Berufliche Integration (Jugend und Behinderung)

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Version vom 10. Juni 2007, 14:49 Uhr von Johnny (Diskussion | Beiträge) (Berufliche Integration)
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Schulische Integration

Berufliche Integration

Rechtliche Grundlagen

In der österreichischen Bundesverfassung ist u.a. das Behinderteneinstellungsgesetz verankert, welche wichtige rechtliche Grundlagen enthält, die für mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt sorgen sollen. Im Artikel 2 ist §1 der Beschäftigungspflicht gewidmet. Hier steht geschrieben, dass (außer in Ausnahmefällen für bestimmte Wirtschaftssektoren) pro 25 Beschäftige mindestens ein begünstigt Behinderter aufgenommen werden muss. Weiters darf z.B. das Entgelt aus dem Grunde der Behinderung nicht gemindert werden (vgl. Behinderteneinstellungsgesetz, Artikel 2, §7). Einen weiteren wichtigen Abschnitt des Gesetzestextes stellt §7 mit dem Diskriminierungsverbot dar. Im Gesetzestext sind viele weitere wichtige Punkte zur Sicherstellung einer Gleichberechtigten Behandlung von Behinderten verankert. Genaueres ist unter http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht/ nachzulesen.

Schnittstelle Schule - Beruf

Die Schnittstelle Schule – Arbeitswelt stellt in jeglicher Hinsicht eine kritische Zeit/Situation sowohl für beeinträchtigte als auch für nicht beeinträchtigte Jugendliche dar. In Österreich gibt es für behinderte Kinder/Jugendliche die Möglichkeit bis zur 8. Schulstufe (Hauptschule) eine Integrationsklasse zu besuchen. Jedoch fehlt es an Institutionen oder Möglichkeiten die Schulpflicht völlig in Integrationsklassen abzuschließen. Die Schüler werden nach der 8. Schulstufe in die Sonderschulen zurückgedrängt und das kann einen großen Rückschritt in der Entwicklung bedeuten. Die Betroffenen erleben diese Zurückdrängung in die Sonderschule als „schreckliche Stigmatisierung“ (Specht, et al. 2001, S. 28). Unterschiedliche Fallstudien haben ergeben, dass Jugendliche, die aus einer Sonderschule kommen in der Berufswelt weniger integriert werden. Allein durch den Ausdruck „Sonderschule“ erfahren diese eine gewisse Abwertung durch die Umwelt. (vgl. Specht, et al. 2001, S. 28) Zweifelhaft ist ebenfalls, ob Sonderschulen am Ende der Schulpflicht tatsächlich eine geeignete Berufsvorbereitung anbieten können, die den Bedürfnissen der SchülerInnen und den aktuellen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt entsprechen. Die Sonderschule stellt eine weitere Bestätigung dar, dass diese Schüler sozial randstellig sind bzw. verhalten sich die Betroffenen dementsprechend. Schüler aus Integrationsklassen hätten eine viel bessere Chance sich am Arbeitsmarkt zu etablieren, als diejenigen aus Sonderschulen. Jedoch mangelt es hier an höheren (Berufbildenden-)Schulen (ab 8. Schulstufe), die Integrationsklassen anbieten. (vgl. Specht, et al. 2001, S. 28f)

Berufliche Integration (in Deutschland)

Der Sozialstaat Deutschland hat sich als Ziel die berufliche Rehabilitation aller Menschen mit Behinderung gesetzt. Diese berufliche Rehabilitation soll in weiterer Folge zur sozialen Integration führen. Die berufliche Rehabilitation stellt den Weg dar, während die berufliche Integration das Ziel. (vgl. Cloerkes 1997, S. 224) Es gibt schon einige Organisationsformen, die sich mit der Integration von Behinderten beschäftigen, jedoch werden Menschen mit einer schweren oder mit mehrfachen Behinderungen vernachlässigt bzw. werden ihnen berufliche Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten. Je länger es dauert, bis der erste Kontakt zu Nichtbehinderten stattfindet und je älter die betroffene Person ist, desto schwieriger ist es diese in ein soziales Berufsumfeld zu integrieren. (vgl. ebd., S. 225.) Ein weiteres Problem stellen der allgemeine Arbeitsmarkt bzw. der Sonderarbeitsmarkt WfB (Werkstättte für Behinderte) dar. Auf ersterem erhalten (geistig) behinderte Menschen zu wenig Schutz und Hilfestellung, auf letzterem jedoch zu wenig Normalität und Existenzabsicherung.

