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Affirmation

"Truths are affirmations to which in principle we can all hold true, in excess of our ability to prove that what we thereby affirm is correct or justified in any demonstrable sense. This means that his project can be introduced equally well either as a renewal of a broadly Platonic conception of philosophy – one that insists on the unequivocal, eternal validity of a truth – or as an extension of a broadly Sartrean conception of philosophy, i.e. one that coordinates an ungrounded subjective engagement with an all-inclusive responsibility. Either way, what is essential is the immediate articulation of the universal and the subjective." (Peter Hallward: Introduction. In: "Think Again. Alain Badiou and the future of philosophy"

In der Einleitung des Badiou-Führers wird von Affirmationen gesprochen im Zusammenhang mit Wahrheit. Und dass diese Affirmationen zwar innerhalb einer Situation stattfinden, doch nicht aus ihr zu erklären sind. Sie sprengen oder reinterpretieren in einer Weise die Situation. Das ist es, was gemeint ist, wenn formale Gedanken und diskutinuierliche Innovation verschränkt auftreten: Wahrheit.

Meine erste Reaktion war, dass ein Verständnis von Wahrheit, das auf einen Bruch oder einer Reinterpretation aufbaut, sehr leicht eine Negation ist, eine Negation der herrschenden Zustände, also des Ist-Zustands. Warum also von Affirmation sprechen? Vielleicht ist mit dem Wort Affirmation mitgemeint, dass eine bloße Verneinung des Ist-Zustands nicht ausreicht, sondern man braucht ein Engagement, ein Eintreten für etwas, das genau den Tatsachen entspringt und doch ihre Routinen sprengt.

Das ist wohl ein anderer Zugang als den, den zum Beispiel Kant im Rahmen seiner Moralphilosophie verfolgt hat. Seine Metaphysik der Sitten, seine Kritik der praktischen Vernunft, unterstellen, dass wir zunächst und zumeist vom Sittengesetz angegangen werden, die Theorie und im speziellen das philosophische Umgehen hilft nur, die Auftretenden Effekte des Sittengesetzes (Gefühl der Achtung) verständlich zu machen und in eine konsistente Argumentation zu bringen und damit auch Verstandesgemäß zu legitimieren. Der Fokus geht in Richtung zu klären, was die Bedingungen der Möglichkeit von moralischem Handeln sind. Das kann einem in einer konkreten Situation helfen oder nicht (meistens eher nicht).

Badiou interessiert das 'zunächst und zumeist', also das was wir immer schon tun, nur begrenzt. Für ihn kommt es auf auf Brüche, Diskontinuitäten, Fehlermeldungen an, die im Rahmen dessen, was wir immer schon tun, blitzartig auftauchen. Seine Ontologie, eine Theorie der Zugehörigkeit von Situationen und dem Aufbau von Strukturen, ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sie außer den einzelnen in einer Situation zusammengerückten Elementen auf einer Leere aufbaut.

  • Sie wartet nur noch auf diejenigen, für die sich in konkreten Situationen zeigt, dass wir je auch auf einer Leere aufbauen, doch die Leere taucht nicht als Leere auf, sondern als Ereignis, das sofort wieder verschwindet. 'Zeugen' halten an diesem Ereignis fest.
  • Badiou ist ein Zeuge der Kommunistischen Hypothese. Am Ende des exoterischen Buches "Wofür steht der Name Sarkozy", in dem es ihm um die Wiederbelebung der "Kommunistischen Hypothese" geht: Er bezieht sich auf die "Revolutionierung der Köpfe" vom Mai'68 und beschreibt etwas später:
"Was uns als Aufgabe, ja sogar, könnte man sagen, als philosophisches Werden zugewiesen ist, ist dabei zu helfen, daß sich ein neuer Existenzmodus der Hypothese herausbildet - neu durch den Typ politischen Experimentierens, zu dem diese Hypothese Anlaß geben kann. [...] Unsere Aufgabe [..] ist begeisternd: Laßt uns durch die Kombination der Konstruktionen des Denkens, die immer global oder universal sind, mit politischen Versuchen, die lokal oder singulär, aber universal übertragbar sind, für eine neue Existenz der kommunistischen Hypothese im Bewußtsein und in den Situationen sorgen."

