohne Subjekt

Was Heidegger mit der" Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache" anspricht ist Carnaps Vorhaben. Ich werde mich im Folgenden nicht auf Carnap, sondern auf Wittgenstein beziehen, der bei Heidegger interessanterweise nirgends angesprochen wird, wobei umgekehrt sich bei Wittgenstein in den Gesprächen des Wiener Kreises durchaus wohlwollende Bemerkungen zu Heidegger finden lassen.

Im Folgenden kommen Überlegungen zur Sprache, die Wittgenstein über Kalküle vorgelegt hat. Damit möchte ich sozusagen in der anderen Abteilung nachfragen, wie es denn in der Philosophie mit dem Code und dem Kalkül zu Beginn des 20. Jahrhundert ausgesehen hat, und zwar in einer alternativen Betrachtungsweisen, noch bevor die Heideggerianische seinsgeschichtliche Katastrophenphilosophie sich ausgebreitet hat, die den Husserlschen Ansatz von Zeichensystemen überlagert hat. Wie zeigt sich diese Thematik im Wiener Kreis?

Beim frühen Wittgenstein ist eine Vorgabe gemacht, die jenseits jeder Frage nach Zertifizierbarkeit oder Nachvollziehbarkeit von Zeichenzusammenhängen für menschliche Agenten steht. Der Traktat von Wittgenstein (1921) enthält zwar sehr wohl eine Lehre über Sprachzeichen und ihre Beziehung zur Welt; er gibt eine Theorie, wie sich Sprachzeichen auf die Welt beziehen können, aber das Bemerkenswerte und Wichtige in unserem Zusammenhang im Traktat ist: Wie sich Zeichen auf die Welt beziehen enthält kein Subjekt. Wie einzelne Personen sich mit Hilfe dessen, dass es eine Sprache gibt, auf die Welt beziehen - diese Frage kommt bei Wittgenstein nicht vor. Der Traktatus gibt Ihnen einfach eine subjektlose Logiktheorie darüber, wie Sprache aufgebaut ist und wie Sprache sich auf die Welt bezieht. Menschen gibt es nur am Rande dieses Sprach-Welt-Kontrukts im Bereich der Ethik, der Ästhetik und der Metaphysik. Das sind aber Bereiche, über die man nicht reden kann.

Wittgenstein ist aus der späten Heidegger-Perspektive einer von denen, die völlig unakzeptabel sind. Da gibt es nichts vom Verhältnis des Menschen zu sich selber, zum Sein, nicht einmal zum Zeichensystem. Es gibt hier keine Rolle des Menschen. Der Traktatus würde sich gut eigenen, als ein Zeichen dafür, wie man Philosophie betreiben kann und den Menschen ausspart. Darüber hinaus ergibt sich aber Folgendes:

Wittgenstein hat nach dem Abfassen des Traktats eine 10-jährige Pause eingelegt und dann ca. 1931 wieder begonnen zu philosophieren, in Notizbüchern begonnen Gedanken niederzuschreiben, die zum Teil einen großen Nachlass produziert haben. Was ich Ihnen zeigen will ist, wie Wittgenstein ab 1930 seine Traktatus-Festlegungen verändert, dynamisiert und in eine Art und Weise dreht, die - das ist der Punkt auf den es mir ankommt und der an dieser Stelle attraktiv ist - in wichtigen Punkten parallel läuft zu dem, was Heidegger zu dieser Zeit sagt. Also Wittgenstein legt Gedanken über Kalkül vor, die mit dem, was ich ihnen aus SZ gesagt habe, sehr gut verträglich sind und die in eine Richtung führen, die von daher gesehen durchaus eine Heideggeriansche Richtung ist, mit dem einen Unterschied, dass sich Wittgenstein nicht die Frage gestellt hat, was die Seinsfrage bewirkt. Er betont aber im Gegensatz zu Heidegger die Rolle von Formalismen und Kalkülen im Rahmen von alltagssprachlichen Zusammenhängen.