In Deutschland lassen sich vier integrative Organisationen ausmachen (vgl. Boban, Hinz 2001 [online Publikation]):

Integrationsfirmen

Als Integrationsfirmen werden Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes bezeichnet, in denen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenarbeiten. Der Anteil der Menschen mit Behinderung liegt je nach Branche und Größe des Betriebes zwischen 40 und 80 Prozent. Ziel ist es, durch den Absatz von Dienstleistungen und Produkten unter Einbeziehung von Zuschüssen wirtschaftlich zu arbeiten. Im Vordergrund steht dabei die Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen mit und ohne Behinderung und nicht die Gewinnmaximierung. Es werden üblicherweise reguläre Arbeitsverhältnisse unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eingegangen und es bestehen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Weitere Arbeitsformen im Bereich der Integrationsfirmen stellen Zuverdienstarbeitsplätze, also Arbeitsangebot im Rahmen der geringfügigen Beschäftigung oder Teilzeitarbeit, und gemeinnützige Leiharbeit dar. Deren Intention ist es die Hemmschwellen der ArbeitgeberInnen zur Einstellung von Menschen mit Behinderungen zu senken, indem sie das „Risiko“ bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit, Krankheiten etc. übernehmen. Ziel ist dabei die Übernahme in eine Daueranstellung.

Integrationsabteilungen

Von den Integrationsfirmen sind die Integrationsabteilungen zu unterscheiden. Bei ihnen handelt es sich um geschützte Abteilungen in Betrieben. Hier arbeiten Menschen mit Behinderungen unter besonderer Anleitung im Rahmen regulärer Arbeitsverhältnisse. In der DDR stellten Integrationsabteilungen eine weit verbreitete Form von „geschützter Arbeit“ dar, nach dem Beitritt zur Bundesrepublik wurde ein Großteil dieser Abteilungen geschlossen. Im Gegenzug dazu wurden die Werkstätten für Behinderte in großem Maße ausgebaut.

Werkstätten für Behinderte

Für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr oder noch keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können, ist die berufliche Rehabilitation in einer Werkstatt für Behinderte vorgesehen. Die behinderten MitarbeiterInnen müssen gemeinschaftsfähig und sie dürfen nicht außerordentlich pflegebedürftig sein. Zunächst wird ein, bis zu zwei Jahre dauernder, Förderungsprozess durchlaufen mit dem Ziel, ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich der Werkstatt zu erbringen. Die MitarbeiterInnen haben einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben, insbesondere in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte mit der entsprechenden Betreuung und Begleitung durch qualifiziertes Personal. Die Werkstatt für Behinderte muss, da sie nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen organisiert ist und ein unternehmerisches Profil aufweist, wirtschaftliche Arbeitsergebnisse erzielen. Ihre Wirtschaftlichkeit ist Voraussetzung, um den behinderten Beschäftigten ein möglichst angemessenes Entgelt zahlen zu können. Um dies zu ermöglichen stützen sich die Werkstätten für Behinderte auf drei ökonomische Standbeine: Auftragsarbeiten, Eigenproduktionen und Dienstleistungen. Ihre typischen Arbeitsfelder liegen in den Bereichen: Verpackung, Montage, Versand, Druck, Holzverarbeitung, aber auch Garten- und Landschaftspflege sowie Küchenservice und Wäscherei. Für die behinderten Beschäftigten in der Werkstatt für Behinderte werden Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, nicht jedoch Arbeitslosenversicherung, da davon ausgegangen wird, dass sie nicht arbeitslos werden können. Sie haben keinen Arbeitnehmerstatus. Gesetzliche Aufgabe der Werkstatt für Behinderte ist es, behinderte oder gesundheitlich eingeschränkte Menschen für einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten und dorthin zu vermitteln. Die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann auch durch die Einrichtung ausgelagerter Arbeitsplätze vorbereitet werden. Im Jahr 1994 wurden z.B. mehr als 2.300 Werkstattbeschäftigte auf Außenarbeitsplätze vermittelt, also auf Arbeitsplätze, die die Erwerbswirtschaft den Werkstätten zeitweise zur Verfügung stellt. An einige Werkstätten sind Vermittlungsdienste angegliedert, die die behinderten MitarbeiterInnen bei der Suche nach einem regulären, tarifentlohnten Arbeitsplatz außerhalb der Werkstatt für Behinderte unterstützen.

Betreuung in Tagesförderstätten

In Tagesförderstätten werden Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen betreut, die nicht im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt werden, z.B. wenn ein außerordentlicher Pflegebedarf besteht und ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nicht erbracht werden kann. Tagesförderstätten haben vor allem die soziale Integration von Menschen mit Behinderungen als Aufgabe, sie bieten eine feste Tagesstruktur im Sinne des Normalisierungsprinzips. Menschen, die in Tagesförderstätten betreut werden, haben keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt, sie besitzen auch keinen arbeitnehmerähnlichen Status und sind somit auch nicht in das System der Sozialversicherung einbezogen. Nach Möglichkeit sollen sie auf eine Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte, z.B. eine Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich, vorbereitet werden.