Von Badious Ontologie aus betrachtet kann der Ist-Zustand nicht wasserdicht durch Rückgriff auf eine Tradition oder auf Routinen legitimiert werden, da jede Situation je "Ungewusstes" enthält.

  • Politisch gesehen werden konservative Argumentationen durch diese ontologische Entdeckung - oder Konstruktion - relativiert. Wo es Entdeckung und wo Konstruktion ist, das können wir (als kritische Leserinnen) entdecken oder konstruieren.
  • Ethisch gesehen (siehe Alain Badiou: Ethik, Kapitel 4, "Ethik der Wahrheiten"): Es ist ein Bruch mit der 'Maxime der Meinung', die da lautet: "Liebe nur, was du seit je geglaubt hast" und ein Beleuchten der 'Maxime der Wahrheit': "Liebe nur, was du nie zweimal glaubst.

Wie kommen wir aber vor diesem Hintergrund zu einem Verständnis von dem, was Badiou und die Badiou-Einführung Affirmation nennt? Wie kann ich 'etwas' affirmieren oder bejahren, auf das sich nicht zeigen lässt? Wie kann ich Ungewusstes affirmieren? Was sich bereits jetzt verstehen lässt: Die Affirmation kann nicht als Notwendigkeit, sondern nur als ontologische Möglichkeit auftauchen. Obwohl sie sich in-situ nicht denken lässt, passiert sie. Legen wir es auseinander:

  • Situationen 'beinhaltet' neben den einzelnen Elementen ( den inhaltlichen Arrangements, dem Wissen, den Fähigkeiten, etc.) eine Leere. Dadurch ist es möglich, dass durch ein Ereignis auf diese Leere oder "das Ungewusste einer Situation" hingewiesen wird. Ein Ereignis bei Badiou ist ein zufälliger, unvorhergesehener, "blitzartiger" Zusatz, der im Kontext einer konkreten Situation auftaucht.
  • Auf dem ontologischen Level lässt sich ein Ereignis höchstens als Möglichkeit ausweisen. So wie ich es verstehe, gibt es keine Methode, um das Auftreten von Ereignissen zu forcieren, wenngleich Badious Theorie uns sensibel machen möchte für Ereignisse. Das Benennen von und das Beharren auf einem Ereignis ist die Bedingung für Subjektivität, das ist eine zusätzliche Qualität oder Perspektive zum Tierischen. Für Badiou gibt es verschiedene Typen von Subjektivität:
"Es gibt nämlich nicht nur ein einziges Subjekt, sondern ebenso viele Subjekte wie es Wahrheiten und ebenso viele subjektive Typen wie Prozeduren der Wahrheit. Was uns angeht, machen wir grundsätzliche "Typen" aus: einen politischen, einen wissenschaftlichen, einen künstlerischen und einen liebenden. Jedes menschliche Tier schreibt sich in einen dieser vier subjektiven Typen ein, indem es an einer solchen singulären Wahrheit teilnimmt. Philosophie hat zum Gegenstand, einen Ort des Denkens zu konstruieren, an dem die verschiedenen subjektiven Typen, die sich in den singulären Wahrheiten ihrer Zeit geben, koexistieren." (Badiou - Ethik, am Ende von Kapitel II, "Existiert der Andere")
  • Die Badiou-Einführung über Affirmation und Wahrheit: "The best examples of affirmations whose truth exceeds the resources of proof or justification are precisely ones that begin with an initially obscure but irreversible break with the established routine governing a situation – the decisions required to sustain, for instance, a political or artistic revolution, or an unexpected declaration of love. The people who adhere to the consequences of such affirmations will not easily convince sceptical onlookers of their validity, unless they are able to develop means of conviction capable of changing the prevailing logic of the situation. What Badiou calls a truth is the process that, sparked by a break with routine, persists in an affirmation whose progressive imposition transforms the very way things appear in the situation."