Kritik an der Entwicklung beruflicher Rehabilitation

(vgl. Boban, Hinz 2001 [online Publikation])

Die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen ist entsprechend dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMA), Ausgangspunkt für die gesellschaftliche Integration, da die Arbeit, Menschen mit Behinderungen ermöglicht, entsprechend ihrer Fähigkeiten zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen. Dennoch hat sich, wie von mancher Seite kritisiert wird, das System der beruflichen Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen zu einem eigenständigen, abgegrenzten Bereich entwickelt. Die Ausbildung von Menschen mit Behinderungen findet zumeist in speziellen Institutionen, wie Berufsbildungswerken, Berufsförderungswerken oder Werkstätten für Behinderte, getrennt vom realen Arbeitsleben statt. Von diesen verschiedenen Institutionen aus sind zwar prinzipiell Möglichkeiten zur Integration vorgesehen und es gibt vielfältige Bemühungen um integrative Anschlüsse, jedoch in der Realität mit eher zweifelhaftem Erfolg. Zudem wird an den Arbeitsfeldern, die z.B. von Werkstätten für Behinderte angeboten werden, kritisiert, dass sie auf einige wenige Bereiche beschränkt sind und überwiegend einseitige und wenig komplexe Arbeitstätigkeiten, z.B. Montage-, Verpackungs-, Tischler- und Näharbeiten bieten. Diese standardisierten Beschäftigungsmöglichkeiten erscheinen KritikerInnen kaum geeignet, die Lern- und Entwicklungsfähigkeiten der dort arbeitenden Menschen anzuregen und zu fördern, geschweige denn, sie auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Zudem wird kritisch gesehen, dass der Lohn, den die Beschäftigten in der Werkstatt für Behinderte erhalten, sehr gering ist, und keinen geeigneten Beitrag zur Sicherung der Existenzgrundlage liefert. Für Jugendliche mit einer geistigen Behinderung führt der Weg der beruflichen Rehabilitation fast alternativlos in die Werkstatt für Behinderte, ganz gleichgültig, welche individuellen Eigenheiten und Entfaltungsmöglichkeiten der Mensch hat. Die Werkstätten für Behinderte sind innerhalb des Arbeitsmarktes ein eigener geschlossener Arbeitsmarkt geworden. Das Ausbilden von individuellen Fähigkeitsprofilen wird weitgehend verfehlt. Damit ist der Übergang in Arbeitsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwer möglich, und die angestrebte berufliche Eingliederungsmaßnahme führt real in die gesellschaftliche Ausgliederung. Seit die Werkstatt für Behinderte betriebswirtschaftlich orientiert arbeiten soll, gerät sie zunehmend in einen Interessenkonflikt, denn gerade leistungsfähige Beschäftigte, die fähig wären, auf dem freien Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden, erhöhen die Wirtschaftlichkeit der WfB.

Die Angebote des Systems der beruflichen Rehabilitation, so die Kritik zusammenfassend, könnten lediglich in dem Sinne als integrativ bezeichnet werden, als sie ein entsprechendes Ziel formulieren. Sie gehen jedoch nicht einen integrativen Weg, sondern bedienen sich spezieller Institutionen mit je unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen und Anschlüssen. Dies geschieht in Abhängigkeit von der jeweiligen Schädigung der RehabilitandInnen, und es geschieht mit eher geringem Erfolg, wenn man die Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zum Ziel erklärt. Zudem stellt sich die Problematik, dass konkrete Personen nicht immer in die institutionell vorgegebenen Kategorien „passen“, sondern zwischen die Stufen des differenzierten Systems beruflicher Rehabilitation geraten. Dieser Weg und seine Gestaltung auf der Grundlage eines ›Defizit-Modells‹ von Behinderung tragen KritikerInnen zufolge sogar eher dazu bei, das Erreichen dieses Ziels zu verhindern.


Verwendete Literatur:

Boban, Ines; Hinz, Andreas: Integrative Berufsvorbereitung. Unterstützendes Arbeitstraining für Menschen mit Behinderung. Beltz. 2001. [Online Dokument: http://bidok.uibk.ac.at/library/boban-berufsvorbereitung.html#id2842177 (Download am 28.5.)]

Cloerkes, Günther: Soziologie der Behinderten. Eine Einführung. Winter: Heidelberg, 2001.

Specht, Werner et al.: Jugendliche mit Behinderungen zwischen Schule und Beruf. Berichte aus dem „Projekt Schnittstelle: Schule-Arbeitswelt-Soziale Integration“. Dorrong: Graz, 2001.

http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht/ (Download am 5.5.2007)