Vielleicht kann mans so sagen: Eine Affirmation, so wie sie Badiou versteht, verschafft sich Aufmerksamkeit durch die Negation, durch die Differenz mit dem Ist-Zustand. Sie verharrt nicht im Kritischen sondern besteht auf einem Statement (und das ist mehr als eine Aussage oder eine Proposition), das sich nicht deduktiv aus den Tatsachen und Routinen herleiten lässt, doch auf sie Bezogen ist. Diese ver-rückte Bezogenheit auf den Ist-Zustand ermöglicht verschiedene Antworten, z.B. überraschtes Schweigen, abgrenzender Widerstand, sympathisierende Zustimmung.

Der Philosoph sagt: Mathematik ist identisch mit Ontologie

"Mathematics is then the most ‘truthful’ component of science because, thanks to its strictly axiomatic foundation, it is the most firmly abstracted from any natural or objective mediation, the most removed from our habitual ways of thinking, and by the same token the most obviously indifferent to the identity of whoever comes to share in its articulation." (S.3)

Das schmeichelt den Mathematikern, doch zu glauben, dass Traditionen und Routinen in der Mathematik weniger einflussreich sind als in anderen Wissenschaftsdomänen ist naiv. Wenn ich einer Mathematikerin (m/w) zuhöre, dann höre ich vergleichsweise oft "Das ist intuitiv klar". Ähnlich aber anders in der Informatik: "Das ist straight-forward". Ich höre bei Ersterem heraus, dass es um Anschauung geht, um die Vorstellung eines klaren, kompakten, verstehbaren Bildes und bei Zweiterem um die Machbarkeit. Was wenig zusätzliche technische (und damit intellektuelle) Arbeitsleistung bedarf, ist straight-forward.

Doch in beiden Fällen ist das, was intuitiv klar oder straight-forward ist, an sich nicht selbstverständlich, sondern nur vor dem Hintergrund eines "habitual way of thinking", dem Training das man als Mathematiker oder Informatikerin erfahren hat.

"Once ontology is identified with mathematics then being is forever isolated from the entire domain of the material, the sensual or the existential."

Mit der Gleichsetzung von Ontologie mit Mathematik verbannt oder rettet Badiou den Diskurs über das Sein in einen konzeptuellen Bereich, nicht in einen poetischen, religiösen oder intuitiven Diskurs. Das wäre es, was Philosophie - im Unterschied zu Religion oder Kunst ausmacht.

"The philosopher first develops a rigorous discourse designed to circumscribe the question of being – for instance, in Plato’s Republic, the discourse of the Ideas, or for Badiou himself the axioms of set theory – in order then to show that the ground of being itself, ‘the real of this discourse, is precisely that which does not submit to the discourse’. The ontologist knows that the ground of being eludes direct articulation, that it is thinkable only as the non-being upon which pivots the whole discourse on being."

Hier haben wir die Idee des Philosophen als Designer, der sich einen Diskurs, ein Regelsystem aufbaut um zu zeigen, dass die Sphäre, die das Gezeigte fundiert, im Diskurs nicht wie Gezeigtes verhandelbar ist.

Es ist als wären wir eingebettet in die virtuelle Machine eines Systems. Wir können wissen, dass es sich um eine virtuelle Maschine handelt, doch das was uns zugänglich ist als Prozesse des Systems, verrät nur etwas über die Logik der virtuellen Maschine, nicht aber über die des zugrundeliegenden Systems. Wir können durch Tricks herausfinden, dass wir uns in einer virtuellen Maschine aufhalten, doch das, was man die reale Maschine nennen könnte, also jenes System das die virtuelle Maschine konstitutiert, entzieht sich unserer Kontrolle. Hin und wieder jedoch blitzt etwas auf, das wir mit unserem Wissen über die Mechanik der virtuellen Maschine nicht begreifen. Das nehmen manche zum Anlass, auf einen Bezug zum realen System zu bestehen, andere sehen den Blitz als Disfunktionalität ohne große Bedeutung. Wieder andere versuchen das Ereignis in einen kontinuierlichen Zusammenhang des bestehenden Wissens einzuordnen.